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David Guterson – „Zwischen Menschen“

Montag, 9. Juni 2014

(Hoffmann und Campe, 208 S., HC)
Bereits in seinem gleich zum internationalen Bestseller avancierten und erfolgreich verfilmten Romandebüt „Schnee, der auf Zedern fällt“ hat der in Seattle lebende Schriftsteller David Guterson seine Fähigkeit demonstriert, die Psychologie zwischenmenschlicher Beziehungen auszuloten. Diese Stärke kommt auch in seinem neuen Erzählungsband „Zwischen Menschen“ zum Tragen, in dem Guterson sechs bereist in verschiedenen Zeitungen erschienene und vier bislang unveröffentlichte Geschichten zusammenfasst, in denen es jeweils um ganz konkrete menschliche Schicksale und ihre Beziehungen zu ihrer menschlichen Umwelt geht.
So macht sich in der Eröffnungsgeschichte „Mieterin“ ein Wohnungsbesitzer Gedanken über die neue Mieterin, Lydia Williams mit Namen und wegen ihrer Referenzen und des herausragenden Bonitätsratings erste Wahl des Maklers. Für den Vermieter ist Lydia Williams eine „geheimnisvolle Nichtexistenz, bislang ungreifbar, weil er sie noch nie gesehen hatte, aber Garantin, so hoffte er, beständiger Mieteinnahmen“. Er beginnt, diese Nichtexistenz mit Vorstellungen zu füllen, doch das fällt ihm so schwer, dass er sich dazu entschließt, per Email Kontakt zu ihr aufzunehmen und sie schließlich unter dem Vorwand, ein Ventil überprüfen zu wollen, in ihrer Wohnung zu besuchen. Das Zusammentreffen desillusioniert den Mann, schließlich stammen er und sie aus unterschiedlichen Generationen und Kulturen.
Diese Unterschiede zwischen den Menschen prägen auch die folgenden Geschichten. In „Paradise“ treffen sich zwei Menschen, die sich über Match.com kennengelernt haben, eine Soziologin, die an der Seattle University über soziale Netzwerke forscht, und ein Handelsrechtler, der auf Wertpapierbetrug spezialisiert ist. Doch nach einigen Dates wird sie immer noch von Erinnerungen an ihren Exfreund Clifton heimgesucht, der auf tragische Weise ums Leben kam.
In „Still“ bietet sich eine junge Frau namens Vivian Lee dem alternden Lou Calhoun als Hundesitterin an und übernimmt auch bald einige Besorgungen für ihn, bis er in ein Hospiz muss, während „Foto“ die Geschichte des Ehepaars Hutchinson erzählt, das ihren Sohn an Bord der „Fearless“ verloren hat und nun Besuch vom Kapitän des Schiffes bekommt, der den Hutchinsons die näheren Umstände des Unglücks erzählt.
Schließlich spielt „Krasawize“ in Berlin und handelt von einem alten Mann, der ein Dreivierteljahrhundert nach seiner Geburt als jüdisches Kind mit seinem Sohn nach Berlin zurückkehrt und sich dort von der hübschen Erika Wolf die Sehenswürdigkeiten zeigen lässt.
David Guterson begleitet in seinen zehn Geschichten seine meist älteren Protagonisten, die bereits einiges erlebt, oft schon persönlich mit dem Tod zu tun gehabt und ihre ganz eigene Sicht auf die Welt haben, in ganz konkreten Situationen, in denen Erfahrungen, Vorurteile und Missverständnisse die geschilderten Ereignisse prägen und selten ein versöhnliches Ende nehmen. Guterson schlägt dabei einen lakonischen, oft melancholischen Ton an, der im Gegensatz zu der distanzierten Sachlichkeit steht, mit dem der Autor seinen Figuren über die Schulter blickt. Für Guterson-Fans und Freunde der gepflegten amerikanischen Short Story ist „Zwischen Menschen“ ein Muss!
Leseprobe David Guterson – „Zwischen Menschen“

