(Hanser, 471 S., HC)
Pünktlich zum Filmstart von "Kinsey" erscheint auch die deutsche Übersetzung von T.C. Boyles "Inner Cirlcle", der in spannender wie erregender Romanform die Karriere des Zoologen (mit dem Spezialgebiet Gallwespen) Alfred C. Kinsey (1894 bis 1956) rekapituliert. Die von Kinseys fiktivem Mitarbeiter John Milk aufgezeichnete Geschichte beginnt 1939 mit Kinseys harmlos klingender Uni-Vorlesung "Ehe und Familie", zu der aber nur Verlobte Zutritt hatten, und dokumentiert vor allem die aufreibende, minutiös gewissenhaft durchgeführte Dokumentation des amerikanischen Sexuallebens, für die Kinsey und seine Mitarbeiter in den 40ern durch Amerika reisten, um allen möglichen Orten die Sexualpraktiken von Strichern, Hausfrauen, Studenten, Vertretern, Prostituierten etc. anhand standardisierter Interviews zu erforschen, um sie dann in den beiden Aufsehen erregenden Bänden "Das sexuelle Verhalten des Mannes" (1948) und "Das sexuelle Verhalten der Frau" (1953) darzulegen.
Dabei wird schon anhand der Sexualgeschichte von John Milk deutlich, wie es um die Sexualmoral der Amerikaner in der Zeit vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs stand. Kinsey selbst lebte die freizügige Moral, für die er kämpfte, ebenso frei aus, unterhielt mit Milk und anderen Mitarbeitern "H-Geschichten" aus, überließ es seiner Frau Mac, Milk in die Freuden heterosexueller Liebe einzuführen, und erfreute sich vor allem daran, Pärchen beim Sex hinter Kleiderschranktüren zu beobachten - alles für die Wissenschaft. Doch Boyle ist mit seinem Roman nicht darauf aus, den Sex zu entmystifizieren. Vielmehr schildert er eine spannende Biografie und die aufzubrechende verklemmte Sexualmoral an der Schwelle zu einer neuen, freizügigeren Auffassung der menschlichen Sexualität.
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