Kathy Reichs (Tempe Brennan: 11) - „Der Tod kommt wie gerufen“

Dienstag, 12. April 2011

(Blessing, 352 S., HC)
Die forensische Anthropologin Temperance Deasee Brennan versucht sich während einer gähnend langweiligen Fakultätssitzung am Campus der Universität von Charlotte, North Carolina, an wenig inspirierten autobiografischen Versuchen, als sie einen wichtigen Anruf von Tim Larabee erhält, den Leichenbeschauer des Mecklenburg County und Direktor der entsprechenden pathologischen Einrichtung in Charlotte. Die Jungs vom Morddezernat haben in einer unterirdischen Kammer Knochenreste gefunden, die in Zusammenhang mit einer rituellen Tötung zu stehen scheinen. Außerdem hat Brennan eine Wasserleiche aus dem Catawba River auf dem Tisch liegen.
Zusammen mit Detective Erskine Slidell vom Morddezernat des Charlotte-Mecklenburg PD versucht sie nicht nur, über die verschiedenen Sekten wie Santería, Voodoo, Wicca und Brujería zu recherchieren, sondern auch die Öffentlichkeit zu beruhigen, die durch die Sensationsberichterstattung in den Medien ziemlich aufgebracht ist. Während ihrer Ermittlungen stoßen sie auf einen Grabraub auf dem Elmwood Friedhof.
„Ich las die Inschrift. Mary Norcott London war 1919 gestorben. Sie war vierundzwanzig. Das Denkmal war von ihrem Ehemann, Edwin Thomas Cansler, errichtet worden. Ich dachte an den Schädel in meinem Labor. Gehörte er wirklich Susan Clover Redmon?
Mary war Edwins Frau gewesen. Sie war so jung gestorben. Was für ein Mensch war Susan gewesen? Was für ein Unglück hatte ihr Leben derart verkürzt? Ihr Glück beendet oder ihr Leiden, ihre Hoffnungen oder Ängste?
Hatten trauernde Eltern Susans Sarg voller Liebe ihrem Grab übergeben? Dachten sie an ein Mädchen, das Malbücher mit Buntstiften ausfüllte, das mit seinem brandneuen Schulranzen in den Bus stieg? Hatten sie geweint, voller Kummer darüber, dass das Versprechen ihrer Zukunft nie in Erfüllung gehen würde? Oder war es ein Ehemann gewesen, der ihren Tod betrauert hatte? Geschwister?“ (S. 180 f.)
Die Suche nach den Tätern gestaltet sich in der Stimmung verbreiteter Angst vor dem Treiben unbekannter Sekten schwieriger als erwartet. Doch ausgerechnet das T-Shirt ihres Ex- oder Noch-Geliebten Ryan bringt Tempe auf die richtige Spur …
Kathy Reichs weiß als Professorin für Soziologie und Anthropologie, die auch als forensische Anthropologin arbeitet, worüber sie schreibt. Allerdings lässt sie auch kaum eine Möglichkeit aus, ihre Leserschaft mit ihrem Wissen zu beeindrucken. Im Gegensatz zu vielen ihrer Kolleginnen wie Tess Gerritsen oder Patricia Cornwell folgt Reichs nicht straff den Konventionen des Genres, sondern unterbricht den Handlungsverlauf und so auch den Spannungsaufbau immer wieder mit seitenlangen Ausführungen über die theoretischen Grundlagen ihres Fachgebiets oder – wie in ihrem elften Fall - auch über Charlottes Geschichte und die verschiedenen synkretischen Religionen unterbricht. Das ist auf der einen Seite natürlich sehr lehrreich, oft aber auch übertrieben ausführlich und so spannungshemmend. Wie Tempe zum Schluss den Fall löst, ist zwar spektakulär, aber auch ziemlich konstruiert.
Lesen Sie im Buch: „Der Tod kommt wie gerufen“

