Stephen King – „Basar der bösen Träume“

Mittwoch, 10. Februar 2016

(Heyne, 766 S., HC)
Über seine lange, überaus kreative Karriere hinweg hat der „King of Horror“ immer wieder Kurzgeschichten verfasst und sie in bemerkenswerten Sammlungen wie „Nachtschicht“, „Im Kabinett des Todes“, „Sunset“ oder „Alpträume“ zusammengefasst. Obwohl er zugibt, eine Vorliebe für epische Texte zu haben, in die sowohl der Autor als auch der Leser so tief eintauchen können, dass Literatur zu einer nahezu realen Welt werden kann, schätzt King nach wie vor die kürzeren, intensiveren Erfahrungen, die die Kurzgeschichte mit ihrer strengen Fokussierung auf das Wesentliche bietet.
Mit „Basar der bösen Träume“ beweist King einmal mehr, dass er nicht nur großartige Horror-Epen wie „The Stand - Das letzte Gefecht“ und „Arena“, einen umfassenden Fantasy-Zyklus wie „Der Dunkle Turm“ oder faszinierende Fortsetzungsromane wie „The Green Mile“ zu kreieren vermag, sondern regelmäßig auch Kurzgeschichten, von denen „Basar der bösen Träume“ nun zwanzig zusammenfasst, die die meisten deutschen Leser noch nicht kennen dürften.
Da der Autor immer wieder von seinen Lesern gefragt wird, woher er seine Ideen nimmt, hat er jeder Geschichte eine kurze Einleitung vorangestellt, in der er diesem Anliegen nachzukommen versucht. So stellt die erste im „Basar der bösen Träume“ vorgestellte Geschichte, „Raststätte Mile 81“, nicht nur eine von Kings Lieblingsgeschichten dar, sondern lässt sich auf Kings Studentenzeit zurückführen, als er jedes dritte Wochenende die Fahrt von Orono nach Durham fuhr, wo er seine Freundin besuchte und dabei einen Streckenabschnitt zwischen Gardiner und Lewiston passieren musste, der absolutes Niemandsland darstellte. Diese Mile 85 inspirierte King zu einer Geschichte, die Erinnerungen an „Christine“ wachruft und den Leser in ein echtes Horrorszenario führt.
Das trifft auch beispielsweise auf „Böser kleiner Junge“ zu, in der ein Junge mit knallroten Haaren und Propellermütze aus dem Nichts auftaucht und offensichtlich alle Menschen umbringt, die dem Erzähler nahestehen.  
King beweist mit seinen thematisch vielschichtigen Geschichten einmal mehr, wie sich das Grauen oftmals aus Alltagssituationen und scheinbar günstigen Gelegenheiten entwickelt. In „Moral“ kommen der Vertretungslehrer Chad und die Krankenpflegerin Nora gerade so über die Runden. Damit Chad endlich seinen längst geplanten Roman fertigstellen kann, nimmt Nora ein unmoralisches Angebot der besonderen Art an, was die Beziehung einer starken Belastungsprobe unterzieht. Stark ist auch die im Auftrag von Amazon zur Verkaufsförderung des Kindle entstandene Geschichte „Ur“, die den Leser auch wieder in das vertraute Terrain des Dunklen Turms führt. Davon abgesehen stellt King in „Feuerwerksrausch“ auch seinen eigensinnigen Humor unter Beweis, wenn er seinen Ich-Erzähler mit seiner stets angesäuselten Mutter zum Unabhängigkeitstag einen Wettkampf mit den Massimos darum liefert, wer die imposantesten Feuerwerkskörper in die Luft jagt.
„Ich halte nichts von der Annahme, dass man nicht über etwas schreiben könne, wenn man es nicht selbst erlebt habe, und zwar nicht nur deshalb, weil sie davon ausgeht, dass der menschlichen Fantasie Grenzen gesetzt wären, obwohl sie im Grunde genommen unbegrenzt ist. Eine solche Behauptung legt auch nahe, dass die menschliche Fantasie zu gewissen Sprüngen nicht in der Lage sei.“ (S. 535) 

Mit dieser Aussage, die King seiner Geschichte „Mister Sahneschnitte“ voranstellt, untermauert der Bestseller-Autor die scheinbar unbegrenzte Kreativität, mit der er in kürzester Zeit immer wieder neue faszinierende, spannende und erschütternde Geschichten zum Besten gibt.
„Basar der bösen Träume“ stellt dabei so etwas wie eine Achterbahnfahrt dar, in der der Leser atemlos von einem spektakulären Looping in die nächste nicht einsehbare Kurve rast. Viel Vergnügen! 


 

James Patterson – (Alex Cross: 19) „Run“

Freitag, 5. Februar 2016

(Blanvalet, 411 S., Tb.)
Alex Cross und sein Freund und Kollege John Sampson gehören zu einem ganzen Team von Streifenbeamten, Detectives und einer Vertreterin des Jugendamts, das in einer edlen Backsteinvilla in Georgetown dem Verdacht auf illegalen Mädchenhandel auf den Grund geht, in den der gefragte Schönheitschirurg Dr. Elijah Creem und sein Partner Josh Bergman verwickelt sein sollen. Doch bevor sich Cross näher mit den beiden Kriminellen beschäftigen kann, hält ihn eine brutale Mordserie in Atem: Innerhalb kürzester Zeit tauchen in Washington, D.C., mehrere verstümmelte Frauenleichen auf.
Darunter macht Cross der Tod der jungen Frau Elizabeth Reilly besonders zu schaffen, weil sie erst vor kurzem ein Kind entbunden hat, von dem wiederum jede Spur fehlt. Und schließlich tauchen im Potomac Leichen von jungen Männern auf, denen nicht nur ins Gesicht geschossen, sondern die Lendengegend mit mehreren Messerstichen übel zugerichtet worden ist. Bei den Ermittlungen wird Cross von einem Blogger namens Ron Guidice besonders kritisch beobachtet.
Wie Cross bald herausfindet, war er in einem Fall verwickelt, bei dem Guidices Verlobte als Unbeteiligte während eines Polizeieinsatzes auf offener Straße erschossen wurde. Offensichtlich hegt Guidice seitdem schwere Rachegelüste gegen den Detective. Als Cross an einem Tatort handgreiflich gegen den Blogger wird, verdonnert ihn sein Chef zu Schreibtischarbeit mit Kontaktverbot. Während den Ermittlern bei den Serienmorden die Zeit davonläuft, sind Cross zunächst die Hände gebunden.
„Offiziell hatte ich weder mit Elizabeth Reilly noch mit dem Georgetown Ripper noch mit dem Flussungeheuer irgendetwas zu tun. Aber man kann nicht wochenlang intensiv an der Aufklärung diverser Mordserien arbeiten und dann von einem Tag auf den anderen keinen Gedanken mehr daran verschwenden. Ich wollte wissen, was los war.“ (S. 270) 
Seit seinem ersten Alex-Cross- Band „Morgen, Kinder, wird’s was geben“, der im amerikanischen Original 1993 erschien, ist James Patterson zum erfolgreichsten Thriller-Autor weltweit geworden. In den letzten Jahren hat die Reihe einige Abnutzungserscheinungen erlitten, was sicher auch der Tatsache geschuldet ist, dass Vielschreiber Patterson seine Romane kaum noch selbst verfasst, sondern nur noch die Skizzen für seine Ghostwriter dazu liefert.
Auch im mittlerweile 19. Band der Reihe – „Run“ – ist der Qualitätsstandard nicht allzu weit oben angesiedelt. Die Tatsache, dass das Buch einmal mehr Platz 1 auf der Bestsellerliste der New York Times belegt hat, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Patterson seinen Fokus ganz auf die Action gelegt hat.
Während sein sympathischer Held Alex Cross betont, die ganze Zeit über Methoden, Opferprofile und mögliche Motive nachzudenken, hinkt der Autor diesem Ansinnen hinterher. Alex Cross ist hier mit einer schnellen Folge von Serienmorden, zwei Tätern, einem aggressiven Blogger, der auch in Cross‘ Privatleben eindringt und familiären Problemen beschäftigt, die sich diesmal in der Drogenabhängigkeit der 14-jährigen Pflegetochter Ava äußern.
All das sinnvoll und tiefgründig unter einen Hut zu bringen braucht schon mehr als 400 Seiten. Immerhin gelingt es Patterson, Alex Cross als liebenden Familienvater darzustellen, was der persönlichen Note des Thrillers und Cross‘ Charakterisierung sehr zugute kommt.
Aber was die Auflösung der Serienmorde angeht und auch die Auseinandersetzung mit dem rachsüchtigen Blogger, spult Patterson den Plot nach Schema F herunter. Das ist durchaus spannend und temporeich, aber auch überraschungsarm und stellenweise recht unglaubwürdig.

