Lee Child – (Jack Reacher: 17) „Der Anhalter“

Samstag, 4. Juli 2015

(Blanvalet, 446 S., HC)
Mit seinen ein Meter fünfundneunzig Körpergröße, der ohnehin kräftigen Statur und nun noch einer frisch gebrochenen Nase ist Jack Reacher nicht gerade in der besten Ausgangslage, um als Anhalter mitgenommen zu werden. Als er auf dem Weg nach Osten bis Virginia nach anderthalb Stunden Wartezeit endlich mitgenommen wird, ist der ehemalige und vielfach dekorierte Militärpolizist erst einmal froh, aber als er hinter den beiden Männern neben der Frau hinten im Wagen Platz nimmt, analysiert er sofort die Situation: Aus der einheitlichen Kleidung schließt Reacher, dass hier Kollegen unterwegs sind.
Alan King, Don McQueen und Karen Delfuenso sind im Vertrieb einer Software-Firma tätig und gerade von Kansas nach Chicago unterwegs, erfährt Reacher, doch nach einigen Meilen kommt ihm die Situation merkwürdig vor. Die Frau neben ihm ist auffällig ruhig, die Angaben der Männer nicht ganz schlüssig. Schließlich gibt die Frau Reacher durch einen Blinzel-Code zu verstehen, dass sie eine Geisel ist, dass die Männer mit ihrem Auto unterwegs sind und dass sie selbst eine Tochter hat. Er weiß nicht, dass die Männer in der Nähe von Kansas an einem Mord beteiligt gewesen sind, an dem neben dem County Sheriff Victor Goodman auch die FBI-Agentin Julia Sorenson ermittelte. Bevor Reacher die Frau befreien kann, gelingt es den Männern, mit ihr allein die Flucht fortzusetzen. Nachdem sie mit Reacher zusammen die Straßensperren passiert hatten, war er nicht mehr nützlich für sie. Nun setzt Reacher mit Sorenson alles daran, die Geisel zu befreien. Doch dann wird auch noch die zehnjährige Tochter der Geisel entführt.
„Sie war ein Mädchen vom Land. Zehn Jahre alt. Bestimmt kein Wunderkind. Sie würde jedem Erwachsenen mit einer halbwegs überzeugenden Story geglaubt haben. Jegliche Autorität würde sie überzeugt haben. Sie würde jede Art Versprechen bereitwillig hingenommen haben. Komm mit, Kleine. Wir haben deine Mama gefunden. Wir bringen dich zu ihr.
Aber wer?
Wer hatte überhaupt gewusst, dass Delfuenso verschwunden war? Natürlich sein ganzes Department, dazu die Nachbarn, und vermutlich einige Leute, mit denen sie seither telefoniert hatten. Und die beiden Kerle. Aber weshalb würden sie erst die Mutter ermorden und sich dann das Kind holen?“ (S. 238) 
Lee Child weiß, wie man packende Thriller schreibt. Nachdem der in England geborene Autor beim Fernsehen so gefeierte Thrillerserien wie „Heißer Verdacht“ und „Für alle Fitz“ betreut hatte, zog er in die USA und landete gleich mit seinem ersten Jack-Reacher-Roman „Größenwahn“ einen internationalen, preisgekrönten Bestseller. Seither zählen Lee Childs Jack-Reacher-Thriller zum Besten, was das Genre zu bieten hat, und mit Tom Cruise als „Jack Reacher“ (basierend auf dem 9. Band „Sniper“) hat die charismatische Figur mittlerweile auch den Weg auf die Leinwand gefunden. „Der Anhalter“ stellt bereits den 17. Roman um den ehemaligen Militärpolizisten dar, der nach dreizehn Jahren bei der Army mittlerweile fast ebenso lang auf eigenen Beinen steht und sich ohne familiäre Bindungen, einem Zuhause und Arbeitgeber eher ziellos durchs Leben treiben lässt. Indem Jack Reacher als Anhalter durch die USA reist, wird diese Lebensweise schon zu Beginn auf den Punkt gebracht. Auch wenn er etwas abgerissen erscheint, sind die Lektionen, die er beim Militär gelernt hat, in Fleisch und Blut übergegangen.
Aus einer zunächst unverfänglich erscheinenden Situation entwickelt „Der Anhalter“ einen raffinierten Plot, in dem Reachers nach wie vor geschulten Instinkte nicht nur sein eigenes Überleben sichern, sondern auch der Personen, die ihm am Herzen liegen. „Der Anhalter“ ist clever konstruiert, schnörkellos geschrieben, mit sympathischen Protagonisten gespickt, über die der Leser gern mehr erfahren würde, und schließlich so temporeich auf der Zielgeraden, dass es einem den Atem raubt. Mehr davon!
Leseprobe Lee Child - "Der Anhalter"

Don Winslow – (Art Keller: 2) „Das Kartell“

Sonntag, 28. Juni 2015

(Droemer, 831 S., Pb.)
Der US-amerikanische Drogenfahnder Art Keller hat sich ganz dem Kampf gegen die mexikanischen Kartelle verschrieben. Nachdem er sich in das Herz der dortigen Drogenmafia eingeschleust hatte und reihenweise Händlerringe auffliegen ließ, wurde aus dem Jäger Keller auf einmal selbst der Gejagte und sein ehemaliger Freund Adán Barrera zu seinem erbittertsten Feind. Mit seinen eigenmächtigen Aktionen zog sich Keller zwar auch den Zorn Washingtons zu, aber am Ende lag die weltweit mächtigste Drogenorganisation El Federación am Boden, ihr Anführer Barrera landete im Gefängnis, Keller zog sich in ein Kloster zurück.
Doch als Barrera einen neuen Deal aushandelt und fliehen kann, muss auch Keller seine Oase des Friedens verlassen und erneut den Kampf gegen seinen Erzfeind aufnehmen. Denn Barrera setzt wieder alles daran, das Gleichgewicht zwischen den Kartellen zu unterminieren und aus der neuen Alianza de sangre wieder die alte Federación zu etablieren. Dazu muss Barrera auch seinen Platzhalter Osiel Contreras ausschalten, der sich selbst als neuen patrón betrachtet. Was aus amerikanischer Sicht die Jagd auf Contreras, der direkt nach Bin Laden ganz oben auf der Fahndungsliste steht, schwierig macht, ist die Tatsache, dass dieser die mexikanischen Polizeibehörden in der Tasche hat. Gerardo Vera und Luis Aguilar haben mit ihren AFI- und SIEDO-Truppen zunächst das Tijuana-Kartell zerschlagen, nun machen sie zusammen mit Keller Jagd auf Barrera. Doch in diesem Krieg ist nie wirklich klar, wer auf welcher Seite steht. In dem komplexen Krieg zwischen den Kartellen sterben nicht nur die Kämpfenden, sondern auch Frauen, Kinder, Polizisten, schließlich auch Journalisten.
Als der anonyme Internet-Blog Esta Vida die Grausamkeiten des Drogenkriegs dokumentiert, gerät auch Pablo ins Visier der Drogenmafia.
„Früher hat er lange und tief geschlafen, sich wohlig hin und her gewälzt, seine Träume ausgekostet. Jetzt hasst und fürchtet er den Schlaf. Denn mit dem Schlaf kommen die Alpträume. Das ist schlecht für einen Mann, der Tausende von Morden gesehen hat. Und die Tausend ist keine rhetorische Ziffer, wie er nachts einmal nachgerechnet hat, nein, es waren wirklich so viele Morde. Nicht die Morde direkt, natürlich, obwohl er manchmal nur Minuten später am Tatort stand, sondern die Folgen. Die Toten, die Sterbenden, das Grauen. Die Verstümmelten, die Enthaupteten, die Gehäuteten.“ (S. 755) 
Zehn Jahre nach seinem Meisterwerk „Tage der Toten“, mit dem der amerikanische Bestseller-Autor Don Winslow („Zeit des Zorns“, „Missing – New York“) auf fiktive Weise die realen Hintergründe des ebenso komplexen wie brutalen mexikanischen Drogenkrieges verarbeitete, legt Winslow nun mit „Das Kartell“ eine Fortsetzung nach, die in jeder Hinsicht ein epochales Thriller-Epos darstellt.
Dabei lässt er mit den Adán Barrera und Art Keller nicht nur die beiden charismatischen Protagonisten aus „Tage der Toten“ wieder aufeinandertreffen, sondern führt einige weitere interessante Figuren ein, die mit ihren Lebensgeschichten jeweils genug Stoff für einen eigenen Roman bieten würden. Das betrifft nicht nur die einzelnen Anführer der Kartelle oder die Polizeichefs, Winslow zeichnet auch die Frauenfiguren und die Journalisten so vielschichtig und authentisch, dass der Leser sich mitten in diesem äußerst blutigen Krieg zu befinden scheint.
Dabei vermischt Winslow auf gekonnte Weise die Fakten mit einer spannenden Handlung, die von unberechenbaren Figuren vorangetrieben wird.
Es ist zwar hilfreich und auch unbedingt zu empfehlen, „Tage der Toten“ gelesen zu haben, aber „Das Kartell“ bildet ein ganz eigenständiges Werk, in dem es nicht nur um die Wahrung und Ausweitung von Machtverhältnissen geht, um gesicherte Transportwege für Drogen- und Waffenlieferungen bis nach Europa, sondern auch um Korruption und Rache. Selbst Art Keller wandelt hier auf einem schmalen moralischen Grat.
Vielleicht ist „Das Kartell“ der beste Thriller des Jahres, auf jeden Fall wirkt dieses atmosphärisch dicht geschriebene, pulsierend spannende Werk lange nach.
Leseprobe Don Winslow - "Das Kartell"

Donald Ray Pollock – „Das Handwerk des Teufels“

Freitag, 19. Juni 2015

(Heyne, 303 S., Tb.)
Kaum haben die beiden Prediger Roy Laferty und dessen Cousin Theodore Daniels aus Topperville einmal den Gottesdienst in der kleinen Gemeinde Coal Creek geleitet, heiratet Roy wenig später die unscheinbare Helen und zieht mit ihr und dem an den Rollstuhl gefesselten Theodore nach Topperville. Roy glaubt nach einem Spinnenbiss, Tote zum Leben erwecken zu können, doch als er nach dem Mord an seiner Frau feststellen muss, dass sie nicht wieder lebendig wird, verscharren die Prediger ihre Leiche im Wald und lassen nichts mehr von sich hören.
1958 stirbt Willard Russells Frau Charlotte, nachdem Willard und sein Sohn Arvin in Knockemstiff an einem Gebetsbaum vergeblich immer neue Opfertiere angenagelt hatten und Willard sogar den Anwalt Henry Dunlap erschlug, um seine Frau und das Haus halten zu können, das dem Anwalt gehörte.
Als sein Vater sich die Kehle durchschneidet, wächst Arvin bei seiner Großmutter auf und kümmert sich um Lenora, Helens und Roys Tochter. Als sie vom ortsansässigen Prediger verführt wird und ein Kind erwartet, bringt sie sich aus Scham um und lässt Arvin das Gesetz selbst in die Hand nehmen. Derweil sind Carl und Sandy Henderson seit dem Sommer 1965 unterwegs, Tramper aufzugabeln und zu ermorden, indem Carl sich als Fotograf ausgibt und den Anhaltern in abgelegenen Gefilden anbietet, sich mit seiner Frau zu vergnügen, während er ein paar Fotos schießt. Sandys Bruder ist Lee Bodecker, der als Sheriff in Meade nicht nur die jüngsten Todesfälle zu untersuchen hat, sondern auch seine Schwester vor dem Tunichtgut Carl zu bewahren und die verschwundenen Prediger aufzufinden versucht.
„Es ärgerte den Sheriff maßlos, dass diese beiden verdammten Perversen in seinem County vielleicht einen Mord begangen hatten, für den er sie nicht belangen konnte; aus diesem Grunde wiederholte er immer wieder dieselbe alte Geschichte, dass aller Wahrscheinlichkeit nach derselbe Freak, der die Familie in Millersburg niedergemetzelt hatte, auch Roy und Theodore in Stücke gehackt oder ihre Leichen in den Greenbrier River geworfen habe. Er erzählte die Geschichte so oft, dass er sie manchmal schon selbst glaubte.“ (S. 124) 
Seiner Heimatstadt Knockemstiff, Ohio, hat der amerikanische Schriftsteller Donald Ray Pollock bereits in seinem gleichnamigen, 2008 veröffentlichten Debüt Tribut gezollt. Mit dem 2011 erschienenen Nachfolger „Das Handwerk des Teufels“, der 2012 zunächst bei der Verlagsbuchhandlung Liebeskind und zwei Jahre später als Taschenbuch bei Heyne Hardcore erschienen ist, hat er die sehr episodenhafte Erzählweise seines Erstlings aufgelockert und zu einem homogeneren Schreibstil gefunden, bei dem Pollock dichter an den Figuren und ihren abgründigen Schicksalen bleibt.
Von den ersten Seiten an geht es um das sprichwörtliche „Handwerk des Teufels“, um Korruption, religiösen Fanatismus, verbotene Leidenschaften und die verlogene Hoffnung auf Erlösung – sei es durch Gott, den Alkohol oder auch brutalen Mord. Dabei spinnt der Autor ein dichtes Netz, die die menschlichen Abgründe, auf die sich seine Protagonisten zubewegen, ohne Ausweg erscheinen lassen, und bedient sich einer wunderbar eindringlichen wie schnörkellosen Sprache, die den Leser unerbittlich am Untergang von Pollocks unheilvollen Figuren teilhaben lässt.
Leseprobe Donald Ray Pollock - "Das Handwerk des Teufels"