Jeffery Deaver - „Nachtschrei“

Freitag, 8. April 2011

(Blanvalet, 509 S., Tb.)
Die 34-jährige Anwältin Emma Feldman und ihr zwei Jahre ältere Mann, der bei der Stadt angestellte Sozialarbeiter Steven, machen es sich gerade mit ein paar Martinis in ihrem abgelegenen Haus am Lake Mondac gemütlich, als sie von zwei Männern überfallen werden. Steven kann gerade noch den Notruf betätigen und „Dies …“ sagen, dann ist die Leitung tot.
Tom Dahl, Sheriff in Kennesha County, Wisconsin, schickt die Polizistin Brynn McKenzie zur Überprüfung und entdeckt das erschossene Ehepaar und einen Wagen mit zerschossenen Reifen. Allerdings haben die beiden Gangster offensichtlich nicht mit Michelle gerechnet, Emmas Freundin aus Chicago, die übers Wochenende zu Besuch da war und einen der Männer mit einem Schuss in den Arm überraschen konnte, bevor sie selbst in den Wald fliehen konnte. Doch auch Brynn wird von den Männern überrascht und kann sich gerade noch aus ihrem im See versenkten Auto in den Wald retten. Als sich die beiden Frauen finden, müssen sie sich schnell einen Plan überlegen, wie sie ihren Häschern entkommen können. Denn Hart und Lewis geben erst Ruhe, wenn sie ihre Zeugeninnen beseitigt haben …
„Nein, Hart hatte nie vorgehabt, in die Stadt zurückzukehren, ohne vorher diese beiden Frauen auszuschalten, auch wenn es die ganze Nacht dauern sollte. Und notfalls auch noch den ganzen nächsten Tag, obwohl es in dieser Gegend dann von Cops und Sanitätern nur so wimmeln würde.
Ja, er wollte Michelle tot sehen, aber sie besaß eine niedrigere Priorität als die Polizistin. Das war die Person, die er auf jeden Fall umbringen musste. Sie stellte eine echte Bedrohung dar. Hart konnte sie nicht vergessen. Wie sie neben ihrem Wagen stand. Einfach dastand und auf ihn wartete. Ihr Gesichtsausdruck, der plötzlich zu besagen schien: Ich hab dich, was eventuell nur seine Einbildung gewesen war, wenngleich er das bezweifelte. Wie eine Jägerin, die genau den richtigen Moment für den Blattschuss abpasst. Wie Hart selbst.“ (S. 100)
Doch während der Jagd auf die beiden Frauen durchkämmt auch die Polizei und Brynns Mann Graham den Wald. Während der Katz-und-Maus-Jagd müssen die Beteiligten allerdings auch feststellen, dass die Motive und Identitäten längst nicht so klar sind, wie zunächst angenommen …
Jenseits seiner populären Reihe um den querschnittsgelähmten Ermittler Lincoln Rhyme hat Bestseller-Autor Jeffery Deaver mit „Nachtschrei“ einen packenden Thriller geschrieben, der seine Spannung nur zum Teil aus den verzweifelten Rettungsversuchen der beiden Frauen vor ihren vermeintlichen Attentätern bezieht. So richtig verwirrend wird es nämlich erst, als das Motiv für die Morde an den Feldmans untersucht wird. Hier spielt Deaver geschickt mit den Erwartungen seiner Leser und den Konventionen des Genres. Etliche Wendungen zum Schluss hin sorgen hier für ein turbulentes, filmreifes Finale.

