Kevin Brockmeier - „Die Stadt der Toten“

Sonntag, 29. März 2009

(Luchterhand, 256 S., Pb.)
Wie mag ein mögliches Dasein nach dem Tod aussehen? Einige afrikanische Kulturen teilen die Vorstellung von drei Kategorien, in die die Menschheit unterteilt werden kann: die Lebenden, die lebendig Toten und die Toten. Die Stadt der Toten ist im Szenario des amerikanischen Schriftstellers Kevin Brockmeier jenes Zwischenreich, in dem die lebendig Toten so lange verweilen, bis sie in den Erinnerungen der noch Lebenden verblasst sind. Hier finden sich alte Freunde und Liebespaare wieder, es gibt Geschäfte, Bistros und überhaupt ein recht munteres gesellschaftliches Leben.
Durch eine als „Blinks“ bezeichnete, schnell um sich greifende Viruserkrankung geraten die Lebenden auf der ganzen Welt urplötzlich in jene Stadt der Toten, deren Grenzen sich ganz von selbst ausdehnen. Die junge Biologin Laura Byrd bekommt von dieser Epidemie nichts mit. Zusammen mit ihren zwei männlichen Kollegen Puckett und Joyce ist sie nämlich im Rahmen einer Marketing-Aktion von Coca-Cola in der Antarktis unterwegs. Als die Funkverbindung zu ihrem Arbeitgeber abbricht, machen sich die beiden Männer auf den Weg zur nächsten Beobachtungsstation, finden diese aber verlassen vor, da auch hier bereits das Virus um sich gegriffen hat. Nach zwei Wochen macht sich Laura auf die Suche nach ihren beiden Kollegen und findet in der Station ein Tagebuch mit Eintragungen, die sie mit blankem Entsetzen erfüllen. Derweil reduziert sich auch die Bevölkerung in der Stadt der Toten auf unerklärliche Weise. Ob es daran liegt, dass es auf einmal immer weniger Menschen gibt, die sich an sie erinnern können? Die wunderbar erzählte Geschichte von den Lebenden und den lebenden Toten wird gerade von Chris Columbus verfilmt und fasziniert vor allem als Auseinandersetzung mit der Erinnerung.

Åsa Larsson - „Sonnensturm“

Donnerstag, 26. März 2009

(C. Bertelsmann, 348 S., HC)
Die psychisch labile Sanna Strandgard findet frühmorgens ihren Bruder Viktor bestialisch ermordet mit ausgestochenen Augen und abgetrennten Händen vor dem Altar der Kirche der Kraftquelle auf. Vor einigen Jahren erlangte Viktor Strandgard Berühmtheit, als er nach einem Unfall mit seinem Fahrrad klinisch tot gewesen ist und nach seiner wundersamen Wiederbelebung als charismatischer Führer und Medienstar drei freikirchliche Sekten zu einer großen gemeinsamen Erweckungsgemeinde zusammengeführt hatte. Sanna bittet ihre alte Jugendfreundin Rebecka Martinsson, die als Steueranwältin in einer bekannten Stockholmer Kanzlei arbeitet, zur Unterstützung herbei.
Bei ihren Ermittlungen, die sie teilweise zusammen mit der hochschwangeren Kommissarin Anna-Maria Mella durchführt, stößt sie nicht nur auf den mächtigen Wirtschaftsapparat, die die gemeinnützige und daher steuerbefreite Kirchengemeinde unter dem Deckmantel des Verlagshauses VictoryPrint unterhält, sondern wird auch mit Ereignissen ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert, die sie damals nach Stockholm ziehen ließen. Auf jeden Fall scheucht sie Viktors Mörder so auf, dass sie bald selbst in sein Visier gerät … Das spannende, psychologisch vielschichtige Debüt der schwedischen Autorin wurde als bestes Krimidebüt des Jahres ausgezeichnet und garantiert rasantes Lesevergnügen.