Leseprobe James Patterson - "Run"

Michael Connelly – (Mickey Haller: 5) „Götter der Schuld“

Montag, 1. Februar 2016

(Droemer, 509 S., HC)
Seit einer seiner Fälle als Vorlage für den Film „Der Mandant“ mit Matthew McConaughey in der Hauptrolle verfilmt worden ist, läuft es zwar noch nicht richtig rund in seiner Kanzlei, doch hat Strafverteidiger Mickey Haller nun mit dem Problem zu kämpfen, nicht mehr der einzige Anwalt zu sein, der sein Tagesgeschäft in einer Lincoln-Limousine verrichtet.
Vor allem setzt ihm aber der Umstand zu, dass er seine 17-jährige Tochter Hayley nach der verlorenen Wahl und dem damit zusammenhängenden Skandal nur noch aus der Ferne beim Fußball-Training sieht. Doch nun wird seine Aufmerksamkeit ganz von einem neuen Mordfall in Anspruch genommen: Andre La Cosse wird beschuldigt, die Prostituierte Giselle Dallinger ermordet zu haben, für die er die Internet-Präsenz verwaltete.
Erst als Haller herausfindet, dass Dallinger früher Gloria Dayton hieß und bei einem Fall einen Drogendealer mit Kontakten zum mexikanischen Kartell verpfiffen hatte, worauf sie unter neuem Namen in Hawaii ein neues Leben beginnen sollte, werden ihm die Zusammenhänge klar. Offensichtlich änderte sie zwar ihren Namen, blieb aber in Los Angeles und arbeitete nicht nur weiterhin als Prostituierte, sondern auch als Informantin für den DEA-Agenten Marco. Der wiederum ist in einen anderen Fall involviert, mit dem Haller auch zu tun bekommt, denn Gloria Dayton soll in Marcos Auftrag dem inhaftierten mexikanischen Kartell-Mitglied Hector Arrande Moya eine Waffe untergeschoben haben, damit er lebenslänglich hinter Gitter kommt.
Zusammen mit seinem Ermittler Cisco, dessen Frau (und Hallers Ex-Frau) Lorna, der aufgeweckten Nachwuchsanwältin Jennifer und seinem Fahrer Earl macht sich Haller auf die nervenaufreibende Spuren- und Beweissuche.
„Ich war überzeugt, dass mein Mandant alles Mögliche war, aber ein Mörder war er nicht. Ich war sicher, dass er der Anklagepunkte nicht schuldig war, und deshalb musste ich alle zwölf Götter der Schuld dazu bringen, am Tag der Urteilsverkündung auf mich herabzulächeln.“ (S. 315) 
Als „Götter der Schuld“ bezeichnet der Ich-Erzähler Haller in seinem fünften Fall immer wieder die zwölf Geschworenen, die über Schuld oder Unschuld der Angeklagten zu entscheiden haben. Obwohl sich Haller selbst sicher ist, diesmal einen wirklich Unschuldigen zu vertreten, ist der Weg, dies auch zu beweisen, auch diesmal schwierig und erfordert einige Tricks, mit denen er seine gewünschte Strategie erfolgreich umzusetzen versucht.
Dabei gibt es allerdings einige beklagenswerte Opfer zu betrauern, und auch an dem problematischen Verhältnis zu seiner Tochter versucht Haller zu arbeiten.
Connelly erweist sich in „Götter der Schuld“ einmal mehr als hervorragender Justiz-Thriller-Autor, der mit Mickey Haller einen charismatisch-smarten Anwalt geschaffen hat und einen vielschichtigen Fall bearbeitet, bei dem die Zeugen der Verteidigung auch mal als „feindlich“ eingestuft werden und für bewusst gesteuerte Verwirrung im Gerichtssaal sorgen.
Leseprobe Michael Connelly - "Götter der Schuld"

Don Winslow – (Neal Carey: 2) „China Girl“

Samstag, 30. Januar 2016

(Suhrkamp, 441 S., Tb.)
Nach seinem letzten Job, den ihn seine große Liebe Diane und ein Jahr seiner Ausbildung kostete, lebt der 24-jährige Neal Carey seit sieben Monaten zurückgezogen in einem Cottage, das verlassen in den Yorkshire Moors liegt, wo er sich ganz dem Studium von Tobias Smollettes Werk widmet.
Doch nun wendet sich sein Vater Joe Graham mit einem neuen Auftrag der „Friends of the Family“ an ihn, jener geheimen Abteilung des kleinen Finanzinstituts in Providence, Rhode Island, das seinen wohlhabenden Kunden nicht nur absolute Diskretion gegenüber Presse, Öffentlichkeit und Finanzamt zusicherte, sondern auch Abhilfe bei Problemen, die sich nicht immer mit Geld lösen lassen. Diesmal soll er den Biochemiker Dr. Robert Pendleton aufspüren, der im Auftrag von AgriTech über das Wachstum von Pflanzen forscht und nach einer Konferenz an der Stanford University nicht an seinen Arbeitsplatz zurückgekehrt ist.
Neal soll den Wissenschaftler in San Francisco, wo er sich mit einer chinesischen Liebesdienerin im Holiday Inn einquartiert hat, aufsuchen und ins Flugzeug setzen. Was sich nach einem leichten Auftrag von drei, vier Tagen Dauer anhört, entwickelt sich zu einem abenteuerlichen Trip, der Neal bis nach Hongkong und China führt. Denn als er Pendleton mit der schönen Künstlerin Li Lan endlich im Künstlerviertel Mill Valley aufgespürt hat, fliegen ihm auch schon die Kugeln um die Ohren. Offensichtlich handelt es sich bei Li Lan um eine chinesische Agentin, an der auch die CIA interessiert ist …
„Ich bin ein Abtrünniger meiner eigenen Firma, die mich vielleicht, vielleicht auch nicht, ebenso wie die CIA, tot sehen möchte. Ich wurde von besagter Frau in die Falle gelockt, möglicherweise in der Absicht, mich töten zu lassen. Irgendwie bin ich sie verliebt und muss sie warnen, dass sie sich in Gefahr befindet. Ich muss sie finden, um ein paar Antworten zu bekommen, erst danach kann ich mit meinem alten Leben weitermachen.“ (S. 138) 
Bevor der amerikanische Bestseller-Autor Don Winslow 1997 mit seinem Roman „Die Auferstehung des Bobby Z.“ bekannt geworden ist, schrieb er an einer fünf Bände umfassenden, zwischen 1991 und 1996 erschienenen Reihe um den jungen Privatermittler Neal Carey, deren Neuauflage in neuer Übersetzung der Suhrkamp Verlag in diesem Jahr abschließt.
Der zweite Band aus dem Jahr 1992, der 1997 unter dem Titel „Das Licht in Buddhas Spiegel“ erstmals in deutscher Sprache veröffentlicht wurde und nun als „China Girl“ erneut der wachsenden Winslow-Fangemeinde zugänglich gemacht wird, entwickelt sich von einer fesselnden Detektivgeschichte zu einem actionreichen Agenten-Thriller, der vor allem in der zweiten Hälfte, als Li Lan Gelegenheit bekommt, ihre Familiengeschichte zu erzählen, an atmosphärischer Dichte gewinnt und vor allem tiefe Einblicke in die chinesische Geschichte gewährt.
Der historische Diskurs ist zwar mit einigen Längen verbunden, die das Tempo aus der Geschichte nehmen und auch den Lesefluss hemmen, unterstreicht aber, dass Winslow schon früh damit begonnen hat, für seine Romane so exzessiv zu recherchieren, wie das mittlerweile bei seinen gefeierten Drogen-Epen „Tage der Toten“ oder „Das Kartell“ der Fall ist.
„China Girl“ kann nicht ganz an „London Underground“, den ersten Neal-Carey-Fall, anknüpfen und lässt seinen cleveren Helden auch keine wirkliche Entwicklung durchmachen, störender wirkt dagegen der deutliche Spannungsabbau in der zweiten Hälfte.
Leseprobe Don Winslow - "China Girl"

Boris Vian – „Der Schaum der Tage“

Donnerstag, 21. Januar 2016

(Karl Rauch, 213 S., HC)
Der finanziell unabhängige Colin genießt sein Leben des exzentrischen Müßiggangs in vollen Zügen. Ihm gefällt es, seinen ebenfalls zweiundzwanzigjährigen und mit den gleichen literarischen Vorlieben ausgestatteten, aber finanziell längst nicht so gut gestellten Freund Chick, mit besonderen Gaumenfreuden zu verwöhnen, die der neue Koch Nicolas für sie zubereitet. Chick hat gerade Nicolas‘ Nichte Alise bei einem Vortrag von Jean-Sol Partre kennengelernt und sich gleich in sie verliebt.
Ähnlich ergeht es Colin, als er auf der Party, die die 18-jährige Isis zum Geburtstag ihres Hundes veranstaltet, Chloé kennenlernt. Doch nach dem rauschenden Hochzeitsfest folgt schnell die Ernüchterung: Der Druck, den Chloé in ihrer Brust verspürt, rührt von einer Seerose her, die sich dort eingenistet hat. Durch eine Operation kann diese zwar entfernt werden, doch als auch der andere Lungenflügel angegriffen wird, hat Chloé nicht mehr lange zu leben.
Nachdem Colin einen Großteil seines Vermögens Chick geschenkt hat, damit dieser Alise heiraten kann, muss Colin nun selbst einen Job annehmen, um Chloé ein anständiges Begräbnis zu ermöglichen. Derweil versetzt Chick in seiner Leidenschaft für alles, was mit seinem großen Idol Jean-Sol Partre zu tun hat, sein mickriges Vermögen und setzt damit seine Beziehung mit Alise aufs Spiel.
„Colins Dublonen waren für ihre Hochzeit bestimmt, doch Alise legten keinen besonderen Wert darauf. Es genügte ihr, auf ihn zu warten, es genügte ihr, bei ihm zu sein, aber man kann von einer Frau nicht verlangen, dass sie bei einem Mann bleibt, nur weil sie ihn liebt. Er liebte sie auch. Aber er durfte nicht zulassen, dass sie seine Zeit in Anspruch nahm, weil sie sich nicht mehr für Partre interessierte.“ (S. 174f.) 
2013 verfilmte Michel Gondry („The Green Hornet“, „Vergiss mein nicht“) mit „Der Schaum der Tage“ das bekannteste Werk des 1920 nahe Paris geborenen, 1959 in Paris verstorbenen Autors, Jazz-Musikers und Schauspielers Boris Vian, doch wurde der bezaubernde Liebesroman, der 1947 veröffentlicht wurde, erst nach Vians Tod bekannt, als 1963 eine Neuauflage erschien.
Auf gerade mal 200 Seiten erzählt Vian eine bezaubernde Liebesgeschichte, die zwar einen tragischen Verlauf nimmt, doch der Autor versteht es, mit leichter Sprache, skurrilen Wortspielereien und surrealen Ideen wie sprechenden Mäusen, Ananaszahnpasta verspeisenden Aalen, einem Cocktails mixenden Piano und anderen Begegnungen mit dem Wunderbaren eine traumhafte Atmosphäre zu kreieren. Alltagsschrecken und –probleme wie der nahende Tod, finanzielle Nöte und die Notwendigkeit, für seinen Lebensunterhalt arbeiten zu müssen, halten Vian nicht davon ab, das Geschenk des Lebens und den Zauber der Liebe zu feiern.

Terry Gilliam – „Gilliamesque“

Dienstag, 19. Januar 2016

(Heyne, 300 S., HC)
Als Mitbegründer von Monty Python‘s Flying Circus und Regisseur von Meisterwerken wie „Brazil“, „König der Fischer“, „12 Monkeys“ und „Fear and Loathing in Las Vegas“ ist Terry Gilliam eine echte Ausnahmeerscheinung jenseits der glamourösen Hollywood-Filmwelt. Nun legt er mit „Gilliamesque“ eine Autobiografie vor, die so kunterbunt und unterhaltsam ausgefallen ist wie sein außergewöhnliches Leben und Wirken als Künstler.
Zwar betont Gilliam im Vorwort, dass er nie Tagebuch geführt habe und seine Erinnerungen deshalb sehr selektiv seien, aber die Lebensgeschichte, die er in diesem Buch entfaltet, steckt voller Details, Begegnungen mit illustren Personen und vor allem gesellschaftspolitischen und künstlerischen Referenzen, die deutlich machen, warum Terry Gilliam der Künstler geworden ist, der seit jeher abseits der Konventionen erfolgreich agiert hat.
Schon in der Kindheit, die er auf dem Land am Medicine Lake bei Minneapolis verbrachte, entwickelte Gilliam einen gesunden Respekt vor der Brutalität der Natur und fühlte sich von den Furcht einflößenden Wäldern und dem Sumpf inspiriert. Dazu gesellten sich Alexander Kordas und Michael Powells Film „Der Dieb von Bagdad“, die Geschichten der Bibel, Schneewittchen, Robin Hood und Cowboys und Indianer. Gilliam lernte mit Preston Blairs Leitfaden „Animation – Learn How to Draw Animated Cartoons“ das Zeichnen und bezeichnet die „Mad“-Comics als wichtigsten kulturellen Einfluss seiner Teenagerjahre.
Mit ein paar Freunden begann Gilliam, mit „Fang“ in die Fußstapfen von „Mad“ und „Help!“ zu treten, kam schließlich selbst bei „Help!“ unter und machte die Bekanntschaft von Robert Crumb und Richard Lester, der die Beatles-Filme „A Hard Day’s Night“ und „Help!“ inszeniert hat. Besonders interessant lesen sich Gilliams Erinnerungen an seine Bekanntschaft mit Terry Jones, Michael Palin und Eric Idle, als diese an einer subversiven Kindersendung namens „Do Not Adjust Your Set“ arbeiteten. Als Cartoonist begann Gilliam für Monty Python’s Flying Circus die Tricksequenzen zu kreieren. Ihr erster Kinofilm „Monty Pythons wunderbare Welt der Schwerkraft“ stellte zwar nur ein Remake von Sketchen aus den ersten beiden Staffeln dar und floppte in den USA, ebnete der Truppe aber in England den Weg für den nächsten Film „Die Ritter der Kokosnuss“, der für einige Differenzen in der Truppe sorgte, weil sich nun die beiden Terrys den Regiejob teilten und damit Ian MacNaughton ablösten.
„Wir waren die Typen aus der letzten Reihe, die sich über alles lustig machten, genau wie die Mönche im Mittelalter. Letztlich stellte sich heraus, dass es wesentlich einfacher war, eine Armee aus Fabelwesen zu erschaffen, als meinen Kollegen Anweisungen zu geben, die sie dann auch befolgten.“ (S. 158) 
Gilliam nimmt in der Folge seine interessierten Leser mit auf eine Zeitreise durch sein weiteres filmisches Schaffen, erzählt von den Schwierigkeiten bei der Entstehung von Großprojekten wie „Brazil“ und „Die Abenteuer des Baron Münchhausen“, von der Arbeit mit Schauspielern mit Heath Ledger, Johnny Depp, Brad Pitt und Bruce Willis, aber auch von seinem Scheitern mit Produktionen wie „Der Mann, der Don Quijote tötete“. Dabei präsentiert Gilliam keinen Gesamtüberblick, sondern gewährt durch intime Anekdoten jeweils nur kurze Momentaufnahmen und Inneneinsichten, die stets deutlich machen, wie sehr sein Herz an jedem seiner Projekte hing
und dass er sein amerikanisches Heimatland so verabscheute, dass er sogar die Staatsbürgerschaft ablegen wollte.
Da Gilliam auch ein begnadeter Illustrator ist, bietet der prachtvoll gestaltete Hardcoverband im Großformat „Gilliamesque“ nicht nur viele Fotos von den Dreharbeiten zu den verschiedenen Filmen, sondern auch Dokumente seiner Kindheit und College-Zeit, vor allem aber die durch seine Arbeit bei Monty Python bekannten Collagen.
Leseprobe Terry Gilliam - "Gilliamesque"

