Christine Klell & Reinhard Deutsch - „Dracula – Mythen und Wahrheiten“

Mittwoch, 23. März 2011

(Styria, 290 S., HC)
Bram Stokers 1897 veröffentlichter Roman „Dracula“ zählt nicht von ungefähr zu den meistverfilmten Werken der Literaturgeschichte. Die mit dem Vampirmythos verbundene Aussicht auf Unsterblichkeit und erotische Anziehungskraft, aber auch die Furcht davor, gegen den eigenen Willen zu unnatürlichen Handlungen gezwungen zu werden, bringt immer neue Erzählungen hervor, die in Büchern, Comics und Filmen um die Gunst des Publikums wetteifern. Der Autor, Dramaturg, Regisseur, Ausstellungsleiter, Theaterintendant und Verlagslektor Reinhard Deutsch ist dem anhaltenden Interesse am Vampir-Mythos, der zuletzt durch Stephenie Meyers „Bis(s)“-Roman-Reihe und deren Verfilmung gerade jüngere Interessenten gewonnen hat, mit dem sehr unterhaltsamen Kompendium „Dracula – Mythen und Wahrheiten“ auf den Grund gegangen.
„Der Vampir hat eine steile Karriere gemacht. Seit der Antike taucht er immer wieder aus dem Dunkel der Mythen auf, führt Jahrhunderte lang ein zurückgezogenes Dasein in den Schluchten der Karpaten mit gelegentlichen Ausflügen in die Metropolen Europas. Allmählich breiten sich das Wissen um ihn, die Furcht vor ihm, vor allem aber: die Faszination! aus, erobern geduldig die Hirne und Herzen der Menschen, nisten sich ein in Sehnsüchten und Alpträumen … Romanautoren und Maler geben dem Vampir Gesicht und Kontur, verfeinern seine Eigenschaften, steigern die Erwartung, ihm zu begegnen. Zur Erfahrung der Welt durch Reisen, durch Berichte, durch neue Medien kommt die Sehnsucht nach Schrecken. Es ist der Versuch, das Fremde, das man nicht versteht, in eine Form zu gießen.“ (S. 6)
Natürlich geht Deutsch auf Spurensuche, beschreibt das Wesen der Vampire in den unterschiedlichsten Regionen und deren Mythen über die furchterregenden und faszinierenden Blutsauger, die ihren Opfern das ewige Leben versprechen. Der historische Teil wartet nicht nur mit einer Rekapitulation auf, wie der Vampir-Stoff durch William Polidori, Bram Stoker und Sheridan Le Fanu popularisiert wurde, er enthält auch Original-Auszüge aus den jeweiligen Texten, dazu passende Gedichte von Goethe und Baudelaire. Was das Buch aber von den unzähligen anderen Veröffentlichungen zum Thema abhebt, ist zum einen der sehr aktuelle Bezug, bei dem die jüngsten Vampir-TV-Serien ebenso wenig fehlen dürfen wie eine Auflistung relevanter Romane, Comics, Filme, Portraits bekannter „Dracula“-Darsteller Bela Lugosi und Christopher Lee, zum anderen die sehr schöne, liebevolle grafische Aufmachung, für die die Grafikdesignerin Christine Klell verantwortlich zeichnet. Dass das ganze Thema nicht so tierisch ernst angegangen wird, dafür sorgen Vampir-Cocktail-Rezepte, Origami-Bastelanleitungen, ein Wochen-Horoskop und Auszüge aus einem Schulbuch für kleine Vampire.
Eine ausführliche Bibliografie und Filmografie runden das hochwertig gestaltete „Handbuch der Vampire“ gelungen ab. Einen Einblick in die schöne Ausstattung gibt es bei Vampirhandbuch.at.

