Niccolò Ammaniti - „Die Herren des Hügels“

Samstag, 4. April 2009

(C. Bertelsmann, 256 S., HC)
In dem süditalienischen Dorf Acqua Traverse ist im Sommer 1978 so heiß, dass sich nur die Kinder aus den Häusern trauen. Der neunjährige Michele gehört mit seiner fünfjährigen Schwester Maria einer kleinen Gruppe von Kindern an, die unter Führung des zwölfjährigen Antonio Natale immer wieder Wettrennen oder andere Wettbewerbe unter sich austrägt, wobei der Verlierer stets eine der gemeinen Aufgaben zu erfüllen hat, die ihm der verhasste Antonio aufträgt.
Eines Tages radelt die sechsköpfige Clique zu einem etwas entfernteren Hügel. Als Michele aufgetragen wird, das verfallene Haus auf dem Hügel zu erkunden, entdeckt er in einem Verlies einen zunächst für tot gehaltenen Jungen. Erschüttert von seiner Entdeckung, erzählt er niemandem davon, kehrt aber immer wieder zurück, stellt fest, dass der Junge noch lebt, in seinem Alter ist und versorgt wird. Stutzig wird er allerdings, als er bei ihm einen Topf entdeckt, den er von zuhause kennt. Und bald muss er feststellen, dass sein Vater an der Entführung des Sohnes eines norditalienischen Industriellen beteiligt ist. Nachdem die Lösegeldübergabe gescheitert ist, planen die Entführer, den Jungen umzubringen, aber die Rechnung haben sie ohne Michele gemacht. Die Verfilmung des spannenden wie gefühlvollen Romans mit herrlichen Landschaftbeschreibungen lief übrigens jüngst auf der diesjährigen Berlinale.

Val McDermid - „Echo einer Winternacht“

Freitag, 3. April 2009

(Droemer, 557 S., HC)
Sie nennen sich selbst die Laddies fi’ Kirkcaldy und sind seit ihrer Jugend die besten Freunde: Alex „Gilly“ Gilby, Sigmund „Ziggy“ Malkiewicz, Davey „Mondo“ Kerr und Tom „Weird“ Mackie. Als die vier Studenten am 16. Dezember 1978 nach einer Party im schottischen Universitätsstädtchen St. Andrews aber auf einem alten keltischen Friedhof über die neunzehnjährige Kneipenbedienung Rosie Duff stolpern, die schwer verletzt im Schnee liegt, kann selbst Medizinstudent Ziggy ihr nicht mehr helfen. Da andere Tatverdächtige nicht auszumachen sind und sich jeder der vier von der Party hätte stehlen können, um das Mädchen zu vergewaltigen und zu erstechen, werden aus den Zeugen schnell mutmaßliche Täter. Da ihre Schuld aber nicht bewiesen werden kann, bleiben sie abgesehen von ein paar üblen Drohungen, bösen Scherzen und Prügeleien ungeschoren…
25 Jahre später werden ungelöste Mordfälle wieder aufgerollt, die man mittels neuer Verfahren wie DNA-Analyse nun doch noch aufzuklären hofft. Doch während die Beweise im Fall Rosie Duff bei einem Umzug abhanden gekommen zu sein scheinen, nimmt offensichtlich jemand anderer die Gerechtigkeit in seine Hand: Ziggy verbrennt in seinem Haus, Davey wird nach einem Einbruch erstochen. Vor allem Alex glaubt nicht an Zufall und macht sich auf die Suche nach dem Rachetäter. Dabei sind nicht nur Rosies Brüder Colin und Brian verdächtig, sondern auch der plötzlich auftauchende Programmierer Macfadyen, der behauptet, Rosies Sohn zu sein…
Extrem spannende Tätersuche, aber auch einfühlsames Portrait einer anfangs eingeschworenen Jungen-Clique, die unter dem öffentlichen Druck allmählich auseinander fällt.

Jonathan Ames - „Henry und Louis“

(Europa, 448 S., HC)
Bereits mit seiner Geschichtensammlung „Flüchtig wie die Nacht“ hat sich der junge Kolumnist der „New York Press“, Jonathan Ames, als talentierter Erzähler mit viel Witz, melancholischer Gelassenheit und einer unbekümmerten Sexualität erwiesen. Sein Roman „Henry und Louis“ erzählt die aberwitzige Geschichte einer ganz außergewöhnlichen Männerfreundschaft.
Louis Ives, ein romantischer, stets elegant wie ein junger Gentleman gekleideter Englischlehrer aus New Jersey, verliert seinen Job, als er mit dem Büstenhalter einer Kollegin im Lehrerzimmer erwischt wird. Ein Foto auf einem Buchumschlag von Henry James bringt ihn auf die Idee, nach New York zu ziehen. Er findet Unterschlupf bei dem komischen Kauz Henry Harrison, einem ehemaligen Schauspieler und wenig beachteten Dramatiker, dessen Lebenssinn darin besteht, sich unbemerkt in Opern und Musicals zu schmuggeln und kostenlose Mahlzeiten bei älteren Frauen aus guter Gesellschaft abzustauben. Während Louis seine Leidenschaft für Frauenwäsche durch Verabredungen mit Transsexuellen auslebt, versucht er verzweifelt, auch Henrys sexuellem Leben auf die Spur zu kommen. Obwohl die beiden Männer auch ständig über Kleinigkeiten aneinander geraten, wird immer wieder deutlich, wie sehr sie einander brauchen. Jonathan Ames beschreibt die Freundschaft zweier völlig unterschiedlicher Männer mit einem erfrischenden Humor und frech-frivolen Episoden kurioser sexueller Abenteuer.

