Lisa McInerney – „Glorreiche Ketzereien“

Dienstag, 26. Juni 2018

(Liebeskind, 446 S., HC)
In ihren jungen Jahren hat Maureen Phelan einen unehelichen Sohn gezeugt, ihn bei ihren Eltern aufwachsen lassen und sich selbst nach London abgesetzt, um der familiären Schmach zu entfliehen. Mittlerweile ist ihr Jimmy der Gangsterboss in der irischen Kleinstadt Cork und hat seine Mutter zurück nach Cork geholt und sie in einem Haus untergebracht, das vorher als Bordell gedient hat. Als Maureen eines Tages einen vermeintlichen Einbrecher mit einer steinernen Devotionalie erschlägt, beauftragt sie Jimmy mit der Entsorgung der Leiche, der sich aber damit nicht selbst die Hände schmutzig macht, sondern dafür seinen alten Kumpel Tony Cusack einspannt.
Wie sich herausstellt, handelt es sich bei dem Toten um Robbie O’Donovan, der für seine Freundin, die Prostituierte Georgie Fitzimons, eben jenen Skapulier besorgen sollte, der ihm zum tödlichen Verhängnis wurde. Tony Cusack hat allerdings auch selbst genügend Probleme. Der alkoholsüchtige Vater von sechs Kindern muss miterleben, wie sein 16-jähriger Sohn Ryan erst von der Schule fliegt und dann für seinen Kumpel Dan wegen Drogenhandels in den Knast wandert. So verpasst Ryan den Abschlussball und wird später mit der bitteren Erkenntnis konfrontiert, dass seine Freundin Karine bei diesem Ball fremdgegangen ist. Allerdings hat es auch Ryan bislang mit der Treue nicht so genau genommen. Da Jimmy zunehmend genervt davon ist, dass Georgie wegen Robbie unangenehme Fragen stellt, sollen die Cusacks für eine nachhaltige Lösung sorgen …
„Was war aus ihm geworden auf seiner Reise durch die Unterwelt? Nichts weiter als ein weiteres betrügerisches Arschloch in einer Stadt voller betrügerischer Arschlöcher. Mit fünfzehn hatte er angefangen und war dumm genug gewesen zu denken, er könnte wieder damit aufhören. Die Vorhersehbarkeit seiner Wandlung schmerzte fürchterlich.“ (S. 346) 
Die aus der irischen Provinz Connacht stammende Lisa McInerney war zunächst als Bloggerin unterwegs, ehe sie von dem Schriftsteller Kevin Barry dazu ermuntert wurde, Kurzgeschichten zu schreiben, die dann auch in verschiedenen Literaturzeitschriften erschienen sind.
Ihr Debütroman „Glorreiche Ketzereien“ wurde 2016 gleich für den Irish Book Award und den Dylan Thomas Award nominiert, erhielt den Bailey’s Women’s Prize for Fiction und Desmond Elliott Prize. Man fühlt sich ein wenig an Douglas Couplands „Alle Familien sind verkorkst“ erinnert, wenn der Leser Bekanntschaft mit all den verzweifelten Typen macht, die in Cork ihr Leben nicht auf die Reihe bekommen, weil sie dem Alkohol, den Drogen oder dem Sex verfallen sind und vor Betrug, Verrat und Mord nicht zurückschrecken, um ihre kaputten Familien zu schützen.
Vor diesem Hintergrund entwickelt die Autorin einen vielschichtigen Plot, in der irgendwie alle familiären und frei gewählten Beziehungen auf dem Prüfstein stehen. Dabei treffen die vortrefflich gezeichneten Figuren am laufenden Band die falschen Entscheidungen und bringen sich und ihre Liebsten noch mehr in die Bredouille, wobei der Gangster Jimmy Phelan keine Gnade mit den Menschen kennt, die ihm auch nur ansatzweise in die Quere kommen könnten.
Es fällt nicht immer leicht, den ständig wechselnden Figuren und ihren verzwickten Situationen zu folgen, in die sie sich manövrieren, aber der Roman lebt vor allem von seinem schwarzen Humor und der drastischen Sprache, die Lisa McInerney für all die Verfehlungen ihrer verkorksten Charaktere verwendet, die ihr Heil mal in einer Sekte, oft genug aber einfach im Drogenrausch suchen.
Es ist ein tristes, düsteres und unheilvolles Schicksal, das Corks Bewohner teilen, aber McInerney schafft es, die verhängnisvollen Verwicklungen so temporeich, humorvoll und sprachgewandt zu schildern, dass der Lesefluss und die Neugier auf den weiteren Verlauf der Handlung gesichert ist. Zum Glück hat die Autorin mit „The Blood Miracles“ schon eine Fortsetzung veröffentlicht, die hoffentlich auch bald ins Deutsche übersetzt wird. 
Leseprobe Lisa McInerney "Glorreiche Ketzereien"

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen