Tom Franklin – „Wilderer“

Sonntag, 11. Juli 2021

(Pulp Master, 256 S., Tb.) 
Der in der Kleinstadt Dickinson, Alabama, geborene Tom Franklin hat kurz nach seinem Studium an der University of Southern Alabama in Mobile und dem 1998 erhaltenen Master of Fine Arts an der University of Arkansas mit „Poachers“ seine erste Sammlung mit Kurzgeschichten veröffentlicht, die 2020 vom Berliner Verlag Pulp Master unter dem programmatischen Titel „Wilderer“ auch hierzulande herausgebracht wurde und den Weg weist auf Franklins nachfolgenden Romane „Smonk“ und „Krumme Type, krumme Type“. 
In den zehn Geschichten widmet sich Franklin ausnahmslos und wie in seinen Romanen den Menschen am unteren Rande der Gesellschaft. Es sind die noch tief im Rassismus verwurzelten verkrachten Existenzen in Alabama, die eher schlecht als recht über die Runden kommen und entweder aus Zufall oder Not auf die kriminelle Spur gelangen. Mit dem Prolog „Jagdzeit“ gibt Franklin zunächst einen Einblick in sein eigenes Leben, in die Jugend, als er im Dezember mit seinem Bruder Jeff zu jagen ging, wie er im Alter von dreißig Jahren zu einem weiterführenden Studium nach Fayetteville, Arkansas, ging, aber sich stets in Alabama zu Hause fühlte, wo auch seine Geschichten spielen. 
„Mein Süden – der mir bis heute im Blut liegt und meine Vorstellungswelt bestimmt, der Süden, in dem diese Geschichten spielen – ist das südliche Alabama, üppig, grün und voller Tod, die waldreichen Countys zwischen dem Alabama und dem Tombigbee River.“ (S. 5) 
Nach diesem Einblick in das besondere Verhältnis zu seiner Heimat legt Franklin mit „Kies“ seine erste eindrucksvolle Geschichte vor, in der der zweiundvierzigjährige Glen als Geschäftsführer eines Kieswerks nördlich von Mobile von den beiden in Detroit lebenden Besitzern Ernie und Dwight angewiesen wird, der Zweimannnachtschicht zu kündigen. Für Roy Jones bedeutet das keinen Beinbruch. Schließlich verdient er als Buchmacher nicht schlecht nebenher, auch Glen steckt bei ihm mit über viertausend Dollar in der Kreide. Roy kann den halben Alkoholiker und notorischen Spieler Glen dazu überreden, mehrmals in der Woche schwarz Black-Beauty-Sandstrahlgut an einen „unabhängigen Abnehmer“ zu liefern. Roy hat zudem gute Verbindungen nach Detroit, ist über unangekündigte Besucher von Ernie und Dwight rechtzeitig informiert und versorgt diese mit Prostituierten und Alkohol, so dass sie sich im Kieswerk nur kurz blicken lassen. Doch als sich Glen nicht mehr von Roy bevormunden lassen will, findet er zunehmend Gefallen an dem Gedanken, selbst das Spiel von Intrigen, Gewalt und Korruption zu spielen … 
In „Shubuta“ beschreibt Franklin eine Welt voller stillgelegter Traktoren, trockener Felder, Häuser auf Betonhohlblöcken, erzählt von dem schwarzen Wassermelonen-Farmer Willie Howe, der sich durch das Auge schoss, weil seine Alte ihn verlassen hatte, von Onkel Dock, der seine fette Nachbarin dabei beobachtet, wie sie regelmäßig Besuch von einem dürren Hippie bekommt, mit dem sie auf der Veranda Joints durchzieht und ihn dann ins Haus bittet, um sich mit ihm zu vergnügen. „Die Ballade von Duane Juarez“ beschreibt der unscheinbare, mittellose und geschiedene Ich-Erzähler, wie sehr er seinen reichen Bruder Ned beneidet, der ständig die intelligentesten und hübschesten Frauen abschleppt. Als Ned ihm eines Tages eine Tüte mit einer silbernen Pistole und 22er-Patronen überreicht, sieht er die Chance auf ein besseres Leben für sich. 
Mit der abschließenden Titelgeschichte „Wilderer“, mit gut 80 Seiten die längste und stärkste Story, präsentiert Franklin ein packendes Southern-Noir-Drama, das von den drei Gates-Brüdern handelt, die zunächst einen Wildhüter töten, der sie beim Wildern erwischt hat, und dann nacheinander selbst unter mysteriösen Umständen sterben. Der alte Kirxy, Tankstellenbetreiber und Ladenbesitzer, hat sich stets als Ersatzvater für die Jungen betrachtet und glaubt, dass Frank David, der neue Wildhüter, für die Morde an den Gates-Jungen verantwortlich ist. 
Es ist eine harte, unbarmherzige Welt, in der Franklins Figuren ums Überleben kämpfen und unter psychischem oder finanziellem Druck schnell zu gewalttätigen und endgültigen Lösungen tendieren, die ihre Situation letztlich nicht verbessern. Franklin beschreibt nicht nur eindringlich die außergewöhnliche Natur, sondern zeichnet auch sehr fein die Charakterzüge seiner Figuren, die sich zwischen Spielschulden, Alkohol, Verbrechen, Krankheit, Einsamkeit und Prostitution aufreiben und früher oder später daran zugrunde gehen. Das gelingt dem Autor gerade mit der letzten Geschichte auf so unnachahmlich faszinierende und packende Weise, dass es bedauerlich ist, dass Franklin bislang so wenig veröffentlicht hat. Zuletzt erschien mit „Das Meer von Mississippi“ ein Roman, den er mit seiner Frau Beth Ann Fennelly geschrieben hat.  

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