Umberto Eco - „Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana“

Sonntag, 5. Juli 2009

(Hanser, 508 S., HC)
Umberto Eco, dessen Name wohl für immer untrennbar mit dem kongenial verfilmten Erfolg seines Mittelalterkrimis „Der Name der Rose“ verbunden ist, taucht mit seinem neuen Roman in das Reich der Erinnerungen ein. Als der knapp sechzigjährige Bibliothekar Giambattista Bodoni aus dem Koma erwacht, kann er sich zwar an alles Mögliche erinnern, was irgendwie mit seinem Beruf zu tun hat, kennt sämtliche historischen Ereignisse und literarischen Kostbarkeiten, mit denen er je zu tun hatte, doch an seine Frau Paola, seine Töchter, seine persönliche Vergangenheit kann er sich nicht erinnern. Indem seine Frau ihn nach Norditalien aufs Land in das Haus seines Großvaters zur Erholung schickt, macht sich der liebevoll Yambo genannte Buchhändler an alte Bücher, Magazine, Schallplatten und Comics, lässt sich von Paola über seine Familiengeschichte aufklären und trifft sich mit seinem alten Freund Gianni Laivelli, der Bodoni auch von Lila erzählt, Bodonis große Liebe in der Schule, die er im Alter von sechzehn Jahren plötzlich aus den Augen verloren hat.
Es sind vor allem die Erinnerungen an dieses geheimnisvolle Mädchen, nach denen Bodoni fast verzweifelt sucht, und der Leser wird Zeuge der Suche, indem die allmählich zurückkehrenden Erinnerungen und Geschichten mit entsprechenden Filmplakaten, Comic-Bildern, Briefmarken, Zeitungsausschnitten und anderen Illustrationen in dem Roman mit abgebildet sind. Zwar sind die ausführlich geschilderten Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg für jüngere Leser vielleicht nicht ganz so interessant, aber die Geschichte der Suche nach der ersten großen Liebe ist dafür umso lesenswerter!

Ramsey Campbell - „Steif vor Angst“

Mittwoch, 1. Juli 2009

(Edition Phantasia, 244 S., HC im Schuber)
Neben Clive Barker und James Herbert zählt Ramsey Campbell fraglos zu den wichtigsten modernen britischen Horrorautoren, der seine Geschichten oft in der Anonymität moderner Großstädte, bevorzugt in seiner Heimatstadt Liverpool ansiedelt und dadurch seinen gruseligen Szenarien noch glaubwürdigere Züge verleiht.
In seinem 1987 verfassten, von Heiner Stiller collagenartig illustrierten und von Clive Barker eingeleiteten Werk verweist der Titel nicht nur auf die Erzeugung eines Angstgefühls, sondern tatsächlich auch auf die Erregung sexueller Leidenschaften und ausgefallener Fantasien, die selbst hinter den sorgfältig aufgebauten Fassaden bürgerlicher Einsamkeit die skurrilsten Formen annehmen. Campbell beschreibt dabei sehr deutlich, wie die Erfüllung unterschwelliger Sehnsüchte traditionelle Beziehungen untergräbt und der Versuch, die ganz eigenen sexuellen Fantasien auszuleben, stets ein unglückliches Ende nimmt. So werden in „Puppen“ die erotischen Gelüste einer christlichen Gemeinde bei einem Hexensabbat kanalisiert, wobei den Beteiligten erst spät gewahr wird, welch unmenschliche Züge manche Geschlechtspartner angenommen haben. In „Die andere Frau“ hat ein Buchillustrator mit Impotenzproblemen bei seiner Freundin zu kämpfen, wird aber hochgradig durch die Frau erregt, die er immer wieder malt, bis er das Bild der Fantasiegeliebten auf seine Freundin überträgt. Der Schuber in Schlangenlederoptik macht das auf 250 Exemplare limitierte, von Autor und Illustrator signierte Buch wieder zu einem echten Schmuckstück.