David Guterson – „Der Andere“

Freitag, 23. Mai 2014

(Hoffmann und Campe, 352 S., HC)
Der 16-jährige Neil Countryman aus Seattle besucht 1972 die Roosevelt Highschool im Norden der Stadt und hat sich in der Nische der 800-Meter-Läufer eingerichtet, wo man weder schnell sein noch die Ausdauer eines Langstreckenläufers besitzen muss. Bei einem Wettkampf gegen die Eliteschule Lakeside lernt er John William Barry kennen und freundet sich mit ihm an. Obwohl sie aus verschiedenen Welten stammen, entdecken sie schnell Gemeinsamkeiten. Sie fischen Münzen aus dem Brunnenam Pacific Science Center, rauchen Dope und wandern in die Berge, wobei sie über Literatur und Philosophie diskutieren.
Aus diesen oft mehrtägigen Exkursionen wird bald mehr, zumindest für John. Während Neil als junger Erwachsener eine Karriere als Englischlehrer verfolgt und eine Familie gründet, wendet sich John von der Welt ab und zieht ins Tal des South Fork Hoh, wo er sich eine Höhle einrichtet und wie ein Eremit zu leben beginnt. Neil Countryman besucht ihn regelmäßig, versorgt seinen Freund mit Konserven und Toilettenpapier.
„In meiner Erinnerung sehe ich John William in seinem Gartenstuhl sitzen, barfuß, mit Bart, die Haare im Gesicht und vorsichtig neues Feuerholz nachlegend. Und ich erinnere mich, dass wir unsere Joints in eine Haarnadel klemmten, die ein früherer Bewohner dieser modrigen Bruchbude im Teppichflor verloren und die John William gefunden und aufbewahrt hatte. Ein College-Student, der aussteigt und barfuß in einem Wohnmobil lebt, ein vom Schicksal Begünstigter, der die Einfachheit sucht.“ (S. 154 f.) 
David Guterson, der gleich mit seinem erfolgreich verfilmten Debütroman „Schnee, der auf Zedern fällt“ international berühmt wurde, schildert in seinem neuen Roman die außergewöhnliche Freundschaft zwischen zwei ganz unterschiedlichen jungen Männern, die nicht nur aus verschiedenen Gesellschaftsschichten stammen, sondern auch ihre eigenen Lebensentwürfe verfolgen, die recht wenig gemein haben. Aber wie Guterson seinen Ich-Erzähler Neil einmal sagen lässt: „In einer Freundschaft ändert man weniger eigenständig die Bedingungen, als dass man dabei zusieht, wie die Bedingungen sich ändern.“
„Der Andere“ liest sich deshalb so faszinierend, weil die Freundschaft unter diesen starken Veränderungen, die die Männer durchleben, so unerschütterlich bleibt und bis zum Schluss immer neue Facetten der Persönlichkeiten hervorbringt. Vor allem der lange Monolog von Johns Vater zum Ende hin bringt noch einmal richtig Farbe in das zurückliegende Leben des letztlich berühmten „Einsiedlers von Hoh“. Dazu gibt es etliche literarische Exkurse und Einblicke in die Lehren der Gnosis, selbst ein kriminalistisches Element fehlt nicht, als es um die Frage geht, ob Neil Countryman den Tod seines Blutsbruders mit zu verantworten hat.

Chase Novak – “Breed”

Freitag, 15. März 2013

(Hoffmann und Campe, 350 S., HC)
Für die Kinderbuchlektorin Leslie Kramer geht ein Wunsch in Erfüllung, als sie nicht mehr nur täglich auf dem Weg zu ihrem Verlag an dem wunderschönen Stadthaus in der altehrwürdigen New Yorker East Sixty-Ninth Street vorbeiläuft und immer mal wieder bewundernd davor stehenbleibt, sondern eines Tages unverhofft von seinem Besitzer eingeladen wird, das Haus von innen zu besichtigen. Fünf Monate später waren Leslie und der wohlhabende Anwalt Alex Twisden verheiratet.
Zu ihrem gemeinsamen Glück fehlt nur noch ein Kind. Doch alle Versuche, die mit Alex‘ Geld zu finanzieren waren, haben noch nichts bewirken können, weder Akupunktur, noch Kräutermedizin oder Hypnose. Doch dann erfahren sie durch ein befreundetes Paar aus der Selbsthilfegruppe, das nach elf Jahren endlich Kinderfreuden entgegensieht, von einem Arzt in Ljubljana, der als Fruchtbarkeitsspezialist eine ungewöhnlich hohe Erfolgsrate aufweisen kann. Es soll ihr letzter Versuch sein, also fliegen Alex und Leslie nach Slowenien, lassen sich jeder von Dr. Kiš eine schmerzhafte Spritze geben und haben wie erhofft Erfolg. Dass mit der Schwangerschaft einige unschöne Begleiterscheinungen auftreten, nimmt das überglückliche Paar zunächst hin, doch die Veränderungen, die mit den jungen Eltern nach der Entbindung der Zwillinge Adam und Alice einhergehen, führen zu katastrophalen Familienverhältnissen. Die Kinder werden nachts zu ihrem eigenen Schutz in den Keller gesperrt, irgendwann gelingt ihnen die Flucht.
„Wie alle jungen Säugetiere sind sie genetisch geprägt, ihren Eltern zu vertrauen und zu glauben, dass die Wesen, die sie auf die Welt gebracht haben, ihre Zuflucht in einer herzlosen Welt darstellen. Das ist in ihrem Gehirn, es ist in ihrem Rückenmark; es ist ihre grundlegende und notwendige Veranlagung zu glauben, dass Mutter und Vater da sind, um sie zu beschützen, und an diesem Instinkt halten sie fest, egal wie zwingend der Beweis fürs Gegenteil auch sein mag. Selbst jetzt, als sie diese Illusion aufgeben und um ihr Leben laufen, überschattet Zweifel jede ihrer Bewegungen, da sie auf eine Realität reagieren, die eigentlich unvorstellbar ist, eine Wahrheit, die sich ständig wie eine Lüge anfühlt, geschaffen von ihren eigenen Schwächen oder von ihrer fiebrigen Phantasie.“ (S. 245) 
Wie schwer es ist, Erwachsenen zu vermitteln, dass den Kindern großes Leid droht, müssen die Zwillinge auf ihrer Flucht vor ihren immer mehr verwahrlosten Eltern am eigenen Leib erfahren.

„Ein jeglicher fürchte seine Mutter und seinen Vater.“ Der amerikanische Schriftsteller Scott Spencer, der „Breed“ erstmals unter seinem Pseudonym Chase Novak veröffentlicht, hat dieses Zitat aus 3. Mose 19,3 nicht nur seinem Roman vorangestellt, sondern es als Ausgangspunkt für seine zutiefst beängstigende Geschichte genommen. Sind es in der Horrorliteratur und Filmgeschichte („The Omen“, „Orphan - Das Waisenkind“) sonst die Kinder gewesen, die das Grauen in den Alltag der Eltern bringen, kehrt Novak das Szenario einfach um und kreiert eine Gruselgeschichte, die einen nicht mehr loslässt. Es ist die Hilflosigkeit junger Menschen gegenüber ihren übermächtigen Schöpfern, die das Geschehen so grausam erscheinen lassen. Dabei lässt der Autor die Eltern nicht mal als klassische Bösewichte erscheinen, sondern als ihrerseits Betrogene, die ihren Kinderwunsch mehr als teuer bezahlen müssen. Man darf sehr gespannt sein, was Novak als nächstes für eine „Gute Nacht“-Geschichte aus seinem Giftschrank zaubert!