Peter Ackroyd - „William Blake. Dichter, Maler, Visionär“

(Knaus, 475 S., HC)
Der Untertitel der Biografie über William Blake (1757-1827) deutet bereits an, über welche vielschichtigen Qualitäten das wahnsinnige Genie William Blake verfügt hat. In seinem umfangreichen Werk beleuchtet der Autor vor dem Hintergrund einer aufregenden Epoche, die vom Vorabend der Französischen Revolution bis zur Restauration währte, das Leben und Werk eines Künstlers, der auf der einen Seite die sozialen Missstände in seiner Gesellschaft beklagte, auf der anderen Seite Gedichte über die freie Liebe schrieb.
Er idealisierte Englands Vergangenheit und verschmolz biblische und keltische Mythen zu einer eigenen Kosmologie, verkehrte als religiöser Mystiker mit den Himmelsboten und brach in seinen Kupferstichen mit erotischen Tabus, während der 45 Jahre lang treu an der Seite seiner Frau Catherine lebte. Er erfand für sich neue Drucktechniken und fertigte ca. 580 Kupferstiche als Auftragsarbeiten an. Vor allem ist uns William Blake aber als der letzte religiöse Dichter Englands in Erinnerung geblieben. Ackroyd macht all die oft gegensätzlichen Facetten von Blakes Genius transparent und hat sein Werk mit vielen wunderbaren s/w- und Farb-Abbildungen bereichert.

Axel Schmidt/Klaus Neumann-Braun - „Die Welt der Gothics – Spielräume düster konnotativer Transzendenz“

Donnerstag, 2. April 2009

(Verlag für Sozialwissenschaften, 336 S., Pb.)
Bereits der Untertitel macht deutlich, dass es sich bei vorliegendem Buch um eine streng wissenschaftliche Abhandlung über das kulturell immer signifikanter werdende Phänomen der schwarzen Szene handelt, die in den letzten Jahren aus einem subkulturellen Randphänomen zu einem elementaren Bestandteil der Popkultur gewachsen ist. Da als Ausgangspunkt der wissenschaftliche Studie das „Phänomen des jugendzentrischen Satanismus“ gewählt wurde, muss man zunächst Schlimmes befürchten, aber die Autoren haben sich tatsächlich die Mühe gemacht, Interviews mit den Gothics zu führen, Clubs wie das KUZ in Mainz, das „Rind“ in Rüsselsheim und das „Nachtleben“ in Frankfurt mit ihren szenespezifischen Veranstaltungen ebenso zu besuchen wie das WGT und das M’era Luna in den Jahren 2000 und 2001.
Es wird die Geschichte, die Wertvorstellungen, das Lebensgefühl und die ästhetischen Praxen der schwarzen Szene beschrieben, um sich abschließend mit dem Religionsbegriff innerhalb der Gothics zu befassen. Schon früh stellen die Autoren dabei fest, dass eine scharfe Trennung zwischen Gothic-Szene und satanistischen Kreisen besteht. Fazit: „Gothic lässt sich zusammengefasst begreifen als ein flexibler und nicht verpflichtender, synkretistisch-patchwork-artiger, stilistisch-ästhetischer überformter, damit auf die individuelle Kreativität und Originalität setzender, stark individualisierter/privatisierter und moderat gegenkultureller resp. `spielerisch-häretischer´ Rekurs auf traditionelle Glaubens- und Ideologiesysteme mit dem Ziel, sich auf der Basis dieser Glaubens- und Religions-Bricolage von der `Normalgesellschaft´ in kontrollierbaren Grenzen abzuheben“ (S. 321). Doch von solchen wissenschaftlichen Analysen sollte man sich nicht zu sehr abschrecken lassen. Die Studie erweist sich nämlich als überaus fundiert und gewährt faszinierende Einblicke in die schwarze Szene.

