Die Zeiten, in denen Superhelden wie Superman, Batman, Green Lantern, Spider-Man, Hulk oder die X-Men allein in Comics ihre Abenteuer erlebten und von zumeist kindlichen und jugendlichen Lesern verfolgt wurden, sind längst vorbei. Mittlerweile sind die Comichelden nicht nur erwachsen geworden, mehrfach in Rente gegangen, sind gestorben, haben geheiratet und sind immer wieder reaktiviert worden, sondern sie haben vor allem den kommerziell äußerst lukrativen Filmmarkt für sich erobert, wo sie unerschöpflich in Serie gehen, Spin-offs, Remakes und Reboots produzieren und dabei eben auch von Erwachsenen gefeiert werden.
Was es mit diesem Phänomen der Comic-Begeisterung auf sich hat, die mit der Gründung der beiden führenden Comic-Verlage DC (1934) und Marvel (1939) ihren bis heute ungebrochenen Siegeszug feiert, untersucht Dietmar Dath in dem kleinen Band „Superhelden“, der im Rahmen der neuen „100 Seiten“-Reihe des Stuttgarter Reclam-Verlags erschienen ist.
Ausgehend von seiner ganz persönlichen Geschichte findet der Autor schnell den Weg zu den theoretischen und psychologischen Grundlagen der Comic-Geschichte.
„Was Kindern eine Wahrheit der Hoffnung darauf bedeutet, wer sie einmal werden können, ist für erwachsene Leserinnen und Leser solcher Comics aber zugleich ein großes Gleichnis auf das Subjekt-Selbstempfinden moderner Menschen allgemein: Weil ihr öffentliches Wesen rechtlich und politisch allen anderen gleichgestellt ist, also ‚nichts Besonderes‘ mehr, nicht von Geburt an wichtig wie bei den Adligen der vormodernen Zeit (deren Wappen in den Insignien der Superhelden, dem großen ‚S‘ oder der Fledermaus-Ikone weiterleben), müssen sie umso mehr Wert auf ihr reiches Innenleben legen.“ (S. 3)Dath legt keine chronische Comic-Geschichte vor, sondern nutzt den eng gesetzten 100-Seiten-Rahmen für eine von Beginn an tiefgehende strukturelle Analyse. Am Beispiel der von Chris Claremont kreierten „X-Men“ zeigt der Autor auf, dass beim Lesen von Comics „menschliche Kleinigkeiten im Vergrößerungsglas von Heldengeschichten“ (S. 8) Abenteuer erlebt werden, die Menschen von ihren besten und schlimmsten Seiten zeigen, dass darüber hinaus die Fähigkeit vonnöten ist, Figuren und Charaktere schaffen zu können, ihre ebenso einprägsamen Typenzüge wie etwas unverletzlich Eigenes.
Anhand der beiden DC-Flagschiffe Batman und Superman stellt Dath die beiden Extreme des Superhelden-Universums vor, den Self-Made-Hero auf der einen Seite, das Götterkind auf der anderen. Es folgt ein längerer, etwas übertheoretisierter Exkurs über die Entwicklung von der Romantik zur Science-Fiction, dann über die beiden „Zeitalter“ des Superheldenwesens, das Golden Age und das Silver Age, das im Kern von vielen als identisch mit dem von „Spider-Man“-Schöpfer Stan Lee forcierten „Marvel Age“ angesehen wird.
Im Zweiten Teil des Bandes stellt Dath einige Prototypen des Superheld(in)en-Universums vor, Iron Man, Wonder Woman, am Ende folgt ein stippvisitenartiger Streifzug durch die vielen Kino-Adaptionen.
Wie für die „100 Seiten“-Bände über „David Bowie“ und „Twin Peaks“ gilt vor allem für „Superhelden“, dass der Leser zum besseren Verständnis etwas Vorwissen und Erfahrungen mit dem Thema mitbringen sollte, denn sonst liest sich „Superhelden“ als sehr Theorie-lastige Auseinandersetzung mit den Schlüsselelementen verschiedener Superhelden-Schöpfungen und ihrer jeweiligen Charakteristika.
So ist das Büchlein weniger als Einstieg in die Thematik zu empfehlen, sondern als sinnstiftende Ergänzung zu beispielsweise „Superhelden. Das Handbuch“ (Lacombe/Perez), „75 Years of DC Comics“ (Levitz) oder „75 Years of Marvel Comics“ (Thomas).
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