David Ballantyne – “Sydney Bridge Upside Down”

Mittwoch, 5. September 2012

(Hoffmann und Campe, 335 S., HC)
Der dreizehnjährige Harry lebt mit seinem Vater und seinem jüngeren Bruder Cal in dem neuseeländischen Kaff Calliope Bay und wartet darauf, dass seine Mutter, die über den Sommer in die Stadt gezogen ist, zurückkommt. In der Zwischenzeit erwartet er mit Spannung die Ankunft seiner älteren Cousine Caroline. Mit ihr, Cal und dem Nachbarsjungen Dibs erkundet Harry die steile Küste und die Ruine der alten Fleischfabrik.
Besondere Freude bereitet ihm aber das morgendliche, nackte Toben durch das Haus, und Harry beginnt, Caroline vor jeder potentiellen Gefahr zu beschützen, besonders vor dem aufdringlichen Mr. Wiggins. Auch die gelegentlichen Küsse mit spitzen Lippen gefallen dem Jungen. Doch nach und nach scheint Caroline das Interesse an Harry zu verlieren und sich mit älteren Jungs anzufreunden. In dieser Hinsicht nimmt der Ausflug zur Kirmes eine besondere Bedeutung ein.
„In den letzten Tagen, seit einer Woche etwa, hatte ich mir um Caroline einige Sorgen gemacht. Sie war unglücklich, das war nicht zu übersehen, es war nur eine Frage der Zeit, bis sie sagen würde, dass sie Calliope Bay satthatte und nach Hause wollte. Ich hatte lange darüber nachgedacht und war mir inzwischen ziemlich sicher, dass dieses traurige Schweigen unmittelbar nach der Kirmes angefangen hatte. Was ist nur auf der Kirmes passiert, fragte ich mich, dass sie so traurig ist? Der Ausflug hätte sie fröhlich machen sollen! Sie war ganz anders als vorher. Noch bevor ich morgens mit meinem Training anfing, spürte ich, dass sie auf unser altes Spiel keine Lust mehr hatte, mit dem Fangen war es endgültig vorbei. Ich wusste auch nicht mehr so recht, wie ich mich bei dem Spiel verhalten sollte, ich trauerte ihm deshalb nicht nach, aber wenn Caroline gewollt hätte, hätte ich natürlich weiter mitgemacht. Doch seit der Kirmes hatte sie kein Wort mehr darüber verloren, und sie hatte mich auch kein einziges Mal geküsst.“ (S. 235f.) 
Weit beunruhigender sind allerdings die Unglücksfälle, die in dem kleinen Küstenort für Aufsehen sorgen …
David Ballantyne (1924-1986) zählt zu den bekanntesten Schriftstellern Neuseelands und hat mit seinem fünften Roman „Sydney Bridge Upside Down“ (was der Name eines Pferdes ist, das in dem Roman zwar keine tragende Rolle spielt, aber immer mal wieder auftaucht) eine einfühlsam geschriebene Geschichte über einen Jungen vorgelegt, der die Schwelle zum Erwachsenwerden betritt. Vor allem die Gedanken, Sorgen, Glücksmomente und Unsicherheiten im Zusammenhang mit Harrys hübscher Cousine zählen zu den Stärken des Romans, der nicht nur ein Portrait über einen pubertierenden Jungen darstellt, sondern ebenso ein Familiendrama und Gesellschaftsstudie mit tragischem Ausgang.
Leseprobe David Ballantyne - “Sydney Bridge Upside Down”

