Benedict Wells – „Vom Ende der Einsamkeit“

Mittwoch, 24. Februar 2016

(Diogenes, 346 S., HC)
Nach einem Motorradunfall im September 2014 wacht Jules aus dem Koma auf, in dem er zwei Tage gelegen hat, und rekapituliert die Stationen seines Lebens. Aufgewachsen in einem wohl behüteten Elternhaus, stehen Jules und seine beiden Geschwister Marty und Liz nach einem Autounfall schon in frühen Jahren als Waisen dar, werden in einem Internat untergebracht, wo Jules die geheimnisvolle Alva kennenlernt. Während sein älterer Bruder Marty sich mit sämtlichen Ausländern, Nerds und Klugscheißern umgibt und Liz jeder Art von jungen Männern den Kopf zu verdrehen beginnt, die Schule schmeißt und die Welt erkundet, zieht sich Jules zunehmend in seine Traumwelten zurück.
In Alva hat er eine eigenartige Vertraute, doch bevor sich mehr daraus entwickeln könnte, verschwindet Alva aus seinem Leben. Als er ihr nach Jahren wiederbegegnet, ist sie mit dem viel älteren russischen Schriftsteller Alexander N. Romanow verheiratet und lebt mit ihm in einem abgelegenen Chalet bei Luzern, wo Jules für einige Monate mit ihnen lebt.
Die Novellen, die Jules seit Jahren im Kopf herumgeistern, nehmen in Romanows Arbeitszimmer allmählich Form an, während Alvas Mann an Alzheimer erkrankt und rapide abbaut. Für Alva und Jules scheint auf einmal doch noch eine gemeinsame Zukunft greifbar …
„Ich fühlte nur, dass mit ihr alles anders verlaufen wäre. Die Jahre nach dem Internat, der Fehlgriff mit dem Jurastudium, von dem mir niemand abgeraten hatte, und schließlich mein Umzug, nein, meine Flucht von München nach Hamburg. Auf keinem dieser Bilder war Alva zu sehen, und ohne sie gab es nichts mehr, das vor der Einsamkeit bewahrte.“ (S. 121) 
Mit seinem neuen Roman hat Bestseller-Autor Benedict Wells („Becks letzter Sommer“, „Fast genial“) einen zutiefst berührenden Roman über Familie, Freundschaft, Liebe, Verlust, Hoffnung, Enttäuschungen und Erinnerungen kreiert, der einen Mann über sein extrem wechselhaftes Leben nachsinnen lässt. Zwar steht dabei seine schwierige Beziehung zu Alva im Mittelpunkt, doch lässt der Ich-Erzähler seine Gedanken auch immer wieder zu seinen eigensinnigen Geschwistern und ihren Beziehungen abschweifen und vor allem zu Romanov, der für Jules sowohl ein Förderer seines schriftstellerischen Talents als auch Konkurrent um Alvas Liebe darstellt.
All das verwebt Wells zu einem atmosphärisch dichten, psychologisch tiefgründigen und emotional berührenden Werk zusammen, das vor allem die Kraft der Liebe heraufbeschwört.
Leseprobe Benedict Wells - "Vom Ende der Einsamkeit"

Don Winslow – (Neal Carey: 3) - "Way Down On The High Lonely"

