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James Lee Burke – (Dave Robicheaux: 8) „Im Dunkel des Deltas“

Montag, 18. Juni 2018

(Pendragon, 505 S., Pb./Edel:eBooks, 378 S., eBook)
Nachdem sich Sonny Boy Marsallus mit der mächtigen Giacano-Familie in New Orleans angelegt hatte, verzog er sich in den Süden, wo er die US-amerikanischen Manöver in El Salvador und Guatemala aus erster Hand miterlebte. Als er nach New Orleans zurückkehrt, hat er noch eine Rechnung mit dem Bordellbetreiber Sweet Pea Chaisson zu begleichen und übergibt Detective Dave Robicheaux ein brisantes Notizbuch mit Anspielungen auf Waffenlager und Drogenschmuggler, hinter dem bald einige zwielichtige Typen her sind. In einer anderen Sache hat Robicheaux mit der Schwarzen Bertha Fontenot zu tun, die sich darüber beschwert, dass der Anwalt Moleen Bertrand hinter dem Land her ist, auf dem sie seit Jahrzehnten mit ihrer und fünf anderen Familien lebt. Und schließlich gesteht Roland Broussard, der wegen einer Geschwindigkeitsübertretung in dem Wagen von Sweet Peas Freundin Della Landry angehalten und festgenommen worden ist, dass er beobachtet hat, wie einige Männer Della in ihrem Haus ermordet haben.
Die Ermittlungen machen kaum Fortschritte, und Robicheaux legt sich öffentlich mit John Giacano an, was ihn selbst zur Zielscheibe der Killer macht. Als Robicheaux wegen seines ungebührlichen Verhaltens suspendiert wird und mit seinem alten Kumpel Cletus Purcel eine Zweigstelle von Purcels Detektei in Iberia aufmacht, spitzen sich die Ereignisse allmählich zu, tauchen immer weitere finstere Figuren auf und sorgen für weitere Tote …
„Was das Morden angeht, ist die Mafia unerreicht. Ihr Wissen und ihre Erfahrung reichen zurück bis in die Zeit der napoleonischen Kriege; das Ausmaß an Brutalität und physischer Gewalt, die sie an ihren Opfern auslassen, ist geradezu bizarr und übersteigt jedes normale Maß; die Urteilsquote ihrer Auftragskiller ist ein Witz.“ (S. 389) 
Im achten Buch der großartigen Reihe um den ehemaligen Detective der Mordkommission in New Orleans geht es ziemlich drunter und drüber. Das trifft nicht nur auf die Ereignisse zu, die von Grabschändungen, Landraub, mutmaßlich verborgenen Schätzen, gefährlichen Affären und Auftragsmorden reichen, sondern vor allem auch auf die unüberschaubare Palette an Figuren, die die ohnehin verwirrenden und am Ende nicht wirklich aufgeklärten Ereignisse ordentlich durcheinanderwirbeln.
Spannung kommt hier nur selten auf, weil sich die Erzählstränge immer wieder überschneiden und die losen Enden kaum aufgelöst werden. Aus Dave Robicheaux‘ persönlichen Umfeld wird in „Im Dunkel des Deltas“ ausnahmsweise wenig erzählt. Hier muss der Verweis auf den früheren Mann seiner Frau Bootsie genügen, der die Bücher für die Familie Giacano geführt hat und zur Hälfte an einer Automatenfirma von ihr beteiligt gewesen ist. Auch zu seiner Adoptivtochter Alafair und seinem schwarzen Angestellten Batist gibt es wenig Neues zu erfahren. Robicheaux selbst wirkt recht desorientiert und weiß sich oft nur mit Gewalt zu helfen, wobei sein sonst viel weniger zimperlicher Kumpel Cletus ihn immer wieder zur Räson bringen muss.
Was James Lee Burke nach wie vor hervorragend gelingt, sind seine Beschreibungen der Landschaft und des Milieus, in dem er sich auskennt wie kein zweiter zeitgenössischer Schriftsteller. Wenn er seinen Protagonisten über die Geschichte Louisianas, die Mafia, die Drogen- und Waffengeschäfte und den unsinnigen Vietnamkrieg sinnieren lässt, entschädigt dies auch diesmal für den schleppenden Spannungsaufbau und die verqueren Erzählstränge.
 Leseprobe James Lee Burke - "Im Dunkel des Deltas"

James Lee Burke – (Dave Robicheaux: 6) „Im Schatten der Mangroven“

Montag, 23. April 2018

(Pendragon, 542 S., Pb.)
Hollywood-Produzent Mike Goldberg produziert in New Iberia mit Star-Schauspieler Elrod Sykes einen Film und lässt die Geschäftsleute in der Gegend von einem Geldregen träumen. Dass auch der berüchtigte Mafioso Julie Balboni dabei seine Finger im Spiel hat, stört zunächst niemanden, doch dann muss Dave Robicheaux den Mord an der 19-jährigen Prostituierten Cherry LeBlanc aufklären, die offensichtlich zu einem ihr bekannten Mann ins Auto gestiegen ist und deren fürchterlich zugerichteter Körper im Wald aufgefunden ist. Von Balbonis Handlanger Cholo Manelli erfährt der Vietnam-Veteran, dass dieser sich mit Balboni über den Tod des Mädchens unterhalten hatte, während dieser behauptete, nichts darüber gehört oder gelesen zu haben.
Während seiner Ermittlungen wird Robicheaux aber auch noch an ein Erlebnis von vor 35 Jahren erinnert, als er in den Atchafalaya-Sümpfen Zeuge eines kaltblütigen Mordes an einem Schwarzen gewesen war. Allerdings konnte die Leiche nie gefunden, der Täter nicht gefasst werden. Ausgerechnet der alkoholsüchtige Sykes behauptet nun, die Überreste der Leiche entdeckt zu haben. Während Robicheaux einmal mehr mit den Dämonen seiner Vergangenheit konfrontiert wird, legt er sich mit einigen mächtigen Männern in Iberia Parish an und gerät so selbst ins Visier eines raffinierten Killers, der keine Skrupel hat, auch unbeteiligte Menschen zu opfern …
„Meine Erfahrungen mit Mitgliedern der Mafia und Soziopathen im Allgemeinen zeigten, dass sie ganz selbstverständlich und ohne Weiteres lügen. Sie lügen so überzeugend, weil sie es oft tun, auch wenn keinerlei Bedarf dazu besteht. Man könnte jetzt tief in die Kiste der forensischen Psychologie greifen, um zumindest ansatzweise zu verstehen, wie die Gedankenprozesse solcher Menschen ablaufen, aber genauso gut könnte man seinen Kopf in den Mikrowellenherd stecken, um tiefere Erkenntnisse über die Elektrizität zu gewinnen.“ (S. 58) 
In schöner Regelmäßigkeit beglückt uns der Bielefelder Pendragon-Verlag seit Jahren mit Neuauflagen und Erstausgaben der zurecht gefeierten Krimi-Serie um den charismatischen Südstaaten-Cop Dave Robicheaux, der nach seiner Rückkehr aus Vietnam dem Alkohol verfallen war und noch immer Probleme hat, sein Temperament zu zügeln, wenn er der Ungerechtigkeit und Gewalt in seiner Welt ohnmächtig gegenübersteht. Doch da er das Herz am rechten Fleck trägt und einen wunderbaren Ehemann für seine Jugendliebe Bootsie und Adoptivvater für Alafair abgibt, kann man dem Staatsdiener kaum böse sein. Auch in seinem sechsten Fall, der 2009 von Bertrand Tavernier mit Tommy Lee Jones und John Goodman unter dem Titel „In The Electric Mist – Mord in Louisiana“ verfilmt worden ist, schlägt Robicheaux immer wieder mal über die Stränge, schließlich entwickelt sich Julie Balboni, mit dem er aufgewachsen ist, mit seiner Filmproduktion zu einer echten Plage. Burke gelingt es meisterhaft, die komplexen Beziehungsgeflechte zwischen den Protagonisten seines Romans auf höchst stimmungsvolle Weise nachzuzeichnen, den Rassismus und das organisierte Verbrechen, Hollywood und das große Geld, Prostitution und Korruption in einen Plot zu gießen, in dem auch die FBI-Agentin Rosa Gomez eine wichtige Rolle spielt. Zusammen mit den unnachahmlichen Landschaftsbeschreibungen und dem trockenen Humor bietet „Im Schatten der Mangroven“ abgründige Krimi-Unterhaltung vom Feinsten.

