John Irving – „Die wilde Geschichte vom Wassertrinker“

Sonntag, 24. Januar 2021

(Diogenes, 487 S., Tb.) 
Fred „Bogus“ Trumper leidet unter unspezifischen Problemen beim Wasserlassen. Nachdem ihm sein Vater, der Urologe ist, nicht weiterhelfen konnte, wendet sich Trumper in New York an den Franzosen Dr. Jean-Claude Vigneron, der seinem Patienten letztlich zwei Optionen anbietet, die seinem Leiden mit dem ungewöhnlich schmalen Urogenitaltrakt Abhilfe verschaffen könnten: eine Operation oder die Wassermethode, die vor allem darin besteht, vor und nach dem Geschlechtsverkehr viel Wasser zu trinken. Da Trumper sich nicht auf eine 48-stündige Schmerzphase nach einer Operation einlassen will, entscheidet er sich für die Wassermethode. 
Neben diesem gesundheitlichen Problem muss sich Trumper aber mit ganz existentiellen Nöten herumschlagen, nämlich seiner Doktorarbeit. Der Student der Sprachen an der University of Iowa plant, mit seiner Dissertation eine Übersetzung des Epos „Akthelt und Gunnel“ aus dem Altniedernordischen vorzulegen. Für einen Studienaufenthalt zieht es Trumper nach Österreich, wo er in Kaprun die erfolgreiche Skiläuferin Sue „Biggie“ Kunft kennenlernt. 
Als Biggie von Trumper schwanger wird und mit ihm nach Amerika zurückkehrt, streicht ihm sein Vater seine monetären Zuwendungen, so dass Trumper gezwungen ist, Aushilfsjobs wie das Verkaufen von Wimpeln in Sportstadien auszuüben. Die Beziehung zu Biggie geht in die Brüche, Trumper zieht es wieder nach Österreich, wo er seinen alten Freund Merrill Overturf besuchen will. Zwar findet er seinen Freund nicht, wird dafür aber in eine Drogengeschichte verwickelt. 
Die Rückkehr nach New York gelingt auf abenteuerliche Weise. Mit dem Drogengeld, das Trumper unerklärlicherweise zugesteckt bekommen hat, leistet er sich eine Taxifahrt nach Maine, wo Trumper seinen alten Freund Couth besuchen will. Dabei stellt er fest, dass Biggie und ihr gemeinsamer Sohn Colm bei Couth leben. Enttäuscht kehrt Trumper nach New York zurück. Ralph Tucker, für den Trumper schon früher als Tontechniker gearbeitet hat, will einen Dokumentarfilm über Trumper drehen und ihn „Der Griff in die Scheiße“ nennen. Bei den Dreharbeiten gerät auch Trumpers Beziehung zu seiner Freundin Tulpen ins Trudeln … 
„Er hatte Lust, nach Maine zu gehen, sich das neue Baby anzusehen und seine Zeit mit Colm zu verbringen. Er wusste, dort war er eine Zeitlang ein gerngesehener Gast, wenn er auch nicht bleiben konnte. Er hatte auch Lust, nach New York zu gehen und Tulpen zu besuchen, aber er wusste nicht, wie er ihr entgegentreten sollte. Er stellte sich eine Art Rückkehr vor, die ihm gut gefallen würde: triumphierend, wie ein geheilter Krebskranker. Aber er war sich nicht klar, welche Krankheit er bei seinem Weggang gehabt hatte, und so konnte er auch schwerlich wissen, ob er nun geheilt war.“ (S. 456) 
Mit seinem zweiten, 1972 veröffentlichten Roman, erzählt John Irving („Das Hotel New Hampshire“, „Owen Meany“) die Geschichte eines Mannes, der nie wirklich etwas zu Ende gebracht hatte, der als Ringer schon kurz vor dem Triumph stand und dann doch noch seinen Kampf verlor; der vor den Frauen flüchtet, sobald sie ihm nur die leiseste Ahnung vermitteln, dass sie fremdgehen könnten; der sich letztlich ein Dissertationsthema aussucht, das ebenso uninteressant wie schwierig zu bewältigen ist. Als Leser fällt es einem schwer, Sympathien für diesen wankelmütigen Hallodri namens Fred „Bogus“ Trumper zu entwickeln. Bereits seine Einführung mit dem Problem seines verengten Urogenitaltrakt taugt nicht dazu, eine persönliche Bindung zu dem Protagonisten aufzubauen, der mal als Ich-Erzähler auftritt, dann als zu beobachtendes Objekt in der dritten Person oder auch als Rolle in einem Drehbuch. So munter wie Irving zwischen den Erzählperspektiven hin- und herspringt, so wechselt er auch die Zeitebenen, was es schwierig macht, der Geschichte zu folgen. Dazu lässt der US-Amerikaner immer wieder ausgiebige Zusammenfassungen der (fiktiven) altniedernordischen Saga in den Plot einfließen, die das Lesevergnügen weiter schmälern, was umso schmerzlicher ist, als dass Irving ein wirklich einfallsreicher, sprachlich versierter und witziger Autor mit einem Gespür für seine ungewöhnlichen Figuren ist.


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