Colin Wilson – „Der Stein der Weisen“

Samstag, 17. Mai 2025

(Festa, 490 S., HC)
Der britische Schriftsteller Colin Wilson (1931 – 2013) war Zeit seines Lebens von schöpferischen Individuen fasziniert und Biografien zu einflussreichen Persönlichkeiten wie Rudolf Steiner, Carl Gustav Jung, P.D. Ouspensky, Georges I. Gurdjieff, Wilhelm Reich und Aleister Crowley verfasst. Ein besonderes Anliegen war ich, Wege zu finden, der Enge des Alltagsbewusstseins zu entkommen und unser Potential zu entwickeln. Wilson schrieb neben unzähligen Sachbüchern, darunter Klassiker wie „The Outsider“ und „The Occult“, aber auch immer wieder Romane. Sein erster, 1960 veröffentlichter Roman „Ritual in the Dark“ über einen Serienmörder war an die Geschichte von Jack the Ripper angelehnt. Als er in seinem Buch „The Strength to Dream“ (1962) die Horrorliteratur von H. P. Lovecraft kritisierte, nahm Wilson die Herausforderung von Lovecrafts Freund und Verleger August Derleth an, etwas Besseres zu schreiben. Nachdem er diese Aufgabe mit „The Mind Parasites“ (1967) bravourös gemeistert hatte, setzte er 1969 mit „The Philosopher’s Stone“ sogar noch einen drauf und legte eine Geschichte zur Entstehung von Lovecrafts legendären Cthulhu-Mythos vor, der später von Autoren wie Robert Bloch, Ramsey Campbell, Graham Masterton, Brian Lumley und Wolfgang Hohlbein aufgegriffen und weiterentwickelt worden ist. Der auf Horror-Literatur spezialisierte Festa-Verlag hat das Werk nun in der – limitierten - Reihe H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens unter dem Titel „Der Stein der Weisen“ als deutsche Erstausgabe veröffentlicht.

Howard Lester ist 1942 als Sohn eines Wartungstechnikers in Nottinghamshire in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, und die Erinnerungen an seine ersten zehn Lebensjahre waren von Schmutz und Langeweile geprägt. Hin- und hergerissen zwischen seiner Liebe zur Wissenschaft einerseits und zur Musik andererseits, begann sich Lester schon in frühen Jahren für das Phänomen der Zeit zu interessieren. Die schicksalhafte Begegnung des 13-jährigen Jungen mit dem 45-jährigen Wissenschaftler Sir Alastair Lyell führte Lester zur Erkenntnis, dass das menschliche Leben von der Realität entrückt und der Tod unsere letzte Abrechnung sei. Als sein Mentor versorgte Lyell den Jungen mit Büchern über Huxley, Darwin, Tyndal und Herbert Spencer, bis Lester das Thema fand, dem er fortan sein Leben widmen würde: Das „große Geheimnis“ des Lebens zu ergründen und einen Weg zu finden, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen. Denn seiner Auffassung nach sterben Menschen nur deshalb, weil sie sich langweilen und sich nicht anstrengen, nach höherem Wissen zu streben, weil sie sich durch das Triviale versklaven lassen. Nach dem Tod von Lyell im Jahr 1967 erbt Lester genügend Geld, um sich weiterhin seinen Forschungen zu widmen, wobei er sich zunehmend mit den Mystikern auseinandersetzt, viel Zeit im Lesesaal des Britischen Museums verbringt und schließlich die Bekanntschaft von Sir Henry Littleway macht, mit dem Lester fortan nicht nur Forschungen über das Älterwerden betreibt, sondern vor allem auch Operationen vornimmt, bei denen eine spezielle Legierung in den präfrontalen Kortex des Gehirns eingeführt wird, um die Geisteskräfte zu steigern und einen Entwicklungsprozess in Gang zu setzen, bei dem die äußere Welt durch die Macht des Gehirns in ihre Schranken gewiesen wird. Schließlich stoßen Lester und Littleway auf eine Basaltstatue und das Voynich-Manuskript und erfahren durch bewusst herbeigeführte Rückschauen, die sie bis zu Stonehenge und der Kultur der Maya führen, von den Großen Alten, die bereits Arthur Machen und H. P. Lovecraft in ihren Werken thematisiert haben…
„Meine ,Zeitschau‘ war noch immer relativ schwach, wenn ich versuchte, sie auf die ferne Vergangenheit anzuwenden, obwohl sie durchaus klar war, wenn ich sie mit weniger Epochen beschäftigte. Was die Basaltfigur betraf, so schien ihre Geschichte nicht mehr vollkommen undurchsichtig. Wenn ich sie jetzt anschaute, konnte ich spüren, dass auch sie mit einer seltsamen Religion von entsetzlichem Humor zu tun hatte. An dieser Erkenntnis war etwas seltsam Erfrischendes. Der Mensch neigt dazu, seine Götter nach seinem Bilde zu gestalten, um sie zu vermenschlichen. Aber diese Götter waren wild und ganz und gar fremd.“ (S. 356)
„Der Stein der Weisen“ wird nicht von ungefähr im Untertitel als „philosophischer Roman“ bezeichnet, denn eine konventionelle Handlung weist das Buch nicht auf. Dafür berichtet der Ich-Erzähler Howard Lester von seinen ausgiebigen Studien und Experimenten, die ihn schließlich zu weitreichenden Erkenntnissen über die Evolution des Menschen und die Rolle der Großen Alten bis in die heutige Zeit hineinführen. Das ist vor allem in philosophischer Hinsicht interessant und dürfte vor allem die Leser interessieren, die bereits Wilsons „Das Okkulte“ verschlungen haben. Für Lovecraft-Fans ist dieser Exkurs nur insofern interessant, als Lovecraft, der Cthulhu-Mythos ebenso wie das sagenumwobene „Necronomicon“ erwähnt und die Ursprünge der Großen Alten erklärt werden, doch von der atmosphärisch dichten Sprache, die Lovecrafts Erzählungen prägen, ist Wilsons „Der Stein der Weisen“ weit entfernt. Der sachliche, zuweilen etwas überhebliche Ton des Erzählers und seine Erkenntnis, zu den wenigen Individuen mit großer Einsicht und unbegrenztem Entwicklungspotenzial zu gehören, sorgen eher dafür, sich mit den philosophischen Fragen auseinanderzusetzen, als sich vor den Großen Alten zu fürchten.


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