Don Winslow – „Satori“

Samstag, 13. Juni 2015

(Heyne, 596 S., Tb.)
Der junge CIA-Agent Nikolai Hel wird nach drei Jahren Einzelhaft, die er für den Mord an General Kishikawa in den tristen Mauern des Sugamo-Gefängnisses absitzen musste, 1951 in einem Vorort von Tokio auf freien Fuß gesetzt, muss im Gegenzug aber in einer geheimen Mission den sowjetischen Oberbevollmächtigten für Rotchina, Juri Woroschenin, umbringen. Da sich die USA mit China im Krieg befinden, soll Hel als französischer Waffenhändler getarnt einen Keil zwischen Peking und Moskau treiben, um einen undurchdringlichen kommunistischen Block zu vermeiden.
Die schöne Französin Solange bereitet Hel, der in Japan aufgewachsen ist und dort in einer Vielzahl von Kampfkünsten unterrichtet worden ist, auf die heikle Mission vor, beginnt aber auch eine leidenschaftliche Affäre mit ihrem Schützling, der den Auftrag nutzen will, um auch eine ganz persönliche Mission zu erledigen, nämlich Rache an den Männern zu nehmen, die ihm nicht nur die Freiheit nahmen, sondern auch folterten. Derweil spielen sich auch die CIA-Männer Haverford, Singleton und Diamond gegeneinander aus. Hel, auch ein Meister des Strategie-Spiels Go, muss sich immer wieder auf die Spielzüge konzentrieren, um seine Optionen abzuwägen und seine Mission erfolgreich zu Ende bringen zu können.
„Er wechselte die Paradigmen und stellte sich das Szenario als Go-Brett vor, setzte seine schwarzen Steine und spielte. Er begegnete den zu erwartenden Herausforderungen, aber ansonsten fiel ihm nichts weiter auf. Falls Woroschenin meine wahre Identität kennt und sich daran erinnert, wie er mit der Gräfin Alexandra Iwanowna umgesprungen ist, dann ist es gut möglich, dass ich in eine Falle tappe, aber das weiß ich schon und bin darauf vorbereitet.
Da ist noch etwas anderes.
Er wechselte wieder das Gedankenmodell und beschloss, mit den weißen Steinen gegen seine eigenen schwarzen anzutreten.
Es war eine Offenbarung.“ (S. 247) 
Dass im Heyne-Verlag ein Werk von Don Winslow, der eigentlich bei Suhrkamp und Knaur beheimatet ist, erscheint, mag zunächst überraschen, aber das Nachwort des Autors klärt die Zusammenhänge auf: 2011 erschien im Heyne-Verlag nämlich die Neuauflage des Klassikers „Shibumi“ des 2005 verstorbenen Schriftstellers Rodney William Whitaker, den er 1979 unter seinem Pseudonym Trevanian („Im Auftrag des Drachen“) veröffentlicht hat. Auf den Vorschlag seines Agenten verfasste Don Winslow nun mit „Satori“ die Vorgeschichte zu Trevanians internationalen Thriller-Erfolg.