Sonntag, 14. Februar 2016

(Suhrkamp, 346 S., Tb.)
Nach drei Jahren in einem chinesischen Kloster wird Neal Carey von seinem Ziehvater Joe Graham wieder zurück ins richtige Leben geholt. Er soll im Auftrag der Friends of the Family, jener Schattenabteilung der Privatbank, die sich um etwas heiklere Probleme ihrer Kunden kümmert, den zweijährigen Cody seiner Mutter zurückbringen, der Hollywood-Produzentin Anne Kelley. Ihr Ex-Mann, der Cowboy Harley McCall, hatte Cody an einem Freitag für das ihm mit seinem Sohn zustehende Wochenende abgeholt, ihn aber nicht wie vereinbart am Sonntag wieder zurückgebracht. Nun sind sowohl Cody als auch Harley seit drei Monaten verschwunden.
Mit Hilfe von Harleys Sozialversicherungsnummer haben Grahams Leute eine Spur zu Reverend C. Wesley Carter und seiner True Christian Identity Church gefunden, die sich mit anderen Untergrundgruppen zum ‚weißen arischen Widerstand‘ zusammengeschlossen hat.
Neal wird damit beauftragt, undercover zu ermitteln, und wird von Steve Mills auf seiner Farm in Austin aufgenommen, wo er in einer Holzhütte Unterschlupf findet. Bei einer nächtlichen Erkundungstour stößt er auf eine Art militärisches Übungsgelände, das der Farm von Bob Hansen angegliedert ist, und macht allmählich Fortschritte, in den inneren Kreis der arischen Truppe vorzustoßen, indem er Überfälle auf Bordelle, Drogenschmuggler und Zuhälter organisiert.
„Nachdem er sie zu Verbrechen verleitet hatte, von denen sie zuvor nicht einmal geträumt hatten, wollte er sie als Kronzeuge verpfeifen und verschwinden. Aber noch nicht. Erst musste er noch nachweisen, dass es eine Verbindung zwischen Hansens Jungs und C. Wesley Carter gab.“ (S. 194) 
Doch vom kleinen Cody fehlt weiterhin jede Spur. Schließlich rücken Joe und Ed Levine zur Unterstützung heran …
Das Set-up des dritten Neal-Carey-Falls ähnelt auf verblüffende Weise den beiden vorangegangenen: Neal Carey, der als zwölfjähriger Junge von Joe Graham quasi adoptiert, ausgebildet und in den Kreis der Friends of the Family aufgenommen worden ist, wird auf zunächst einfach wirkende Missionen geschickt, vermisste Personen von Prominenten nach Hause zurückzubringen, doch schnell entpuppt sich die Aufgabe als überaus heikle und lebensbedrohliche Mission.
Nachdem der smarte Neal Carey in „London Underground“ ein minderjähriges Mädchen aus Londons Drogenhölle befreien und in „China Girl“ einen abtrünnigen Biochemiker aus China zurück zu seinem amerikanischen Arbeitgeber zurückholen musste, tauscht er in „Way Down On The High Lonely“ sein Agenten-Outfit gegen eine Cowboy-Kluft, verstrickt sich wieder einmal in ein amouröses Abenteuer, aber auch in Schlägereien und gefährlichere Situationen.
Im Vergleich zu dem komplexen und geschichtlich etwas überfrachteten Vorgänger hat sich Don Winslow in seinem dritten, 1993 im Original veröffentlichten und zunächst 1998 unter dem Titel „Das Schlangental“ im Piper Verlag erstmals auf Deutsch erschienen Neal-Carey-Band wieder mehr auf eine straffe Handlung und eine gesunde Mischung aus Action, Drama und Humor fokussiert. Dabei sorgen vor allem Neals inneren Monologe für die humorvollen Akzente, während Winslow den Plot dramaturgisch geschickt zu einem furiosen Showdown hinführt, der die Thriller-Qualitäten des Autors eindrucksvoll untermauert.
Auf die nächsten beiden Neal-Carey-Abenteuer, die der Suhrkamp-Verlag bis zum Sommer wiederveröffentlicht, darf sich der Winslow- und Carey-Fan also schon mal freuen.

