Joachim Lottmann - „Die Jugend von heute“

Samstag, 25. April 2009

(Kiepenheuer & Witsch, 319 S., Pb)
Mit seinem letzten Roman „Mai, Juni, Juli“ hat der 48-jährige Publizist Joachim Lottmann (u.a. Jungle World, die tageszeitung, de:bug, Neues Deutschland) einen Roman über die ausgehenden 80er veröffentlicht, nun begibt er sich als Ich-erzählender Onkel Jolo ins beginnende 21. Jahrhundert und will noch mal ganz jugendlich sein, genießt das nur offensichtlich sehr lockere Beisammensein mit seinem Neffen Elias, dem er unbedingt die erste Freundin besorgen möchte, dessen Freund Lukas und vor allem mit all den unglaublich hübschen, jungen Frauen, zwischen denen man sich irgendwie gar nicht entscheiden kann und die deshalb von den unbeschwerten Jugendlichen entsprechend wahllos ausgetauscht werden.
Zunächst will Jolo erst einmal weg aus Berlin, der Stadt der Jugend, in der er aber seit dreieinhalb Jahren keine Geliebte gehabt hat, in der er 16 Stunden am Tag schlafen musste, um „dieses Leben ohne Liebe“ überhaupt auszuhalten. Elias kommt extra aus Köln, um ihn von diesem Vorhaben abzubringen. Dabei behilflich soll ihm die neue Superdroge Samsunit sein, die angeblich ohne Nebenwirkungen antidepressiv, angstlösend, euphorisierend und sexuell stimulierend wirkt. Jolo hält sich von Samsunit fern, doch später wird der Leser Zeuge, welchen Sexhöllentrip die Kombination aus Viagra und Lexatonil verursacht. Letztlich zieht es ihn doch von Berlin weg, mal nach Köln, mal nach München und auch nach Wien, doch so richtig glücklich will er nirgends werden. Stattdessen wundert er sich über die irgendwie ziellose, krampfhaft Spaß haben wollende, unentschlossene Jugend. Das liest sich recht amüsant und bringt stellenweise „die Jugend von heute“ ganz treffend auf den Punkt, verpufft aber ebenso schnell wie das Leben der beschriebenen Jugendlichen.

Ha. A. Mehler - „Pokerspiel“

(Silberschnur, 309 S., HC)
Der Plot erinnert zunächst etwas an die intelligente „Final Destination“-Filmreihe der beiden „Akte X“-Autoren Glen Morgan und James Wong: Gevatter Tod streckt seine grabeskalten Fühler aus, einen Schriftsteller aus dem Reich der Lebenden zu entführen und zu sich zu holen, doch im Gegensatz zu dem gestaltlosen Tod aus „Final Destination“ nimmt der Schnitter in „Pokerspiel“ die ganz reale Form eines dürren, bösartigen und obszönen alten Mannes an, der wie ein Halloween-Spuk an die Tür des noch ahnungslosen Autors klopft.
Doch bevor der Tod zuschlagen kann, gelingt dem Schriftsteller die Flucht und kann ein um das andere Mal der kalten Hand des Todes ein Schnippchen schlagen. Überzeugt davon, dass der Tod nicht das schreckliche Gesicht haben muss, das die ängstlichen Menschen von ihm haben, lässt ihm die Natur des Todes keine Ruhe, sodass er verschiedene religiöse Geheimzirkel aufsucht, um dort letztlich nur zu erfahren, dass sich tatsächlich niemand vor dem Tod fürchten muss. Doch schließlich muss sich auch der Schriftsteller ein letztes Mal dem Tod stellen. Bei einem Pokerspiel geht es dabei um alles oder nichts … Die Auseinandersetzung mit dem Tabuthema Tod wird bei Mehler in einen spannenden Kriminalroman mit spiritueller Ausrichtung gepackt und regt dabei den Leser dazu an, seine eigene Einstellung zum Tod zu überdenken.

David Gilbert - „Die Normalen“

(Eichborn, 400 S., HC)
Zwar hat der 28jährige Billy Shine seinen Abschluss in Harvard gemacht, hält sich aber nur mit Zeitarbeits-Jobs über Wasser und verkehrt mit seiner Freundin Sally nur wegen des notwendigen Austauschs von Körperflüssigkeiten. Desillusioniert sowohl in beruflichen wie Liebesdingen, labt sich Billy an seinen Krankheiten auch nur, weil er vollkommen gesund ist. Nur die hartnäckige Inkassofirma Ragnar & Sons, die seine säumigen Studienschulden eintreiben will, machen Billy echte Sorgen.
Da kommt ihm das Angebot von Hargrove Anderson Medical, an einer Studie zur Erprobung eines atypischen Psychopharmakon zur Behandlung von Schizophrenie gerade recht. Recht gelangweilt und teilnahmslos lässt Billy alle medizinischen Prozeduren über sich ergehen und lässt sich auch von den ersten Nebenwirkungen nicht erschrecken, nicht mal als ihn sein Vater Abe um Sterbehilfe für ihn selbst und seine seit Jahren an Alzheimer leidenden Frau bittet … Mit „Die Normalen“ ist dem amerikanischen Autor David Gilbert eine ganz spezielle Hommage an Ken Keseys Klassiker „Einer flog über das Kuckucksnest“ gelungen, nur dass Billy eben gar keine rebellischen Züge hat und sich stattdessen in sein Schicksal ergibt. Vor allem die skurrilen Charaktere, die überzogenen Dialoge, die sehr mikrokosmische Behandlung von Themen wie Ethik in der Medizin und die Bedeutung von Liebe machen „Die Normalen“ zu einem vorzüglichen Lesevergnügen.

David Ellis - „Die Schuldigen“

Donnerstag, 16. April 2009

(Rütten & Loening, 448 S., HC)
Eigentlich könnte es für den jungen, aufstrebenden Anwalt Jon Soliday kaum besser laufen. Als rechte Hand des demokratischen Senators Grant Tully organisiert er dessen Wahlkampf zum Gouverneur von Illinois und hat gerade entdeckt, wie der republikanische Gegenkandidat John Trotter wegen eines Formfehlers bei der Bewerbung aus dem Rennen gekickt werden kann. Doch bevor dieses As ausgespielt werden kann, gerät Soliday in einen Strudel katastrophaler Ereignisse. Erst streckt sein Partner und Freund Bennett Carey einen Einbrecher mit drei Schüssen in den Rücken nieder, dann erhält er einen Erpresserbrief mit der Forderung, 250.000 Dollar aus dem Wahlkampffonds abzuzweigen, um ein bestimmtes „Geheimnis“ nicht preiszugeben.
Als Soliday schließlich Dale Garrison, eine ebenfalls für Senator Tully arbeitende Anwalt-Legende, tot in dessen Büro auffindet und dabei vom Sicherheitsdienst entdeckt wird, sieht er sich auch noch mit einer Mordanklage konfrontiert. Während der Ermittlungen, die er selbst anstellt, wird schnell deutlich, dass Ereignisse von vor über 21 Jahren ihren Schatten in die Gegenwart werfen. Damals hatte Soliday im Drogenrausch Sex mit einem Mädchen, das tags darauf tot war. Soliday hatte keine Erinnerung an die Ereignisse in der Nacht, wurde von seinem Freund Tully und seiner Familie aber aus der Sache rausgehalten. Nun versucht jemand, die wahren Hintergründe von damals aufzudecken. Soliday ist sich bewusst, dass einige politische Karrieren auf dem Spiel stehen, wenn er selbst mit allen Mitteln seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen versucht... Spannender, mit dem Edgar Allan Poe Award ausgezeichneter Justiz-Thriller des Juristen David Ellis.

Dennis Lehane - “Shutter Island”

Sonntag, 12. April 2009

(Ullstein, 366 S., HC)
Aus dem Ashecliffe Hospital für psychisch kranke Straftäter auf Shutter Island ist im Sommer 1954 eines Nachts die Patientin Rachel Solando aus ihrer zugesperrten Zelle entflohen. Als US-Marshal Teddy Daniels sich mit seinem neuen Kollegen Chuck Aule von Boston aus auf dem Weg zur Insel in die Festungs-ähnliche Einrichtung machen, erfahren sie, dass auch Dr. Sheehan, der Leiter der Gruppentherapie, an der Rachel am Abend zuvor teilgenommen hatte, verschwunden ist, ohne eine Spur zu hinterlassen. In Rachels Zelle finden die Marshals zwar eine Notiz mit kryptisch anmutenden Zahlenspielereien, aber sonst finden die Cops keine Hinweise auf ihr Verschwinden. Bei ihren Befragungen des Direktors und des Pflegepersonals bekommen Chuck und Teddy immer mehr den Eindruck, dass ihnen bei ihren Ermittlungen Steine in den Weg gelegt haben.
Als Chuck erfährt, dass Teddy auch nach einem Andrew Laeddis sucht, der Teddys Frau Dolores vor zwei Jahren durch eine Brandstiftung umgebracht hat, vermutet er, dass Teddy ganz persönliche Gründe hatte, sich den Fall Rachel Solando anzueignen. Zwar freunden sich die beiden ungleichen Männer immer weiter miteinander an, vermag Teddy aufgrund seiner ehemaligen Nachrichtendiensttätigkeit auch allmählich Rachels Code zu entschlüsseln, dennoch scheint hinter Rachels Verschwinden mehr zu stecken, als die Anstaltsleitung einzuräumen gewillt ist. Nach dem erfolgreich von Clint Eastwood verfilmten „Mystic River“ legt Dennis Lehane mit „Shutter Island“ einen weiteren filmreifen Roman vor.

Joe Meno - „Verdammte Helden“

Samstag, 11. April 2009

(Heyne, 413 S., Pb.)
Der 17-jährige Brian Oswald hängt am liebsten mit seiner besten Freundin Gretchen herum. In ihrem Ford Escort funktioniert zwar selten die Anlage, doch wenn sie mal läuft, bekommt Metal-Head Brian kuriose Mixtapes mit Soundtracks zu seinem Leben zu hören, Tracks von den Ramones, The Clash, The Dead Milkmen und den Misfits. Obwohl Gretchen etwas pummelig ist, verliebt sich Brian in sie und träumt davon, sie zu entjungfern.
Doch Gretchen überlässt diese heikle Aufgabe dem Fascho-Schläger Tony Degan, worauf sich die Wege von Brian und Gretchen eine Weile trennen. Dafür hängt Brian oft mir Mike zusammen, der immer coole Mädchen zu sich einlädt und Brian so auch sein erstes Sex-Erlebnis besorgt. Brian rutscht immer mehr in die Punk-Szene hinein und erfährt dort, wie cool es sein kann, mit Gleichgesinnten sein Anderssein zu teilen. Als Brian von seiner Freundin Dorie wegen ihres Ex-Freundes verlassen wird, sehnt er sich aber umso mehr nach Gretchen …
Mit seinem dritten Roman ist Joe Meno der große Durchbruch in den USA gelungen. „Verdammte Helden“ schildert auf amüsante, aber auch mitfühlende Art und Weise die Probleme des Erwachsenwerdens. Eine Art „High Fidelity“ für Teenager …

Faye Kellerman - „Und der Herr sei ihnen gnädig“

(C. Bertelsmann, 448 S., HC)
Cindy Decker, eine ehrgeizige junge Polizistin beim LAPD, die gern in die Stapfen ihres geschätzten Vaters, Detective Peter Decker, treten möchte, wird bei einer Streifenfahrt von einem wild gestikulierenden Mann angehalten, der ein Wimmern in einem Müllcontainer hörte. Als Cindy in den Container steigt, rettet sie einem gerade entbundenen Mädchen das Leben und besucht es anschließend im Mid-City Pediatric Hospital, wo sie auch den attraktiven ägyptischen Juden Yaakov Kutiel kennen lernt.
Die Mutter des Mädchens ist schnell gefunden – ein behindertes Mädchen namens Sarah Sanders, das während der Vernehmung berichtet, von vier Jungen vergewaltigt worden zu sein, die auch ihren Freund David besinnungslos schlugen und in einen Müllcontainer steckten. Seitdem wird David vermisst. Wenig später wird Cindy auch noch Zeugin, wie ein weiteres Mädchen auf offener Straße überfahren wird. Wie sich herausstellt, wurde dieses Mädchen wie Sarah im Fordham Communal Center for the Developmentally Disabled betreut wurde. Während Cindy Vorgesetzten den Fall nicht wirklich ernst nehmen, ermittelt sie auf eigene Faust, berät sich aber immer wieder mit ihrem Vater. Schließlich kommt sie den vermutlichen Vergewaltigern auf die Spur, sucht aber auch weiterhin den vermissten David… Erstmals lässt die Cop-Thriller-Spezialistin Faye Kellerman nicht Peter Decker, sondern seine pfiffige Tochter Cindy ermitteln. In einer Nebenhandlung hilft er seiner zweiten Frau, Rina, bei der Suche nach den Umständen des Todes von Rinas Mutter in Deutschland. Neben der spannenden Handlung, die zum Ende leider etwas abflacht, sind es vor allem die zwischenmenschlichen Beziehungsgeflechte, die „Und der Herr sei ihnen gnädig“ so lesenswert machen.