Joe R. Lansdale – (Hap & Leonard: 4) „Schlechtes Chili“

Samstag, 16. Januar 2016

(DuMont, 319 S., Tb.)
Als Hap Collins Mitte April von seinem Job auf der Bohrinsel nach Hause kommt, hat auch sein schwarzer, schwuler Freund Leonard Pine seinen Job als Rausschmeißer im Hot Cat Club verloren. Um sich die Zeit zu vertreiben, machen die beiden Freunde eine Spritztour und wollen im Wald ein paar Schießübungen machen, als Hap von einem tollwütigen Eichhörnchen angegriffen und gebissen wird. Doch die Behandlung im Krankenhaus muss Hap verkürzen, denn als er Besuch vom frisch zum Lieutenant beförderten Charlie Bank bekommt, erfährt er vom Tod eines Bikers, der gerade mit Leonards Ex-Freund Raul zusammengekommen war. Wenig später wird auch Rauls Leiche in der Nähe des toten Bikers gefunden.
Da Leonard unvermittelt zum Mordverdächtigen wird, bleibt den beiden Freunden nicht viel Zeit, Leonards Unschuld zu beweisen. Da Leonards Hütte auf den Kopf gestellt worden ist und dabei vor allem seine Videosammlung zu leiden hatte, scheint Raul in krumme Geschäfte verwickelt gewesen zu sein.
Bei ihrer Spurensuche stoßen Hap und Leonard auf Videos, die nicht nur zeigen, wie Schwule im berüchtigten LaBorde Park vertrimmt werden, sondern auch welche, auf denen Männer aus dem Umfeld des Unternehmers King Arthur bei Fettdiebstählen zu beobachten sind. Offensichtlich hat jemand versucht, den Chili-King mit den Videos zu erpressen und dabei gegen Kings mächtigen Handlanger Big Man Mountain den Kürzeren gezogen. Zum Glück erhalten Leonard und Hap Unterstützung durch den Detektiv Jim Bob Luke, der ebenso mit seinem Mundwerk wie mit seinen Waffen umzugehen versteht.
Derweil beginnt sich Hap in die Krankenschwester Brett zu verlieben …
„In meinem Leben war also nicht alles schlecht, aber Leonard war wie ein Kessel auf dem Herd. Man wusste einfach nicht, wann er zu kochen anfangen würde. (…) Er war einfach griesgrämig, genau das war er. Es wurde so schlimm, dass ich Rauls Mörder finden wollte, nur um mir Leonards Nörgeleien nicht mehr anhören zu müssen.“ (S. 179) 
In dem breit gefächerten literarischen Universum, in dem sich der texanische Autor Joe R. Lansdale bewegt, nimmt die „Hap & Leonard“-Reihe eine besondere Stellung ein. Zwar greift Lansdale allein schon durch die Konstellation der beiden Freunde – Hap ist ein weißer Hetero-Kriegsdienstverweigerer, Leonard ein schwarzer homosexueller Vietnamveteran – seine vertrauten Themen wie Rassismus und Diskriminierung jeglicher Art auf, doch bildet ihr eigenwilliger Gerechtigkeitssinn eine weitere Säule der Erfolgsgeschichte um das ungewöhnliche Ermittler-Duo. Auch im vierten Band der populären Reihe haben die beiden Männer mit den Tücken des Alltags, der schwierigen Jobsuche und vergangenen/neuen Beziehungen zu kämpfen, aber auch mit den starren Buchtstaben des Gesetzes, über die sich der ortsansässige Cop Charlie auch nicht hinwegsetzen kann.
Es geht wieder deftig-rustikal zu in dem kurzweiligen Roman „Schlechtes Chili“. Diesmal bekommen die losen Münder von Hap und Leonard durch den auswärtigen Detektiv Jim Bob noch wortreiche Verstärkung, so dass die Krimi-Handlung sowohl von – oft schmerzhafter – Action als auch von schrill-amüsanten Wortgefechten vorangetrieben wird. Das ist einfach großartige Unterhaltung!
Leseprobe Joe R. Lansdale – „Schlechtes Chili“

