Tom Franklin – „Die Gefürchteten“

Samstag, 19. Juni 2021

(Heyne, 416 S., HC) 
Mitcham Beat, Alabama, 1897. Um sich ihren ersten Besuch in einem Bordell leisten zu können, kommen die beiden bei der Witwe Gates aufgewachsenen Waisen und Teenager-Brüder William und Matt Burke auf die Idee, das nötige Kleingeld durch einem Überfall zu besorgen, doch dass sie dabei versehentlich den beliebten Ladenbesitzer und Lokalpolitiker Arch Bedole töten, lässt die ohnehin schwierige Situation in dem Landstrich außer Kontrolle geraten. Bedsoles Cousin Tooch macht wider besseres Wissen die Städter aus dem benachbarten Grove Hill für die Tat verantwortlich und gründet mit Hell-at-the-Breech einen Geheimbund, der die darin versammelten Farmer Rache an Bedsoles Tod nehmen lassen will. Wenn ein Farmer wie Floyd Norris jedoch aus familiären Gründen nicht dabei sein möchte, muss er sich zumindest verpflichten, den mit schwarzen Kapuzen umherziehenden Räubern auf Nachfrage ein Alibi zu verschaffen. 
Unter diesen Umständen gelingt es dem alternden und alkoholsüchtigen Sheriff Billy Waite kaum, die Verantwortlichen für den Mord sowohl an Bedsole als auch an dem Farmer Anderson auszumachen. Er reitet mit seinem treuen Pferd King in die Stadt, um sich bei seinem Cousin, den örtlichen Richter Oscar York, Rat zu holen. Doch der verfolgt seine eigenen Pläne, hat mit Ardy Grant bereits einen Nachfolger für Waite im Auge. Allerdings ist Ardy Grant nicht der, der er vorgibt zu sein. Während er als von York engagierter Privatermittler die Identitäten hinter dem Geheimbund herausfinden soll, richtet Grant bei seiner Mission ein regelrechtes Massaker an. Währenddessen muss Mack in Bedsoles Laden, den Tooch übernommen hat, die Schulden der Witwe abarbeiten und bekommt so heimlich mit, wie Tooch die Überfälle seiner Bande organisiert, zu der auch sein volljähriger Bruder gehört …
„Als er die schwefelige Luft roch, blieb er stehen. Wie lange war er schon nicht mehr hier gewesen, im Haus seiner Kindheit, bei der alten Frau, die sich dafür geopfert hatte, ihn und William großzuziehen? Als er ein Baby war, wie viele Nächte hatte sie durchgewacht, als er nicht atmen konnte, wie viele Stunden mit ihm geredet, ihm Geschichten erzählt, das Meer beschrieben? Und wie hatte er es ihr vergolten? Er hatte einen Mann getötet. Mack versuchte, sich Arch Bedsoles Gesicht vorzustellen, doch es gelang ihm nicht. Es sah nur Tooch vor sich, als versperrte der ihm die Sicht auf Arch.“ (S. 256) 
Nach seiner Kurzgeschichtensammlung „Poachers“ (1999), die erst 2020 im Berliner Pulp Master Verlag unter dem Titel „Wilderer“ veröffentlicht wurde, markierte „Hell at the Breech“ 2003 das Romandebüt des aus Alabama stammenden Schriftstellers Tom Franklin, das zwei Jahre später vom Heyne Verlag als Hardcover mit dem Titel „Die Gefürchteten“ erschien. Basierend auf dem Sachbuch „The Mitcham War of Clarke County, Alabama“ von Harvey H. Jackson III, Joyce White Burrage und James A. Cox, erzählt Franklin in seinem fesselnden Roman vom gewalttätigen Konflikt zwischen der armen Landbevölkerung und den vermeintlich reicheren Städtern in Alabama, wobei der versehentliche Mord an einem aufstrebenden Lokalpolitiker fast bürgerkriegsähnliche Zustände auslöst, die von dem rachsüchtigen Cousin des Toten und seiner von ihm ins Leben gerufenen Bande einerseits, von dem auswärtigen Killer Ardy Grant auf der anderen Seite befeuert werden. 
Raubüberfälle, Morde, Brandanschläge sind an der Tagesordnung und bringen nicht nur Sheriff Waite zur Verzweiflung, sondern entfremden die beiden Brüder Mack und William auch von ihrem Zuhause, das ihnen die Witwe Gates jahrelang gegeben hat, und voneinander. So finden sich alle Beteiligten in einer wachsenden Spirale der Gewalt wieder, die zum Finale hin fast schon groteske Züge annimmt. Franklin erweist sich als detailverliebter Chronist dieser von Rache, Misstrauen und Hass geprägten Atmosphäre im US-amerikanischen Süden zum Ende des 19. Jahrhunderts und verbindet auf gekonnte Weise eindringliche Landschaftsbeschreibungen und Spät-Western-Elemente mit einer ungewöhnlichen Coming-of-Age-Geschichte und einem starken Noir-Touch, wobei Gut und Böse bei den unterschiedlichsten Protagonisten kaum klar voneinander zu trennen sind. Auch wenn prominente Kollegen wie Richard Ford und Philip Roth ihrem Kollegen eine große Zukunft bescheinigt haben, blieb Franklin hierzulande ein weithin unbeschriebenes Blatt. Seine nachfolgenden Bücher sind in deutscher Übersetzung beim kleinen Berliner Verlag Pulp Master erschienen, bevor sein neues, mit seiner Frau Beth Ann Fennelly geschriebenes Buch „Das Meer von Mississippi“ wieder bei Heyne veröffentlicht wurde. Dabei bietet „Die Gefürchteten“ ähnlich packende Südstaaten-Literatur wie sie Cormac McCarthy, William Faulkner, Flannery O’Connor, James Lee Burke oder Joe R. Lansdale geprägt haben. Zu bemängeln sind nur die allzu häufigen Perspektivwechsel, die den Lesefluss immer wieder stören. 

 

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