Stephen King – „Basar der bösen Träume“

Mittwoch, 10. Februar 2016

(Heyne, 766 S., HC)
Über seine lange, überaus kreative Karriere hinweg hat der „King of Horror“ immer wieder Kurzgeschichten verfasst und sie in bemerkenswerten Sammlungen wie „Nachtschicht“, „Im Kabinett des Todes“, „Sunset“ oder „Alpträume“ zusammengefasst. Obwohl er zugibt, eine Vorliebe für epische Texte zu haben, in die sowohl der Autor als auch der Leser so tief eintauchen können, dass Literatur zu einer nahezu realen Welt werden kann, schätzt King nach wie vor die kürzeren, intensiveren Erfahrungen, die die Kurzgeschichte mit ihrer strengen Fokussierung auf das Wesentliche bietet.
Mit „Basar der bösen Träume“ beweist King einmal mehr, dass er nicht nur großartige Horror-Epen wie „The Stand - Das letzte Gefecht“ und „Arena“, einen umfassenden Fantasy-Zyklus wie „Der Dunkle Turm“ oder faszinierende Fortsetzungsromane wie „The Green Mile“ zu kreieren vermag, sondern regelmäßig auch Kurzgeschichten, von denen „Basar der bösen Träume“ nun zwanzig zusammenfasst, die die meisten deutschen Leser noch nicht kennen dürften.
Da der Autor immer wieder von seinen Lesern gefragt wird, woher er seine Ideen nimmt, hat er jeder Geschichte eine kurze Einleitung vorangestellt, in der er diesem Anliegen nachzukommen versucht. So stellt die erste im „Basar der bösen Träume“ vorgestellte Geschichte, „Raststätte Mile 81“, nicht nur eine von Kings Lieblingsgeschichten dar, sondern lässt sich auf Kings Studentenzeit zurückführen, als er jedes dritte Wochenende die Fahrt von Orono nach Durham fuhr, wo er seine Freundin besuchte und dabei einen Streckenabschnitt zwischen Gardiner und Lewiston passieren musste, der absolutes Niemandsland darstellte. Diese Mile 85 inspirierte King zu einer Geschichte, die Erinnerungen an „Christine“ wachruft und den Leser in ein echtes Horrorszenario führt.
Das trifft auch beispielsweise auf „Böser kleiner Junge“ zu, in der ein Junge mit knallroten Haaren und Propellermütze aus dem Nichts auftaucht und offensichtlich alle Menschen umbringt, die dem Erzähler nahestehen.  
King beweist mit seinen thematisch vielschichtigen Geschichten einmal mehr, wie sich das Grauen oftmals aus Alltagssituationen und scheinbar günstigen Gelegenheiten entwickelt. In „Moral“ kommen der Vertretungslehrer Chad und die Krankenpflegerin Nora gerade so über die Runden. Damit Chad endlich seinen längst geplanten Roman fertigstellen kann, nimmt Nora ein unmoralisches Angebot der besonderen Art an, was die Beziehung einer starken Belastungsprobe unterzieht. Stark ist auch die im Auftrag von Amazon zur Verkaufsförderung des Kindle entstandene Geschichte „Ur“, die den Leser auch wieder in das vertraute Terrain des Dunklen Turms führt. Davon abgesehen stellt King in „Feuerwerksrausch“ auch seinen eigensinnigen Humor unter Beweis, wenn er seinen Ich-Erzähler mit seiner stets angesäuselten Mutter zum Unabhängigkeitstag einen Wettkampf mit den Massimos darum liefert, wer die imposantesten Feuerwerkskörper in die Luft jagt.
„Ich halte nichts von der Annahme, dass man nicht über etwas schreiben könne, wenn man es nicht selbst erlebt habe, und zwar nicht nur deshalb, weil sie davon ausgeht, dass der menschlichen Fantasie Grenzen gesetzt wären, obwohl sie im Grunde genommen unbegrenzt ist. Eine solche Behauptung legt auch nahe, dass die menschliche Fantasie zu gewissen Sprüngen nicht in der Lage sei.“ (S. 535) 

Mit dieser Aussage, die King seiner Geschichte „Mister Sahneschnitte“ voranstellt, untermauert der Bestseller-Autor die scheinbar unbegrenzte Kreativität, mit der er in kürzester Zeit immer wieder neue faszinierende, spannende und erschütternde Geschichten zum Besten gibt.
„Basar der bösen Träume“ stellt dabei so etwas wie eine Achterbahnfahrt dar, in der der Leser atemlos von einem spektakulären Looping in die nächste nicht einsehbare Kurve rast. Viel Vergnügen! 