David Guterson – „Ed King“

Sonntag, 25. März 2012

(Hoffmann und Campe, 383 S., HC)
Nachdem seine Frau Lydia einen Nervenzusammenbruch hatte und ihr Psychiater meinte, dass sie eine Zeit lang von allen häuslichen Arbeiten und Pflichten entbunden werden müsste, stellt der Versicherungsstatistiker Walter Cousins 1962 das fünfzehnjährige Au-pair Diane Burroughs ein. Das britische Mädchen kümmert sich nicht nur um den Haushalt und die beiden Kinder Barry und Tina, sondern lässt sich auch auf eine Affäre mit dem Strohwitwer ein. Als Diane Walter mitteilt, dass sie schwanger ist, wird Walter zu einer monatlichen Zahlung von fünfhundert Dollar erpresst, obwohl sie das Kind zur Adoption freigibt.
Das ausgesetzte Baby wird von seinen neuen Eltern Alice und Dan King Edward Aaron getauft und macht sich neben seinem neuen Bruder Simon ganz prächtig. Diane schlägt sich derweil als Edelprostituierte durch, heiratet einen liebevollen und vermögenden, aber langweiligen Unternehmer, lässt sich scheiden und versucht als Koksdealerin zu Vermögen zu kommen. Auf schicksalhafte Weise kreuzen sich noch einmal die Wege von Ed und seinem leiblichen Vater, dessen Leben seit der Affäre völlig aus den Fugen geraten ist.
„‘Habe ich jemals etwas richtig gemacht?‘, dachte Walter. ‚Mein Sohn verachtet mich, meine Tochter hasst mich, meine Frau misstraut mir, und im Büro halten mich vermutlich alle für einen Vollidioten. Und obendrein bin ich auch noch ein notorischer Fremdgeher. Ich bin ein Dreckskerl, der mit der besten Freundin seiner Frau ins Bett gestiegen ist. Ich bin ein unverbesserlicher, mieser Lügner. Ich habe mich von einem gottverdammten Teenager auf fünfhundert Dollar im Monat erpressen lassen und werde seit … seit mehr als sechzehn Jahren bis aufs Blut ausgequetscht. Das sind, wie viel, hunderttausend Dollar? Mein Gott, was denn noch? Geht’s noch tiefer runter? Aber ja, nicht zu vergessen, ich hatte Geschlechtsverkehr mit einer Minderjährigen. Ich habe ein uneheliches Kind gezeugt, von dem ich nicht das Leiseste weiß. Das ist die wahre Geschichte meines Lebens.‘“ (S. 129) 
Dagegen macht Walters unbekannter Sohn Ed nach verschiedenen Irrungen und Wirrungen jugendlicher Selbstfindung Karriere in der Internet-Branche und versucht schließlich doch, dem Geheimnis seiner Erzeuger auf die Spur zu kommen, nachdem sein demenzkranker Großvater eine bedeutungsvolle Andeutung gemacht und der „King der Suchmaschinen“ herausgefunden hat, dass sein Bruder und er über ganz verschiedene Gene verfügen.
David Guterson, der mit seinem Debütroman „Schnee, der auf Zedern fällt“ weltbekannt geworden ist, erweist sich mit seiner Neufassung des Ödipus-Mythos als meisterhafter Erzähler verschiedener Schicksale, denen er in episodenhaften Kapiteln von den 60ern bis in die nahe Zukunft nachgeht. Dabei nimmt er sich viel Zeit für die einzelnen Figuren, die allesamt ihre eigene Vorstellung davon entwickeln, den amerikanischen Traum zu verwirklichen, aber stets die falschen Fährten einzuschlagen scheinen. Guterson folgt diesen verschlungenen Wegen mit leichter Sprache und viel Witz, ohne seine Figuren der Lächerlichkeit preiszugeben. Vielmehr zeichnet er anhand verschiedener Schicksale ein stimmiges Portrait der amerikanischen Mittelschicht quer durch die letzten Jahrzehnte und vermag dabei auch das entsprechende Zeitkolorit stimmungsvoll zu erfassen.
Lesen Sie im Buch: David Guterson – „Ed King“
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Patricia Cornwell - (Kay Scarpetta: 16) „Scarpetta“

Sonntag, 10. Oktober 2010

(Hoffmann und Campe, 591 S., HC)
Als die Psychologiestudentin Terri Bridges am Silvesterabend erdrosselt in ihrem New Yorker Apartment aufgefunden wird, bittet ihr Freund Oscar Bane um die Aufnahme in die Gefängnispsychiatrie. Dort will er sich nur der landesweit bekannten Gerichtsmedizinerin Dr. Kay Scarpetta anvertrauen, die in diesem Fall ebenso um Amtshilfe von der New Yorker Staatsanwältin Jaime Berger gebeten wurde wie Scarpettas erst vor einem Jahr angeheirateten Polizisten Benton. Als er sie telefonisch mit den besonderen Umständen des freiwillig Gefangenen vertraut macht, erwähnt er noch nicht, dass seine Frau im Fokus eines bösartigen wie populären, allerdings anonymen Bloggers geraten ist.
Während sich seine Frau auf den Weg nach New York macht, besucht Benton seine Psychiaterin und Kollegin Dr. Thomas, mit der noch immer über den sexuellen Überfall spricht, den Kay von ihrem Kollegen Pete Marino über sich ergehen lassen musste. Dass Benton nicht bei ihr war, um sie zu beschützen, macht ihn noch immer stinksauer. Ausgerechnet Marino und sein verhasster Kollege Morales ermitteln nun gegen den von vielen Phobien geplagten, kleinwüchsigen Oscar Baines, der Scarpetta gegenüber merkwürdige Andeutungen macht, dass er gewarnt worden sei, aber nie daran gedacht hätte, dass Terri auch ein Opfer werden könnte.
Offensichtlich hatte Baines die Staatsanwaltschaft schon früher von seinem Verdacht gegen eine unbekannte Gruppierung erzählen wollen, die es auf ihn abgesehen habe, doch niemand wollte ihn anhören. Nach der von ihm gewünschten Unterredung mit Scarpetta verschwindet Baines spurlos. Während der Ermittlungen im Mordfall der kleinwüchsigen Terri fällt der Verdacht von Baines ab, doch Berger, Scarpetta & Co tappen lange im Dunkeln, bis der wahre Täter gefunden ist …
Ein ungewöhnlicher Mordfall erfordert einmal mehr alle ermittlungstechnischen Raffinessen des Teams um die sympathische Forensikerin Kay Scarpetta. Vor allem die erste Hälfte des ungewöhnlich umfangreichen Thrillers ist packend geschrieben, dann nehmen die persönlichen Beziehungen zwischen den Ermittlern immer mehr Raum ein, was der Figurenzeichnung auf angenehme Weise zugutekommt. Perfekter Mix aus spannender Unterhaltung und vielschichtigem Psychogramm!

Patricia Cornwell - (Kay Scarpetta: 12) „Die Dämonen ruhen nicht“

Donnerstag, 17. Dezember 2009

(Hoffmann und Campe, 463 S., HC)
Nachdem die von vielen Kollegen fast heldenhaft verehrte Gerichtsmedizinerin Dr. Kay Scarpetta in Virginia ihren Job losgeworden ist, hat sie sich in Florida als private Beraterin selbstständig gemacht und versucht so, auch Abstand von den traumatischen Erlebnissen der jüngeren Vergangenheit zu gewinnen, vom Tod ihres Liebhabers Benton Wesley, der einst als FBI-Profiler eine echte Koryphäe gewesen ist, und von Jean-Baptiste Chandonnes Mordanschlag auf ihre Person. Doch der Tod von Benton Wesley war nur vorgetäuscht. Unter Mithilfe von Scarpettas Nichte, der ebenfalls aus dem polizeilichen Dienst ausgetretenen Lucy Farinelli, und Scarpettas geschätzten Freund Pete Marino ist Wesley offiziell und auch für Scarpetta bei einem Brand ums Leben gekommen.
Tatsächlich fristet er nun als Tom Haviland ein anonymes, extrem einsames Leben, hat aber noch eine Rechnung zu begleichen… Während Scarpetta an der National Forensic Academy den abschließenden Kurs des Jahrgangs 2003 betreut, hat ein Serienmörder in Baton Rouge, Louisiana, bereits zehn Frauen in den vergangenen vierzehn Monaten entführt und gefoltert.
Sie spricht Nic Robillard, eine der Lehrgangsteilnehmerinnen, auf den Fall an, da diese aus Baton Rouge stammt, und versucht durch sie, nähere Informationen über den Fall zu bekommen. Sie ahnt nicht, dass Jean-Baptiste Chandonnes Bruder Jay Tally hinter den Entführungen der Frauen steckt, die eine verblüffende Ähnlichkeit mit Kay Scarpetta aufweisen. Chandonne, der im Todestrakt des Gefängnisses von Polunsky in Texas sitzt, verspricht Scarpetta Hinweise auf den Fall, wenn sie ihm einen Gefallen tut: sie persönlich soll ihm die Todesspritze geben…
Faszinierender Psycho-Thriller mit interessanten, gut gezeichneten Charakteren und überraschenden Handlungsverläufen!