Klaus Farin & Kirsten Wallraff - „Die Gothics“

(Tilsner, 216 S., Pb.)
Vor zwei Jahren hat der Gründer und Leiter des Berliner Archivs der Jugendkulturen e.V., Klaus Farin, mit „Die Gothics“ bereits einen informativen Führer durch die Schwarze Szene veröffentlicht, der sich nicht nur durch eine differenzierte, wenn auch nur einführende Auseinandersetzung mit szenerelevanten Themen wie Ursprung und Entwicklung der Schwarzen Szene, literarischen Vorlieben, Sex, Satan, Tod und Faschismus auszeichnete, sondern vor allem die Anhänger der Szene selbst zu Wort kommen ließ und ablichtete. Damit wurde erstmals ein authentisches Bild der Grufti-Szene gezeichnet, die in den Medien sonst immer schlagzeilenadäquat in ein diffuses Licht von Grabschändungen, Schwarzen Messen und Vampir-Erotik gestellt worden ist.
Für die Neuauflage wurde das ursprünglich 128 Seiten umfassende Buch um den gut 90 Seiten langen Beitrag „Weiß wie Schnee, rot wie Blut und schwarz wie Ebenholz“ von Kirsten Wallraff erweitert, die sich 1994 in ihrer Sozialpädagogik-Diplomarbeit mit der Schwarzen Szene auseinandersetzte, aber auch selbst seit über fünfzehn Jahren in sie involviert ist. Sie macht von vornherein deutlich, dass es nicht möglich ist, ein umfassendes Bild der Schwarzen Szene zu kreieren, da es gerade hier um das Ausleben von zwar gemeinsamen, aber vor allem stark individuellen Vorlieben und Gefühlen geht. Die Gemeinsamkeiten zeigen sich rein äußerlich vor allem im Outfit und musikalischen Präferenzen, und so nimmt die Auseinandersetzung mit der Mode samt Hairstyling und Körperschmuck sowie den Farben Schwarz und Weiß fast die Hälfte des Beitrags ein, während die Beschäftigung mit der Musik, Literatur und religiös-philosophischen Themen eher oberflächlich bleibt und gerade bei den musikalischen Zuordnungen böse Patzer passiert sind (so werden Skinny Puppy in die Gothic-, Delerium und Kirlian Camera in die Industrial- und Omala in die Ritual-Ecke gesteckt). Interessant ist allerdings die abschließende Beurteilung bezüglich der Einbindung der Szene in den soziokulturellen Kontext, bei dem deutlich wird, wie schwierig gerade in einer so gefühlsbetonten Szene die Gratwanderung zwischen gesellschaftlichen Zwängen und individuellen Bedürfnissen ist, was in der Regel dazu führt, die rein äußerlichen Merkmale im „Alter“ abzulegen und sich allenfalls noch mit szenerelevanten Inhalten auseinanderzusetzen.

Klaus N. Frick - „Zwei Whisky mit Neumann“

(Tilsner, 92 Seiten, Softcover)
Seit 1986 bringt der Punk Klaus N. Frick sein Egozine „ENPUNKT“ heraus, das mit teils ironischen Untertiteln wie „Fanzine für Science Fiction, Punk und Dosenbier“, „Zeitschrift für angewandtes Spießertum“, „Das Fanzine für Spät-Pubertierende“ oder „Die Zeitschrift für die spießige Frau von heute“ überwiegend Erlebnisberichte des Herausgebers und alleinigen Autors veröffentlicht und weniger Reflexionen von kulturellen Ereignissen in der Szene. „Beim ENPUNKT ging es nie um scharfsinnige Analysen oder seriöse Berichterstattung - das ist auch nicht Sinn eines Egozines“, schreibt Frick im Vorwort der Anthologie seiner Kurzgeschichten.
„Sinn eines Egozines ist die Kommunikation einerseits und die Förderung des Egos des Herausgebers andererseits.“ Die zwanzig Geschichten aus 34 bis 2000 erschienenen „ENPUNKT“-Ausgaben sind - bis auf eine Ausnahme - reine Erlebnisberichte und besitzen alle „streng subjektiven Charakter“. Nach einem sechsseitigen Fotoalbum und einem Vorwort, in dem der Autor den Unterschied zwischen Fanzine und Egozine erläutert, folgt schließlich die lose Aneinanderreihung verschiedener Erlebnisse, die im Prinzip so trivial wie unspannend sind. Interessent ist allein der authentische Charakter, den eigentlich alle Publikationen des in Berlin ansässigen „Archiv der Jugendkulturen“ besitzen. Aus erster Hand bekommt der Leser einen Einblick in das Denken und Fühlen und die Überzeugungen eines Punks, doch wird man zumindest bei Frick über eine oberflächliche Betrachtung nicht hinauskommen. So erfährt man in der Geschichte „Nazis aufm Flohmarkt“, dass sich der Autor gern mal Naziplatten in seinen „Giftschrank“ stellt, um die Leute zu irritieren, als es dann zur Begegnung mit einem Neonazi kommt, geht Frick eben nach Hause, weil es ihm reicht. Andere Geschichten handeln vom Saufen und dem Morgen danach, als man sich nicht mehr daran erinnert, was man mit dem Mädchen, das morgens neben einem aufwacht, zu tun hat.