James Lee Burke – (Dave Robicheaux: 5) „Weißes Leuchten“

Sonntag, 19. November 2017

(Pendragon, 502 S., Pb.)
Als sich eine großkalibrige Kugel ins Wohnzimmer des wohlhabenden Weldon Sonnier verirrt, sucht ihn Detective Dave Robicheaux vom Sheriff’s Department von Iberia Parish auf. Merkwürdigerweise hat seine Frau den Vorfall gemeldet, nicht Weldon selbst, der sich beim Gespräch mit Robicheaux auch äußerst wortkarg gibt und die Sache herunterzuspielen versucht. Weldon Sonnier ist als Ölbohrer zu Geld gekommen, nachdem er für Air America geflogen ist, eine Fluglinie, die die CIA in Vietnam betrieben hatte.
Angeblich hat er für die Renovierung der alten Familienvilla am Rande des Bezirks am Bayou Teche zweihunderttausend Dollar ausgegeben. Sein Bruder Lyle, mit dem Robicheaux in Vietnam gedient hat, macht mittlerweile als Fernsehprediger Karriere, mit seiner Schwester Drew war der Cop eine Zeitlang liiert, und sein Schwager Bobby Earl hat eine Vergangenheit mit dem Ku Klux Klan.
Die Ermittlungen gewinnen an Schärfe, als einer von Robicheaux‘ neuen Kollegen bei einem weiteren Besuch auf Sonniers Grundstück geradezu hingerichtet wird. Robicheaux stößt auf die Namen von Eddie Raintree und Jewel Fluck, die offensichtlich nicht nur eine Verbindung zur Aryan Brotherhood, sondern auch zur Mafia haben.
Zusammen mit seinem alten Kumpel und Ex-Kollegen Cletus Purcel, der sich als Privatdetektiv in New Orleans niedergelassen hat und selbst für einen Mafioso gearbeitet hat, macht sich Robicheaux auf die Suche nach den Männern, die offensichtlich eine Rechnung mit Weldon Sonnier offenhaben. Dabei begegnet er nicht nur Demagogen, offensichtlichen Gangstern und Männern, die so weit oben in der Hierarchie stehen, dass ihnen nichts und niemand etwas anhaben kann, sondern auch Schwarzen, die noch immer unter der Diskriminierung zu leiden haben, aber auch Weißen, die es nicht schaffen, etwas aus ihrem Leben zu machen.
„Warum stimmte mich dieser Haufen von Pennern und Trinkern so morbide? Weil sie meine ständige Gewissheit noch verstärkten, dass mich nur ein Glas von ihrem Schicksal trennte – Verzweiflung, das langsame Absterben der Seele, Wahnsinn, Tod -, und dies vor Augen geführt zu bekommen, versetzte mir einen ziemlichen Stich.“ (S. 375) 
Den Männern auf die Spur zu kommen, die für den Überfall auf Weldon Sonniers Haus verantwortlich gewesen sind und offensichtlich ihr Geld auch mit Blut eintreiben, fällt Robicheaux nicht leicht, denn nicht nur Weldon gibt sich recht mundfaul. Schließlich weiß jeder im Bayou, wie die Mafia mit Verrätern umgeht.
Unterstützung erhält der gewissenhafte Cop wieder einmal von seinem alten Freund Cletus, der selbst eine herbe Abreibung einstecken muss, aber weit weniger als Robicheaux Skrupel hat, bei Befragungen auch mal die harte Gangart einzulegen. Neben diesem verzwickten Fall hat es Robicheaux auch mit Bootsies Krankheit Lupus zu tun, die ihr das Bindegewebe zersetzt und deren Behandlung sich als extrem schwierig erweist.
Im fünften Band von James Lee Burkes zurecht gefeierter Reihe um den Vietnamkriegsveteranen und Ex-Alkoholiker Dave Robicheaux begegnen dem Leser vertraute Themen wie Rassendiskriminierung, die Mafia und Korruption, dazu gesellen sich Inzest und Kindesmisshandlung. All das vereint Burke mit seinen fein beobachteten Beschreibungen der südstaatlichen Architektur und Landschaft, vor allem aber auch der Menschen, die sich oft leider auch von Geldgier, Sex, Drogen, Gewalt und Macht verleiten lassen.
An sich liest sich „Weißes Leuchten“ wie fast jeder andere Roman aus der Robicheaux-Reihe, indem er die vertrauten Missstände von Korruption, Diskriminierung und Bigotterie aufgreift und die darin eingebettete Kriminalhandlung mit äußerst atmosphärischen Beschreibungen von Louisiana abrundet.
Der Roman stellt kein gekröntes Highlight der Reihe dar, bietet aber gewohnt erstklassige Krimiunterhaltung und Milieubeschreibung.
 Leseprobe James Lee Burke - "Weißes Leuchten"

James Lee Burke – (Hackberry Holland: 1) „Zeit der Ernte“

Sonntag, 27. August 2017

(Heyne, 384 S., Pb.)
Mit seinem Bruder Bailey betreibt der 35-jährige Kriegsveteran Hackberry Holland nach seiner Rückkehr aus dem Koreakrieg 1967 eine Anwaltspraxis in einer texanischen Kleinstadt, nahe der mexikanischen Grenze. Doch statt Ölbarone wie R.C. Richardson mit ihren unmoralischen Geschäftspraktiken vor dem Gefängnis zu bewahren, würde er sich eigentlich lieber um seine Farm und Pferde kümmern.
Stattdessen wird er von dem pflichtbewussten Bailey, seiner standesbewussten Frau Verisa, US-Senator Allen B. Dowling und seinen einflussreichen Freunden aus der Öl- und Rüstungsindustrie dazu gedrängt, ein Amt als Kongressabgeordneter in Washington anzustreben. Schließlich hatte schon sein Vater ein politisches Amt bekleidet, er selbst verfügt über einen heldenhaften Ruf als im Koreakrieg verwundeter US-Navy-Sanitäter, der zweiunddreißig Monate in chinesischer Kriegsgefangenschaft überlebt hat, ohne eines der gefälschten Geständnisse zu unterschreiben, Kameraden anzuschwärzen und zum Feind überzulaufen.
Doch dann erhält Hackberry einen Hilferuf seines alten Kriegskameraden Arturo Gomez, der in Pueblo Verde wegen tätlichem Angriff gegen einen Texas Ranger im Gefängnis sitzt und als Gewerkschaftsmitglied schlechte Karten in dem von Rassendiskriminierung und Wirtschaftsinteressen geprägten Grenzstädtchen hat.
Mithilfe der attraktiven Gewerkschaftsaktivistin Rie wirbelt Hackberry ordentlich Staub in dem erzkonservativen Flecken auf und bringt dabei sowohl seinen Bruder als auch seine Frau und politischen Fürsprecher gegen sich auf. Trotz aller Widerstände gelingt Hackberry jedoch die Bewilligung des Berufungsantrags, doch dann wird Art plötzlich von zwei Schwarzen im Drogenrausch getötet. Sein vom übermäßigen Jack-Daniel’s-Gebrauch und traumatischen Kriegserinnerungen befeuertes Temperament sorgt für weitere gewalttätige Auseinandersetzungen und Probleme …
„Noch nie war ich derart müde gewesen. Ich war körperlich vollkommen entkräftet und fühlte mich, als hätte ich zehn Innings hinter mir und alles Pitches aus meinem Arsenal abgefeuert. In meinem Nacken hatte sich eine mit Flüssigkeit gefüllte Blase gebildet, die von der Verbrennung durch die Zigarrenspitze stammte, und eine längliche Beule, die sich anfühlte wie ein neu gewachsener Knochen, zog sich dort, wo der Junge mich mit dem Holzriegel erwischt hatte, über die Seite meines Schädels.“ (S. 333) 
Mit „Zeit der Ernte“ liegt endlich der langerwartete erste Teil der Hackberry-Holland-Reihe des aus Louisiana stammenden Schriftstellers James Lee Burke vor. „Lay Down My Sword & Shield“, so der Originaltitel, erschien bereits 1971, wurde aber ein Flop, so dass sich Burke erst einmal mit Gelegenheitsjobs und übermäßigem Alkoholkonsum beschäftigte, ehe er 1987 mit dem Start seiner bis heute erfolgreichen Reihe um den Südstaaten-Sheriff Dave Robicheaux wieder Oberwasser bekam.
„Zeit der Ernte“ führt den Leser zurück ins Jahr 1967. Hackberry Holland fungiert als Ich-Erzähler und rekapituliert zunächst in kurzen Zügen die turbulente Familiengeschichte, ehe er demonstriert, wie er sich von seiner Frau Verisa entfremdet hat und stattdessen seine bösen Erinnerungen an den Koreakrieg mit Jack Daniel’s und Prostituierten betäubt. Im späteren Verlauf der Geschichte werden die Erlebnisse in der Kriegsgefangenschaft detailliert aufgearbeitet, bis dahin lassen sich Hackberrys temperamentvolle Entgleisungen nur vage erklären.
Eindrucksvoll schildert Burke nicht nur die texanische Vegetation und gesellschaftspolitische Atmosphäre, sondern auch den schwierigen Kampf der armen Feldarbeiter für einen gerechten Lohn, gegen die Rassendiskriminierung, die auch nicht bei den Ordnungshütern Halt macht. Die Erzählung wirkt stellenweise etwas sprunghaft, nicht nur in chronologischer Hinsicht, sondern auch in örtlicher und personeller. In schneller Folge wechselt Hackberry von einem Ort zum anderen, hält hier eine Rede vor seinen potentiellen Wählern und lässt wiederum andere sausen. Szenen einer gescheiterten Ehe wechseln mit romantischen Angelausflügen, die Hackberry mit seiner neuen Flamme Rie unternimmt, kurze Besuche in der eigenen Praxis weichen Auseinandersetzungen mit Texas Rangers, die aggressiv gegen Streikposten vorgehen. Das schadet letztlich dem Spannungsaufbau, doch bei aller Sprunghaftigkeit in der Dramaturgie bleibt das Unbehagen über die geschilderten Ereignisse über den ganzen Roman hinweg bestehen.
Es ist erschreckend, wie aktuell die 1971 geschriebene Geschichte heute noch ist, wenn man an die jüngsten Entgleisungen in Charlottesville, Virginia, denkt, wo fackeltragende Neonazis durch die Stadt marschierten, Naziparolen skandierten und ein Auto in eine Menschengruppe raste, wobei drei Menschen getötet wurden – und der US-amerikanische Präsident Trump sich nicht von diesen Extremisten distanzierte. Burke ist sich bewusst, dass seine Romane keine gesellschaftspolitischen Lösungen anbieten, wohl aber welche für das Individuum, wie der Autor in einem aktuellen Nachwort zur deutschen Ausgabe betont. In diesem Sinne ist „Zeit der Ernte“ weniger als klassischer Krimi zu verstehen, sondern eher als Plädoyer für die Menschlichkeit. 
Leseprobe James Lee Burke - "Zeit der Ernte"