Mittwoch, 30. März 2011

(Heyne, 528 S., Tb.)
Im Boston des Jahres 1962 stehen die Zeichen auf Neuanfang. Große Investitionen sollen getätigt werden, um das heruntergekommene West End zu sanieren und die Weichen für das „Neue Boston“ zu stellen, das sich gern als Zentrum für Manager, Forscher und Intellektuelle etablieren möchte. Doch nach dem Attentat auf John F. Kennedy geht die Angst auch in Boston um. Dreizehn zu Tode strangulierte, teilweise vergewaltigte und verstümmelte Frauen werden dem sogenannten „Boston Strangler“ zugeschrieben, den das Boston Police Department einfach nicht stoppen zu können scheint.
Deshalb setzt Generalstaatsanwalt Alvan Byron ein All-Star-Team ein, dem auch der Staatsanwalt Michael Daley aus dem Amt für Enteignung und Gemeinwohl angehören soll. Noch ahnt er nicht, dass auch seine Brüder mit dem Fall verbunden sind. Der Polizist Joe Daley ist gerade erst einem Fernsehbericht zum Opfer gefallen, als er bei einer Reportage über illegale Wetten dabei zu sehen ist, wie er aus einem der illegalen Wettannahmestellen herauskommt, und Ricky Daley ist mit der „Observer“-Reporterin Amy Ryan liiert, die mit ihrer Kollegin auf die Story des Würgers von Boston angesetzt wird.
„Sie spürte, dass die Stimmung in der Stadt mit ihrer Würger-Hysterie und der ganzen selbstsüchtigen, instinktiven Angst, die alle erfasst hatte, auch etwas Erhellendes hatte. Was hier in Boston passierte, war wie eine Offenbarung: Der Würger hatte allen klargemacht, dass es inmitten der Herde keine Sicherheit gab. Jeder einzelne war verwundbar. Der Tod konnte einen wie ein Blitz aus heiterem Himmel treffen, genauso wie die Kugel von Lee Harvey Oswald.“ (S. 75)
Schon bei ihren ersten Recherchen wird Amy klar, dass in den Ermittlungen gravierende Fehler begangen wurden. Auffällig ist vor allem der Umstand, dass die Morde nicht nur einem Muster folgen, doch die Polizei ist stets von nur einem Täter ausgegangen.
Doch die Würger-Morde bilden nur den roten Faden in „Strangler“. Viel intensiver wird die Familiengeschichte der Daleys aufgearbeitet, die zunächst nur den Tod des Vaters zu betrauern hat, doch in den Wirren der Kämpfe zwischen Polizei, Stadtplanern und organisiertem Verbrechen haben die Daleys bald weitere Opfer zu beklagen. William Landay wählt die damals sensationslüstern von der Presse ausgeschlachteten „Boston Strangler“-Morde als Aufhänger für ein ausgefeiltes gesellschaftliches Portrait, in dem eine Polizistenfamilie nicht immer allein auf der Seite der Guten steht.   
Landay nimmt sich viel Zeit, seine Figuren zu portraitieren, ihre Gewissensbisse, finanziellen Sorgen, persönlichen Ängste und Verquickungen mit Familienangehörigen, Freunden, - teilweise verhassten –Kollegen und Partnern zu schildern. Herausgekommen ist dabei kein konventioneller Serienmörder-Thriller à la James Patterson, Kathy Reichs, Patricia Cornwell oder Cody McFadyen, sondern eine atmosphärisch dichte Familiengeschichte, in der alle Beteiligten für ihre moralischen Verfehlungen einen hohen Preis zahlen müssen.

 

 

William Landay - „Jagdrevier“

Donnerstag, 24. März 2011

(Heyne, 526 S., Tb.)
Bei einer Drogenrazzia im Bostoner Viertel Mission Flats unter der Leitung der beiden Polizisten Artie Trudell und Julio Vega im Jahre 1987 soll ein Versteck der berüchtigten Gang Mission Posse ausgehoben werden, doch bei der Aktion wird Trudell tödlich verletzt. Zehn Jahre später entdeckt Benjamin Truman, Polizeichef im beschaulichen Versailles, Maine, bei einer Routinestreife am Lake Mattaquisett in einer Hütte die Leiche des Bostoner Staatsanwalts Robert M. Danziger.
Das FBI hat sofort Harold Braxton im Visier, den Anführer der Mission Posse, der auch für den Mord an Trudell verantwortlich gemacht wird. Truman, der noch nie mit einem Mord zu tun hatte, ist fasziniert von dem Fall und macht sich mit dem pensionierten Detective John Kelly auf den Weg nach Boston, um dort auf eigene Faust zu ermitteln. Truman lernt nicht nur Kellys attraktive Tochter Caroline kennen, die als Bezirksstaatsanwältin in Boston arbeitet, sondern auch Detective Martin Gittens, der über gute Kontakte im Viertel verfügt. Wie Truman den Akten in Danzigers Büro entnehmen kann, wollte dieser den Fall Trudell wieder aufrollen, wobei ein Informant namens „Raul“ eine Rolle spielt.
„Der Fall Trudell mit all seinen verborgenen Taten und geheimen Motiven lag klar vor mir. Ich wusste, dass Raul nicht existierte – zumindest nicht der Raul, von dem im Durchsuchungsbeschluss die Rede war. Detective Julio Vega hatte Raul mit besten Absichten erfunden und benutzte ihn, um sich von Richtern Durchsuchungsbeschlüsse zu beschaffen.
Die Gerichte hatten von Vega Besseres verlangt als die Junkies und Spitzel, die ihn mit Informationen von der Straße fütterten. Also hatte Vega den Informanten erfunden, der alle Informanten überflüssig machte, ein Orakel der Straße, dessen Glaubwürdigkeit es nur im Traum eines Richters geben konnte. Und dann geriet alles außer Kontrolle. Mit einem Schuss hatte Braxton nicht nur Vegas Partner ermordet, sondern auch den ganzen Schwindel entlarvt. Er verwandelte einen erschwindelten Routine-Durchsuchungsbeschluss in einen Prozess. Und er verwandelte Julio Vega von einem unscheinbaren, gewöhnlichen Polizisten in einen stümpernden, lügenden Schurken, dessen Gesicht die Titelseite von USA Today zierte. So kam Harold Braxton mit dem Mord an Artie Trudell davon.“ (S. 225f.)
Doch so einfach liegt der Fall dann doch nicht, wie Truman bald feststellen muss. Auf der Suche nach dem geheimnisvollen Informanten stößt der Polizeichef aus Maine auf immer neue Aussagen und Indizien, bis er sogar selbst ins Visier der Ermittlungen gerät.
William Landay hat mit seinem Debüt einen atmosphärisch dichten Roman in bester Südstaaten-Thriller-Tradition eines Dennis Lehane und John Grisham geschaffen. So wie der Icherzähler Truman mit seinen Ermittlungen stets neue Richtungen einschlägt und bald nicht mehr sagen kann, wem er noch vertrauen kann, wird auch der Leser beständig an der Nase herumgeführt. Bis zur überraschenden Auflösung des Ganzen schildert Landay mit viel Liebe zum Detail und hervorragenden Figurenschilderungen die eigenwillige Bande zwischen Polizisten, Staatsanwälten, Dealern und Informanten, aber mehr als eine Ahnung, wie die Zusammenhänge tatsächlich aussehen, bekommt der Leser über lange Zeit nicht vermittelt. Genau das macht „Jagdrevier“ so unglaublich spannend.