Joe R. Lansdale – „Die Wälder am Fluss“

Montag, 11. Januar 2016

(DuMont, 366 S., Tb.)
Während Jacob Crane im östlichen Texas des Jahres 1933 als Farmer, Friseur und Constable für den Unterhalt der Familie sorgt, ist sein elfjähriger Sohn Harry vom geheimnisvollen Ziegenmann fasziniert, dem nachgesagt wird, in den dichten Wäldern am Sabine River Kinder und Tiere zu stehlen. Mit seiner jüngeren Schwester Thomasia – kurz: Tom – ist er gerade in der Abenddämmerung unterwegs, um die Jagdhund-Terrier-Mischung Toby von ihren Leiden zu erlösen, da stoßen sie auf eine schrecklich zugerichtete Frauenleiche. Am nächsten Morgen führt Harry seinen Vater zur Fundstelle, wobei sie an dem Haus des alten Mose vorbeikommen, den die Dorfbewohner bald als Täter ausmachen. Schließlich hat er die Geldbörse der toten Frau gefunden.
Und es werden weitere Frauen gefunden, meist schwarze Prostituierte, die furchtbar zerschnitten und auf einzigartige Weise geknebelt sind, aber erst als auch ein weißes leichtes Mädchen tot aufgefunden wird, reagieren der Ku-Klux-Klan. Bevor die Männer in den weißen Gewändern den alten schwarzen Mann lynchen können, versteckt Harrys Vater den Verdächtigen. Das Versteck bleibt allerdings nicht lange geheim, und weder Harry noch sein Vater können verhindern, dass Mose an einem Baum aufgeknüpft wird. Danach ist Harrys Vater nicht mehr derselbe.
„Daddy suchte eine Zeit lang nach dem Mörder, aber abgesehen von ein paar Spuren am Ufer, die davon zeugten, dass dort jemand nach Essbarem gesucht hatte, fand er nichts. Ich hörte, wie er Mama erzählte, er habe in den Wäldern am Fluss das Gefühl gehabt, jemand beobachte ihn – als gäbe es da draußen jemanden, der die Wälder und den Fluss genauso gut kannte wie die Tiere dort; und dass dieser Jemand ein Auge auf ihn habe.“ (S. 119) 
Die Morde hören nach Moses Tod zwar auf, doch die meisten Menschen mit gesundem Verstand glauben nicht daran, dass Mose die Taten begangen hat. Während sich die Aufregung nach den Morden legt, taucht ein alter Verehrer von Harrys Mutter wieder auf und verschwindet auf mysteriöse Weise. Und Harry glaubt immer wieder, den Ziegenmann in seiner Nähe zu sehen …
Dass der mehrfach preisgekrönte Horror- und Krimi-Autor Joe R. Lansdale gern als Autor in der Tradition von Südstaaten-Größen wie William Faulkner und Mark Twain gesehen wird, lässt sich an seinem 2000 in den USA, in Deutschland durch den DuMont Buchverlag veröffentlichten Roman „Die Wälder am Fluss“ wunderbar illustrieren.
Schließlich steht im Mittelpunkt des Geschehens ein elfjähriger Junge, der in den 1930er Jahren die Schrecken der Depression und die nach wie vor anhaltende Rassendiskriminierung nicht nur bezeugen muss, sondern auch am eigenen Leib erlebt. Lansdale erweist sich wieder einmal als brillanter Erzähler, der anhand einiger Morde an kaum geachteten Frauen darlegt, wie vergiftet die gesellschaftliche Atmosphäre in dieser Zeit gewesen ist, als die kleinsten Indizien ausgereicht haben, um das Leben eines schwarzen Mannes auszulöschen.
Dem Autor gelingt es, in „Die Wälder am Fluss“ eine klassische Coming-of-Geschichte mit einer packenden Thriller-Handlung, einer Portion Washington-Irving-Horrors und einem Gesellschaftsroman zu verbinden, wobei die düsteren Verbrechen die besten und die schlechtesten Eigenschaften der Einwohner von Marvel Creek hervorkehren.
Neben der packenden Handlung sind es aber vor allem wieder die stark gezeichneten Figuren und die schwül-intensive Atmosphäre, die „Die Wälder am Fluss“ so lesenswert machen.
Leseprobe: Joe R. Lansdale – „Die Wälder am Fluss“

Shane Kuhn – „Töte deinen Chef“

Sonntag, 3. Januar 2016

(DuMont, 319 S., Tb.)
Nachdem Vollwaise John Lago bereits im zarten Alter von acht Jahren seine mit Drogen handelnden Pflegeeltern Mickey und Mallory mit Plastiktüten über dem Kopf erstickt hatte und in den Jugendknast gewandert war, wurde Bob, Geschäftsführer von Human Ressources Inc., auf den Jungen aufmerksam und bildete ihn zum Auftragskiller aus. Mittlerweile ist John 25 und damit für seine Branche im besten Rentenalter. Bevor er seine siebenstellige Rentenprämie kassiert und all das seit der Pubertät angesparte Geld ausgeben kann, hat Bob noch einen letzten, allerdings ungewöhnlich kniffligen Auftrag für ihn: Während die Dossiers zu seinen Aufträgen normalerweise das Profil der Zielperson, ihre Feinde und Schwäche sowie Lagepläne beinhalten, muss John die Zielperson erst einmal selbst ausfindig machen, nämlich einen der drei Geschäftsführer der berühmten New Yorker Anwaltskanzlei Bendini, Lambert & Locke.
Um denjenigen zu identifizieren, der die Liste der im Zeugenschutzprogramm des FBI befindlichen Personen meistbietend verkauft hat, wird John wie üblich als Praktikant in die Kanzlei eingeschleust. Da Praktikanten bei guter Eignung Zugang zu wichtigen Bereichen und Informationen bekommen, sich aber niemand an sie erinnert, stellt es die perfekte Tarnung für Johns Profession dar.
Tatsächlich gelingt es John, mit Fleiß und perfekter Kaffeezubereitung, in den inneren Zirkel der Kanzlei vorzustoßen und erhält dabei Unterstützung von der routinierten Praktikantin Alice, die kurz davor steht, eine der begehrten Festanstellungen zu erhalten.
Doch als John erfährt, dass Alice eine FBI-Agentin ist, in die er sich auch noch zu verlieben beginnt, gestaltet sich die Ausübung seines Auftrags zunehmend schwieriger …
„Wenn ihr diesen Beruf ergreift, dann versucht erst gar nicht, euch zu rechtfertigen. Ihr seid die Bösen, das ist eure Rolle. Ohne euch gäbe es keine Bezugsgröße für die Beurteilung der Guten. Wir sind das Yin. Die Zivilisten das Yang. Wenn ihr euch auf eure Rolle konzentriert und nicht von der Lebenswirklichkeit anderer beeinflussen lasst, werdet ihr bis ins Rentenalter von fünfundzwanzig Jahren überleben. Vielleicht bleibt euch eine Kugel im Kopf erspart, aber eure Seele werdet ihr nicht retten können.“ (S. 78) 
Mit „Töte deinen Chef“ legt der ehemalige Werbetexter und Creative Director Shane Kuhn seinen ersten Roman vor, der als „Leitfaden für Praktikanten“ aus der Perspektive des Hitmans John Lago aufgezogen ist. Der Plot ist zwar an konventionelle Auftragskiller-Geschichten angelehnt (bevor der Killer aus dem Geschäft aussteigen kann, muss er noch einen letzten Job erledigen, der natürlich viel komplizierter ist als alle anderen davor), stellt sich mit seiner durchgängigen humorvollen Sprache aber weniger als Thriller denn als Thriller-Komödie dar.
Die Ich-Erzählung wird dabei immer wieder von Abhörprotokollen des FBI aufgelockert, das offensichtlich auch ein Auge auf John Lagos Aktivitäten geworfen hat.
Shane Kuhn, der mittlerweile aus Drehbuchautor („The Scorpion King 3 - Kampf um den Thron“, „Dead In Tombstone“) und Regisseur tätig ist, gelingt es, seine wendungsreiche Story mit makabren Humor, rasanten Tempo und einer Portion unorthodoxer Romantik zu würzen und somit für ein kurzweiliges, durchaus filmreifes Lesevergnügen zu sorgen.
Leseprobe Shane Kuhn - "Töte deinen Chef"