Dabei gelingt es dem Bestseller-Autor („Tage der Toten“, „Zeit des Zorns“) meisterhaft, seine Leser in die asiatische Kultur der 1950er Jahre einzuführen und die internationalen Spionage-Aktivitäten der damaligen Zeit in einen ebenso exotisch gefärbten wie spannenden Plot zu packen, der zum Ende hin immer wieder interessante Wendungen nimmt.
Leseprobe Don Winslow - "Satori"

Tess Gerritsen - (Rizzoli & Isles: 11) „Der Schneeleopard“

Sonntag, 31. Mai 2015

(Limes, 416 S., HC)
Als die Bostoner Polizei eines Morgens durch einen Briefträger über einen grausigen Leichenfund alarmiert wird, finden Jane Rizzoli und ihr Partner Barry Frost am Tatort eine nackte Leiche eines Mannes, der kopfüber von der Decke hängt, die Fußknöchel mit einem Nylonseil gefesselt und den Bauch so aufgeschlitzt, dass sich bereits ein Fliegenschwarm an den Inneren, die nicht entnommen wurden, gütlich tat. Der 64-jährige Leon Godt hatte sich einen Namen als leidenschaftlicher Jäger und einer der führenden Tierpräparatoren vor allem für große Wildkatzen gemacht und fand nun offensichtlich jenes Ende, das er zu seinen Lebzeiten den gnadenlosen Jägern in freier Wildbahn bereitet hatte.
Die Spur führt Rizzoli, ihre Kollegen und die Rechtsmedizinerin Dr. Maura Isles nach Botswana, wo Godts Sohn Elliot fünf Jahre zuvor bei einem Campingtrip, das als das „ultimative Buschabenteuer“ angepriesen wurde ebenso spurlos verschwand oder getötet wurde wie fünf seiner touristischen Begleiter und der Safari-Begleiter Clarence Nghobo. Allein die Londoner Buchhändlerin Millie Jacobson konnte damals den mörderischen Ereignissen entfliehen und hält sich seitdem auf einer Farm in Südafrika bei ihrem damaligen Retter und jetzigen Ehemann versteckt.
Als weitere Leichen mit ganz ähnlichen Verletzungen auch in anderen US-Bundesstaaten entdeckt werden, haben es Rizzoli & Co. auf einmal mit einem Serienkiller zu tun, der offenbar schon seit Jahren sein bizarres Werk verrichtet.
Rizzoli und ihr Mann, FBI-Agent Dean Gabriel, sind dringend auf Millie Jacobsons Hilfe angewiesen, um diese menschliche Bestie fassen zu können. Der nach wie vor vermisste Anbieter der Safari, Johnny Posthumus, ist nach Millies Angaben der offensichtliche Täter.
„Wir glaubten – ich glaubte -, dass wir bei ihm in sicheren Händen wären. Im Delta kann man auf Dutzende verschiedene Arten den Tod finden. Jedes Mal, wenn man aus dem Jeep steigt oder das Zelt verlässt, lauert irgendetwas auf einen oder trachtet einem nach dem Leben. An einem solchen Ort ist der eine Mensch, dem man einfach glauben und vertrauen muss, der Safari-Guide. Der Mann mit der Erfahrung, der Mann mit dem Gewehr.“ (S. 348f.) 