Christine Klell & Reinhard Deutsch - „Dracula – Mythen und Wahrheiten“

Mittwoch, 23. März 2011

(Styria, 290 S., HC)
Bram Stokers 1897 veröffentlichter Roman „Dracula“ zählt nicht von ungefähr zu den meistverfilmten Werken der Literaturgeschichte. Die mit dem Vampirmythos verbundene Aussicht auf Unsterblichkeit und erotische Anziehungskraft, aber auch die Furcht davor, gegen den eigenen Willen zu unnatürlichen Handlungen gezwungen zu werden, bringt immer neue Erzählungen hervor, die in Büchern, Comics und Filmen um die Gunst des Publikums wetteifern. Der Autor, Dramaturg, Regisseur, Ausstellungsleiter, Theaterintendant und Verlagslektor Reinhard Deutsch ist dem anhaltenden Interesse am Vampir-Mythos, der zuletzt durch Stephenie Meyers „Bis(s)“-Roman-Reihe und deren Verfilmung gerade jüngere Interessenten gewonnen hat, mit dem sehr unterhaltsamen Kompendium „Dracula – Mythen und Wahrheiten“ auf den Grund gegangen.
„Der Vampir hat eine steile Karriere gemacht. Seit der Antike taucht er immer wieder aus dem Dunkel der Mythen auf, führt Jahrhunderte lang ein zurückgezogenes Dasein in den Schluchten der Karpaten mit gelegentlichen Ausflügen in die Metropolen Europas. Allmählich breiten sich das Wissen um ihn, die Furcht vor ihm, vor allem aber: die Faszination! aus, erobern geduldig die Hirne und Herzen der Menschen, nisten sich ein in Sehnsüchten und Alpträumen … Romanautoren und Maler geben dem Vampir Gesicht und Kontur, verfeinern seine Eigenschaften, steigern die Erwartung, ihm zu begegnen. Zur Erfahrung der Welt durch Reisen, durch Berichte, durch neue Medien kommt die Sehnsucht nach Schrecken. Es ist der Versuch, das Fremde, das man nicht versteht, in eine Form zu gießen.“ (S. 6)
Natürlich geht Deutsch auf Spurensuche, beschreibt das Wesen der Vampire in den unterschiedlichsten Regionen und deren Mythen über die furchterregenden und faszinierenden Blutsauger, die ihren Opfern das ewige Leben versprechen. Der historische Teil wartet nicht nur mit einer Rekapitulation auf, wie der Vampir-Stoff durch William Polidori, Bram Stoker und Sheridan Le Fanu popularisiert wurde, er enthält auch Original-Auszüge aus den jeweiligen Texten, dazu passende Gedichte von Goethe und Baudelaire. Was das Buch aber von den unzähligen anderen Veröffentlichungen zum Thema abhebt, ist zum einen der sehr aktuelle Bezug, bei dem die jüngsten Vampir-TV-Serien ebenso wenig fehlen dürfen wie eine Auflistung relevanter Romane, Comics, Filme, Portraits bekannter „Dracula“-Darsteller Bela Lugosi und Christopher Lee, zum anderen die sehr schöne, liebevolle grafische Aufmachung, für die die Grafikdesignerin Christine Klell verantwortlich zeichnet. Dass das ganze Thema nicht so tierisch ernst angegangen wird, dafür sorgen Vampir-Cocktail-Rezepte, Origami-Bastelanleitungen, ein Wochen-Horoskop und Auszüge aus einem Schulbuch für kleine Vampire.
Eine ausführliche Bibliografie und Filmografie runden das hochwertig gestaltete „Handbuch der Vampire“ gelungen ab. Einen Einblick in die schöne Ausstattung gibt es bei Vampirhandbuch.at.

Michael Connelly - (Jack McEvoy: 2) „Sein letzter Auftrag“

Montag, 21. März 2011

(Heyne, 495 S., HC)
Vor zwölf Jahren erlebte der Journalist Jack McEvoy den Höhepunkt seiner beruflichen Karriere, als er in der Rocky Mountain News den Killer überführte, den man den „Poeten“ nannte, und ein erfolgreiches Buch dazu veröffentlichte. Doch nun nähert sich seine Karriere dem Ende, als er im Zuge der bei Printmedien umgreifenden Kündigungswelle bei der L.A. Times entlassen wird.
Jack darf weitere zwei Wochen in der Redaktion verweilen, wenn er sich bereiterklärt, seine Nachfolgerin einzuarbeiten, die frisch von der Uni kommende, mit allen Wassern für den Medienmarkt der Zukunft gerüstete Angela Cook. Doch bevor der über Vierzigjährige die Segel streicht, will er noch eine große Story schreiben. Die Verhaftung des 16-jährigen Schwarzen Alonzo Winslow kommt dem ausgemusterten Polizeireporter gerade recht. Nachdem die nackte und mehrfach geschändete Leiche der 23-jährigen Striptease-Tänzerin Denise Babbit im Kofferraum ihres Mazda Millenia aufgefunden wurde, fand die Polizei im Wagen den Fingerabdruck des Verdächtigen, der in der Haft offensichtlich ein vollständiges Geständnis abgelegt hat und nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden soll. Jack kontaktiert zunächst die Großmutter des Angeklagten, die fest von der Unschuld ihres Enkels überzeugt ist, dann dessen Pflichtverteidiger, der Jack mit den wichtigsten Unterlagen versorgt. Dem über 900 Seiten umfassenden Protokoll des Geständnisses kann McEvoy allerdings entnehmen, dass Alonzo mit keinem Wort den Mord gestanden hat, sondern nur die Tatsache, dass er in dem Auto umherfuhr und dann die Leiche im Kofferraum entdeckte.
Als der Reporter auf einen ganz ähnlichen Fall in Las Vegas stößt, ist er überzeugt, dass in beiden Fällen die Falschen im Gefängnis sitzen.
„Im investigativen Journalismus mochte es vielleicht das Höchste sein, einen Präsidenten zu Fall zu bringen, aber was die Niederungen schnöder Kriminalität anging, war es auch nicht gerade das Schlechteste, wenn man den Nachweis erbringen konnte, dass ein vermeintlich Schuldiger unschuldig war… Einen unschuldigen Jungen freizubekommen, war schwer zu toppen. Mochte Alonzo Winslow offiziell auch noch nicht schuldiggesprochen worden sein, war er in den Medien längst verurteilt worden.
Ich war Teil dieser Lynchjustiz gewesen und sah jetzt, dass ich eine Chance bekommen hatte, alles wiedergutzumachen. Vielleicht gelang es mir, ihn zu retten.“ (S. 129)
Allerdings beginnt Angela Cook, die Story an sich zu reißen und macht durch ihre Recherche den mit allen Wassern gewaschenen Täter auf sich aufmerksam und bringt sich selbst in Gefahr ...
Auch wenn es sich bei „Sein letzter Auftrag“ nicht um einen Roman aus Connellys bekannter Harry-Bosch-Reihe handelt, hat der amerikanische Bestseller-Autor mit Jack McEvoy doch eine Figur in den Mittelpunkt seines neuen Thrillers gestellt, der Boschs Wege bereits in „Der Poet“ gekreuzt hat. In der Kombination zwischen einem routinierten Journalisten auf dem Abstellgleis und einer ebenso gescholtenen FBI-Agentin hat Connelly ein Dream Team geschaffen, von dem in Zukunft hoffentlich mehr zu lesen sein wird. Die Recherche-Qualitäten des einen und die Ermittler-Fähigkeiten der anderen bringen schließlich einen überaus raffinierten wie brutalen Killer zur Strecke. Neben den für Thriller üblichen Einblicken in die Vorgehensweisen von Polizei und FBI erhält der Leser hier auch einen gelungen beschriebenen Eindruck vom Alltag in einer großen Tageszeitungsredaktion. Sympathische Helden, ein geschickt konstruierter Plot und ein packendes, wendungsreiches Finale sorgen für Thriller-Unterhaltung erster Klasse!
Leseprobe „Sein letzter Auftrag“

Simon Beckett - „Tiere“

Mittwoch, 16. März 2011

(Rowohlt, 284 S., Tb.)
Nach dem Tod seiner Eltern lebt der geistig etwas minderbemittelte Nigel allein in dem einst von den Eltern geführten, nun längst nicht mehr betriebenen Pub, arbeitet in einem Büro und liest in seiner Freizeit Comics und sieht sich mit Vorliebe Zeichentrickfilme an. Niemand würde ahnen, dass der junge Mann im Keller Menschen in Käfigen gefangen und sie mit Hundefutter und Wasser am Leben hält.
Darüber hinaus erfährt Nigel wenig Aufregendes in seinem Leben. Allein die Bekanntschaft mit seinen Kolleginnen Cheryl und Karen bedeutet etwas Abwechslung in seinem tristen Dasein, und entsprechend aufgeregt ist er, als sie für den Sonntag ihren Besuch ankündigen. Ansonsten hängt Nigel seinen Erinnerungen an seine Eltern nach.
„Als ich aufwachte, war ich total trübsinnig. Ich mag Sonntage nicht. Selbst im Fernsehen ist bis zum Nachmittag nicht viel los. Als Kind war es noch schlimmer, denn meine Mama wollte abends, bevor der Pub aufmachte, unbedingt die ganzen religiösen Sendungen sehen. Sie ging zwar nie zur Kirche oder so, aber sie war trotzdem religiös. Ganz egal, welche Sendungen auf den anderen Programmen liefen, meine Mama musste immer Lobgesänge oder so was gucken. Ich war jedes Mal froh, wenn es halb acht wurde und sie runterging, um meinem Papa hinter der Theke zu helfen.
Dieser Sonntag war nicht so schlimm, denn am nächsten Tag war Feiertag, und Cheryl und Karen wollten ja kommen. Wenn ich an Besuch dachte, wurde ich ganz aufgeregt, es reichte aber nicht, um meine Sonntagslaune aufzuheitern. Noch dazu war es draußen bewölkt.
Beim Frühstück in der Küche las ich meinen Spiderman-Comic zu Ende. Nicht mal der war besonders spannend …“ (S. 102)
Das trifft leider auch auf Simon Becketts zweiten Roman „Tiere“ zu, der 1995 in Becketts englischer Heimat erschien und im Zuge des Erfolges seiner Reihe um den forensischen Anthropologen Dr. David Hunter („Die Chemie des Todes“, „Kalte Asche“, „Leichenblässe“ und „Verwesung“) nun auch erstmals in deutscher Sprache erhältlich ist. Mit dem Schachzug, die Geschichte aus der Ich-Perspektive des geistig gehandicapten Nigel erzählen zu lassen, sollen Sympathien für den von allen Seiten gemiedenen Außenseiter geweckt werden, doch die will sich partout nicht einstellen. Abgesehen davon, dass seine Motivation, Menschen wie Tiere einzupferchen und zu füttern, nie überzeugend vermittelt werden kann, entwickelt die Geschichte kein Potenzial, weder so etwas wie Spannung, noch eine Entwicklung seines Antihelden zu präsentieren. Statt auf eine Wendung oder einen irgendwie gearteten Höhepunkt zuzusteuern, ergießt sich der Ich-Erzähler in wenig aufregenden Erinnerungen an eine bewegtere Zeit, als der Pub noch Gäste bediente, und lapidaren Beschreibungen der langweiligen Dinge, die mittlerweile seinen Alltag prägen.
Langweiliger und unspektakulärer geht es nicht, und die Möchtegern-Sprache des präsentierten Dummkopfes verleidet einem den letzten Rest eines rudimentären Lesevergnügens.
 Leseprobe “Tiere”