Erik Larson - „Der Teufel von Chicago“

Mittwoch, 25. März 2009

(Scherz, 448. S., HC)
Auch wenn er längst nicht die Berühmtheit von Jack The Ripper, der 1888 im Londoner Whitechapel-Viertel fünf Prostituierte auf grausamste Weise ermordet hatte, erreichen sollte, darf man Dr. Herman W. Mudgett als einen der gerissendsten Serienmörder bezeichnen, den die Welt je erlebt hat. 1886, also in dem Jahr, als Sir Arthur Conan Doyle erstmals seinen berühmten Detektiv präsentierte, nahm Mudgett den Namen Holmes an und wurde 1895 wegen mehrerer Morde zum Tode durch den Strang verurteilt.
Auch wenn der Titel des Buchs und der Text auf der Buchrückseite annehmen lassen, dass hier die Geschichte des Serienkillers erzählt wird, belehrt einen bereits der Klappentext eines besseren. Der „Time Magazine“-Autor Erik Larson beschreibt nämlich in erster Linie das Ringen um die Weltausstellung, die 1889 in Paris für Furore gesorgt hatte und 1893 nun in Amerika neue Maßstäbe setzen soll. Nachdem Chicago das Rennen um die Ausrichtung für sich entscheiden konnte, sorgen der berühmte Architekt Daniel Burnham und seine Kollegen für ein schillerndes Wunder, das bald nur noch „die Weiße Stadt“ genannt wird. Innerhalb von nur drei Jahren Bauzeit entstehen prachtvolle Plätze und Gebäude, ziehen unzählige Männer und Frauen nach Chicago, um dort im Rahmen der Ausstellung Arbeit zu finden. Bei diesem gewaltigen Menschenstrom fällt es überhaupt nicht auf, dass immer wieder junge Frauen spurlos verschwinden… Larsen hat akribisch recherchiert, um eine spannende Geschichte rund um die Weltausstellung und Amerikas ersten Serienkiller zu stricken. Schade nur, dass dem Killer dabei so wenig Platz eingeräumt wird und die Portraits der Stadt Chicago und ihrer Erbauer so im Mittelpunkt stehen.

T.C. Boyle - "Dr. Sex"

(Hanser, 471 S., HC)
Pünktlich zum Filmstart von "Kinsey" erscheint auch die deutsche Übersetzung von T.C. Boyles "Inner Cirlcle", der in spannender wie erregender Romanform die Karriere des Zoologen (mit dem Spezialgebiet Gallwespen) Alfred C. Kinsey (1894 bis 1956) rekapituliert. Die von Kinseys fiktivem Mitarbeiter John Milk aufgezeichnete Geschichte beginnt 1939 mit Kinseys harmlos klingender Uni-Vorlesung "Ehe und Familie", zu der aber nur Verlobte Zutritt hatten, und dokumentiert vor allem die aufreibende, minutiös gewissenhaft durchgeführte Dokumentation des amerikanischen Sexuallebens, für die Kinsey und seine Mitarbeiter in den 40ern durch Amerika reisten, um allen möglichen Orten die Sexualpraktiken von Strichern, Hausfrauen, Studenten, Vertretern, Prostituierten etc. anhand standardisierter Interviews zu erforschen, um sie dann in den beiden Aufsehen erregenden Bänden "Das sexuelle Verhalten des Mannes" (1948) und "Das sexuelle Verhalten der Frau" (1953) darzulegen.
Dabei wird schon anhand der Sexualgeschichte von John Milk deutlich, wie es um die Sexualmoral der Amerikaner in der Zeit vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs stand. Kinsey selbst lebte die freizügige Moral, für die er kämpfte, ebenso frei aus, unterhielt mit Milk und anderen Mitarbeitern "H-Geschichten" aus, überließ es seiner Frau Mac, Milk in die Freuden heterosexueller Liebe einzuführen, und erfreute sich vor allem daran, Pärchen beim Sex hinter Kleiderschranktüren zu beobachten - alles für die Wissenschaft. Doch Boyle ist mit seinem Roman nicht darauf aus, den Sex zu entmystifizieren. Vielmehr schildert er eine spannende Biografie und die aufzubrechende verklemmte Sexualmoral an der Schwelle zu einer neuen, freizügigeren Auffassung der menschlichen Sexualität.