 

James Patterson – (Alex Cross: 19) „Run“

Freitag, 5. Februar 2016

(Blanvalet, 411 S., Tb.)
Alex Cross und sein Freund und Kollege John Sampson gehören zu einem ganzen Team von Streifenbeamten, Detectives und einer Vertreterin des Jugendamts, das in einer edlen Backsteinvilla in Georgetown dem Verdacht auf illegalen Mädchenhandel auf den Grund geht, in den der gefragte Schönheitschirurg Dr. Elijah Creem und sein Partner Josh Bergman verwickelt sein sollen. Doch bevor sich Cross näher mit den beiden Kriminellen beschäftigen kann, hält ihn eine brutale Mordserie in Atem: Innerhalb kürzester Zeit tauchen in Washington, D.C., mehrere verstümmelte Frauenleichen auf.
Darunter macht Cross der Tod der jungen Frau Elizabeth Reilly besonders zu schaffen, weil sie erst vor kurzem ein Kind entbunden hat, von dem wiederum jede Spur fehlt. Und schließlich tauchen im Potomac Leichen von jungen Männern auf, denen nicht nur ins Gesicht geschossen, sondern die Lendengegend mit mehreren Messerstichen übel zugerichtet worden ist. Bei den Ermittlungen wird Cross von einem Blogger namens Ron Guidice besonders kritisch beobachtet.
Wie Cross bald herausfindet, war er in einem Fall verwickelt, bei dem Guidices Verlobte als Unbeteiligte während eines Polizeieinsatzes auf offener Straße erschossen wurde. Offensichtlich hegt Guidice seitdem schwere Rachegelüste gegen den Detective. Als Cross an einem Tatort handgreiflich gegen den Blogger wird, verdonnert ihn sein Chef zu Schreibtischarbeit mit Kontaktverbot. Während den Ermittlern bei den Serienmorden die Zeit davonläuft, sind Cross zunächst die Hände gebunden.
„Offiziell hatte ich weder mit Elizabeth Reilly noch mit dem Georgetown Ripper noch mit dem Flussungeheuer irgendetwas zu tun. Aber man kann nicht wochenlang intensiv an der Aufklärung diverser Mordserien arbeiten und dann von einem Tag auf den anderen keinen Gedanken mehr daran verschwenden. Ich wollte wissen, was los war.“ (S. 270) 
Seit seinem ersten Alex-Cross- Band „Morgen, Kinder, wird’s was geben“, der im amerikanischen Original 1993 erschien, ist James Patterson zum erfolgreichsten Thriller-Autor weltweit geworden. In den letzten Jahren hat die Reihe einige Abnutzungserscheinungen erlitten, was sicher auch der Tatsache geschuldet ist, dass Vielschreiber Patterson seine Romane kaum noch selbst verfasst, sondern nur noch die Skizzen für seine Ghostwriter dazu liefert.
Auch im mittlerweile 19. Band der Reihe – „Run“ – ist der Qualitätsstandard nicht allzu weit oben angesiedelt. Die Tatsache, dass das Buch einmal mehr Platz 1 auf der Bestsellerliste der New York Times belegt hat, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Patterson seinen Fokus ganz auf die Action gelegt hat.
Während sein sympathischer Held Alex Cross betont, die ganze Zeit über Methoden, Opferprofile und mögliche Motive nachzudenken, hinkt der Autor diesem Ansinnen hinterher. Alex Cross ist hier mit einer schnellen Folge von Serienmorden, zwei Tätern, einem aggressiven Blogger, der auch in Cross‘ Privatleben eindringt und familiären Problemen beschäftigt, die sich diesmal in der Drogenabhängigkeit der 14-jährigen Pflegetochter Ava äußern.
All das sinnvoll und tiefgründig unter einen Hut zu bringen braucht schon mehr als 400 Seiten. Immerhin gelingt es Patterson, Alex Cross als liebenden Familienvater darzustellen, was der persönlichen Note des Thrillers und Cross‘ Charakterisierung sehr zugute kommt.
Aber was die Auflösung der Serienmorde angeht und auch die Auseinandersetzung mit dem rachsüchtigen Blogger, spult Patterson den Plot nach Schema F herunter. Das ist durchaus spannend und temporeich, aber auch überraschungsarm und stellenweise recht unglaubwürdig.

