James Lee Burke – (Dave Robicheaux: 22) „Blues in New Iberia“

Samstag, 4. Juli 2020

(Pendragon, 586 S., Pb.)
Sucht man nach eindrücklichen Beispielen für Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Geschichten, wird man auch im New Iberia Parish in der Gestalt von Desmond Cormier fündig. Er wuchs als indianischer Mischling bei seinen Großeltern im Chitimacha Indianerreservat in Armut auf, nachdem ihn seine Mutter in der Schlafkoje eines Sattelschleppers entbunden hatte und dabei verstorben war, mochte sein vorherbestimmtes Leben aber nicht akzeptieren. So stählte er seit seinem 12. Lebensjahr seinen Körper, ging nach der Highschool bei einem Straßenmaler auf dem Jackson Square in die Lehre und verwirklichte in Hollywood seinen Traum, Filmregisseur zu werden.
25 Jahre später kehrt Cormier mit einer Golden-Globe- und einer Oscar-Nominierung in seine Heimat zurück und lässt sich in einem Haus auf Stelzen am Cypremort Point nieder, an dessen südlichen Ende Detective Dave Robicheaux und sein erst seit sieben Monaten bei der Polizei arbeitende Kollege Sean McClain drei frühmorgendlichen Notrufen wegen einer um Hilfe schreienden Frau nachgehen. Am Strand finden sie jedoch nur einen einzelnen Tennisschuh, Größe 40. Als sie Cormier einen Besuch abstatten und durch sein Fernrohr die Bucht absuchen, entdeckt Robicheaux eine auf einem Kreuz angenagelte und festgebundene junge Schwarze, die auf ritualistisch anmutende Weise ermordet worden ist und als Lucinda Arcenaux identifiziert wird.
Doch das ist erst der Anfang einer ganzen Reihe von Morden, die einem ähnlichen Muster folgen und bei denen auch Tarot-Karten in die Inszenierung eingebunden werden. So wird Joe Molinari wird in einem Schuppen gefesselt und mit einem durch seine Brust gestoßenen angespitzten Gehstock wie der Gehängte auf der Tarot-Karte aufgefunden, der Informant Travis Lebeau wird gefoltert und mit dem Auto zu Tode geschleift. Robicheaux und sein langjähriger Freund Clete Purcell, mit dem er einst in New Orleans in der Mordkommission zusammengearbeitet hatte und der nun als Privatdetektiv arbeitet, haben sofort Cormier und sein merkwürdiges Gefolge, vor allem den Produzenten Lou Wexler und den undurchsichtigen Antoine Butterworth, in Verdacht.
Schließlich hat die Ermordete bei einer Catering-Firma gearbeitet, die Filmsets beliefert. Doch die Ermittlungen werden durch mehrere Komponenten erschwert: Robicheaux‘ Adoptivtochter Alafair, die nach ihrer juristischen Ausbildung an der Reed und Stanford University zunächst als Bezirksstaatsanwältin in Portland, Oregon gearbeitet hatte, schreibt mittlerweile Romane und Drehbücher und begleitet Cormier und seine Crew bei seinen derzeitigen Aufnahmen zu einem Film, der aus allerlei fragwürdigen Quellen, von Russen, Arabern und der Mafia, finanziert wird.
Mit im Spiel sind auch der entflohene Häftling Hugo Tillinger, der für die Morde an seiner Frau und Tochter eingesessen hat, die er bestreitet, begangen zu haben und durch Lucinda Arcenaux, die ihn vor seinem Ausbruch im Gefängnis besucht hatte, die Hoffnung hatte, dass ihm Leute aus Hollywood helfen könnten, begnadigt zu werden. Und schließlich mischt auch noch ein kleingewachsener Killer namens Smiley Wimple mit, der systematisch bösen Menschen das Licht ausknipst. Als wäre das noch nicht genug, verliebt sich Dave Robicheaux auch noch in seine viel jüngere neue Partnerin Bailey Ribbons, die nicht nur Kontakt zu den Filmleuten sucht, sondern auch ein dunkles Geheimnis aus ihrer Vergangenheit mit sich herumträgt …
„Ich versuchte, all die wahllosen Informationsbrocken zusammenzusetzen, aus denen sich ein mögliches Motiv oder Muster für die Morde an Lucinda Arceneaux, Joe Molinari, Travis Lebeau, Axel Devereaux und Hilary Bienville ergab. Jeder einzelne war auf seine Art rituell. Vielleicht spielten das Tarot und das Malteserkreuz eine Rolle. Genau wie Grausamkeit und Wut. Doch sobald ich einen Mord mit einem zweiten oder dritten in Verbindung setzte, fiel mein logisches Gebäude wieder auseinander.“ (S. 332) 
Es gibt wohl kaum einen anderen Autor, der die besondere Atmosphäre in den Südstaaten so eindringlich zu beschreiben versteht, wie der 1936 in Houston, Texas, geborene teilweise in New Iberia, Louisiana, lebende Schriftsteller James Lee Burke. Aus seiner populären und von der Kritik gefeierten Reihe um den Südstaaten-Cop Dave Robicheaux, die 1987 mit dem Roman „Neonregen“ ihren Anfang nahm, wurden bereits „Heaven’s Prisoners“ (als „Mississippi Delta“ mit Alec Baldwin und Kelly Lynch in den Hauptrollen) und „In the Electric Mist“ (mit Tommy Lee Jones in der Hauptrolle) verfilmt. „Blues in New Iberia“ stellt nicht nur den bereits 22. Band der Reihe, sondern fraglos einen ihrer Höhepunkte dar. Von Ermüdungserscheinungen, nervigen Wiederholungen, einfallslosen Plots oder schwachen Charakterisierungen ist bei diesem epischen Krimi-Drama mit Hollywood-Touch nichts zu spüren. Stattdessen drehen Dave Robicheaux und sein bester Kumpel Clete Purcel wieder groß auf. Allerdings befinden sich die beiden charismatischen Protagonisten mit ihrem jeweils sehr eigenen Rechtsempfinden sehr lange im Strudel schwer zu deutender Ereignisse und undurchsichtiger Personen und Liebschaften.
Burke erweist sich einmal mehr als Meister der feinen Charakterisierungen, wie sie sein kriegs- und berufserfahrener Ich-Erzähler Dave Robicheaux vornimmt.
„Blues in New Iberia“ bezieht seine dramaturgisch sorgfältig und dicht inszenierte Spannung aus dem schwer entwirrbaren Netz ritualistisch anmutender Mordfälle, verschrobenen Hollywood-Leuten und ihren anrüchigen Finanziers sowie den schwierigen persönlichen Beziehungen, die sein Protagonist mit den unterschiedlichsten Frauen - seien es eine Blues-Sängerin, seine junge Kollegin oder seine eigene Tochter – unterhält. Dabei webt er die einzigartige Geschichte der Südstaaten ebenso in den vielschichtigen Plot ein wie John Fords Klassiker „Faustrecht der Prärie“.
Leseprobe James Lee Burke - "Blues in New Iberia"

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