Als Sohn eines jüdischen Poolreinigers hat es Barry Cohen weit gebracht und den amerikanischen Traum gelebt: Nach seinem Studium in Princeton machte er Karriere an der Wall Street und verwaltete einen eigenen Hedgefonds, der ihm Millionen, aber schließlich auch Probleme mit der Börsenaufsicht einbrachte. Der „freundlichste Typ der Wall Street“ hat aber nicht nur innerhalb von drei Jahren achthundert Millionen Dollar seiner Anleger verzockt, sondern auch mit privaten Problemen zu kämpfen. Während sein dreijähriger Sohn Shiva aufgrund seiner autistischen Störung nicht spricht und definitiv nicht in Barrys Fußstapfen tritt, unterhält seine schwangere Frau Seema auch noch eine Affäre mit dem Mann einer neuen Freundin, deren Sohn sich auch noch mit ihrem eigenen angefreundet hatte.
Barry sehnt sich auf einmal nach seiner Jugendliebe Layla und steigt aus seinem Luxus-Leben aus. Nur mit seinen (sündhaft teuren) Lieblingsuhren im Gepäck steigt er in New York in einen Greyhound-Bus und macht sich auf den Weg nach El Paso. Auf der Fahrt macht er die Bekanntschaft von Drogensüchtigen, Studentinnen und Lebenskünstlern und lernt so die andere Seite des American Way of Life kennen.
„Es war alles so scheißlächerlich. Sein erstes Lachen allein, solange er sich erinnern konnte. Niemanden interessierte seine schwarze Amex, niemand interessierte Seans blutendes Gesicht, niemanden interessierte, dass sein Sohn schwer autistisch, dass seine Ehe gescheitert war, niemanden interessierte sein Valupro-Fiasko oder was der Frau zustoßen würde, die mit nichts als einem Föhn ein Hotelzimmer bezogen hatte, als der Morgen zum Tag wurde. Die schiere Ausdehnung des Landes war viel zu groß für seine Sorgen.“ (S. 63)Nach seinen drei Bestsellern „Handbuch für den russischen Debütanten“, „Absurdistan“ und „Super Sad True Love Story“ schildert der in Leningrad als Sohn jüdischer Eltern geborene und seit seinem siebten Lebensjahr in den USA lebende Schriftsteller Gary Shteyngart mit seinem vierten Roman „Willkommen in Lake Success“ den unterhaltsamen Zwangsausstieg eines typischen Wall-Street-Karrieristen, der zwar alles hat, was man mit Geld kaufen kann – vor allem unverschämt teure Uhren -, aber plötzlich vor den Trümmern seines exklusiven Lebens steht, als er feststellen muss, dass sein Sohn nicht der perfekte Nachfolger im Investment-Sektor sein wird und seine Frau ihn nicht mehr liebt. Aus der Sehnsucht nach seiner College-Liebe Layla entwickelt sich ein Road-Trip, der den Protagonisten Barry Cohen mit den unteren Milieuschichten der amerikanischen Bevölkerung auf dem engen Raum eines Greyhound-Busses konfrontiert, woraus sich im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen interessante Einsichten über die Wähler von Donald Trump und Hilary Clinton gewinnen lassen. Allerdings wirken die Figuren recht klischeehaft gezeichnet und die Geschichte vom geläuterten Hedgefonds-Millionär, der in der wirtschaftlichen und privaten Krise sein Leben mit teils nostalgischer Verklärung, teils selbstkritischer Reflexion Revue passieren lässt und auf einmal die einfachen Menschen kennenlernt, auf die er zuvor nur abschätzig hinabgesehen hat, etwas arg konstruiert, zumal mit dem überraschend versöhnlichen, etwas unglaubwürdigen Ausklang. Nichtsdestotrotz gewährt Shteyngart seinen Lesern interessante Einblicke in die amerikanische Seele, in die enttäuschten Erwartungen und Träume der Unter- und Mittelschicht. Dabei lässt der Autor sowohl sanfte humoristische Töne und ein wenig Erotik einfließen, erweist sich stellenweise auch als guter Beobachter der unterschiedlichen Mentalitäten und der politischen Meinungsbildung, so dass ein wenig deutlicher wird, warum ein zynischer Scharlatan wie Donald Trump überhaupt die Massen so manipulieren konnte, dass er zum Präsidenten gewählt worden ist.
Leseprobe Gary Shteyngart - ""Willkommen in Lake Success"
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