Michael Connelly - (Jack McEvoy: 2) „Sein letzter Auftrag“

Montag, 21. März 2011

(Heyne, 495 S., HC)
Vor zwölf Jahren erlebte der Journalist Jack McEvoy den Höhepunkt seiner beruflichen Karriere, als er in der Rocky Mountain News den Killer überführte, den man den „Poeten“ nannte, und ein erfolgreiches Buch dazu veröffentlichte. Doch nun nähert sich seine Karriere dem Ende, als er im Zuge der bei Printmedien umgreifenden Kündigungswelle bei der L.A. Times entlassen wird.
Jack darf weitere zwei Wochen in der Redaktion verweilen, wenn er sich bereiterklärt, seine Nachfolgerin einzuarbeiten, die frisch von der Uni kommende, mit allen Wassern für den Medienmarkt der Zukunft gerüstete Angela Cook. Doch bevor der über Vierzigjährige die Segel streicht, will er noch eine große Story schreiben. Die Verhaftung des 16-jährigen Schwarzen Alonzo Winslow kommt dem ausgemusterten Polizeireporter gerade recht. Nachdem die nackte und mehrfach geschändete Leiche der 23-jährigen Striptease-Tänzerin Denise Babbit im Kofferraum ihres Mazda Millenia aufgefunden wurde, fand die Polizei im Wagen den Fingerabdruck des Verdächtigen, der in der Haft offensichtlich ein vollständiges Geständnis abgelegt hat und nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden soll. Jack kontaktiert zunächst die Großmutter des Angeklagten, die fest von der Unschuld ihres Enkels überzeugt ist, dann dessen Pflichtverteidiger, der Jack mit den wichtigsten Unterlagen versorgt. Dem über 900 Seiten umfassenden Protokoll des Geständnisses kann McEvoy allerdings entnehmen, dass Alonzo mit keinem Wort den Mord gestanden hat, sondern nur die Tatsache, dass er in dem Auto umherfuhr und dann die Leiche im Kofferraum entdeckte.
Als der Reporter auf einen ganz ähnlichen Fall in Las Vegas stößt, ist er überzeugt, dass in beiden Fällen die Falschen im Gefängnis sitzen.
„Im investigativen Journalismus mochte es vielleicht das Höchste sein, einen Präsidenten zu Fall zu bringen, aber was die Niederungen schnöder Kriminalität anging, war es auch nicht gerade das Schlechteste, wenn man den Nachweis erbringen konnte, dass ein vermeintlich Schuldiger unschuldig war… Einen unschuldigen Jungen freizubekommen, war schwer zu toppen. Mochte Alonzo Winslow offiziell auch noch nicht schuldiggesprochen worden sein, war er in den Medien längst verurteilt worden.
Ich war Teil dieser Lynchjustiz gewesen und sah jetzt, dass ich eine Chance bekommen hatte, alles wiedergutzumachen. Vielleicht gelang es mir, ihn zu retten.“ (S. 129)
Allerdings beginnt Angela Cook, die Story an sich zu reißen und macht durch ihre Recherche den mit allen Wassern gewaschenen Täter auf sich aufmerksam und bringt sich selbst in Gefahr ...
Auch wenn es sich bei „Sein letzter Auftrag“ nicht um einen Roman aus Connellys bekannter Harry-Bosch-Reihe handelt, hat der amerikanische Bestseller-Autor mit Jack McEvoy doch eine Figur in den Mittelpunkt seines neuen Thrillers gestellt, der Boschs Wege bereits in „Der Poet“ gekreuzt hat. In der Kombination zwischen einem routinierten Journalisten auf dem Abstellgleis und einer ebenso gescholtenen FBI-Agentin hat Connelly ein Dream Team geschaffen, von dem in Zukunft hoffentlich mehr zu lesen sein wird. Die Recherche-Qualitäten des einen und die Ermittler-Fähigkeiten der anderen bringen schließlich einen überaus raffinierten wie brutalen Killer zur Strecke. Neben den für Thriller üblichen Einblicken in die Vorgehensweisen von Polizei und FBI erhält der Leser hier auch einen gelungen beschriebenen Eindruck vom Alltag in einer großen Tageszeitungsredaktion. Sympathische Helden, ein geschickt konstruierter Plot und ein packendes, wendungsreiches Finale sorgen für Thriller-Unterhaltung erster Klasse!
Leseprobe „Sein letzter Auftrag“