Patricia Cornwell - „Insel der Rebellen“

(Hoffmann und Campe, 480 S., HC)
Nach einem Streit mit seiner Ehefrau verbringt Moses Custer die Nacht in seinem Peterbilt-Sattelschlepper auf einem Obst- und Gemüsemarkt am Stadtrand von Richmond. Als um vier Uhr morgens eine hübsche junge Frau an das Autofenster klopft um Hilfe bei ihrem liegen gebliebenen Auto bittet, bezahlt er seine Hilfsbereitschaft mit dem Tod. Was auf den ersten Seiten in Cornwells neuem Buch geschildert wird, liest sich zunächst wie der Auftakt einer Vampir-Horror-Story, doch Unique First, die Lady, die Moses Custer auf bestialische Weise umbringt, ist kein Vampir, sondern Teil einer Gruppe von Highway-Piraten, die es vor allem auf Lastwagen und Trucks abgesehen haben.
Um diesem Treiben Einhalt zu gebieten, lässt Virginias Gouverneur Bedford Crimm IV Radarfallen auf der abgeschotteten Insel Tangier errichten, die sich aber durch diese Anordnung nur provoziert fühlt und kurzerhand den dubiosen Festland-Zahnarzt Dr. Faux kidnappt. Superintendent Judy Hammer, die die Entführung ihres geliebten Katers zu verdauen hat, und ihr engagierter Trooper Andy Brazil versuchen, mit den ungewöhnlichsten Mitteln, der eskalierenden Situation Herr zu werden. Doch die Rechnung haben sie weder ohne die Highway-Piraten noch das aufgebrachte Inselvolk gemacht… Nicht so spannend wie ihre Kay-Scarpetta-Romane, aber unterhaltsam und witzig schildert die Thriller-Bestseller-Autorin politische Intrigen und die Eigenartigkeiten kleinstädtischer Bürgerlichkeit.

Patricia Cornwell - „Wer war Jack the Ripper?“

(Hoffmann und Campe, 414 S., HC)
Zuletzt versuchten die Hughes-Brüder mit „From Hell“, einer Adaption des Comics von Alan Moore, eine Antwort auf die Frage zu finden, wer der mysteriöse Killer gewesen ist, der 1888 in London fünf Frauen auf bestialische Weise umgebracht hat und als Jack the Ripper bezeichnet wurde. In den vergangenen hundert Jahren sind immer wieder neue Theorien über die Identität des ersten Serienmörders in Umlauf gebracht worden, doch stichhaltig bewiesen konnte noch keine davon. In gewisser Weise ist Patricia Cornwell fast dazu prädestiniert gewesen, den schillernden Spekulationen ein Ende zu bereiten. Schließlich war die erfolgreiche Thriller-Autorin Polizeireporterin und Computerspezialistin am Gerichtsmedizinischen Institut von Virginia und hat mit der Gerichtsmedizinerin Dr. Kay Scarpetta eine sympathische Serienheldin geschaffen.
Mit ihren Kenntnissen in der modernen Forensik hat Cornwell nun die historischen Beweise und Indizien minutiös unter die Lupe genommen und festgestellt, dass nur der englische Maler Walter Sickert, ein Schüler von Edgar Degas, als Täter der Whitechapel-Morde in Frage kommt. Die Autorin geht mit einem Team von Spezialisten dem Leben von Walter Sickert und seinen Werken auf den Grund und beschreibt ihre Entdeckungen halb als Thriller, halb als Dokumentation. Abbildungen von Fotos, Briefen und Zeichnungen runden das „Portrait eines Killers“ – so der Untertitel – gelungen ab.