(Hanser, 160 S., HC)
Der in Frankreich geborene, in der Schweiz lebende und mit beiden Staatsangehörigkeiten versehene Alex Capus hat sich seit seinem literarischen Debüt mit dem Sammelband „Diese verfluchte Schwerkraft“ (1994) immer wieder mit dem Wechselspiel von Geschichte, Biografie und Erfindung, Dokumentation und Erzählung auseinandergesetzt. So überrascht es nicht, dass sein neues Werk, die gerade mal 160 Seiten umfassende Erzählung „Das kleine Haus am Sonnenhang“, sich als Teil der eigenen Biografie präsentiert, darüber hinaus aber auch elementaren Fragen des künstlerischen Schaffens nachgeht.
Alex war kein Student mehr, aber noch kein Schriftsteller, als er in den neunziger Jahren sehr günstig ein kleines Haus an einem terrassierten Sonnenhang im Piemont kauft und dann mit seiner damaligen Freundin den ganzen Sommer dort verbringt. In dem nahe gelegenen Dorf gibt es keine Kneipe mehr, keinen Bäcker, keinen Postboten, auch im Pfarrhaus wohnt niemand mehr.
Also macht sich Alex alle paar Tage auf den Weg zum Postamt, um eventuell eingetroffene Briefe und Zeitungen abzuholen, begegnet oft denselben Menschen auf einer granitenen Sitzbank, an der Bushaltestelle oder der Autowerkstatt. Nachdem er seine Anstellung als politischer Journalist bei der Schweizerischen Depeschenagentur gekündigt hatte, will sich Alex ganz auf das Schreiben seines ersten Romans fokussieren. Während seine Freundin zum Herbst wieder ihr Studium der Rechtswissenschaften fortsetzt, lebt Alex allein in dem kleinen Haus und ernährt sich vorwiegend von Spaghetti al aglio, olio e peperoncino, telefoniert jeden zweiten oder dritten Abend mit seiner Freundin.
Wenn er mal unter Leute kommen möchte, schnappt sich der junge Mann das rostige Fahrrad, lässt das Dorf hinter sich und fährt weiter bis zur nächsten Stadt, wo an der obligatorischen Piazza Garibaldi einen adretten Tankwart Dienst verrichtete, und lässt sich in seiner Stammkneipe Da Pierluigi nieder, wo er ebenfalls immer dieselben Menschen antrifft.
„Ich bin der Meinung, dass man als Mensch nicht mehrere Bars braucht. Ich brauche nur eine, und da gehe ich dann hin. Es ist eine Mentalitätsfrage, nehme ich an. Nichts, worauf ich besonders stolz wäre. Ich will mich in meiner Bar zu Hause fühlen, deshalb muss dort immer alles gleich bleiben. Ich wünsche keine Veränderungen und keine Überraschungen.“
Doch meist ist sich Alex selbst genug, ganz mit dem Schreiben des Romans beschäftigt. Um den Winter besser durchzustehen, gönnt er sich einen Kachelofen mit Schamottsteinen, doch der Winter hat auch seine Tücken. So bekommt Alex mit einem Siebenschläfer unter dem Dach einen unliebsamen Gast, und dann ist auch der Kachelofen eines Tages weg…
Alex Capus‘ kleine Erzählung ist vor allem eine Erinnerung an unbeschwerte Zeiten in einer ländlichen Gegend im Piemont, wo sich in den neunziger Jahren zwar schon das 21. Jahrhundert in Anfängen bemerkbar macht, aber Briefe noch mit der Hand geschrieben, Bücher in die Schreibmaschine getippt werden. Soziale Kontakte finden noch ganz direkt statt, und wenn man Tag für Tag in einer kleinen Dorfgemeinschaft lebt, kennt man seine Pappenheimer.
„Das kleine Haus am Sonnenhang“ ist jenseits des biografischen Charakters vor allem eine Liebeserklärung an das italienische dolce vita, das Capus so einfühlsam und humorvoll beschreibt, als sei man mittendrin in der völlig verrauchten Bar – oder möchte es wenigstens sein. Es ist ein besonderes Lebensgefühl, das den Ich-Erzähler in dieser Zeit durchdringt, und daran lässt er seine Leserschaft mit großer imaginärer Kraft teilhaben.
Es macht einfach Spaß, den Autor darüber sinnieren zu lassen, warum man nicht ständig neue Pizzen ausprobieren und neue Strände aufsuchen muss, wenn die einmal getroffene Wahl sich doch bewährt hat. Genauso interessant sind aber auch Capus‘ Ausführungen zu den Voraussetzungen, um als Autor gute Bücher schreiben zu können.
So stellt „Das kleine Haus am Sonnenhang“ gleichermaßen eine Liebeserklärung an ein Leben in Gelassenheit und an die Schätze literarischer Kostbarkeiten dar.
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