In der letzten Episode der zweiten Staffel von „Twin Peaks“, die am 10. Juni 1991 ausgestrahlt wurde, versprach die zu Beginn der Serie ermordete Laura Palmer in einer für ihren Schöpfer David Lynch typischen surrealen Traumsequenz Agent Cooper, dass sie ihn in 25 Jahren wiedersehen würde. Nachdem die zwischen 1990 und 1991 vom renommierten und preisgekrönten Autorenfilmer David Lynch („Blue Velvet“, „Wild at Heart“) in Gemeinschaftsarbeit mit dem routinierten Fernsehautoren Mark Frost („Hill Street Blues“) entwickelte Serie zunächst die Fernsehlandschaft für immer verändern sollte und nach zwei Staffeln vom ausstrahlenden Sender ABC abgesetzt worden ist, dürfen sich „Twin Peaks“-Fans Anfang 2017 – also nur wenig später als Laura Palmer prophezeit hatte – auf ein Wiedersehen mit den meisten Stars des außergewöhnlichen Serienformats freuen.
Vor diesem Hintergrund erscheint der in der bemerkenswerten „100 Seiten“-Reihe des Reclam-Verlags veröffentlichte Band „Twin Peaks“ zur rechten Zeit. Der Kulturjournalist Gunther Reinhardt beschreibt, wie „Twin Peaks“ Qualität ins verruchte Fernsehen brachte und mit seinem Mix aus Drama, Mystery, Krimi und Soap-Opera Vorbild für Serienformate des Qualitätsfernsehens wurde, wie es uns heute in ebenfalls von namhaften Filmemachern wie Martin Scorsese, David Fincher oder Steven Soderbergh produzierten Serien („Boardwalk Empire“, „House of Cards“, „The Knick“) präsentiert wird.
„Lynch entzieht sich konventionellen narrativen Mustern, lässt das Unbewusste Bilder und Szenen erschaffen, surreale Welten entstehen, hat nichts für die Regeln des Handlungskinos und dessen dramaturgische Vorschriften übrig. Seine Arbeiten gleichen – und das gilt ganz besonders für Twin Peaks – Labyrinthen der Imagination.“ (S. 70f.)
Der Autor rekapituliert, wie sich die Frage nach Laura Palmers Mörder zu einem regelrechten Medienhype entwickelt und zum Ende der ersten Staffel mit einer Vielzahl von Cliffhangern bis zur Mitte der zweiten Staffel gedulden muss, beantwortet zu werden.
Doch gerade mit der Bekanntgabe des Mörders verliert die Serie an Qualität und Einschaltquoten. Nichtsdestotrotz realisierte Lynch mit „Twin Peaks – Fire Walk With Me“ 1992 einen Kinofilm, der als Chronik der letzten Tage im Leben von Laura Palmer ein Prequel zur Serie darstellt, das allerdings bei Publikum und Kritikern durchfiel.
Interessant zu lesen sind vor allem die Verweise auf Lynchs Inspirationen, die er aus Hard-boiled- und Film-noir-Filmen bezog, und die Art und Weise, wie er die Figuren als Gegenentwürfe zueinander anlegt, wie sich hinter der Idylle der Kleinstadt lauter dysfunktionale Familien und dunkle Geheimnisse verbergen, deren Enthüllung einen großen Reiz der Serie ausmacht.
Abgerundet wird die Abhandlung mit einem Ausflug an die Drehorte und mit der Zusammenarbeit zwischen Lynch und dem Komponisten Angelo Badalamenti, der mit seiner verträumt-ätherischen Musik maßgeblich mitverantwortlich für die surreale Atmosphäre der Serie ist.
Im Rückblick lässt sich dabei sehr schön nachvollziehen, wie „Twin Peaks“ den Grundstein für hochqualitative Serien wie „Dexter“, „Breaking Bad“, „House of Cards“ und „Homeland“ gelegt hat, die sich mit renommierten Regisseuren, Drehbuchautoren und Oscar-prämierten Darstellern keineswegs vor dem Kinoformat verstecken müssen.
Gunther Reinhardt macht mit seinem kurzweiligen Band „Twin Peaks“ wirklich Lust darauf, sich noch einmal nan diesen geheimnisvollen Ort zu begeben und all die vielschichtigen Kleinigkeiten immer wieder neu zu entdecken, die einem zuvor noch nicht aufgefallen sind.
Leseprobe Gunther Reinhardt - "Twin Peaks"
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