James Lee Burke – (Dave Robicheaux: 4) „Flamingo“

Freitag, 25. August 2017

(Pendragon, 476 S, Pb./Edel:eBooks, 348 S., eBook)
Zusammen mit seinem Kollegen, dem Kriminalbeamten Lester Benoit, ist Dave Robicheaux dafür zuständig, die beiden zum Tode verurteilten Mörder Tee Beau Latilais und Jimmie Lee Boggs in den Todestrakt des Staatsgefängnisses von Louisiana zu überführen. Doch bei dem Zwischenhalt an einer Tankstelle gelingt den beiden Gefangenen nicht nur die Flucht, sie töten auch Benoit und lassen Robicheaux angeschossen zurück.
Während bei Tee Beau durchaus Zweifel an seiner Schuld angebracht sind, hat Robicheaux auch ein sehr persönliches Interesse, Boggs in seine Hände zu kriegen. Um an ihn ranzukommen, lässt er sich sogar darauf ein, als Undercover-Agent für die DEA zu arbeiten. Sein Kontaktmann Minos Dautrieve streut das Gerücht, dass Robicheaux gefeuert worden ist, weil er Dreck am Stecken hat, und versorgt den Undercover-Agenten mit 50.000 Dollar, mit denen er das Interesse von Tony Cardo wecken soll. Dort soll Boggs nämlich auch auf der Gehaltsliste stehen.
Zwar kann Robicheaux recht schnell das Vertrauen des Gangsterbosses gewinnen, der wie er selbst auch mit einem Trauma aus Vietnam zurückgekehrt ist, doch seinen alten Kumpel vom Morddezernat in New Orleans, Cletus Purcel, als Rückendeckung mit ins Boot zu holen, gestaltet sich schwieriger.
Während Robicheaux allmählich in Cardos inneren Kreis vordringen kann, trifft er mit Bootsie auch seine erste Liebe wieder.
„Die Einsamkeit und die Jahre hatten mir zugesetzt, und obwohl ich mehr als ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel hatte, war ich zu dem Schluss gekommen, dass ich zu den Menschen gehörte, die nie mit Sicherheit wissen würden, wer sie wirklich waren. Hinter all den Gedanken, die ich über mich selbst machte, würde immer ein Fragezeichen stehen – meine einzige Identität lag in dem Abbild meiner selbst, das ich in den Augen anderer sah.“ (S. 91) 
Mit seinem vierten Dave-Robicheaux-Roman „Flamingo“ hat der aus Louisana stammende Autor James Lee Burke einmal mehr ein atmosphärisch stimmiges Meisterwerk geschaffen, das weit mehr bietet als einen Kriminalfall, sondern auch tief in die Seele des amerikanischen Südens taucht, traumatische Erinnerungen an den verheerenden Krieg in Vietnam aufleben lässt und präzise die moralischen Konflikte beschreibt, mit denen sich Robicheaux auseinandersetzen muss.
Die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen, je mehr Robicheaux Zeit mit Cardo und seinem behinderten Sohn verbringt, aber auch der Neuanfang der Beziehung zwischen Dave und Bootsie ist einfühlsam geschildert.
„Flamingo“ bietet eine packende Story, eine tolle Atmosphäre, interessante, vielschichtige Figuren und ein fesselndes Finale.
Leseprobe James Lee Burke - "Flamingo"

James Lee Burke – (Dave Robicheaux: 3) „Schmierige Geschäfte (Black Cherry Blues)“

Mittwoch, 10. Mai 2017

(Pendragon, 480 S., Pb.)
Dave Robicheaux hat gerade eine Nacht in Baton Rouge und Träume von seiner ermordeten Frau Annie hinter sich, als er in einem Café seinen alten Kumpel Dixie Lee Pugh wiedertrifft, mit dem er 1956 an der Southwestern University of Louisiana das Zimmer geteilt hatte und der später Karriere als weißer Bluessänger machen sollte.
Nach einem Gefängnisaufenthalt hat Dixie auf Verpachtungen umgesattelt. Kaum ist Dave nach Hause in New Iberia zurückgekehrt, bittet Dixie um ein Treffen. Dabei erzählt er Dave von seinem Klienten Star Drilling, die ein Problem mit einem Landschaftsschutzgebiet und dem Reservat der Schwarzfußindianer haben. Dass Star Drilling auch die Firma ist, in deren Auftrag Daves Vater auf einer Bohrinsel zu Tode gekommen ist, lässt Dave etwas weiter nachforschen.
Als ehemaliger Lieutenant bei der Mordkommission in New Orleans lässt er alte Verbindungen spielen und stößt auf den Drogenfahnder Nygurski, der es auf Sally Dio abgesehen hat, für den nicht nur Dixie arbeitet, sondern auch Daves alter Kumpel Cletus.
Besonders Dios Handlanger Daltron Vidrine und Harry Mapes gelangen ins Visier von Daves Ermittlungen, der sich mit dem Tod eines Mädchens und zwei verschwundenen Indianers konfrontiert sieht. Doch dann wird seine Ziehtochter Alafair bedroht, und als Dave Vidrine und Mapes auf den Zahn zu fühlen beginnt, ist er der erste Tatverdächtige, der sich für den Mord an Vidrine verantworten muss. Dave Robicheaux lässt sich allerdings so schnell nicht einschüchtern und fordert Sally Dio heraus und sinnt dabei immer wieder über das Leben, das Leid und den Tod nach.
„Manchmal, wenn ich allein bin, besonders nachts, wenn es dunkel ist und ich anfange, über das unerträgliche Leid zu grübeln, das die meisten Menschen vor dem Tod erdulden müssen, bitte ich Gott, ihre Schmerzen rückwirkend zu lindern, ihnen seelischen und körperlichen Beistand zu leisten, ihre Sinne zu betäuben und die flammende Angst zu besänftigen, die ihnen im letzten Moment in den Augen steht.“ (S. 299)
In seinem dritten Abenteuer gerät der ehemalige Cop und Ex-Alkoholiker Dave Robicheaux wieder eher durch Zufall in eine schwierige Situation. Weil er sich seinen Problemen stellt und sie nicht einfach wie früher im Alkohol ersäuft, hat er es erneut mit skrupellosen Gangstern zu tun – mit dem Unterschied, dass sein Kumpel Cletus diesmal in den Diensten der Bösen steht.
James Lee Burke hat mit Dave Robicheaux einfach einen starken Charakter geschaffen, der nicht nur die Schrecken des Vietnamkrieges überwunden hat, sondern auch seine Alkoholsucht und den gewaltsamen Tod seiner Frau Annie. Auch wenn sie anfangs auf gegenüberliegenden Seiten stehen, ist es interessant zu sehen, wie sich Dave und Cletus, deren Wege sich nach ihrer gemeinsamen Zeit beim Morddezernat in New Orleans getrennt haben, wieder annähern, auch wenn der Weg bis dahin ebenso holprig wie blutig ist.
„Schmierige Geschäfte“ wartet mit einer Vielzahl interessanter Figuren, brutaler Action und coolen Dialogen auf, die dem raffinierten Plot die richtige Würze verleihen. Dazu beschreibt Burke das Leben in Louisiana wie kein Zweiter.
Leseprobe James Lee Burke -"Black Cherry Blues" (eBook-Ausgabe von Edel: eBooks)

James Lee Burke – (Dave Robicheaux: 13) „Straße der Gewalt“

Montag, 6. Februar 2017

(Pendragon, 520 S., Pb.)
In der Woche nach Labor Day versucht Dave Robicheaux, Detective der Mordkommission beim Iberia Parish Sheriff’s Department, den Mann zu finden, der vor drei Monaten seinen langjährigen Freund, den nicht ganz unbescholtenen Priester Jimmie Dolan, brutal zusammengeschlagen hat. Die erste Spur führt zu Gunner Ardoin, einem Crystal vertickenden Kleinganoven und Darsteller in einigen Pornos von Fat Sammy Figorelli, doch eine Bundesbeamte namens Clotile Arceneaux macht Robicheaux auf den Blues-Musiker Junior Crudup aufmerksam, der in den 1950er Jahren im Angola-Staatsgefängnis verschwunden ist. Doch bis er durch einen Mitgefangenen über Crudups unrühmlicher Geschichte in Kenntnis gesetzt wird, macht sich weiterhin Gewalt in den Straßen des ansonsten so ruhigen New Iberia breit.
Zunächst wird die minderjährige Tochter von Dr. Parks bei einem Autounfall getötet, nachdem ihr verbotenerweise in einem Daiquiri-Laden von Castille LeJeune Alkohol verkauft worden war. Dann wird der Pächter des besagten Ladens erschossen, die schlampig entsorgte Tatwaffe führt zu einem von LeJeunes Angestellten, Will Guillot.
Und schließlich wird ein Mafioso namens Frank Dellacroce ermordet, für den der Clan Robicheaux verantwortlich macht und der zwei skrupellose Killer auf ihn ansetzt. Unklar ist, wie Merchie und seine Frau Theo Flannigan ins Bild passen, ebenso der berüchtigte IRA-Killer Max Coll.
„Ich hatte meinen Arbeitsplatz mit der Bereitschaft verlassen, Merchie den Tag zu versauen, und nun hatte ich es geschafft, ihn in meinem Kopf mit seinem Schwiegervater in Verbindung zu bringen und den Grausamkeiten der Rassendiskriminierung von Louisianas Vergangenheit. Wo lag meine Motivation? Einfache Antwort: Ich musste nicht darüber nachdenken, dass ich Frank Dellacroce absichtlich in Max Colls Visier bugsiert hatte.“ (S. 211) 
Auch wenn Robicheaux immer wieder von seiner Chefin Helen zur Vorsicht angehalten wird, bringt er sich mit seinem alten Kumpel, dem mittlerweile in New Orleans als Privatermittler tätigen Clete Purcel, immer wieder in teils lebensbedrohliche Schwierigkeiten und bringt einmal die Reichen und Mächtigen so gegen sich auf, dass er das Ziel seiner Ermittlungen aus den Augen zu verlieren droht … Nachdem Robicheaux seine letzte Frau Bootsie beim Brand seines Hauses verloren hat und seine Adoptivtochter Alafair aufs College geht, ist er in seinem 13. Fall ziemlich auf sich allein gestellt, doch Frauen spielen nach wie vor eine nicht unbedeutende Rolle in „Straße der Gewalt“.
Als ehemalige Geliebte, wütend-trauernde Witwen oder taffe Cops sorgen sie immer wieder für dramaturgisch auflockernde Akzente. Charakteristisch ist aber vor allem die Gewalt, die wie zäher Schleim an Robicheaux und seinem Kumpel Clete zu kleben scheint und deren Spur die beiden durch die ganze Handlung ziehen.
Mit Rückblicken auf die Zeit in Vietnam und die Beziehung zwischen dem schwarzen Musiker Crudup und seiner weißen Gönnerin Andrea LeJeune wird der Plot ebenso aufgelockert wie durch die diversen Killer, deren Auftraggeber lange im Dunklen bleiben.
James Lee Burke gelingt es einmal mehr, den charismatischen Vietnam-Veteran, Anonymen Alkoholiker und Detective Dave Robicheaux durch eine undurchsichtige Handlung zu bugsieren und dabei jede Menge Prügel und deftige Sprüche einzuflechten. Das ist zwar alles allzu vertraut, aber da auch die Nebenfiguren interessant gezeichnet sind, die Story kaum Zeit zum Durchatmen lässt und die Landschaft wieder sehr eindringlich geschildert ist, vermag auch „Straße der Gewalt“ von der ersten bis zur letzten Seite zu fesseln.