Leseprobe James Patterson - "Run"

Michael Connelly – (Mickey Haller: 5) „Götter der Schuld“

Montag, 1. Februar 2016

(Droemer, 509 S., HC)
Seit einer seiner Fälle als Vorlage für den Film „Der Mandant“ mit Matthew McConaughey in der Hauptrolle verfilmt worden ist, läuft es zwar noch nicht richtig rund in seiner Kanzlei, doch hat Strafverteidiger Mickey Haller nun mit dem Problem zu kämpfen, nicht mehr der einzige Anwalt zu sein, der sein Tagesgeschäft in einer Lincoln-Limousine verrichtet.
Vor allem setzt ihm aber der Umstand zu, dass er seine 17-jährige Tochter Hayley nach der verlorenen Wahl und dem damit zusammenhängenden Skandal nur noch aus der Ferne beim Fußball-Training sieht. Doch nun wird seine Aufmerksamkeit ganz von einem neuen Mordfall in Anspruch genommen: Andre La Cosse wird beschuldigt, die Prostituierte Giselle Dallinger ermordet zu haben, für die er die Internet-Präsenz verwaltete.
Erst als Haller herausfindet, dass Dallinger früher Gloria Dayton hieß und bei einem Fall einen Drogendealer mit Kontakten zum mexikanischen Kartell verpfiffen hatte, worauf sie unter neuem Namen in Hawaii ein neues Leben beginnen sollte, werden ihm die Zusammenhänge klar. Offensichtlich änderte sie zwar ihren Namen, blieb aber in Los Angeles und arbeitete nicht nur weiterhin als Prostituierte, sondern auch als Informantin für den DEA-Agenten Marco. Der wiederum ist in einen anderen Fall involviert, mit dem Haller auch zu tun bekommt, denn Gloria Dayton soll in Marcos Auftrag dem inhaftierten mexikanischen Kartell-Mitglied Hector Arrande Moya eine Waffe untergeschoben haben, damit er lebenslänglich hinter Gitter kommt.
Zusammen mit seinem Ermittler Cisco, dessen Frau (und Hallers Ex-Frau) Lorna, der aufgeweckten Nachwuchsanwältin Jennifer und seinem Fahrer Earl macht sich Haller auf die nervenaufreibende Spuren- und Beweissuche.
„Ich war überzeugt, dass mein Mandant alles Mögliche war, aber ein Mörder war er nicht. Ich war sicher, dass er der Anklagepunkte nicht schuldig war, und deshalb musste ich alle zwölf Götter der Schuld dazu bringen, am Tag der Urteilsverkündung auf mich herabzulächeln.“ (S. 315) 
Als „Götter der Schuld“ bezeichnet der Ich-Erzähler Haller in seinem fünften Fall immer wieder die zwölf Geschworenen, die über Schuld oder Unschuld der Angeklagten zu entscheiden haben. Obwohl sich Haller selbst sicher ist, diesmal einen wirklich Unschuldigen zu vertreten, ist der Weg, dies auch zu beweisen, auch diesmal schwierig und erfordert einige Tricks, mit denen er seine gewünschte Strategie erfolgreich umzusetzen versucht.
Dabei gibt es allerdings einige beklagenswerte Opfer zu betrauern, und auch an dem problematischen Verhältnis zu seiner Tochter versucht Haller zu arbeiten.
Connelly erweist sich in „Götter der Schuld“ einmal mehr als hervorragender Justiz-Thriller-Autor, der mit Mickey Haller einen charismatisch-smarten Anwalt geschaffen hat und einen vielschichtigen Fall bearbeitet, bei dem die Zeugen der Verteidigung auch mal als „feindlich“ eingestuft werden und für bewusst gesteuerte Verwirrung im Gerichtssaal sorgen.
Leseprobe Michael Connelly - "Götter der Schuld"