Jim Thompson – „Fürchte den Donner“

Freitag, 1. Januar 2016

(Heyne, 460 S., Tb.)
Nachdem Lincoln Fargo in die Armee der Union nur deshalb eingetreten war, weil er dafür bezahlt wurde, ist er nach seiner Entlassung als Full Sergeant zu der Überzeugung gelangt, dass ein Mann nicht mehr Freiheit bekam, als er sich selbst erarbeitete. Er zog zurück nach Ohio, lernte bei einem seiner Maurerjobs die Dienstmagd auf der Farm kennen, heiratete sie und machte mit ihren Ersparnissen sein erstes eigenes Geschäft auf. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist er der Patriarch des Fargo-Clans im ländlichen Verdon, der es durch zwielichtige Geschäfte zu tausend Morgen besten Nebraska-Tieflands gebracht hat. Doch seine Herrschaft beginnt zu bröckeln, als seine Frau Pearl das Fargo-Vermögen einem Vertreter Gottes auf Erden vermacht, sein jüngster Sohn Grant sich mit seiner Cousine Bella vergnügt und seine Tochter Edie als Lehrerin mitansehen muss, wie einer ihrer polnischen Schüler von dem Bankangestellten Alfred Courtland fast zu Tode gepeitscht wird.
Währenddessen muss Sherman Fargo die Nachricht verarbeiten, dass er für seine hundertsechzig Morgen Land, auf der nur eine kleine Hypothek liegt, keinen neuen Kredit bekommt, um sich einen Mähdrescher kaufen zu können. Schließlich überschatten Verrat, Diebstahl, Krankheit und Tod das Schicksal des Fargo-Clans. Nach einer erschütternden ärztlichen Diagnose und Bellas Tod ist Lincoln am Ende seiner Kräfte.
„Er wünschte, es gäbe einen Weg, Grant zu hängen, ohne dass der Name Fargo beschmutzt würde. Hinter dem Schatten eines Zweifels wusste er, dass sein Sohn des Mordes schuldig war. Damit war auch sein letztes bisschen Stolz gestorben, und es gab nichts, womit er sich vormachen konnte, es wäre anders. Und jetzt war nur noch sehr wenig übrig, so furchtbar wenig von dieser überbordenden Handvoll Energie, mit der sein Leben einst begonnen hatte.“ (S. 339) 
Nur der allseits beliebte Rechtsanwalt Jeff Parker scheint seinen Weg zu gehen. Aus ärmlichen Verhältnissen kommend, wurde er von Rechtsanwalt Amos Ritten in seine Praxis aufgenommen und übernahm diese, als Ritten zum Richter des County gewählt worden war. Parker lässt sich zum Senator wählen und sich – bei großzügiger Anerkennung – für die Belange der Eisenbahn einspannen …
Vier Jahre nach seinem Debütroman „Jetzt und auf Erden“ erschien 1946 mit „Fürchte den Donner“ der zweite Roman von Jim Thompson, der zehn Jahre später mit Stanley Kubrick zusammenarbeiten sollte und dessen Werke anschließend von Filmemachern wie Sam Peckinpah („The Getaway“), Burt Kennedy („The Killer Inside Me“), Bertrand Tavernier („Coup de Torchon“) und Stephen Frears („The Grifters“) adaptiert worden sind.
„Fürchte den Donner“ liest sich wie ein klassischer Depressionsroman. Er schildert die Nöte der Farmer, die Ernten und das Vieh durchzubringen, ihre Abhängigkeit von den Banken, die kläglichen Versuche der Fargo-Söhne, jenseits der Arbeit auf der Farm in den Städten zu Geld zu kommen, wo sie aber ebenso schnell ersetzt wie schlecht bezahlt werden. Thompson thematisiert aber auch die Konflikte zwischen den Amerikanern und den Siedlern. Während die Deutschen und Skandinavier hoch geachtet waren, hatten die Amerikaner nur Spott und Abscheu für die sogenannten Hunkies und Rooshans, die Polen, Böhmischen und Russen, übrig.
Er schreibt von den Verlockungen des Geldes, der Verbreitung der Eisenbahn und dem beginnenden Straßenbau, von schmutzigen Körpern, verbotenen Gelüsten, Alkoholsucht und Geschlechtskrankheiten. Seine Figuren hoffen vergeblich auf Erlösung, sterben an Krankheiten, die sie ihrer Sünden zu verdanken haben, oder für Verbrechen, die andere begangen haben.  
Thompson beschreibt die Szenen der Gewalt, des Gestanks und des Drecks so plastisch, als wolle er die Leser an dem Leid, an den Wunden und den schmutzigen Umständen seiner Figuren teilhaben lassen. In seinem klugen Nachwort beschreibt Thomas Wörtche Thompson als „Vertreter einer Fundamentalopposition zu optimistischen Menschenbildern“. James Ellroy, einer seiner glühendsten Bewunderer, der auch für das Vorwort der deutschen Erstausgabe verantwortlich ist, beschreibt „Fürchte den Donner“ als Hybrid von Ma und Pa Kettle, Dostojewski und Steinbeck.
Es ist vor allem aber eins: ein grollendes Meisterwerk durch das dunkle Kapitel der amerikanischen Modernisierungs- und Siedlungsgeschichte, das niemanden unberührt lässt.
Leseprobe Jim Thompson - "Fürchte den Donner"

Karin Slaughter – „Cop Town – Stadt der Angst“

Donnerstag, 31. Dezember 2015

(Blanvalet, 544 S., Pb.)
Als die aus wohlhabenden niederländischen Verhältnissen stammende Kate Murphy im November 1974 ihren Dienst beim Police Department in Atlanta antritt, wird sie der erfahrenen Polizistin Maggie Lawson als Partnerin zugeteilt. Dabei lernt sie gleich die überaus rauen Sitten gerade unter den männlichen Kollegen kennen, die keinen Hehl aus ihrem Hass gegen Schwule, Juden und Schwarze machen und ihre weiblichen Kolleginnen mit ätzender Herablassung strafen. Doch momentan geht die Angst auch bei den männlichen Cops um, denn vor drei Monaten hat ein Killer angefangen, Streifenpolizisten in den frühen Morgenstunden im Innenstadtbezirk von Five Points regelrecht zu exekutieren.
Was den Ermittlern besondere Kopfschmerzen bereitet, ist die Tatsache, dass kaum Spuren zu finden waren, keine Zeugen, keine Patronenhülsen, keine Fingerabdrücke, schon mal gar keine Verdächtigen. Das jüngste Cop-Opfer ist ausgerechnet Don Wesley, der Partner von Maggies Bruder Jimmy. Jimmy selbst blieb von dem scheinbar überraschten Killer verschont, weil dessen Waffe eine Ladehemmung hatte. Als Kate und Maggie herausfinden, dass der Mord an Don wohl nicht so passiert sein kann, wie Jimmy es geschildert hat, machen sie sich mit Hilfe der Zivilbeamtin Gail auf die Suche nach Zeugen in dem als Hurenviertel bekannten Five Points und stoßen tatsächlich auf eine Zeugin.
Kate und Maggie finden heraus, dass der Atlanta Shooter, wie der Cop-Killer genannt wird, mit den Codes und Verhaltensweisen der Polizisten vertraut sein muss, doch mit der Weitergabe ihrer Informationen müssen die Frauen vorsichtig sein, denn Maggies Onkel Terry konnte in seinem Hass auf alle Minderheiten und die Verräter, die diese seiner Meinung nach zur Macht verholfen haben, alles Mögliche tun …
„Maggie musste wieder an Gails Vorschlag denken, den Fall gemeinsam zu bearbeiten. Es wäre für sie eine verdammte Herausforderung. Gail wusste genau, welche Knöpfe sie bei Maggie drücken musste. So schrecklich es auch klang – aber der Gedanke, bei der Aufklärung des Mordes an Don Wesley mitzuwirken, war durchaus aufregend. Doch dann war da noch eine andere Komponente … nämlich dass Maggie den Namen an Terry würde weitergeben müssen. Und damit würde sie Terry nicht nur einen Namen verraten. Sie würde das Schicksal des Verdächtigen besiegeln.“ (S. 89) 
Tatsächlich überschlagen sich die Ereignisse, als der Shooter für weitere Opfer verantwortlich ist und Maggie, Kate und Gail in lebensbedrohliche Situationen bringt. Doch die taffen Frauen denken gar nicht daran, ihren Teil der Jagd auf den Cop-Killer aufzugeben …
Abgesehen von der Novelle „Unverstanden“ (2009) ist „Cop Town“ erst der zweite Einzeltitel, den die amerikanische Thriller-Bestseller-Autorin Karin Slaughter jenseits ihrer überaus populären Reihen um die Rechtsmedizinerin Sara Linton, Polizeichef Jeffrey Tolliver und Ermittler Will Trent jetzt veröffentlicht. Dabei gelingt es ihr, den Leser bereits im Prolog zu fesseln, als Jimmy Lawson seinen schwer verletzten Kollegen ins Grady Hospital schleppt. Slaughter schafft es in der Folge ganz hervorragend, die Stimmung in der Cop Town Atlanta zu beschreiben, den abgrundtiefen Hass, den vor allem die Männer gegen jedwede Minderheiten hegen, die angespannten Beziehungen zwischen männlichen und weiblichen, weißen und schwarzen Kollegen im Police Department, das geheime Doppelleben, das die Männer führen, aber auch den starken Willen der Protagonistinnen, sich in dieser harten Männerwelt behaupten zu wollen.
Diese explosive Mischung aus Angst, Wut und Hass wird noch aufgeheizt durch einen Killer, der es ausgerechnet auf jene Männer abgesehen hat, die eigentlich dafür eingetreten sind, die Ordnung in diesem multikulturellen Chaos aufrechtzuerhalten.
Doch nach den präzisen Milieubeschreibungen und den emotionalen Wechselbädern, in denen vor allem Kate und Maggie baden, verliert Slaughter im letzten Drittel etwas den Schwung, der Plot verliert sich schon mal auf dem einen oder anderen Nebengleis. Zum Glück bekommt die Thriller-Queen zum Finale hin wieder die Kurve und schließt ein außergewöhnliches Werk ab, das fast mehr als gesellschaftspolitisches Dokument überzeugt denn als spannungsreicher Thriller. Leseprobe Karin Slaughter - "Cop Town"