Julie Garwood - „Ein mörderisches Geschäft“

Freitag, 20. März 2009

(Ullstein, 511 S., HC)
Drei Tage nach der Geburt ihrer Tochter Avery machte sich die soziopathische Jilly Delaney auf und davon, während Avery von ihrer Großmutter Lola und ihrer Tante Carolyn aufgezogen wurde. Im Alter von elf Jahren wird Avery aber von ihrer Mutter und ihrem Begleiter angeschossen und für tot gehalten, während Grandma tatsächlich getötet wurde.
Mittlerweile hat sich Avery beim FBI verdingt, zwar nicht als Agentin, sondern nur als Typistin, aber schon bald muss sie echte Agentin-Qualitäten unter Beweis stellen, als ihre Tante Carrie bei einem Besuch auf der Wellness-Farm Utopia, zu der Carrie auch Avery eingeladen hat, gekidnappt wird. Schnell findet sie heraus, dass sie zusammen mit einer Richterin und einer anderen Frau in einem Haus in den Bergen von Colorado in der Nähe von Utopia von ihrer tot geglaubten Mutter Jilly und dem Auftragskiller Monk gefangen gehalten wird. Zum Glück ist auch der ehemalige CIA-Agent John Paul dabei, Monk auszuschalten. Gemeinsam müssen sie einen raffinierten Plan entwickeln, der wahnsinnigen wie rachsüchtigen Jilly und ihrem hörigen Liebhaber das Handwerk zu legen … Spannender Psycho-Thriller um einen „weiblichen Hannibal Lecter“, psychologisch aber längst nicht so ausgefeilt wie die großartige „Hannibal“-Trilogie von Thomas Harris. Für einen kurzweiligen Lesethrill langt es aber allemal.

Henning Boëtius - „Rom kann sehr heiß sein“

(btb, 284 S, HC)
Der Kommissar Piet Hieronymus ist so etwas wie das holländische Pendant zum seinem schwedischen Kollegen Kurt Wallander. Hieronymus war einst praktizierender Psychologe und arbeitet seit einigen Jahren als Sonderermittler bei der Groninger Polizei. Er wird immer dann herbeigerufen, wenn Landsleute im Ausland in kriminelle Handlungen verstrickt werden und die örtlich ansässigen Ermittler Probleme mit ihrer Arbeit haben. In seinem neuen Fall macht er sich auf die Suche nach seiner Freundin Dale Mackay, einer schottischen Kollegin, die er bei seinem letzten Fall „Das Rubinhalsband“ kennen- und liebengelernt hat.
Zunächst verschwindet seine Mutter aus dem Pflegeheim, dann taucht Dale für zwei Tage auf, bevor sie nach Bern zu einem Italienischkurs weiterreist. Dort trifft sie zwar ein, scheint sich dann aber direkt weiter nach Italien zu begeben, wo sich ihre Spur verliert. Hieronymus pfeift sogar auf seinen Job, um Dale in Rom zu finden, wo auch sein verstorben geglaubter Vater im Krankenhaus mit dem Tode ringt. Dort stößt er auf eine Gruppe von Wissenschaftlern und Ordensträgern, die die Genforschung bis zum Klonen von Menschen vorangetrieben haben.
Im Gegensatz zum eher nüchternen Stil Mankells versteht es Boëtius hervorragend, nicht nur die wissenschaftlichen Fakten um das Klonen und seine moralische Problematik hervorzuheben, sondern vor allem seinen Figuren eine psychologische Vielschichtigkeit zu verleihen, die die Lektüre des Romans zum reinen Lesegenuss machen.

Anne Rice - „Vittorio“

Montag, 16. März 2009

(Fischer, 334 S., Tb.)
Mit ihrer „Chronik der Vampire“ und dem verfilmten Welterfolg ihres Bestsellers „Interview mit einem Vampir“ hauchte die Schriftstellerin aus New Orleans dem langlebigen Vampir-Mythos frisches Blut ein. Seither hat die beliebte Autorin unzählige Vampir-Romane verfasst, die den Vampir als äußerst fragiles und verletzliches Wesen mit romantischen Zügen und verzweifelten Sehnsüchten darstellten und nicht als blutrünstiges Monster, dessen Dasein man mit den ausgefallensten Methoden ein Ende bereiten muss.
Das Setting ihres neuen Romans „Vittorio“ versprach eigentlich, diesem Thema neue Aspekte verleihen zu können, denn er erzählt die Geschichte des gerade mal 16-jährigen Vittorio, der im Florenz der blühenden Renaissance zum Vampir wird, nachdem eine ganze Horde von Vampiren des Blutroten Grals den Hof seiner reichen Familie vernichtet. Auf seinem Rachefeldzug gegen die Peiniger seiner Familie verfällt er allerdings der schönen Vampirin Ursula... Leider versteht es Anne Rice nie, den Leser mit ihrer unspektakulären Geschichte zu fesseln. Nur die Namen Cosimo de Medicis, Filippo Lippis und Donatellos lassen den strahlenden Glanz von Florenz erahnen, viel zu weitschweifig wird der Initiationsritus von Vittorios Vampirweihe geschildert, auch die Dialoge wirken seltsam gestelzt und fremdartig. Da wird man nie wirklich in die Geschichte eingeführt, viel mehr fragt man sich, wann es denn endlich losgeht. Enttäuschend schwache Vorstellung der großen Dame des Vampirromans.