James Lee Burke – (Hackberry Holland: 4) „Vater und Sohn“

Sonntag, 20. November 2016

(Heyne, 640 S., Pb.)
Auf der Suche nach seinem Sohn Ishmael, zu dem er seit Jahren keinen Kontakt mehr hat, gerät der ehemalige Texas Ranger Hackberry Holland 1916 im Norden Mexikos in die Gewalt von mexikanischen Revolutionssoldaten, die ihn beschuldigen, bei einem Angriff auf einen ihrer Züge auch mexikanische Zivilisten ermordet zu haben. Hackberry kann sich weder verzeihen, tatsächlich für diese Taten mitverantwortlich gewesen zu sein, noch sich von seinem Sohn wegen seiner manipulierenden, von Neid zerfressenen Ehefrau Maggie abgewendet zu haben.
Mit Hilfe der geheimnisvollen wie schönen Prostituierten Beatrice DeMolay kann Hackberry seine Suche fortsetzen und gelangt dabei in den Besitz einer Reliquie, auf die es vor allem der skrupellose österreichische Waffenhändler Arnold Beckmann abgesehen hat. Der schreckt auch nicht davor zurück, Hackberrys gerade schwer verletzt aus dem Ersten Weltkrieg in Frankreich zurückgekehrten Sohn festzuhalten. Zusammen mit dem furchtlosen Chauffeur der Prostituierten und einem befreundeten Deputy setzt Hackberry alles daran, seinen Sohn aus den Fängen des Waffenhändlers zu befreien, mit dem Maggie mittlerweile gemeinsame Sache zu machen scheint.
„Welchen Wert hatte die Ehre, wenn sie verhandelbar war? Welchen Wert hatte das Leben, wenn man seine Prinzipien aufgab, um den nächsten Sonnenaufgang zu sehen? Entscheide dich endlich, Holland!, sagte er zu sich selbst. Nimm doch den einfachen Weg und sieh zu, wie du damit leben kannst!“ (S. 608) 
Bereits 1971 schrieb James Lee Burke mit dem bislang in deutscher Sprache nicht erhältlichen „Lay down my sword and shield“ den ersten Roman, in dem der ehemalige Texas Ranger Hackberry Holland die Hauptrolle spielte. Nachdem er anschließend mit der Reihe um den in New Iberia, Louisiana, wirkenden Detective Dave Robicheaux zu internationalem Ruhm gekommen war und 1997 eine neue Reihe um Billy Bob Holland ins Leben gerufen hatte, kehrte er erst 2009 mit „Regengötter“ zu Hackberry Holland zurück und präsentiert nun mit „Vater und Sohn“ den mittlerweile vierten, wiederum episch angelegten Roman um den charismatischen Mann mit ebenso vielen Fehlern wie Frauengeschichten.
Burke entführt den Leser in die Zeit der mexikanischen Revolution, in eine Zeit, in der der amerikanische Präsident Wilson Pazifisten, Wehrdienstverweigerer und Kriegskritiker verhaften ließ und Butch Cassidy und Sundance Kid an ihrer Legende strickten. Indem Hackberry Holland sich mit seinem Sohn ebenso wie mit dessen Mutter Ruby Dansen zu versöhnen versucht, will er zumindest einen Teil der Schuld sühnen, die er im Laufe seiner Jahre angehäuft hat. Insofern kommt der gestohlenen Reliquie in der Geschichte eine besondere Bedeutung zu.
Schließlich ist die Ähnlichkeit zwischen Beatrice DeMolay und dem letzten Großmeister des Templerordens, Jacques de Molay, zu frappierend, um bloßer Zufall zu sein, und so fragt sich Holland nicht von ungefähr, ob es sich bei in seinem Besitz befindlichen Reliquie tatsächlich um den Kelch handeln könnte, aus dem Jesus getrunken und an seine Jünger weitergereicht hatte.
„Vater und Sohn“ ist nicht nur ein epischer Familienroman, der einen Abgesang auf den Wilden Westen darstellt und das 20. Jahrhundert mit raffinierter Waffentechnik, wachsenden Telekommunikationsmöglichkeiten und Automobilen einläutet, sondern eine Reise auf der Suche nach Vergebung, Erlösung und Wiedergutmachung, ein Roman über Ehre, Verrat und (Vater-)Liebe. Burke erweist sich dabei einmal mehr als fachkundiger Autor, der die Odyssee von Vater und Sohn Holland auch atmosphärisch stimmig zu erzählen versteht. Dass dabei auch einige Längen zu überwinden sind, lässt man Burke bei seiner geschliffenen Sprache gern durchgehen.
Leseprobe James Lee Burke - "Vater und Sohn"

James Lee Burke – (Dave Robicheaux: 2) „Blut in den Bayous“

Sonntag, 23. Oktober 2016

(Pendragon, 456 S., Pb./Edel:eBooks, 309 S., eBook)
Nachdem Dave Robicheaux seine Polizistenkarriere in New Orleans an den Nagel gehängt hat, verkauft er im Bayou südlich von New Iberia Fischköder und verleiht Boote, doch die Lust auf die Jagd nach Verbrechern ist ihm noch nicht vergangen. Als er und seine Frau Annie zum Krabbenfischen mit ihrem Boot zwischen den Pecan und Marsh Islands unterwegs sind, stürzt ein zweimotoriges Flugzeug in den Fluss. Robicheaux kann nur ein kleines Mädchen retten, alle anderen Insassen sind bei dem Unfall ums Leben gekommen.
Wie sich später herausstellt, war einer der Passagiere Johnny Dartez, der als Drogenkurier für Bubba Rocque tätig gewesen ist. Allerdings ist seine Leiche wenig später verschwunden und taucht in den offiziellen Berichten nicht auf. Robicheaux vermutet, dass die Einwanderungsbehörde ihre Finger in der Sache hat. Kaum nimmt der Ex-Cop eigene Ermittlungen auf, bekommt er Besuch von einem weiteren Typen, der mit Bubba Rocque Geschäfte macht, Eddie Keats, und einem Haitianer namens Toot, der Robicheaux ordentlich zusetzt. Doch eines Tages gehen Bubbas Schurken zu weit, und Robicheaux kehrt in den Polizeidienst zurück.
„Ich hatte von der Polizei in New Orleans meinen Abschied genommen, ich, der von Bourbonduft umhauchte edle Ritter, der von sich behauptet hatte, er könne die Heuchelei der Politiker und die enthemmte, brutale Hässlichkeit des Polizeidienstes in einer Großstadt nicht länger ertragen. Doch die schlichte Wahrheit war, dass ich Spaß daran hatte, dass mich mein Wissen um die Unzulänglichkeit der Menschen in einen gehobenen Zustand versetzte, dass ich die Langeweile und Berechenbarkeit der normalen Welt genauso verachtete, wie mein unheimlicher alkoholischer Stoffwechsel den Adrenalinstoß der Gefahr liebte … (S. 224f.) 
Zwar ist Robicheaux bei seinen weiteren Ermittlungen nun an die offiziellen Vorschriften gebunden, doch seine Gefühle gegenüber den mutmaßlichen Mördern lassen sich davon kaum beeinflussen. Immer wieder muss er sein wildes Temperament zügeln, um sich nicht zu dummen Provokationen hinreißen zu lassen …
Mit seinem zweiten Band um Dave Robicheaux, den ehemaligen Kripobeamtem und Ex-Alkoholiker aus New Orleans, hat James Lee Burke bereits seine Meisterschaft als Autor stimmungsvoller Kriminalliteratur untermauert. Sein Protagonist Dave Robicheaux ist ein charismatischer Antiheld, der in seinem Alltag immer wieder mit seinen eigenen tief in ihm sitzenden Dämonen zu kämpfen hat und bei seinem Bemühen, für Gerechtigkeit zu sorgen, gern die Grenzen des Gesetzes zu seinen Gunsten auslotet. Das sorgt ebenso für regelmäßige Gewissensbisse, Komplikationen mit den Frauen, mit denen er zu tun hat, und Zurechtweisungen durch Vorgesetzte und Gauner, die dem eigensinnigen Cop auch mal die Stirn bieten.
„Mississippi Delta“ wurde 1996 von Phil Joanou mit Alec Baldwin, Eric Roberts, Mary Stuart Masterson und Kelly Lynch in den Hauptrollen verfilmt und machte Hollywood auf einen bemerkenswerten Autor aufmerksam, der bis heute immer wieder mal Vorlagen für starke Südstaaten-Thriller bietet (zuletzt „In The Electric Mist“ mit Tommy Lee Jones).
Die Romanvorlage fasziniert mit ambivalent angelegten Figuren, einem emotional aufgeladenen Plot und einem furiosen Finale, das Lust auf die nächsten Robicheaux-Fälle macht.
Nachdem der zweite Robicheaux-Band lange Zeit vergriffen und in letzter Zeit nur als eBook unter dem Titel „Mississippi Delta – Blut in den Bayous“ erhältlich gewesen war, hat der Pendragon-Verlag in seinem ehrenwerten Engagement, die Reihe wieder in gedruckter Form wiederzuveröffentlichen, auch „Blut in den Bayous“ leicht überarbeitet und mit einem Nachwort zur Verfilmung ergänzt.
Leseprobe James Lee Burke - "Mississippi Delta - Blut in den Bayous"