Simon Beckett - „Tiere“

Mittwoch, 16. März 2011

(Rowohlt, 284 S., Tb.)
Nach dem Tod seiner Eltern lebt der geistig etwas minderbemittelte Nigel allein in dem einst von den Eltern geführten, nun längst nicht mehr betriebenen Pub, arbeitet in einem Büro und liest in seiner Freizeit Comics und sieht sich mit Vorliebe Zeichentrickfilme an. Niemand würde ahnen, dass der junge Mann im Keller Menschen in Käfigen gefangen und sie mit Hundefutter und Wasser am Leben hält.
Darüber hinaus erfährt Nigel wenig Aufregendes in seinem Leben. Allein die Bekanntschaft mit seinen Kolleginnen Cheryl und Karen bedeutet etwas Abwechslung in seinem tristen Dasein, und entsprechend aufgeregt ist er, als sie für den Sonntag ihren Besuch ankündigen. Ansonsten hängt Nigel seinen Erinnerungen an seine Eltern nach.
„Als ich aufwachte, war ich total trübsinnig. Ich mag Sonntage nicht. Selbst im Fernsehen ist bis zum Nachmittag nicht viel los. Als Kind war es noch schlimmer, denn meine Mama wollte abends, bevor der Pub aufmachte, unbedingt die ganzen religiösen Sendungen sehen. Sie ging zwar nie zur Kirche oder so, aber sie war trotzdem religiös. Ganz egal, welche Sendungen auf den anderen Programmen liefen, meine Mama musste immer Lobgesänge oder so was gucken. Ich war jedes Mal froh, wenn es halb acht wurde und sie runterging, um meinem Papa hinter der Theke zu helfen.
Dieser Sonntag war nicht so schlimm, denn am nächsten Tag war Feiertag, und Cheryl und Karen wollten ja kommen. Wenn ich an Besuch dachte, wurde ich ganz aufgeregt, es reichte aber nicht, um meine Sonntagslaune aufzuheitern. Noch dazu war es draußen bewölkt.
Beim Frühstück in der Küche las ich meinen Spiderman-Comic zu Ende. Nicht mal der war besonders spannend …“ (S. 102)
Das trifft leider auch auf Simon Becketts zweiten Roman „Tiere“ zu, der 1995 in Becketts englischer Heimat erschien und im Zuge des Erfolges seiner Reihe um den forensischen Anthropologen Dr. David Hunter („Die Chemie des Todes“, „Kalte Asche“, „Leichenblässe“ und „Verwesung“) nun auch erstmals in deutscher Sprache erhältlich ist. Mit dem Schachzug, die Geschichte aus der Ich-Perspektive des geistig gehandicapten Nigel erzählen zu lassen, sollen Sympathien für den von allen Seiten gemiedenen Außenseiter geweckt werden, doch die will sich partout nicht einstellen. Abgesehen davon, dass seine Motivation, Menschen wie Tiere einzupferchen und zu füttern, nie überzeugend vermittelt werden kann, entwickelt die Geschichte kein Potenzial, weder so etwas wie Spannung, noch eine Entwicklung seines Antihelden zu präsentieren. Statt auf eine Wendung oder einen irgendwie gearteten Höhepunkt zuzusteuern, ergießt sich der Ich-Erzähler in wenig aufregenden Erinnerungen an eine bewegtere Zeit, als der Pub noch Gäste bediente, und lapidaren Beschreibungen der langweiligen Dinge, die mittlerweile seinen Alltag prägen.
Langweiliger und unspektakulärer geht es nicht, und die Möchtegern-Sprache des präsentierten Dummkopfes verleidet einem den letzten Rest eines rudimentären Lesevergnügens.
 Leseprobe “Tiere”

Richard Laymon - „Der Käfig“

Sonntag, 13. März 2011

(Heyne, 512 S., Tb.)
Diebe machen sich bei Robert Callahan daran zu schaffen, die Mumie der Pharaonenbraut Amara zu stehlen, doch Callahan und sein Ziehsohn Imad überraschen die Täter und verscharren ihre Leichen schließlich im Garten. Imad schlägt es allerdings auch in die Flucht, während sich die befreite Mumie am Hausherren gütlich tut. Nach Callahans Tod gelangt die Mumie in die Obhut des Charles-Ward-Museums, wo die stellvertretenden Kuratorin Sarah Connors erleben muss, wie ein Wachmann des Museums grausam verstümmelt wird.
Während die Mumie offensichtlich ihren vier Jahrtausende währenden Schlaf für einen Reanimationsblutbad beendet hat, plagen Ed Lake und Virginia ganz andere Probleme. Sie können sich nicht erinnern, wie sie in die Käfige gelangt sind, in die sie eingesperrt worden sind. Sie bekommen genug zu essen und zu trinken, müssen in dem oft abgedunkelten Raum ihren Entführern aber sexuell gefügig sein.
“Die Zeit verging. Ed Lakes Fuß heilte. Währenddessen gingen die seltsamen Spiele im Menschenzoo weiter. Immer wurde das Licht ausgeschaltet. Manchmal richtete sich die Aufmerksamkeit auf Virginia, manchmal auf Ed. Er bewahrte seine Kraft, so dass er die geforderte Leistung erbringen konnte. Und die Spiele dauerten stundenlang. Er lag immer auf dem Rücken auf der Plattform. Entweder wurde sein Schwanz von dem Mund bearbeitet oder von der anderen gierigen Öffnung. Aber er war jetzt sicher, dass es sich um eine Frau handelte. Natürlich sah er nie etwas. Zu dunkel. Und er achtete darauf, dass er nie zu einem Orgasmus kam, jedenfalls nie, ehe seine Entführerin befriedigt war.
Danach, egal was ihnen angetan worden war, sprach Ed jedes Mal mit Virginia. Sie teilten ihre Erlebnisse. Sie diskutierten jede Einzelheit – was ihre Peiniger getan hatten, wie sie rochen, wie sie sich anfühlten. Hat es sich schlecht angefühlt? Manchmal war es so schlimm, dass es unbeschreiblich war. Das Reden half ihnen. Es machte sie stärker. Sie begannen zu besprechen, wie sie zurückschlagen könnten.“ (S. 267)
Der 2002 posthum veröffentlichte Roman „Amara“ zählt zu den letzten Werken des großen amerikanischen Horrorautors Richard Laymon (1947-2001), allerdings nicht zu seinen besten. Zwar ist die für Laymon typische Mischung aus Sex und Horror wieder allgegenwärtig, aber der Plot wird durch zu viele Erzählstränge unnötig aus dem Rhythmus gebracht. Bis sich all die losen Fäden am Ende zusammenfügen, ist einiges an Sperma und Blut geflossen, doch so rechte Spannung will bei „Der Käfig“ leider nicht aufkommen. Wenig prickelnd ist leider auch das Vorwort von Laymons Freund und Kollegen Dean Koontz ausgefallen, dass sich ganz auf die Schilderung einer persönlichen Begegnung beschränkt.
Leseprobe "Der Käfig"

Michael Connelly - (Harry Bosch: 14) „Neun Drachen“

Freitag, 11. März 2011

(Knaur, 479 S., Tb.)
Harry Bosch und sein Familien-gestresster Partner Ignacio Ferras bekommen einen Überfall auf einen Getränkemarkt in South Normandie zugeteilt, wo zunächst alles nach einem Raubüberfall aussieht, bei dem der Ladenbesitzer John Li erschossen wurde. Der Täter hat zur Sicherheit die Überwachungs-DVD mitgenommen, doch auf den beiden DVDs, die zurückgelassen wurden, entdeckt Bosch einen ersten Hinweis auf eine Schutzgeldzahlung, die Li geleistet hat. Durch die Mithilfe von Detective David Chu von der Asian Gang Unit nimmt Bosch den Verdächtigen Bo-Jing Chang fest, der zur chinesischen Triade Yung Kim – Tapferes Messer – gehören soll.
Allerdings bleibt den Beamten nur das Wochenende, um Chang wegen Mordes dranzukriegen, sonst müssen sie ihn wieder auf freien Fuß setzen. Doch die Durchsuchung von Changs Wohnung, Auto und Handy bringt nicht die gewünschten Ergebnisse. Da bekommt Bosch eine Videobotschaft seiner 13-jährigen Tochter Maddie zugeschickt, die mit ihrer Mutter in Hongkong lebt. Das Entführungsvideo enthält ein paar Hinweise auf den Aufenthaltsort seiner Tochter. Bosch nimmt den nächsten Flieger nach Hongkong, um mit seiner Ex-Frau Eleanor und ihrem neuen Lebensgefährten Sun Yee nach Maddie zu suchen.
„Er würde seine Tochter finden und nach Hause bringen. Oder er würde bei dem Versuch, sie zu befreien, sterben. Sein ganzes Leben lang hatte Harry Bosch geglaubt, eine Mission zu haben. Und um diese Mission durchführen zu können, musste er kugelsicher sein. Er musste sich und sein Leben so gestalten, dass er unverwundbar war, dass ihm nichts und niemand etwas anhaben konnte. Das alles hatte sich an dem Tag geändert, an dem er der Tochter vorgestellt worden war, von der er nicht gewusst hatte, dass er sie hatte. In diesem Moment hatte er gewusst, dass er gleichzeitig gerettet und verloren war. Von jetzt an war er mit der Welt für immer auf eine Weise verbunden, wie sie nur ein Vater kannte.“ (S. 227 f.)
Auch wenn „Neun Drachen“ ein ungewöhnlich persönlicher Fall für Detective Harry Bosch ist, fällt die Spannung recht moderat aus. Dabei wird weder besonders ausführlich auf die Triaden-Thematik eingegangen, noch auf den Menschenhandel in Hongkong. Ebenso unsicher wie Bosch ist, wem er bei seiner Suche nach seiner Tochter trauen kann, wird auch der Leser etwas unsicher durch den Plot geführt, der zumindest mit einer elegant aus dem Hut gezauberten Lösung aufwartet. 

Steve Mosby - „Spur ins Dunkel“

(Knaur, 377 S., Tb.)
Es sind einige Wochen vergangen, seit Amy einen Abschiedsbrief auf dem Küchentisch hinterlassen hatte, in dem sie ankündigte, einige Probleme in den Griff bekommen zu müssen, aber sie würde auf jeden Fall zurückkommen. Doch ihr Freund Jason ist mittlerweile überzeugt, dass seiner Amy etwas zugestoßen sein muss. Er durchstöbert diverse Internet-Foren und bewegt sich unter dem Namen Amy17 in einem virtuellen Sex-Chatroom, wo er auch gleich einen Interessenten aufgabelt, von dem er hofft, nähere Informationen zum Aufenthaltsort von Amy zu erfahren. Als die Polizei bei ihm auftaucht, befürchtet er schon, dass sie tot aufgefunden wurde, doch tatsächlich geht es um Claire Warner, eine weitere Internet-Chat-Bekanntschaft, die er schließlich einmal in Schio getroffen hatte.
Kaum ist die Polizei gegangen, taucht ein alter Mann namens Walter Hughes bei Jason auf, der mit ihm über Claire reden will. Zusammen mit seinem Freund, dem Computer-Experten Graham, versucht Jason den wenigen Hinweisen nachzugehen, die er in Bezug auf Amy hat, lässt ihren Computer untersuchen und stößt schließlich auf eine Art Snuff-Literatur, die detailliert Vergewaltigungen dokumentiert.
„Es gibt einen tiefen Abgrund, in den man fallen kann und den man eigentlich nur entdeckt, wenn man jemanden sehr gernhat. Niemand bringt einem das je bei, und niemand redet viel darüber, es gehört zu den Dingen, die man selbst und allein lernen muss. Das erste Mal, wenn man in dieses Loch fällt, kommt es einem vor, als werde der Sturz nie enden, und wenn man dann hinabstürzt, dass man niemals entkommen wird, dass man aus einem so tiefen, dunklen Loch nie wieder herausklettern kann.“ (S. 49)
Je mehr sich Jason in diesen erschreckenden Kreisen bewegt, umso mehr gerät sein eigenes Leben völlig aus den Fugen und in tödliche Gefahr.
„The Third Person“ war 2003 der erste Roman des britischen Thrillerautors Steve Mosby, der hierzulande vor allem mit seinem zweiten Werk „Der 50/50-Killer“ bekannt geworden ist. „Spur ins Dunkel“, so der deutsche Titel des Debüts, lässt zumindest schon den eleganten Stil des Autors erkennen, wirkt aber als geschlossene Erzählung noch viel zu umständlich. Was als spannende Suche nach einer vermissten Lebensgefährtin beginnt, verstrickt sich zunehmend in eine immer verworrene Verschwörung, die weit über illegale Sex-Websites hinausgeht, unzählige Tote nach sich zieht und am Ende gar keinen Durchblick mehr zulässt.
Leseprobe “Spur ins Dunkel”

Philippe Djian – „Die Leichtfertigen“

Montag, 7. März 2011

(Diogenes, 218 S., HC)
Der 60-jährige Schriftsteller Francis lebt mit seiner zweiten Frau Judith, einer erfolgreichen Immobilienmaklerin an der Grenze zu Spanien und versucht, irgendwie mit den angehäuften Problemen seines Lebens fertigzuwerden. Natürlich schmerzt ihn noch immer der Verlust seiner ersten Frau Johanna und seiner Tochter Olga, die bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren, aber auch Olgas Schwester Alice, die den Unfall damals überlebt hat, bereitet ihm immer wieder Kummer. Sie heiratete den ständig zugedröhnten Banker Roger, stürzte sich als bekannte Schauspielerin immer wieder in Affären und verschwindet auf einmal spurlos.
Roger, der endlich zur Vernunft gekommen war, nachdem er im Rausch zwei Fingerglieder seiner Tochter zerquetscht hatte, und schlagartig seine Finger von den Drogen ließ, kommt mit den beiden Zwillingen aus Paris zu Besuch; Francis kümmert sich eine Zeitlang um die Zwillinge, versucht aber auch, endlich an einem neuen Roman zu arbeiten. Währenddessen wird ihm bewusst, dass Judith und er sich zunehmend entfremden, und er engagiert den gerade aus dem Knast entlassenen Sohn seiner alten Schulfreundin A.M. , um Judith beschatten zu lassen. Doch der 24-jährige Jérémie kann Francis keine Beweise für Judiths Untreue vorlegen. Francis muss nicht nur tatenlos mit ansehen, wie A.M., die er als Detektivin auf die Suche nach Alice angesetzt hat, rasend schnell vom Krebs zerfressen wird. In dieser Atmosphäre von Misstrauen, Verlustängsten, Tod und Unbestimmtheiten ist es für Francis alles andere als einfach, sich aufs Schreiben zu konzentrieren.
„Viele glaubten, Johannas Tod habe mich am Boden zerstört, und niemand hätte einen Cent auf mein Comeback gesetzt. Gut möglich. Dass ich am Boden zerstört war und mir die Hoffnung, je wieder einen Roman zu schreiben, endgültig abschminken konnte, mochte durchaus zutreffen. Das hätte mich nicht allzu sehr verwundert. Es war aber noch zu früh, um es mit Bestimmtheit zu sagen.
Es gibt nichts Schwierigeres, als einen Roman zu schreiben. Keine menschliche Beschäftigung erfordert so viel Anstrengung, so viel Selbstverleugnung, so viel Widerstandskraft. Kein Maler, kein Musiker kann einem Romanschriftsteller das Wasser reichen. Das ist fast jedem klar.
Ich biss manchmal mitten in einem Satz so fest die Zähne zusammen, dass der ganze Raum zu pfeifen begann. Das war auch Hemingways Erfahrung. Das Gras wurde nicht von selbst grün. Die Landschaft glitt nicht wie durch ein Wunder an der Scheibe vorbei.
Es wäre mir lieber gewesen, mit meiner Tochter wieder eine normale Beziehung zu haben oder meine Eheprobleme mit Judith zu lösen, aber einen Roman zu schreiben war im Moment das Einzige, was mir realisierbar schien. Mit jedem Tag war ich mehr davon überzeugt. Nichts anderes kam für mich in Frage. Ich sah keinen anderen Ausweg. Selbst wenn ich mich nach allen Seiten umschaute, sah ich keine andere Möglichkeit. Ich hatte noch nie ein Buch in einer solchen Verfassung geschrieben.“ (S. 122 f.)
Philippe Djian erweist sich immer wieder als Meister von Erzählungen, in denen es vor allem um die Irrungen und Wirrungen eines Schriftstellers geht. Mittlerweile stehen dabei nicht mehr die erotischen Eskapaden im Mittelpunkt, die Djians frühen Meisterwerke „Betty Blue“, „Rückgrat“ oder „Verraten und verkauft“ geprägt haben; die Empfindungen des in die Jahre gekommenen Autors scheinen reifer geworden zu sein, doch taumelt er immer noch zwischen den verschiedensten, unausgegorenen Empfindungen hin und her. Mit gewohnt eleganter Sprache schildert Djian die Eindrücke, die sein Protagonist aufnimmt, die ihn immer aufs Neue verunsichern, verärgern und verwirren. Und das tut er so lebendig und eindrucksvoll wie selten zuvor in seinen letzten Werken. „Die Leichtfertigen“ ist sicher nicht das große Meisterwerk eines renommierten Schriftstellers, aber herrlich kurzweilig und amüsant zu lesen. Man merkt dem kurzen Roman überhaupt nicht an, dass das Verfassen solche Schwierigkeiten mit sich bringt, von denen Francis im Zitat berichtet, aber darin liegt wohl Djians Meisterschaft – in der Verbindung ungeschönter literarischer Reflexion und psychologisch einfühlsam beschriebener Tragödien, die seine Protagonisten zu bewältigen haben.

Leseprobe: Philippe Djian: „Die Leichtfertigen“