Don Winslow – (Neal Carey: 2) „China Girl“

Samstag, 30. Januar 2016

(Suhrkamp, 441 S., Tb.)
Nach seinem letzten Job, den ihn seine große Liebe Diane und ein Jahr seiner Ausbildung kostete, lebt der 24-jährige Neal Carey seit sieben Monaten zurückgezogen in einem Cottage, das verlassen in den Yorkshire Moors liegt, wo er sich ganz dem Studium von Tobias Smollettes Werk widmet.
Doch nun wendet sich sein Vater Joe Graham mit einem neuen Auftrag der „Friends of the Family“ an ihn, jener geheimen Abteilung des kleinen Finanzinstituts in Providence, Rhode Island, das seinen wohlhabenden Kunden nicht nur absolute Diskretion gegenüber Presse, Öffentlichkeit und Finanzamt zusicherte, sondern auch Abhilfe bei Problemen, die sich nicht immer mit Geld lösen lassen. Diesmal soll er den Biochemiker Dr. Robert Pendleton aufspüren, der im Auftrag von AgriTech über das Wachstum von Pflanzen forscht und nach einer Konferenz an der Stanford University nicht an seinen Arbeitsplatz zurückgekehrt ist.
Neal soll den Wissenschaftler in San Francisco, wo er sich mit einer chinesischen Liebesdienerin im Holiday Inn einquartiert hat, aufsuchen und ins Flugzeug setzen. Was sich nach einem leichten Auftrag von drei, vier Tagen Dauer anhört, entwickelt sich zu einem abenteuerlichen Trip, der Neal bis nach Hongkong und China führt. Denn als er Pendleton mit der schönen Künstlerin Li Lan endlich im Künstlerviertel Mill Valley aufgespürt hat, fliegen ihm auch schon die Kugeln um die Ohren. Offensichtlich handelt es sich bei Li Lan um eine chinesische Agentin, an der auch die CIA interessiert ist …
„Ich bin ein Abtrünniger meiner eigenen Firma, die mich vielleicht, vielleicht auch nicht, ebenso wie die CIA, tot sehen möchte. Ich wurde von besagter Frau in die Falle gelockt, möglicherweise in der Absicht, mich töten zu lassen. Irgendwie bin ich sie verliebt und muss sie warnen, dass sie sich in Gefahr befindet. Ich muss sie finden, um ein paar Antworten zu bekommen, erst danach kann ich mit meinem alten Leben weitermachen.“ (S. 138) 
Bevor der amerikanische Bestseller-Autor Don Winslow 1997 mit seinem Roman „Die Auferstehung des Bobby Z.“ bekannt geworden ist, schrieb er an einer fünf Bände umfassenden, zwischen 1991 und 1996 erschienenen Reihe um den jungen Privatermittler Neal Carey, deren Neuauflage in neuer Übersetzung der Suhrkamp Verlag in diesem Jahr abschließt.
Der zweite Band aus dem Jahr 1992, der 1997 unter dem Titel „Das Licht in Buddhas Spiegel“ erstmals in deutscher Sprache veröffentlicht wurde und nun als „China Girl“ erneut der wachsenden Winslow-Fangemeinde zugänglich gemacht wird, entwickelt sich von einer fesselnden Detektivgeschichte zu einem actionreichen Agenten-Thriller, der vor allem in der zweiten Hälfte, als Li Lan Gelegenheit bekommt, ihre Familiengeschichte zu erzählen, an atmosphärischer Dichte gewinnt und vor allem tiefe Einblicke in die chinesische Geschichte gewährt.
Der historische Diskurs ist zwar mit einigen Längen verbunden, die das Tempo aus der Geschichte nehmen und auch den Lesefluss hemmen, unterstreicht aber, dass Winslow schon früh damit begonnen hat, für seine Romane so exzessiv zu recherchieren, wie das mittlerweile bei seinen gefeierten Drogen-Epen „Tage der Toten“ oder „Das Kartell“ der Fall ist.
„China Girl“ kann nicht ganz an „London Underground“, den ersten Neal-Carey-Fall, anknüpfen und lässt seinen cleveren Helden auch keine wirkliche Entwicklung durchmachen, störender wirkt dagegen der deutliche Spannungsabbau in der zweiten Hälfte.
Leseprobe Don Winslow - "China Girl"