James Lee Burke – (Dave Robicheaux: 1) „Neonregen“

Mittwoch, 17. August 2016

(Pendragon, 420 S., Pb. - Edel:eBooks, 294 S., eBook)
Lieutenant Dave Robicheaux vom New Orleans Police Department sucht im Staatsgefängnis von Angola den Killer Johnny Massina auf, der dort im kleinen Hochsicherheitstrakt die letzten drei Stunden seines Lebens verbringt, weil dieser wie bei den Anonymen Alkoholikern seine Fehler vor Gott und anderen alle seine Fehler eingestehen will. Bei der Auflistung all seiner Verbrechen betont er nicht nur, dass er nicht – wie alle angenommen haben - das Mädchen aus Hotelfenster geworfen hat, sondern warnt Robicheaux auch vor den Kolumbianern, die den Cop kaltmachen wollen.
Streak – so wird Robicheaux wegen der weißen Strähne in seinem Haar genannt – schenkt dieser Warnung zunächst nicht viel Beachtung, schließlich sind er und sein Partner Cletus Purcel noch mit der Leiche eines jungen schwarzen Mädchens beschäftigt, das Robicheaux beim Angeln aus dem Bayou Lafourche gefischt hat.
Während der Leichenbeschauer vom Sprengel Cataouatche Tod durch Ertrinken festgestellt hat und der Sheriff keine Autopsie verlangt hat, geht Robicheaux anhand der Einstichwunden an ihren Armen von Mord aus. Doch kaum gehen Robicheaux und Purcel dem Hinweis aus der Todeszelle nach, bekommt Streak nächtlichen Besuch von drei Männern, die dem Cop in der Badewanne ordentlich zusetzen. Die Spur führt zu Julio Segura, der offensichtlich sein Geld aus dem Drogenhandel in Waffengeschäfte investiert. Das ruft wiederum die CIA auf den Plan. Doch die Ermittlungen entwickeln sich ganz anders als vorschriftsmäßig und lassen vor allem Robicheaux’ Partner über die Stränge schlagen.
„Manchmal hatte es den Anschein, als ob die Besten von uns immer mehr den Leuten ähnelten, die wir am meisten verabscheuten. Und wenn ein guter Polizist einmal ins Unglück stürzte, war er meist gar nicht mehr in der Lage, zurückzublicken und den genauen Augenblick zu bestimmen, wo er falsch abgebogen und in einer Einbahnstraße gelandet war.“ (S. 222)
1987 veröffentlichte James Lee Burke mit „The Neon Rain“ seinen ersten Band um den ehemaligen Vietnam-Veteran und Ex-Alkoholiker Dave Robicheaux, der mittlerweile zu einer echten Kultfigur der amerikanischen Krimiliteratur geworden ist und endlich auch hierzulande wiederentdeckt wird, nachdem die in den 90er Jahren bei Goldmann und Ullstein erschienenen deutschen Ausgaben längst vergriffen sind.
Während Edel:eBooks den Backkatalog wenigstens im eBook-Format wiederveröffentlicht hat, macht sich nun der Pendragon Verlag daran, die Robicheaux-Titel wieder als Hardcopy auf den deutschen Markt zu bringen.
Nach „Mississippi Jam“, dem siebten und bislang auf Deutsch noch gar nicht erhältlichen Robicheaux-Band, veröffentlicht Pendragon mit „Neonregen“ nun den ersten Band in einer leicht verbesserten Neuübersetzung durch Hans H. Harbort und ergänzt die Neuausgabe durch ein Vorwort des Autors, in dem er erzählt, wie das Buch zunächst von 111 Verlagen abgelehnt worden war, ehe es seinen internationalen Siegeszug begann und den Auftakt einer Trilogie bildete, die lose auf Miltons „Paradise Lost“ basiert. Das ebenfalls neu hinzugefügte Nachwort von Alf Mayer wirft einen Blick auf die späte Karriere des US-amerikanischen Autors.
Bereits mit „Neonregen“ erweist sich Burke als grandioser Erzähler, der seine Figuren mit allen Ecken und Kanten versieht und sie eben nicht in eindeutige Kategorien steckt. So haben die vermeintlich guten Cops in „Neonregen“ ebenso ihre ganz dunklen Seiten wie die Ganoven ihre menschlichen Züge präsentieren.
Es sind schließlich das Miteinander, die pointierten Dialoge, die handfesten, oft brutalen Auseinandersetzungen und die raffinierten Wendungen, die „Neonregen“ so lesenswert machen. Dabei beschwört Burke eine dramatisch dichte Atmosphäre herauf, die einfach unnachahmlich bleibt.
 Leseprobe James Lee Burke - "Neonregen"

James Lee Burke – (Billy Bob Holland: 3) „Die Glut des Zorns“

Dienstag, 2. August 2016

(Edel:eBooks, 383 S., eBook)
Der ehemalige Texas Ranger und Bundesstaatsanwalt Billy Bob Holland, der in Deaf Smith, Texas, eine kleine Anwaltspraxis unterhält, nimmt die schon vor langer Zeit ausgesprochene Einladung seines Schulfreundes Tobin Voss an und besucht ihn auf unbestimmte Zeit auf dessen Farm im Bitterroot Valley in Montana. Seit Voss bei der Navy gewesen, einer fundamentalistischen Sekte beigetreten, nach Mexiko gegangen ist und sein Medizinstudium absolviert und ein Mädchen aus Montana geheiratet hat, das vor fünf Jahren bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, zieht es den Doc immer häufiger auf die Ranch in Montana, wo er sich nun mit seiner siebzehnjährigen Tochter Maisey aufhält.
Billy Bob erfährt, dass vergangene Nacht jemand auf ihr Haus geschossen habe, wahrscheinlich Typen von der Miliz. Kaum wird ein Mann namens Wyatt Dixon aus dem Bezirksgefängnis entlassen, wo er einen Notizzettel mit einem halben Dutzend Namen hinterließ, darunter den von Billy Bob Holland, wird Maisey von drei jungen Männern vergewaltigt. Wenig später wird nicht nur deren vermeintlicher Anführer Lamar Ellison ermordet aufgefunden, sondern auch seine beiden Mitstreiter.
Der Doc gerät ziemlich schnell ins Visier des Sheriffs, und als Holland auf eigene Faust zu ermitteln beginnt, hat er es nicht nur persönlich mit Wyatt Dixon und seinem jungen Begleiter Terry Witherspoon zu tun, sondern macht auch die Bekanntschaft des exzentrischen Schriftstellers Xavier Girard und seiner Frau, der Schauspielerin Holly Girard, sowie des Milizanführers Carl Hinkel und des Gangsters Nicki Molinari. Er lässt sich mit der Ärztin Cleo Lonnigan ein und bekommt unerwartet Besuch von seinem Sohn Lucas und der Privatdetektivin Temple Carrol, zu der sich Holland sehr hingezogen fühlt.
Zu guter Letzt ist die Bundesbehörde ATF mit ihm Spiel, die die Indianerin Sue Lynn als Informantin einsetzt, um herauszufinden, wer für das Attentat im Alfred P. Murrah Building verantwortlich gewesen ist, bei dem etliche ATF-Agenten den Tod gefunden hatten. Der Umgang zwischen all diesen zwielichtigen Gestalten ist von Hass und Gewalt geprägt, und der texanische Anwalt mischt hier munter mit.
Wann immer Billy Bob seine Gewalt nicht zügeln kann und von Gewissensbissen geplagt wird, erscheint ihm der Geist seines Freundes und Texas-Rangers-Kollegen L. Q. Navarro, den er damals bei einem unbefugten Ausritt versehentlich erschossen hatte …
„Das Gesetz hatte in Maiseys Fall versagt; es hatte gegenüber Doc versagt und in gewisser Weise auch bei Sue Lynn Big Medicine. Manchmal musste man die Würfel zinken, sonst wurde man von dem Bösen verzehrt, das die Gesellschaft oder die Regierung aus welchem Grund auch immer dulden.“ (Pos. 5499). 
Neben seiner äußerst populären, mittlerweile zwanzig Bände umfassenden Reihe um den New-Iberia-Detective Dave Robicheaux zählt auch James Lee Burkes Zyklus um den texanischen Anwalt Billy Bob Holland zu den lesenswertesten Glanzlichtern amerikanischer Kriminalliteratur. Im Gegensatz zur Robicheaux-Reihe, bei der allein die Titelfigur als Ich-Erzähler fungiert, werden bei „Die Glut des Zorns“ auch andere Erzählperspektiven zugelassen und beleben so interessante Nebenschauplätze. Ähnlich wie in den Robicheaux-Büchern tummeln sich auch hier eine Vielzahl von schillernden, teils exzentrischen Figuren, und ähnlich wie Billy Bob Holland tappt auch der Leser lange Zeit im Dunkeln, welche Absichten die jeweiligen Persönlichkeiten eigentlich verfolgen.
Burke erweist sich als Meister der interessanten Figurenzeichnung und der pointierten Dialoge, kreiert eine stets brodelnde Atmosphäre aus Schweiß, Blut, Alkohol und Gewalt, streut aber auch immer wieder intime Momente und schöne Landschaftsbeschreibungen ein. Vor allem ist der dritte Billy-Bob-Holland-Band aber eine spannende Tour de Force vor der trügerisch idyllischen Kulisse Montanas.
 Leseprobe James Lee Burke - "Die Glut des Zorns"