Joe R. Lansdale – „Gluthitze“

Samstag, 26. Dezember 2015

(Suhrkamp, 390 S., Tb.)
Cason Statler hat den Irakkrieg zwar überstanden, trägt aber mittlerweile so viele Wunden mit sich herum, dass er in Selbstmitleid und Alkohol zu ertrinken droht. Da spendet auch eine Pulitzer-Nominierung wenig Trost, noch weniger die Tatsache, dass er erst die Frau seines Chefs, dann auch noch seine Stieftochter gebumst hat. Ohne Job und echte Perspektive kehrt Statler Houston den Rücken und zieht in seine Heimatstadt Camp Rapture zurück, wo er ein Vorstellungsgespräch beim Camp Rapture Report hat. Die charismatische Chefredakteurin Margot Timpson bietet ihm an, die Kolumne der ehemaligen Redakteurin Francine zu übernehmen.
Als er ihre Notizen durchstöbert, stößt Statler auf den Fall der dreiundzwanzigjährigen Geschichtsstudentin Caroline Allison, die vor sechs Monaten während einer Fahrt spät in der Nacht zu einem Taco Bell verschwunden ist. Ihr Wagen wurde zwar eine Woche später etwas außerhalb der Stadt in Bahnhofsnähe gefunden, doch weitere Spuren gab es nicht.
Kaum beginnt Statler den in Francines Computer hinterlegten Hinweisen zu folgen, erhält er von einem anonymen Absender einen Umschlag mit einer DVD, auf der sein Bruder Jimmy beim Verkehr mit Caroline zu sehen ist. Jimmy, der als verheirateter Geschichtsdozent an der High School lehrt, an der Caroline studiert hat, wird um 10.000 Dollar erpresst. Zwar können Cason und Jimmy die jungen Erpresser stellen, müssen aber feststellen, dass sie in einem viel komplexeren Spiel gefangen sind, in dem es um Sex, Intrigen, Mord und Rassenfragen geht.
„Die Fassade meiner Heimatstadt, die ich für real gehalten hatte, bekam Risse, und ich kam mir vor wie damals im Irak, als mir klar geworden war, dass ich allmählich den Verstand verlor. Ich hatte den Finger am Abzug eines Gewehrs und zielte auf einen Menschen, war kurz davor, ihn mit einer Patrone Kaliber .50 in zwei Hälften zu teilen. In diesen klaren Momenten, unmittelbar bevor ich das Projektil auf Reisen schickte, konnte ich all die Lügen durchschauen, die man mir von Würde und dem Streben nach Demokratie aufgetischt hatte, und dann erkannte ich, dass ich nichts war als eine lebende Schachfigur …“ (S. 215) 
Tatsächlich muss Cason seinen Bruder samt Familie in Sicherheit bringen, um zusammen mit seinem skrupellosen Kriegskumpel Booger auf die Jagd zu gehen. Denn natürlich befinden sich noch weitere DVDs im Umlauf, die die ebenso kluge wie bildschöne, aber auch extrem durchtriebene Caroline versteckt hält und die das gesellschaftliche Gefüge in Camp Rapture ordentlich durchrütteln würden …
Im ursprünglich 2008 veröffentlichten, dann unter dem Titel „Gauklersommer“ im Berliner Golkonda Verlag erstmals auf Deutsch erschienenen Roman „Gluthitze“ entwickelt der mehrfach ausgezeichnete Texaner Krimi-Star Joe R. Lansdale eine klassische Detektivgeschichte, in der ein einst gefeierter, mittlerweile recht heruntergekommener Reporter einem interessanten Vermisstenfall nachgeht.
Geschickt lässt Lansdale seinen angeschlagenen Protagonisten immer neue Informationen enthüllen, sei es mit Hilfe des schwarzen Zeitungsarchivars Oswald, der sich eigentlich Hoffnungen auf den Job gemacht hatte, den Cason nun eingenommen hat, sei es mit seiner Kollegin Belinda, mit der Cason schnell auch das Bett zu teilen beginnt.
Allmählich entfaltet sich das Psychogramm einer jungen Frau, die Edgar Allan Poe zu ihren Lieblingsautoren zählt, Spaß an Rätseln hat und keine Skrupel kennt, ihre Ziele auch mit Gewalt zu erreichen. Vor allem im Schlussdrittel nimmt der Roman deutlich an Fahrt auf und zeigt Lansdale einmal mehr in Topform, mit einem starken Gefühl für die richtige Atmosphäre und komplexe Figuren, mit einem ausgeprägten Sinn für einen zunehmend geheimnisvolleren Plot und eine pulsierende Spannung, die sich schließlich in einem echten Blutbad entlädt.
Leseprobe Joe R. Lansdale - "Gluthitze"

