Jim Thompson – „Gefährliche Stadt“

Freitag, 30. Juli 2021

(Diogenes, 240 S., Tb.) 
Ragtown ist eines dieser öden ehemaligen Viehtreiberkaffs im tiefsten Westen von Texas, wo einst Mike Hanlon mit seiner klapprigen Bohrausrüstung auf Öl gestoßen und zu Reichtum gekommen war. Mittlerweile sitzt der Ölbaron nach einem Unfall im Rollstuhl und ist Besitzer des vierzehnstöckigen Hanlon Hotels, zudem mit der attraktiven Joyce verheiratet, die er damals eigentlich als Empfangsdame einstellen wollte und der er gestattete, ihre Bedürfnisse auch anderweitig zu befriedigen, wenn es denn diskret vonstattengehe. Trotz des großzügigen Arrangements wird Hanlon den Verdacht nicht los, dass Joyce es auf mehr anlegt und ihn endgültig aus dem Weg räumen will. 
Mit seinem vagen Verdacht erreicht er bei dem vermeintlich korrupten Chief Deputy Lou Ford allerdings nicht viel. Als der mehrfach wegen Mordes und Gewalttätigkeiten verurteilte David „Bugs“ McKenna in die Stadt kommt, vermittelt Ford ihm eine Stelle als Hoteldetektiv bei Mike Hanlon, dessen Offenheit ihm sympathisch ist. Doch wie in seinem bisherigen Leben zieht McKenna auch hier die Probleme an. Er lässt sich nicht nur auf eine Affäre mit Joyce und der Hotelangestellten Rosalie Vara ein, sondern hat sich vor allem in die attraktive Lehrerin Amy Standish verguckt, die allerdings mit dem Chief Deputy liiert ist. 
Als der meist betrunkene Hotelmanager Westbrook Bugs ins Vertrauen zieht, dass er einen weiteren Hotelangestellten namens Dudley, den der Manager selbst für einen Job im Hotel empfohlen hat, verdächtigt, 5000 Dollar unterschlagen zu haben, soll Bugs dem Verdächtigen einen Besuch abstatten. Zu seinem Pech verunglückt Dudley in McKennas Anwesenheit tödlich, was den Hoteldetektiv nicht nur in Erklärungsnöte bringt, sondern auch eine Erpressung unbekannter Herkunft um gerade die 5000 vermissten Dollar. Bugs versucht, die Identität des Erpressers herauszufinden und weiß nicht, wem er noch trauen kann. Dabei hängt er trotz aller Schwierigkeiten an seinem Job … 
„Er wusste, dass es ihm schwer fallen würde, hier wieder wegzugehen. Ein Aufstieg in einen besseren Job wäre natürlich nicht schlecht, aber wenn das nicht ging, würde er sich auch nicht beklagen. Er würde ihm schon genügen, so weiterzumachen wie bisher. Und dazu war er fest entschlossen. Noch einmal würde er sich nicht unterbuttern lassen. Er würde bleiben. Irgendwie. Um jeden, wortwörtlich um jeden Preis.“ (S. 161) 
Zwei Jahre vor dem durch Sam Peckinpahs Kultverfilmung berühmt gewordenen Roman „The Getaway“ veröffentlichte Jim Thompson 1957 mit „Wild Town“ einen Krimi, in dem es ein Wiedersehen mit Sheriff Lou Ford gibt, dem Ich-Erzähler aus Thompsons vierten Roman „Der Mörder in mir“ (1952), allerdings spielt Ford hier nur eine – wenn auch undurchsichtige – Nebenrolle, die allerdings die Dinge für McKenna erst ins turbulente Rollen bringt. 
Noir-Ikone Thompson gelingt es einmal mehr, auf gerade mal 240 Seiten die Physiognomie einer Stadt zu umreißen, die durch Ölvorkommen über Nacht „einen Umfang wie eine Frau, die im achten Monat mit Drillingen schwanger geht“, bekam und allerlei zwielichtige Gestalten anzog. Von denen wimmelt es auch in „Gefährliche Stadt“. McKenna wird als Noir-typischer Antiheld eingeführt, der sein Leben lang mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist und auch kurz nach seiner Ankunft in Ragtown eingebuchtet wird, nur um von Deputy Sheriff Ford einen aussichtsreichen Job angeboten zu bekommen. 
Was die nachfolgende Handlung so spannend macht, sind die Menschen, mit denen McKenna folglich beruflich und privat zu tun bekommt. Ohne ersichtlichen Grund verdient er sich nicht nur die Gunst seines an den Rollstuhl gefesselten Bosses, sondern zieht auch ganz unterschiedliche Frauen an, doch gestaltet sich der jeweilige Umgang mit ihnen schwierig, bis McKenna nicht mehr weiß, was er von wem halten soll. Bis also die Umstände von Dudleys Tod und der verschwundenen 5000 Dollar aufgeklärt sind, tappen McKenna und mit ihm die Leser lange Zeit im sprichwörtlichen Dunkeln. Thompsons lakonischer Humor und seine präzise Sprache sorgen in diesem Wirrwarr der Gefühle und herrlich unmoralischen Fallstricken durchweg für prickelnde Unterhaltung. 

 

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