James Lee Burke – (Weldon Holland: 1) „Fremdes Land“

Sonntag, 22. Mai 2016

(Heyne, 576 S., Pb.)
Während sein Vater auf Arbeitssuche bei einer Pipeline in Osttexas gewesen war, von der er nie zurückkehrte, lebte Weldon Avery Holland 1934 mit seiner mental angeschlagenen Mutter und seinem Großvater Hackberry Holland zusammen. Der fast zwei Meter große Mann hatte es als Gesetzeshüter mit Verbrechern wie Bill Dalton und John Wesley Hardin aufgenommen und ließ sich auch im fortgeschrittenen Alter von niemandem einschüchtern, auch nicht von dem Gangsterpärchen Bonnie Parker und Clyde Barrow, die nach einem Bankraub auf seinem Grundstück kampiert haben und denen der junge Weldon mit dem Gewehr ein Loch in die Heckscheibe ihres Autos schoss.
Zehn Jahre nimmt der frisch gebackene Lieutenant Weldon Holland an der Ardennenoffensive teil, kommt knapp mit dem Leben davon und bewahrt auch seinen Sergeant Hershel Pine und die jüdische Kriegsgefangene Rosita Lowenstein vor dem sicheren Tod. Als sie nach Kriegsende gemeinsam nach Texas zurückkehren, gründen Weldon und Hershel 1946 die Dixie Bell Pipeline Company, doch der anfängliche Erfolg führt die Mächtigen auf den Plan.
„Wir waren am Ziel, die technischen Möglichkeiten unserer Nation sprengten alle Grenzen. Die Raffinerien, die wie Juwelen an der Küste von Texas funkelten und ihren Rauch gleich außerirdischen Fabriken in die große amerikanische Nacht entsandten, waren kein Schandfleck, sondern die konsequente Fortführung von Walt Whitmans Ode an die Verheißung der Vereinigten Staaten.“ (S. 141) 
Roy Wiseheart ist es gewohnt, alles zu bekommen, wonach ihm gerade ist, und lässt es natürlich nicht auf sich beruhen, als Weldon sein Fusionierungsangebot ausschlägt. Wenig später erhält Hershels attraktive Frau Linda Gail eine Rolle in einem von Wiseheart co-produzierten Film und beginnt eine Affäre mit dem mächtigen Mann, während ein unangenehmer Cop namens Hubert Slakely das Leben der beiden Pärchen zunehmend zur Hölle macht …
Nach seinen Reihen um Kleinstadtanwalt Billy Bob Holland und dessen Cousin, Sheriff Hackberry Holland, eröffnet der aus Louisiana stammende Schriftsteller James Lee Burke mit „Fremdes Land“ ein weiteres Kapitel der Holland-Familienchronik, diesmal mit Hackberry Hollands Enkel Weldon, dessen Werdegang von seiner Kindheit, über den Zweiten Weltkrieg bis zu seinem Einstieg ins riskante Ölgeschäft nachgezeichnet wird.
Weldon agiert dabei als Ich-Erzähler, doch auch andere Personen berichten in einzelnen Kapiteln aus ihrer Perspektive. Dabei entwickelt sich wie bei Burke üblich ein dichtes Geflecht aus Liebe, Lügen, Gewalt und Verrat, ohne dass seine Figuren in schlichten Schwarz-Weiß-Kategorien einzuordnen sind. Vor allem der mächtige Roy Wiseheart und sein eher im Hintergrund agierende Vater Dalton Wiseheart bleiben bis zum Ende mit ihren Schachzügen undurchsichtig.
Weldon und damit auch der Leser wissen nur um die raffiniert geknüpften Schlingen, die sich von mehreren Seiten aus um die Hälse seiner engsten Vertrauten ziehen. Sehr anschaulich beschreibt der Bestseller-Autor die Aufbruchsstimmung, die das Ölgeschäft bei risikofreudigen Abenteurern auslöst, wie sie zu Geld und Anerkennung kommen, wie sie aber auch in das Visier mächtiger Neider geraten, die überhaupt nicht zimperlich bei der Wahl ihrer Mittel und Waffen sind, um ihre Besitztümer zu schützen. Dabei wechseln sich Passagen von poetischer Schönheit und brutaler Gewalt ebenso ab, wie die Figuren zwischen Glück, Liebe, Hoffnung, Wut, Schmerz und Trauer wanken.
Leseprobe James Lee Burke - "Fremdes Land"

James Lee Burke – (Dave Robicheaux: 7) „Mississippi Jam“

Montag, 21. März 2016

(Pendragon, 590 S., Pb.)
Nachdem Anfang 1942 Nazi-U-Boote an der Mündung des Mississippi auf Tanker gelauert hatten, entdeckte Dave Robicheaux während seiner Collegezeit bei einem Tauchgang zufällig eines dieser U-Boote, das durch einen Zerstörer der US-Navy beschossen worden war. Als er vor einigen Jahren dem mehrfachen Drugstore-Besitzer und Demokraten Hippo Bimstine von seinem damaligen Fund erzählte, bot dieser Robicheaux einen Finderlohn von zehntausend Dollar, wenn er das Wrack orten könnte, damit Bimstine daraus ein Casino als Touristenattraktion machen kann.
Doch Bimstine ist nicht der einzige Interessent für das U-Boot. Während es Bimstine nur um das Geschäft zu gehen scheint, hat ein Mann namens Buchalter offensichtlich ganz andere Motive und lässt es auch an Gewalt nicht mangeln, um sein Ziel zu erreichen. Obwohl Robicheaux als Cop beim Iberia Parish Sheriff’s Department zunächst alles andere als begeistert ist, diesen Job anzunehmen, lässt er sich auf den Deal ein, um seinem Freund und Angestellten Batist Perry vor dem Knast zu bewahren.
Auch Robicheaux‘ alter Kumpel Clete Purcel bringt sich wieder in Schwierigkeiten, als er erst einen Mann aus Calucci’s Bar durchs Fenster wirft und den korrupten Cop Nate Baxter gegen sich aufbringt. Dabei hat er nur seine Freundin Martina aus Schwierigkeiten mit den beiden Mafia-Brüdern Max und Bobo zu befreien versucht. Purcel gilt auch als Verdächtiger in Fällen, bei denen jemand das Gesetz in die eigenen Hände genommen hat und u.a. einige Schwarze aus den Sozialbausiedlungen über die Klinge springen ließ.
Schließlich hat auch der irische, schwer an Krebs erkrankte Gangster Tommy „Bobalouba“ Lonighan seine Finger im Streit um das U-Boot, und auch der geheimnisvolle Reverend Oswald Flat taucht zur selben Zeit wie Will Buchalter auf, der Robicheaux’s Frau Bootsie so schwer einschüchtert, dass sie wieder ein Alkoholproblem bekommt. Nun kann Robicheaux an nichts anderes mehr denken, als Buchalter in die Finger zu kriegen und kurzen Prozess mit ihm zu machen …
„Buchalter gehörte zu der Sorte Mensch, die ihr Leben darauf verwenden, Kontrolle und Macht über andere auszuüben. Wie der selbstsüchtige Akademiker, der es genießt, ein Geheimwissen zu besitzen, weil es ihm das Gefühl gibt, anderen überlegen zu sein, oder wie der Pseudojournalist, der sich zu diesem Beruf hingezogen fühlt, weil er so Zugang zu einer Welt der Macht und des Reichtums erhält, die er insgeheim fürchtet und neidet, reduziert ein Sammler wie Buchalter die Schönheit von Schmetterlingen auf Insekten, die auf ein Spannbrett genagelt sind, gleichsam eine tägliche Mahnung, dass alle Schöpfung stets der Willkür seiner mordenden Hand ausgeliefert ist.“ (S. 220)
„Mississippi Jam“ ist unter den frühen Dave-Robicheaux-Krimis der einzige Band, der bislang nicht in deutscher Sprache erhältlich gewesen ist. Der Bielefelder Pendragon-Verlag hat im vergangenen Jahr mit „Sturm über New Orleans“ einen neuen Band der berühmten Reihe veröffentlicht und angekündigt, zukünftig weitere Robicheaux-Krimis herauszubringen.
In „Mississippi Jam“ hat es der ehemalige Großstadt-Cop und Ex-Alkoholiker Robicheaux nicht nur mit der Mafia in New Orleans zu tun, sondern vor allem mit rassistisch motivierten Morden, in die Robicheaux und seine engsten Vertrauten zunehmend mit hineingezogen werden.
Vor allem mit dem schwer fassbaren, extrem widerlichen Buchalter hat der Autor eine Symbolfigur für das verkorkste Gedankengut faschistischer Gruppierungen erschaffen, die sich gerade im Süden der USA breitgemacht haben. Ähnlich wie sein temperamentvoller Kumpel Purcel begreift auch Robicheaux bald am eigenen Leib, dass Buchalter mit der gängigen Strafverfolgungspraxis nicht beizukommen ist.
James Lee Burke beschreibt das Szenario auf gewohnt atmosphärisch dichte Weise, kreiert ausgefeilt charakterisierte Figuren, brilliert mit geschliffenen Dialogen und steuert die Geschichte auf ein spannendes Finale zu, das einen vielschichtigen Roman zu einem starken Abschluss bringt.
Leseprobe James Lee Burke - "Mississippi Jam"

James Lee Burke – (Billy Bob Holland: 2) „Feuerregen“

Freitag, 27. November 2015

(Edel:eBooks, 355 S., eBook)
Billy Bob Holland, einst Cop bei den Texas Rangers und Staatsanwalt beim Justizministerium, hat sich in Deaf Smith, einer Stadt im Bergland von Texas, als Rechtsanwalt niedergelassen und nimmt sich in der Regel der Fälle der weniger Privilegierten an. Als er die Interessen von Earl Deitrich in einer Immobiliensache vertreten soll, lehnt Holland nicht nur deshalb ab, weil Deitrich ihm einst Peggy Jean Murphy, die Holland seine Unschuld genommen hatte, ausspannte, sondern weil die Art von Reichtum, die Deitrich repräsentierte, und die Art, wie er ihn den Leuten in seiner Umgebung wie einen Spiegel ihrer Unzulänglichkeit vorhielt, niemand wirklich mag.
Schließlich beschuldigt Deitrich seinen Angestellten Wilbur Pickett, seine Uhr gestohlen und zudem Wertpapiere im Wert von 300.000 Dollar aus seinem Safe entwendet zu haben.
Als Holland und die Privatdetektivin Temple Carrol ihre Ermittlungen aufnehmen, führen die Spuren unter anderem zu den Purple Hearts, einer Gang, die in den 60er Jahren in East L.A. beheimat war und nun unter Führung des Latinos Cholo Ramirez in San Antonio reiche Typen beim Kartenspiel ausnehmen. Aber es geht auch um eine Familienfehde zwischen den Deitrichs und Picketts, die auf einen Streit um ein Ölvorkommen auf dem Land der Picketts zurückreicht, sowie um Deitrichs Sohn Jerry, der meint, sich durch seine vornehme Herkunft alles erlauben zu können.
„Jeff Deitrich hatte gegen seinen Vater rebelliert, er hatte eine junge Mexikanerin geheiratet und auf einem Ölbohrturm seinen Mann stehen wollen. Aber er hatte schnell begriffen, dass ihm keine Strafe drohte, wenn er den Verlockungen nachgab, die ihm sein Vater bot, dass er vielmehr gefeiert wurde wie der verlorene Sohn und dass es Unsinn gewesen war, mit Leuten wetteifern zu wollen, die ihm insgeheim all den Reichtum neideten, der ihm von Rechts wegen zustand.“ (Pos. 2647) 
Mit Wilburs blinder Frau Kippy Jo, die dem Eindringling Bubba Grimes in jedes Auge gezielt eine Revolverkugel gejagt hat, und dem missgestalteten Kindermörder Skyler Doolittle, der behauptet, Deitrichs Uhr, die Wilbur gestohlen haben soll, gehöre eigentlich ihm, hat Holland bald weitere Klienten an der Hand, die in einem immer vielschichtigeren Fall münden, in dem es immer mehr Tote und Verdächtige zu geben scheint …
Auch in seinem zweiten Fall wird Billy Bob Holland immer wieder von den Dämonen seiner Vergangenheit heimgesucht, zu denen nicht nur sein alter Freund L.Q. Navarro zählt, für dessen Tod Holland sich nach wie vor verantwortlich macht und der ihm immer wieder wie ein Geist erscheint, um ihm vermeintlich gute Ratschläge zu erteilen, sondern auch Deitrichs Frau Peggy Jean, die nach wie vor Gefühle für Holland hegt.
Vor allem geht es aber auch die ewige Kluft zwischen Arm und Reich und die wie selbstverständliche Korruption und Macht, mit der die Reichen das Recht für sich beanspruchen.
„Feuerregen“ begeistert wie alle Werke von James Lee Burke durch die höchst ambivalent gezeichneten Figuren, die tiefgründige Auseinandersetzung mit moralischen Fragen der Gerechtigkeit und ewigen Themen wie Liebe, Schuld, Vergebung, Sünde und Tod. All dies vereint Burke in einem packenden Thriller, in dem Schlussfolgerungen durch neue Ereignisse, Zeugen und Informationen wieder und wieder über den Haufen geworfen werden und zu neuen Erkenntnissen führen.
Leseprobe James Lee Burke - "Feuerregen"

James Lee Burke – (Billy Bob Holland: 1) „Dunkler Strom“

Donnerstag, 26. November 2015

(Edel:eBooks, 349 S., eBook)
Vernon Smothers, der vierzig Hektar des Landes von Rechtsanwalt Billy Bob Holland außerhalb von Deaf Smith auf Pachtbasis bewirtschaftet, beauftragt Holland damit, seinen 19-jährigen Sohn Lucas aus dem Gefängnis zu holen. Er soll das Mädchen Roseanne Hazlitt geschlagen und vergewaltigt haben, doch der Junge behauptet, betrunken gewesen zu sein und sich an nichts erinnern zu können. Außerdem seien da noch andere Jungs gewesen, mit denen Roseanne zu tun hatte.
Das Mädchen erliegt wenig später ihren Verletzungen im Krankenhaus, und Lucas muss sich auch wegen Totschlags vor Gericht verantworten. Als Holland und Deputy Sheriff Mary Beth Sweeney die Ermittlungen aufnehmen, drängt die Zeit, denn der Gefängnisschließer Harley Sweet ist für seine schikanöse Art, mit den Gefangenen umzugehen, bekannt. Dieser wird allerdings eines Tages von dem Insassen Jimmy Cole erdrosselt, der unerkannt aus dem Gefängnis spazieren kann und die Zeugin ermordet, die seinen Zellennachbarn Garland T. Moon belastet hat.
Nun muss auch Lucas um sein Leben bangen, denn er kann mit seiner Aussage Moon ebenfalls schaden. Und Holland als Lucas‘ Anwalt kann sich seines Lebens auch nicht mehr sicher sein …
„Moon hatte gesagt, manche Menschen seien von Geburt an anders. Hatte er damit nur sich gemeint, oder bezog sich das auch auf Menschen wie mich und Urgroßpapa Sam? Oder Darl Vanzandt?“ (Pos. 2221) 
Billy Bob Holland muss feststellen, wie verzwickt sich der Fall gestaltet. Da spielen nicht nur die Differenzen zwischen Arm und Reich eine Rolle und die Angelegenheiten der DEA, sondern ganz persönliche Verwicklungen, die bis in die Geschichte von Billy Bob Hollands Vorfahren zurückreichen.
Nach seiner Kultfigur Dave Robicheaux hat der amerikanische Schriftsteller James Lee Burke mit Billy Bob Holland einen weiteren charismatischen Protagonisten kreiert, der wie Robicheaux als Polizist angefangen hat, aber nicht in Mississippi, sondern in Texas sein Amt ausführt und mittlerweile als Rechtsanwalt praktiziert. Und wie Robicheaux hat Holland eine bewegte Vergangenheit mit einem gewalttätigen Vater und Großvater im Stammbaum und seinem Kollegen L.Q. Navarro in der schmerzlichen Erinnerung, dass er für dessen Tod verantwortlich gewesen ist.
Außerdem hat er seinem Pächter Vernon in Houston die Frau ausgespannt, bis er sie zurückholte und Holland sie nie wieder zu Gesicht bekam. Aus diesem Gerüst hat Burke einen faszinierenden Thriller kreiert, der nur stellenweise einen Justiz-Thriller darstellt, vor allem aber eine differenzierte Milieustudie mit einem vielschichtigen Plot und undurchschaubaren wie faszinierenden Figuren.
Leseprobe James Lee Burke - "Dunkler Strom"

James Lee Burke – (Dave Robicheaux: 16) „Sturm über New Orleans“

Dienstag, 20. Oktober 2015

(Pendragon, 576 S., Pb.)
Der in New Orleans als Polizist arbeitende Vietnam-Veteran und trockener Alkoholiker Dave Robicheaux hat bereits 1957 erlebt, wie Hurrikan Audrey über die Küste von Louisiana hereingebrochen war, und 1964 befand er sich im Auge von Hilda, die den Wasserturm von Delcambre aufs Rathaus stürzen ließ. Aber was Katrina mit seiner Stadt anrichtet, übersteigt jedes Grauen, das er bisher in seinem bewegten Leben erfahren musste. In diesem Chaos hat Robicheaux die Vergewaltigung an der 15-jährigen Thelma Baylor aufzuklären. Die Annahme, dass die Tat von den beiden Melancon-Brüdern und Andre Rochon begangen worden ist, scheint sich während der polizeilichen Ermittlungen zu verfestigen. Doch bevor die drei Kleinkriminellen dem Gesetz überführt werden können, rauben sie das Haus des schweren Ganoven Sidney Kovlick aus, der dafür bekannt ist, nicht gerade zimperlich mit den Leuten umzugehen, die ihm in die Suppe spucken.
Schließlich gibt Thelmas Vater, der Versicherungsvertreter Otis Baylor, zwei Schüsse auf die Verdächtigen ab, als sie gerade versuchen, ihr Diebesgut auf seinem Grundstück zu verstecken. Doch niemand will diesen Vorfall bezeugen, schon gar nicht Thelma.
Zu allem Überfluss hat Robicheaux noch die ehrgeizige FBI-Agentin Betsy Mossbacher an den Fersen und muss den verschwundenen Priester Jude LeBlanc auffinden, der zuletzt dabei gesehen wurde, wie er mit einer Axt ein Loch in das Dach einer Kirche schlug, um die darin eingesperrten Menschen zu befreien. Dazu kommen Blutdiamanten, al-Qaida und Falschgeld ins Spiel – und ein unheimlich wirkender Typ namens Ronald Bledsoe, aus dessen Poren das pure Böse zu strömen scheint.
„Angeblich sind wir eine christliche Gesellschaft oder zumindest eine, die von Christen begründet wurde. Unserem selbstgestrickten Mythos zufolge verehren wir Jesus, Mutter Teresa und den heiligen Franz von Assisi. Aber ich glaube, in Wahrheit sieht es anders aus. Wenn wir uns gemeinsam bedroht fühlen oder verletzt sind, wollen wir die Gebrüder Earp samt Doc Holliday holen, und wir wollen, dass die üblen Kerle abgeknallt, umgelegt, kaltgemacht und mit Bulldozern untergepflügt werden.“ (S. 377) 
James Lee Burke, einer der ganz Großen und Beständigen der Kriminalliteratur, der seit einigen Jahren in Deutschland nicht mehr veröffentlicht und erst durch den Heyne- und nun auch durch den Pendragon-Verlag wiederentdeckt worden ist, äußert bereits in seinem Gruß an seine deutschen Leser, dass „Sturm über New Orleans“ sein wütendstes Buch ist.
Indem er seinen beliebten wie sperrigen Protagonisten Dave Robicheaux diverse Fälle in dem von Hurrikan Katrina zerstörten New Orleans bearbeiten lässt, legt er in seiner präzise geschliffenen Prosa auch deutlich noch einmal den Finger in eine nach wie vor schwärende Wunde. Burke lässt in dem epischen Roman, der das Elend, das die keineswegs überraschende Naturkatastrophe über die Bevölkerung in New Orleans gebracht hat, keinen Zweifel daran, dass die Regierung für dieses unvorstellbare Ausmaß des Grauens verantwortlich gewesen ist, dass sich weiterhin die Wohlhabenden schadlos am Wiederaufbau halten werden.
In die eindringliche Schilderung der bedrückenden Atmosphäre der Verwüstung webt Burke eine vielschichtige Handlung, die er mit ganz unterschiedlichen Figuren bevölkert, die sich wiederum nur selten in schablonenhafte Kategorien einordnen lassen. Selbst die ehrenhaftesten Typen werden von schlimmen Träumen und Gelüsten geplagt. Burke, der selbst in Louisiana an der Ostküste aufgewachsen ist, versteht es, mit seinem gleichbleibend bedachten Erzählfluss die niederschmetternde Atmosphäre der Stadt, die Robicheaux‘ Freund Clete Purcel gern als „die Große Schmuddlige“ bezeichnet, in filmreifer Qualität abzubilden und dabei auch den mehr oder weniger latenten Rassismus ebenso zu thematisieren wie die Bösartigkeit unter den Menschen, die sich auch unter den Besten von uns einzunisten droht.
Dass der Pendragon Verlag ankündigt, in den kommenden Jahren weitere Robicheaux-Krimis des mehrfach mit dem Deutschen Krimi Preis ausgezeichneten Autors zu veröffentlichen, zählt wohl zu den schönsten Versprechen, die dieses Jahr in der literarischen Landschaft zu vernehmen gewesen sind.
Leseprobe James Lee Burke - "Sturm über New Orleans"

James Lee Burke – (Hackberry Holland: 3) „Glut und Asche“

Freitag, 11. September 2015

(Heyne, 699 S., Pb.)
Danny Boy Lorca hat schon einiges erlebt in seinem Leben. Dass er während seiner Haftzeit auf der Sugar Land Farm Peitschenschläge gegen seinen Kopf einstecken musste, ist seinem Hirn ebenso wenig bekommen wie seine Tätigkeit als sogenannte „Tomatendose“, wenn er gegen ortsansässige Boxer antrat und nach jedem Schlag, den er einstecken musste, blutete. Einige meinten auch, dass der Meskal seine Hirnzellen aufgeweicht hat. Als Danny Boy eines Mittwochabends im April zwei Dinosauriereier in der Wüste freilegt, beobachtet er, wie eine Gruppe von sechs Männern einen Mann foltern und in Stücke zerteilen, einen weiteren Gefangenen aber laufen lassen.
Als Danny Boy am nächsten Morgen Sheriff Hackberry Holland von dem Vorfall berichtet, hat der Sheriff bereits seinen alten Freund, FBI-Agent Ethan Riser, am Telefon, der auf der Suche nach einem Bundesbeamten ist, der möglicherweise von mexikanischen Drogenmulis verschleppt wurde. Offensichtlich geht es in diesem Fall um eine Frau namens Anton Ling, auch La Magdalena oder La China genannt. Wie Sheriff Holland, sein Deputy Sheriff Pam Tibbs und seine Mitarbeiter bald erfahren, ist nicht nur das FBI hinter dem Informanten Noie Barnum hinterher, sondern auch der russische Kriminelle Josef Sholokoff.
Zwielichtige Gestalten wie Senator Temple Dowling oder Reverend Cody Daniels mischen in diesem Szenario, in dem es um Informationen zu einer Predator-Drohne geht, die nicht in die Hände von Al-Qaida fallen sollen, ebenso mit wie Hollands alter Feind Preacher Jack Collins, den er bereits tot gewähnt hat …
„Das Erbe von Salem löst sich nicht einfach so in Luft auf. Der Vigilantismus nach dem Bürgerkrieg, der Ku-Klux-Klan, Senator McCarthy und seine Anhänger – ein roter Faden, der sich seit 1692 durch die Geschichte zieht, dachte er. Diese Erkenntnis änderte aber wenig an der Tatsache, dass Hackberry kläglich versagt hatte, sich des Problems Jack Collins anzunehmen. Er hatte es versäumt, einen Mann dingfest zu machen, der damals wie heute nach Lust und Laune Menschen ermordete und dabei nicht nur wie ein Geist durch Wände zu gehen schien, sondern – mal abgesehen von trichterförmigen Fußabdrücken – auch keinerlei Spuren hinterließ.“ (S. 265f.) 
Warum Barnum ausgerechnet mit Collins auf der Flucht ist, ist allen Beteiligten nicht zu recht klar, aber offensichtlich sind unter allen Beteiligten noch so einige offene Rechnungen zu begleichen.
Seit Sheriff Hackberry Holland in „Regengötter“ Jagd auf den Auftragskiller Jack Collins gemacht hat, der mit seinem Thompson-Maschinengewehr neun thailändische Mädchen niedergemäht hatte, die als Drogenkuriere und Prostituierte missbraucht worden waren, will Holland den gerissenen Psychopathen unter der Erde sehen. Doch bis es soweit ist, kreuzen sich ihre Wege auch in „Glut und Asche“ immer wieder auf eine verstörende Art, die James Lee Burke zu seiner ganz eigenen Kunstform erhoben hat. Selten sind seine Figuren in simple Schwarz- und Weiß-Kategorien einzuordnen. Stattdessen haben die Protagonisten auch in dem epischen Nachfolger zum Meisterwerk „Regengötter“ mit ihrem Gewissen und fürchterlichen Dämonen zu kämpfen, die ihnen das Leben zur Hölle machen. Zwar steht das antagonistische Verhältnis zwischen Holland und Preacher auch in „Glut und Asche“ im Mittelpunkt der Geschichte, doch die interessanten Nebenhandlungen wecken auch Interesse für die vielschichtigen Nebenfiguren.
Burke gelingt es, das schillernde Panoptikum seiner Figuren so lebendig zu zeichnen, als würde der Leser direkt unter ihnen weilen und Teil des komplexen Geschehens in der hitzeflimmernden Wüste nahe der mexikanischen Grenze sein. Der alternde Sheriff hat dabei nicht nur mit seinen Gefühlen für den viel jüngeren Deputy Sheriff Pam Tibbs zu kämpfen, die weit mehr als nur kollegiale Gefühle für ihren Chef hegt, sondern auch mit Anton Ling, die ihn an seine verstorbene Frau erinnert. Und auch das Verhältnis zu FBI-Agent Riser gestaltet sich wie immer schwierig, denn das FBI steht nicht unbedingt für kompromisslose Kooperation.
Mit „Glut und Asche“ ist Burke ein weiteres Meisterwerk gelungen, das durch einen packenden Plot ebenso fesselt wie durch zutiefst menschlich gezeichnete Figuren, die ihren jeweils eigenen und oft sehr steinigen Weg zur Erlösung finden müssen.

James Lee Burke – (Hackberry Holland: 2) „Regengötter“

Sonntag, 9. November 2014

(Heyne, 672 S., Pb.)
Auf einen anonymen Anruf hin entdeckt Sheriff Hackberry Holland hinter der alten Kirche im südtexanischen Chapala Crossing die Leichen von neun jungen, schick gekleideten thailändischen Frauen, die mit einem Bulldozer plattgewalzt worden sind. An den Ermittlungen beteiligt sich nicht nur das FBI mit dem für die Exhumierungen zuständigen Agenten Ethan Riser, sondern auch der raubeinige Isaac Clawson von der Einwanderungs- und Zollfahndungsbehörde ICE, der nach dem Mord an seiner Tochter sämtliche Umgangsformen hinter sich gelassen hat.
Zunächst dürften allein die Stripclub-Besitzer Nick Dolan und Artie Rooney eine Vorstellung davon haben, was da passiert sein könnte, als Arties Handlanger Hugo Cistranos mit dem eigens dafür engagierten Pete Flores die Frauen über die Grenze nach Houston bringen sollte. Derweil macht sich Pete mit seiner Freundin Vikki auf und davon. Ihnen auf den Fersen ist der berüchtigte Preacher Jack Collins, dessen unberechenbar psychopathische Züge alle Beteiligten immer wieder in Erstaunen versetzen. Doch als Pracher die beiden Flüchtigen in seine Gewalt bringt, sind die Karten schon wieder neu gemischt worden. Denn statt sie zu töten, will er vor allem dem Mädchen ein neues Leben ermöglichen.
„Sie spuckte auf die Geldscheinspange und auch auf seine Finger. Dann begann sie zu weinen. In der Stille, die nun folgte, hatte sie das Gefühl, von seiner Präsenz eingehüllt zu werden wie von feuchter Wolle, die einem die Luft zum Atmen nimmt. Das rosafarbene Strahlen auf seinem Hemd, der Schweißgeruch seines Körpers und die Nähe seiner Lenden zu ihrem Gesicht drohten sie zu überwältigen, und mit einem Mal bestand die einzige Realität in dieser Welt aus der Figur von Preacher Jack Collins, der nur wenige Zentimeter vor ihr stand. Ihr war nicht klar gewesen, dass sich Stille so laut anfühlen konnte. Die Intensität des Schweigens, so glaubte sie in diesem Moment, ähnelte den knackenden Geräuschen, die ein Ertrinkender auf dem Weg zum Grund eines tiefen Sees hörte.“ (S. 485f.) 
Doch nicht nur das FBI und Sheriff Holland sind Preacher und dem jungen Pärchen auf den Fersen, auch verschiedene Nachtclubbesitzer, russische Mafiagrößen und diverse Auftragskiller mischen munter mit …
Nach dem alkoholsüchtigen Cajun-Cop Dave Robicheaux, den James Lee Burke seit Mitte der 1980er Jahre in über zwanzig Fällen in den Sümpfen Louisianas ermitteln ließ (u.a. auch in der Verfilmung "In The Electric Mist" mit Tommy Lee Jones in der Hauptrolle), und dem Kleinstadtanwalt Billy Bob Holland, den Burke in den späten 90ern erschuf, tritt nun mit dessen Cousin Hackberry Holland auf den Plan, der nach seiner Kriegsgefangenschaft in Nordkorea in Texas erst dem Alkohol verfiel, zu oft in Bordellen verkehrte, dann eine Politkarriere versaute und nach der Scheidung von seiner ersten Frau in tiefe Depressionen verfiel, die nach dem Tod seiner zweiten Frau nicht weniger wurden.
Diese komplexe Figur, die bereits ein wechselhaftes Leben hinter sich hat, stellt in dem episch angelegten „Regengötter“ zwar den markanten Dreh- und Angelpunkt dar, doch hat Burke hier ein schillerndes Panoptikum an interessanten Figuren kreiert, die mit ihren eigenwilligen Moralvorstellungen, fehlgeleiteten religiösen Ansichten und skrupellosen Geschäftsgebaren der Geschichte eine wechselhafte Dynamik verleihen, die Burke auf atmosphärisch intensive Weise so authentisch wiedergibt, dass der Leser den Staub der Wüste und den Kupfergeschmack des Blutes zu schmecken scheint, der zwischen all den Seiten zu finden ist.
„Regengötter“ erinnert von der Figurenkonstellation etwas an Cormac McCarthys großartigen Roman „No Country For Old Men“, ist aber weit vielschichtiger angelegt und bietet immer wieder neue interessante Wendungen bis zum ungewöhnlichen Finale.
Leseprobe James Lee Burke - "Regengötter"