Robert Bloch – „Der Schal“

Mittwoch, 8. Juli 2020

(Diogenes, 224 S., Tb.)
Im Alter von achtzehn Jahren machte Daniel Morley in seinem letzten Schuljahr eine traumatische Erfahrung. Seine achtunddreißigjährige Englischlehrerin Miss Frazer empfand nämlich mehr als nur fürsorgliche Zuneigung zu dem jungen Mann, lud ihn zu sich nach Hause ein und wollte ihn unter Alkoholeinfluss verführen, nachdem sie ihm einen gelben Schal als Abschiedsgeschenk gemacht hatte. Doch als sich Daniel nicht auf diese Art von Beziehung einlassen wollte, nutzte Miss Frazer den benommenen Zustand ihres Zöglings aus, fesselte ihn mit dem Schal und setzte ihrem Leben durch Gas ein Ende. Über Jahre hinweg hasste Daniel sowohl Bücher als auch Frauen, doch den gelben Schal behielt er.
Jahre später versucht Daniel, als Schriftsteller Fuß zu fassen. In Minneapolis lernt er Rena kennen, deren Mann im Gefängnis sitzt und die über genügend Geld verfügt, Daniel auszuhalten, doch als sie ihn dazu drängt, mit ihr zusammenzuziehen, erwürgt er sie mit dem gelben Schal und verlässt spurlos die Stadt. In Chicago nistet er sich in einem schäbigen Hotelzimmer ein und lernt als Taxifahrer das freiberufliche Model Hazel Hurley kennen, die ihn mit der Werbeagentur Bascomb, Collins & Co. bekannt macht. Die erweist sich schließlich als Sprungbrett für Daniel Morley Schriftsteller-Karriere, denn über seinen Arbeitskollegen Lou King macht er die Bekanntschaft mit dem Agenten Phil Teffner, der sich begeistert von Daniels Manuskript zeigt.
Als Daniel auch von Hazel genervt ist, entwickelt er erneut einen Plan, die Frau an seiner Seite loszuwerden. Doch je erfolgreicher Daniel wird, desto mehr lernt er Leute wie den Psychoanalytiker Jeff Ruppert kennen, die zu ahnen beginnen, welch dunklen Geheimnisse der Bestseller-Autor verbirgt …
„Mich als verrückt zu bezeichnen, genügt nicht. Niemand macht sich die Mühe nachzuzählen, ob ich alle Tassen im Schrank habe. Sie glauben alle, ich sei in Ordnung. Und außerdem um einiges schlauer als die meisten anderen.
Genau. Das muss es sein. Ich bin schlauer. Ich kenne mehr Methoden und ich wende mehr Methoden an. Warum, zum Teufel, gebe ich mich mit Erklärungen ab, sogar mir selbst gegenüber? Der einzige Unterschied zwischen mir und den übrigen besteht darin, dass ich schlauer bin. Ich weiß, wie ich das erreiche, was ich will, und wie ich ungestraft davonkomme.“ (S. 161) 
Die Geschichte von Daniel Morley in Robert Blochs Debütroman „Der Schal“ aus dem Jahr 1947 liest sich wie die Lebensgeschichte des Autors selbst. Zwar veröffentlichte Bloch bereits früh Geschichten in dem Horror-Magazin „Weird Tales“ und in dem Science-Fiction-Magazin „Amazing Stories“ zu veröffentlichen, verdiente sich seinen Lebensunterhalt aber wie sein Ich-Erzähler Daniel Morley in einer Werbeagentur, bevor er mit wachsendem Erfolg sich ganz auf das Schreiben von Romanen und Kurzgeschichten konzentrieren konnte.
Mit „Der Schal“ widmet sich Bloch eines seiner frühen Lieblingsthemen, nämlich des Serienkillers. Sein Interesse an Jack the Ripper mündete immer wieder in Romanen und Geschichten, aber auch Marquis de Sade und Lizzie Borden haben es Bloch angetan. In „Der Schal“ schildert Bloch aus der Perspektive des erfolgreich werdenden Schriftstellers Daniel Morley das Psychogramm eines raffinierten Serienmörders. Dabei dient ihm im letzten Drittel des Buches vor allem die Figur des Psychoanalytikers Jeff Ruppert, um die mögliche Motivation und psychische Disposition des Täters abzuleiten.
„Der Schal“ fällt zwar nur leidlich spannend aus, doch der kurze Debüt-Roman demonstriert eindrucksvoll, wie akkurat sich Bloch mit der Psyche seiner Protagonisten aussetzt, auch wenn die Analyse sehr konstruiert wirkt. Das machte letztlich Alfred Hitchcock darauf aufmerksam, Blochs späteren Roman „Psycho“ zu verfilmen, was sowohl für den Autor als auch den Filmemacher zu einem Riesenerfolg wurde und einen entscheidenden Karriereschub bewirkte.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen