Michael Connelly – (Renée Ballard: 2, Harry Bosch: 21) „Night Team“

Samstag, 3. April 2021

(Kampa, 448 S., HC) 
Auch wenn Harry Bosch längst in Rente ist, kommt er doch nicht davon los, weiter in ungeklärten Fällen zu ermitteln, teils als Privatermittler, teils als Reservist für das San Fernando Police Department. Als er sich unbeobachtet in der Hollywood Division nach der Akte der fünfzehnjährigen Prostituierten Daisy Clayton sucht, wird er von Renée Ballard überrascht, einer einst beim Los Angeles Police Department in der Robbery-Homicide Division tätigen Detektivin, die zur sogenannten Late Show, der berühmt-berüchtigten Nachtschicht des LAPD, strafversetzt wurde, nachdem sie ihren damaligen Vorgesetzten Robert Olivas wegen sexueller Belästigung angezeigt hatte. Ballard ist neugierig, was Bosch an dem Fall so fesselt, und findet ihn so interessant, dass sie Bosch anbietet, ihn bei der Suche nach Daisys Mörder, der ihre Leiche in einem Müllcontainer entsorgt hatte, zu unterstützen, denn ihr stehen immerhin Mittel und Wege zur Verfügung, auf die Bosch als pensionierter Cop nicht zurückgreifen kann. 
In offizieller Mission untersucht Bosch darüber hinaus die Ermordung des früheren Gangsterbosses Cristobal „Uncle Murda“ Vega. Zwar kann Bosch das ehemalige Gang-Mitglied Martin Perez ausfindig machen, der auch zu einer Aussage gegen den mutmaßlichen Mörder Tranquillo Cortez bereit ist, doch wird dieser wenig später ermordet. Bei der Aufdeckung des Department-internen Lecks widerfährt Bosch die nächste Panne. 
Nach seiner Suspendierung kann sich Bosch nun ganz auf den Fall von Daisy konzentrieren, deren ehemals drogenabhängige Mutter bei ihm vorübergehend wohnt, wodurch er seine Tochter Maddie kaum noch zu sehen bekommt. Währenddessen ackert Ballard – immer wieder auch mit Bosch zusammen -die sogenannten „Filzkarten“ durch, auf denen die Ermittler Notizen zu den Interviews mit Zeugen eintragen. Dabei stößt sie auf einen Tatortreiniger, den sie sich einmal aus der Nähe betrachten will. 
„Mord war Mord, und Ballard wusste, dass jeder Fall die uneingeschränkte Aufmerksamkeit der Polizei verdiente. Aber die Ermordung einer Frau ging Ballard immer besonders nahe. Fast immer war bei den Fällen, mit denen sie sich befasste, extreme Brutalität im Spiel. Und fast immer waren die Täter Männer. Das hatte etwa Beunruhigendes und zutiefst Ungerechtes, das über die grundsätzliche Ungerechtigkeit eines gewaltsamen Todes hinausging. Sie fragte sich, wie Männer sich verhalten würden, wenn sie in dem beständigen Wissen lebten, allein wegen ihrer Größe und ihrer Konstitution jede Sekunde ihres Lebens dem anderen Geschlecht unterlegen zu sein.“ (S. 387) 
Seit Michael Connelly Anfang der 1990er Jahre mit „Schwarzes Echo“ seinen ersten Harry-Bosch-Roman veröffentlichte, kann er auf über 20 Bestseller mit seinem charismatischen, sturköpfigen und gerechtigkeitsliebenden Protagonisten zurückblicken, der mittlerweile nicht nur seit 2014 in der Amazon-Serie „Bosch“ Form angenommen hat, sondern auch ein Alter erreicht hat, in dem er gewiss einfach seine Altersruhe genießen könnte. 
Doch wie langjährige Bosch-Fans wissen, lassen dem ehemaligen Detective bei der Mordkommission des LAPD ungelöste Fälle auch nach Jahren keine Ruhe. Da Connelly bereits in früheren Romanen immer wieder Begegnungen zwischen seiner prominentesten Figur und anderen Protagonisten weiterer Reihen wie um Boschs Halbbruder Mickey Haller oder Terry McCaleb eingebaut hatte, darf sich nun auch Connellys neueste Erfindung, die in die Late Show versetzte Ermittlerin Renée Ballard, mit Bosch zusammen auf Verbrecherjagd machen. Dabei stehen zwei ganz unterschiedliche Fälle im Mittelpunkt, die allerdings zeigen, wie gut Ballard und Bosch miteinander harmonieren. 
Connelly beschreibt die oft ermüdende Polizeiarbeit wie gewohnt detailliert, aber ohne seine Leserschaft zu langweilen. Stattdessen bleibt das Publikum durch die akkurat geschilderten Ermittlungsschritte und die daraus gewonnenen Erkenntnisse immer auf Augenhöhe mit Bosch und Ballard, denen der Autor jeweils eine eigene Erzählperspektive zuordnet. So wie Bosch und Ballard braucht auch der Leser einen langen Atem, bis die beiden Fälle zufriedenstellend gelöst sind. Dabei steht Bosch auch vor der moralischen Entscheidung, wie ein skrupelloser Killer wie Cortez der Gerechtigkeit zugeführt werden soll. 
Dass er letztlich den korrekten Weg wählt, bildet die Grundlage für weitere gemeinsame Ermittlungen von Ballard und Bosch. Auch wenn „Night Team“ nicht zu den allerbesten Werken aus Connellys Feder zählt - dazu entwickelt sich die Story zu geradlinig und kommt zu wenig Spannung auf - , liegt der Roman mit seinem authentisch wirkendem Plot und den glaubwürdigen und vielschichtigen Figuren weit über dem Genre-Durchschnitt. Auf weitere Romane von Michael Connelly – egal mit welchen Hauptfiguren – darf man sich also getrost freuen. 

 

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