Fritz Leiber - „Die Umtriebe des Daniel Kesserich“

(Edition Phantasia, 116 S., HC im Schuber)
Ein wahres Schmuckstück hat der feine Bellheimer Verlag Edition Phantasia da auftun können. Die Novelle „Die Umtriebe des Daniel Kesserich“ des mit Literaturpreisen reich gesegneten Science-fiction-, Horror- und Fantasy-Autors Fritz Leiber (1910-1992) wurde nämlich in den 30er Jahren verfasst und war lange Zeit verschollen, ehe sie 1996 wieder auftauchte und ein Jahr später erstmals in den USA veröffentlicht wurde. Der versierte Übersetzer Joachim Körber (u.a. Stephen King, Clive Barker, Peter Straub) nahm sich nun das faszinierende Kleinod vor und ließ es von Lars Nestler auch gleich wunderschön illustrieren.
In bester Lovecraft-Tradition lässt Leiber den Ich-Erzähler George Kramer von seinen schwer zu begreifenden Erlebnissen berichten, die ihm bei seinem Besuch in der kleinen Stadt Smithville widerfuhren, wo seine beiden Collegefreunde Daniel Kesserich und John Ellis lebten. Ellis hatte dort die schöne Mary Andrews, Mündel eines Obstbauers, geheiratet, während Kesserich seinen Experimenten um Raum und Zeit nachging. Ellis schrieb Kramer vom unglücklichen Tod seiner Frau, die scheinbar versehentlich durch ein neues hochwertiges Spritzmittel vergiftet wurde. Auf dem Weg zu Kesserich fragt sich Kramer, wieso quasi aus dem Nichts Steine auf dem Boden auftauchen, die ihm den Weg zu weisen scheinen, dann explodiert auch noch Kesserichs Haus … Erst ein in den Trümmern gefundenes Notizbuch des exzentrischen Forschers und Ellis, der auch noch das Verschwinden der Leiche seiner Frau verkraften muss, lassen das ganze Ausmaß von Kesserichs Forschungen erahnen … Lovecraft hätte diese klaustrophobische Erzählung kaum packender schreiben können! Das wundervoll aufgemachte Buch ist vom Illustrator signiert und auf 250 handnummerierte Exemplare limitiert.

Henry Rider Haggard - “Der Mahatma und der Hase”

(Edition Phantasia, 120 S., Pb.)
Der 1912 zum Ritter geschlagene Beamte, Politiker und Schriftsteller Sir Henry Rider Haggard (1856 – 1925) wurde vor allem durch seine vierzig Jahre lang erscheinenden, oft verfilmten Geschichten um den Abenteurer Allan Quatermain weltberühmt, aber auch durch – ebenfalls verfilmte - Romane wie „King Solomon’s Mines“ und „She“. Die 1911 verfasste, nun erstmal auf Deutsch erscheinende Fabel „Der Mahatma und der Hase“ zählt zu Recht zu den beeindruckendsten Werke der Fantasy-Literatur, ist es doch ein eindringliches Plädoyer gegen die Jagd.
Der Ich-Erzähler, der sich als nom-de-plume etwas selbstironisch mit dem Namen Mahatma schmückt, erzählt davon, wie er vor Trauer über den Verlust seiner geliebten Frau und Tochter erst zu trinken anfing und dann seinem Leben im Wasser ein Ende setzen wollte. Ein geheimnisvoller Mann namens Jorsen rettete den Lebensmüden nicht nur vor dem Ertrinken, sondern wies ihn in gewisse spirituelle Techniken ein, so dass sich Mahatma u.a. auch an frühere Leben bis zurück zu Zeiten des prähistorischen Menschen erinnern oder das wahre Wesen der Menschen erkennen konnte. Im Schlaf vermeint er, sogar seinen Körper verlassen zu können, und einmal gelangt er dabei auf eine große weite Straße, auf denen die Toten vom Totenbett zu den Himmelspforten schreiten. Dabei begegnet er einem Hasen, der Mahatma ausführlich von seinem von Todesangst und Flucht und körperlichen Peinigungen geprägten Dasein berichtet… Selten hat man die Qualen, die Tiere bei der Jagd empfinden müssen, derartig bestürzend vor Augen geführt bekommen. Haggard war übrigens selbst jahrelang begeisterter Jäger, ehe er ebenso leidenschaftlich zu ihrem Gegner wurde.

Maarten ´T Hart - „In unnütz toller Wut“

Sonntag, 21. Juni 2009

(Piper, 348 S., HC)
Das Leben im südholländischen Örtchen Monward treibt wie ein langer ruhiger Fluss so dahin. Unruhig wird es erst, als die junge und fesche Fotografin Lotte Weeda auftaucht und den ehrgeizigen Plan umzusetzen gedenkt, die zweihundert markantesten Gesichter des Dorfes für einen Fotoband zu fotografieren. Viele der katholischen, oft abergläubischen Einwohner haben so ihre Bedenken, vor allem Taeke Gras, der unter keinen Umständen sein Gesicht mit einem Blatt Papier teilen möchte, oder Abel, der plötzlich von dem Wahn befallen wird, dass seine Kinder nicht von ihm seien, aber letztlich erliegen sie allesamt Lottes Charme.
Auch der Ich-Erzähler, ein ehemaliges Mitglied des Führungsstabs der Abteilung für Evolutionäre und Ökologische Wissenschaften, leidenschaftlicher Musikliebhaber und Hobby-Schriftsteller, lässt sich dafür einspannen, das Vorwort zu „Verschlusszeiten“ zu schreiben. Wirklich turbulent geht es allerdings in Monward zu, nachdem Lotte Weeda wie vom Erdboden verschluckt zu sein scheint, als ihr Buch erscheint und einer der Portraitierten nach dem anderen stirbt. Die meisten Einwohner wollen an einen Zufall nicht glauben, auch wenn es sich zumeist um ältere Menschen handelt, die Lotte fotografiert hat. Dieses Unbehagen bekommt vor allem der Erzähler zu spüren, der sich indes von einigen attraktiven Frauen wie der Malerin Molly oder Sirena aus dem Schönheitssalon umgarnt sieht… Herrliche Posse über den Aberglauben, die Eitelkeit, Liebe und Lust.