John Niven – „Gott bewahre“

Sonntag, 20. Dezember 2015

(Heyne, 400 S., HC)
Ein Tag im Himmel entspricht 57 Erdenjahren. Als Gott nach einem einwöchigen Angelurlaub an seinen Schreibtisch im Himmel zurückkehrt, bekommt er in seinem Büro eine endlos lange Trolley-Schlange mit einer Rückschau der letzten vierhundert Jahre auf Erden präsentiert. Bei der Durchsicht der Berge von Akten, CDs und DVDs muss er leider feststellen, dass es die Menschheit verbockt hat. Als Gott in den Urlaub ging, wurde in London gerade „King Lear“ uraufgeführt, El Greco malte an „Das fünfte Siegel der Apokalypse“, Galileo erblickte durch den Prototyp seines Teleskops erstmals die vier Mondtrabanten des Jupiter und Monteverdi hatte gerade die Komposition von „L’Orfeo“ vollendet. Nach seiner Rückkehr muss sich Gott durch Ordner wühlen, die mit Überschriften wie „18. Jahrhundert: Sklavenhandel“, „Katholische Kirche: Neuzeit“ und „Islamischer Fundamentalismus: Überzeugungen und Bräuche“ betitelt sind.
Also ruft er seinen aus Petrus, Matthäus, Andreas und Johannes bestehenden Krisenstab zusammen, lässt sich über die katastrophalen Entwicklungen der letzten vier Jahrhunderte Bericht erstatten und nimmt mit seinem Sohn Jesus den Fahrstuhl zur Hölle, um Satan zu besuchen. Der ist ganz zufrieden, dass es „da oben“ gar nicht besser für ihn laufen könnte, mit all den Reality-Shows im Fernsehen, mit den aufgeblasenen Egos, die nichts mehr lernen, sondern nur noch berühmt werden wollen. Gott sieht nur noch eine Möglichkeit, die Dinge wieder in den Griff zu bekommen: Er schickt seinen Sohn Jesus Christus wieder auf die Erde, wo er 1979 von einer ahnungslosen Jungfrau zur Welt gebracht wird und 31 Jahre später in New York City landet, wo er alles dafür tut, Obdachlosen und Bettlern zu helfen.
Allerdings muss er bald feststellen, dass das christliche Motto „Seid lieb“ hier unten nicht mehr viel zählt. Die einzige Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen, sehen JC und seine Mitstreiter in der Casting-Show „American Pop Star“. JC erweist sich als charismatischer Gitarrist und Sänger, schließlich hat er im Himmel lange genug mit Jimi Hendrix gejammt. Doch kaum hat JC die erste Casting-Hürde und damit auch die Auseinandersetzung mit Programm-Chef Steven Stelfox hinter sich, ist er sich überhaupt nicht mehr sicher, ob das so ein guter Plan ist, seine Botschaft auf diese Weise zu erneuern.
„Es sah ganz so aus, als ob sich Amerika zwar grundsätzlich für Talent interessierte, sich jedoch eigentlich viel mehr für sabbernde, total aus dem wahren Leben gegriffene, absolut durchgeknallte Oberirre der Kategorie Schließt-sie-weg-und-pumpt-sie-mit-Chlorpromazin-voll begeisterte. Je mehr davon, desto besser.“ (S. 116) 
JC und seine Truppe versetzen das Flugticket nach Los Angeles, kaufen einen alten Greyhound-Bus und machen sich auf einen abenteuerlichen Trip, der sie auch auf eine heruntergekommene Farm in Texas führt …
Der ehemalige schottische A&R-Manager John Niven hat seine Erfahrungen in der Musikindustrie auf bissige Weise in seinem Debütroman „Music from Big Pink“ verarbeitet. Auch in den nachfolgenden Werken „Kill Your Friends“ und „Coma“ hat es Niven verstanden, sowohl die Musikbranche als auch den Sport mit satirischer Würze zu thematisieren.
In „Gott bewahre“ kehrt Steven Stelfox aus „Kill Your Friends“ auf die Bühne zurück, diesmal nicht als A&R-Manager, sondern als Casting-Show-Produzent. Doch die Hauptfigur in Nivens 2011 veröffentlichten Roman ist kein Geringerer als Jesus Christus, der auf die Erde zurückgeschickt wird, um noch einmal das Leiden durchzumachen, das ihn schon einmal ans Kreuz gebracht hat.
Niven lässt in seiner bitterbösen Gesamtschau des menschlichen Versagens niemanden verschonen. Vor allem die religiösen Fanatiker bekommen ihr Fett weg, aber eben auch die Medienproduzenten, die amerikanischen Strafverfolgungsbehörden und diverse Prominente, die in der Hölle anal vergewaltigt werden (wie der Ku-Klux-Klan-Mitbegründer George Washington Gordon) oder Dienst als Satans Kellner (wie Ronald Reagan) verrichten müssen. Gottesfürchtige Christen (und andere Anhänger diverser Religionen) dürften an dem extrem blasphemischen Buch wenig Freude haben, aber bei aller schwarzhumoriger Bissigkeit trifft Niven natürlich auch den Kern der Sache, wenn er Jesus vermeintlich gutgläubigen Christen, die gegen Homosexuelle, Abtreibungsbefürworter und AIDS-Kranke wettern, ihre christliche Gesinnung abspricht. Ebenso amüsant ist Nivens Abrechnung mit dem kranken Zirkus, dem sich leider nicht nur in Amerika diverse Casting-Shows verschrieben haben. Auch hier bringt der Autor klar auf den Punkt, was er von diesem kurzlebigen, billig produzierten Massenspektakel hält. Wie „Gott bewahre“ endet, muss niemandem gesagt werden, der sich ein wenig in der Lebensgeschichte von Gottes Sohn auskennt.
Leseprobe John Niven "Gott bewahre"

John Grisham – (Theo Boone: 5) „Theo Boone und der entflohene Mörder“

Samstag, 19. Dezember 2015

(Heyne, 255 S., HC)
Vor der Middleschool in der 75.000-Einwohner-Stadt Strattenburg herrscht helle Aufregung. Schließlich steht die Klassenfahrt der Achten an. Mit vier langen Reisebussen werden die Schüler sechs Stunden lang nach Washington gefahren, wo sie sich dreieinhalb Tage lang die Sehenswürdigkeiten der Stadt ansehen. Für den dreizehnjährigen Theodore Boone bedeutet dieser Ausflug ein überraschendes Wiedersehen mit dem des Mordes an seiner Frau angeklagten Pete Duffy, der während seines Prozesses aber geflüchtet und untergetaucht ist.
Theo hat Duffy die Gerichtsverhandlung verfolgt und erkennt Duffy trotz seiner Verkleidung am seinem Gang wieder. Er lässt seinen Onkel Ike nach Washington kommen, der früher mit seinen Eltern als Rechtsanwalt praktizierte und sich nun weitaus weniger ambitioniert als Steuerberater durchs Leben schlägt, und findet mit ihm heraus, wo Duffy zurzeit wohnt.
Zurück in Strattenburg informiert Ike das FBI, das sich mit Theos Hilfe erneut auf die Suche nach Duffy macht, der offensichtlich mitbekommen hat, dass er aufgeflogen ist. Aber wenn Duffy erneut der Prozess gemacht werden soll, muss auch der 19-jährige illegale Einwanderer Bobby Escobar aussagen, der Duffy damals gesehen hat, als er vom Golfplatz zu seinem Haus fuhr, um seine Frau umzubringen.
Theo ist sich unsicher, inwieweit er seine Eltern informieren soll, die in Rechtsfragen grundsätzlich gegenteilige Meinungen vertreten.
„Wieder würde der Duffy-Zirkus die ganze Stadt beherrschen, und damit wuchs die Gefahr, dass zwielichtige Gestalten auf ihn aufmerksam wurden. Wenn irgendwie durchsickerte, dass Theo und Ike für Duffys Festnahme verantwortlich waren, konnte es brenzlig werden. Und Bobby Escobar konnte jederzeit untertauchen.“ (S. 102) 
Seit seinem erfolgreichen Debütroman „Die Jury“ ist der ehemalige Anwalt John Grisham zum Inbegriff des Justiz-Thrillers geworden, der mit packenden Geschichten um spektakuläre und außergewöhnliche Gerichtsfälle und einer einfachen Prosa weltweit Millionen von Lesern zu begeistert versteht. Mittlerweile hat Grisham auch das junge Publikum für sich entdeckt und mit dem Theo Boone einen charismatischen, aufgeweckten Teenager-Jungen kreiert, der ganz in die Fußstapfen seiner Eltern zu treten scheint.
Mit „Theo Boone und der entflohene Mörder“ greift Grisham die Geschichte auf, die er mit dem Theo-Boone-Debüt „Theo Boone und der unsichtbare Zeuge“ offensichtlich noch nicht zu Ende erzählt hat. Der Autor versteht es zwar souverän, seinem (nicht nur) jungen Publikum eine an sich interessante Story zu präsentieren und die juristischen Regeln und Prozesse anschaulich darzustellen. Aber der Plot wirkt wie am Reißbrett konstruiert und ist extrem vorhersehbar ausgefallen, so dass echte Spannung nie wirklich aufkommt.
Davon abgesehen könnte sich Grisham aber durchaus mehr Mühe bei der Charakterisierung seiner Figuren geben. Vor allem Theos Eltern bleiben im fünften Theo-Boone-Fall sehr blass. Bleibt zu hoffen, dass sich Grisham nach dem schwächsten seiner Theo-Boone-Bücher beim nächsten Band wieder mehr Mühe gibt.
Leseprobe John Grisham - "Theo Boone und der entflohene Mörder"