Boris Vian – „Der Schaum der Tage“

Donnerstag, 21. Januar 2016

(Karl Rauch, 213 S., HC)
Der finanziell unabhängige Colin genießt sein Leben des exzentrischen Müßiggangs in vollen Zügen. Ihm gefällt es, seinen ebenfalls zweiundzwanzigjährigen und mit den gleichen literarischen Vorlieben ausgestatteten, aber finanziell längst nicht so gut gestellten Freund Chick, mit besonderen Gaumenfreuden zu verwöhnen, die der neue Koch Nicolas für sie zubereitet. Chick hat gerade Nicolas‘ Nichte Alise bei einem Vortrag von Jean-Sol Partre kennengelernt und sich gleich in sie verliebt.
Ähnlich ergeht es Colin, als er auf der Party, die die 18-jährige Isis zum Geburtstag ihres Hundes veranstaltet, Chloé kennenlernt. Doch nach dem rauschenden Hochzeitsfest folgt schnell die Ernüchterung: Der Druck, den Chloé in ihrer Brust verspürt, rührt von einer Seerose her, die sich dort eingenistet hat. Durch eine Operation kann diese zwar entfernt werden, doch als auch der andere Lungenflügel angegriffen wird, hat Chloé nicht mehr lange zu leben.
Nachdem Colin einen Großteil seines Vermögens Chick geschenkt hat, damit dieser Alise heiraten kann, muss Colin nun selbst einen Job annehmen, um Chloé ein anständiges Begräbnis zu ermöglichen. Derweil versetzt Chick in seiner Leidenschaft für alles, was mit seinem großen Idol Jean-Sol Partre zu tun hat, sein mickriges Vermögen und setzt damit seine Beziehung mit Alise aufs Spiel.
„Colins Dublonen waren für ihre Hochzeit bestimmt, doch Alise legten keinen besonderen Wert darauf. Es genügte ihr, auf ihn zu warten, es genügte ihr, bei ihm zu sein, aber man kann von einer Frau nicht verlangen, dass sie bei einem Mann bleibt, nur weil sie ihn liebt. Er liebte sie auch. Aber er durfte nicht zulassen, dass sie seine Zeit in Anspruch nahm, weil sie sich nicht mehr für Partre interessierte.“ (S. 174f.) 
2013 verfilmte Michel Gondry („The Green Hornet“, „Vergiss mein nicht“) mit „Der Schaum der Tage“ das bekannteste Werk des 1920 nahe Paris geborenen, 1959 in Paris verstorbenen Autors, Jazz-Musikers und Schauspielers Boris Vian, doch wurde der bezaubernde Liebesroman, der 1947 veröffentlicht wurde, erst nach Vians Tod bekannt, als 1963 eine Neuauflage erschien.
Auf gerade mal 200 Seiten erzählt Vian eine bezaubernde Liebesgeschichte, die zwar einen tragischen Verlauf nimmt, doch der Autor versteht es, mit leichter Sprache, skurrilen Wortspielereien und surrealen Ideen wie sprechenden Mäusen, Ananaszahnpasta verspeisenden Aalen, einem Cocktails mixenden Piano und anderen Begegnungen mit dem Wunderbaren eine traumhafte Atmosphäre zu kreieren. Alltagsschrecken und –probleme wie der nahende Tod, finanzielle Nöte und die Notwendigkeit, für seinen Lebensunterhalt arbeiten zu müssen, halten Vian nicht davon ab, das Geschenk des Lebens und den Zauber der Liebe zu feiern.