Sam Shepard - „Der große Himmel“

Samstag, 20. Juni 2009

(S. Fischer, 157 S., HC)
Der 1943 geborene Sam Shepard hat sich nicht nur als hervorragender Schauspieler („Die Akte“, „Fool For Love“) auf sich aufmerksam machen können, sondern sich auch als Regisseur, Drehbuchautor („Paris, Texas“) und vor allem Theaterautor einen Namen gemacht und wurde bereits mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet. Seit 1977 erscheinen seine Geschichten auch in Buchform. „Der große Himmel“ ist sein fünfter Prosa-Band, in dem er sich einmal mehr mit dem kleinen Mann und seinen Ängsten und Sehnsüchten auseinandersetzt.
Auf gerade mal 157 Seiten finden sich 18, gelegentlich gerade mal zwei Seiten kurze Geschichten, in denen die Protagonisten Abschied von ihren Träumen nehmen oder unfähig sind, ihre zwischenmenschlichen Konflikte zu lösen, geschweige denn ihre eigene innere Zerrissenheit zu heilen. Dabei schwanken die Stories zwischen rührender Komik und Absurdität. Da flüchtet in „Coalinga auf halbem Weg“ ein Mann vor Frau und Kind zu einer anderen Frau, wie schon so oft zuvor, doch seine neue Geliebte, zu der er unterwegs ist, ist bereits dabei, mit ihrem Mann ebenfalls weiterzuziehen. In „Das blinkende Auge“ macht sich eine Frau mit der großen, grüne Urne, in der sich die sterblichen Überreste ihrer Mutter befinden, auf den Weg zur Familientrauerfeier in Green Bay und nimmt dabei einen am Straßenrand verletzt liegenden Bussard mit, der mit dafür verantwortlich zeichnet, dass sich die Asche der Mutter im ganzen Auto verteilt. „Die Botschaft leben“ erzählt die Geschichte eines Reisenden, der in einem Fast-Food-Restaurant auf das Schild „Leben ist das, was passiert, während du irgendwelche Pläne machst“ aufmerksam wird und unbedingt den Autoren kennen lernen will. So reiht sich eine irrwitzige, warmherzige Episode aus den zivilisationsfernen amerikanischen Dörfern an die andere.

Adam Thirlwell - „Strategie“

(S. Fischer, 320 S., HC)
Der von der Presse allseits gefeierte Debütroman des 26-jährigen Oxford-Absolventen Adam Thirlwell beginnt damit, dass Moshe seiner Freundin Nana (die eigentlich Nina heißt, aber da sie als Baby nicht Nina sagen konnte, sondern nur Nana, hieß sie eben fortan Nana) pinkfarbene, plüschbesetzte Handschellen anlegen will, die aber zu groß für Nanas schmale Hände sind, also nimmt er stattdessen das pinkfarbene Bondageseil.
Alles muss richtig arrangiert sein, schließlich ist Sex eine ernste Sache. Zumindest nehmen Moshe und Nana den Sex sehr ernst. Als die geplante Penetration in Nanas Arsch aber nicht gelingt und Moshe stattdessen in die für den Geschlechtsverkehr vorgesehene Öffnung rutscht, ist das nur eine weitere von vielen kleinen Katastrophen. Denn auch die vorherigen Experimente wie Oralverkehr, Rollenspiele, Lesbianismus, Undinismus, Dreier und Fisten waren nicht wirklich von Erfolg gekrönt. Problematisch wird es, als Nanas Freundin Anjali mit ins Spiel kommt, erst mit Nana eine Affäre (aber unter Moshes Aufsicht) anfängt und dann so guten Sex mit Moshe hat, dass sich Nana von Moshe trennt. Der versteht die Welt nicht mehr… Adam Thirlwell betont zwar immer wieder, dass es in seinem Buch nicht um Sex geht, aber er macht auf witzige Weise deutlich, wie wichtig Sex für eine funktionierende Beziehung offenbar ist und wie schwierig es ist, guten Sex zu haben.