Mit ihrem bereits 11. Band in der Reihe um die Bostoner Polizistin Jane Rizzoli und ihre Freundin, die Pathologin Maura Isles, knüpft die amerikanische Thriller-Autorin Tess Gerritsen fast nahtlos an die erstklassig inszenierten Vorgänger an, mit denen es die sympathischen Protagonistinnen sogar zu einer eigenen Fernsehserie geschafft haben, die bereits in die fünfte Staffel geht.
Der neue Fall erhält vor allem durch die exotische afrikanische Kulisse neue atmosphärische Akzente, die vor allem durch die Ich-Erzählung der Safari-Touristin Millie Jacobson in Echtzeit auch eine dramatische Komponente erhalten. Natürlich entwickeln sich die Dinge und Ermittlungen wieder nicht erwartungsgemäß, und Jane wird durch den Fall wieder an ihre eigene Begegnung mit der menschlichen Bestie erinnert, die damals Jagd auf sie gemacht hatte.

Davon abgesehen halten sich die Einblicke in die privaten Nischen von Rizzoli & Isles eher in Grenzen. Dafür gestaltet sich der Fall um den exotischen (in der deutschen Ausgabe) titelgebenden Schneeleoparden bis zum furiosen Finale angenehm vielschichtig.

Scott Turow – „Die Erben des Zeus“

Montag, 25. Mai 2015

(Blessing, 431 S., HC)
Die eineiigen Zwillinge Paul und Cass Gianis halten seit ihrer Kindheit wie Pech und Schwefel zusammen. Doch als eines Tages im September 1982 Cass‘ Verlobte Dita Kronon ermordet in ihrem Bett aufgefunden wurde, hat sich der jahrzehntelange Streit zwischen den beiden aus Griechenland stammenden Familien Gianis und Kronon weiter zugespitzt. Zwar hat sich Cass damals schuldig bekannt und steht nach 25 Jahren Haft nun kurz vor seiner Entlassung, doch der Immobilien-Tycoon Hal Kronon ist längst nicht davon überzeugt, dass die Familie, die für den Mord an seiner Schwester verantwortlich gewesen ist, genügend gebüßt hat.
Also engagiert er mit der ehemaligen FBI-Agentin Evon Miller und dem Privatdetektiv Tim Brodie zwei Ermittler, die seinem Verdacht nachgehen sollen, dass auch Paul in die damaligen Ereignisse verwickelt war. Er selbst lässt Fernsehspots produzieren, die Paul wichtige Stimmen im Kampf um das Amt des Bürgermeisters von New York kosten.
Brodie, der damals als leitender Ermittler in der Mordsache keine gute Figur gemacht hatte, ist auf einmal gezwungen, sich wieder mit den Beweisen des Falls auseinanderzusetzen. Eine DNA-Untersuchung soll neue Erkenntnisse erbringen, doch wie Miller und Brodie erfahren müssen, liegt die Auflösung des Mordes viel tiefer verborgen.
„Giannis verheimlichte irgendwas. Das war das eigentliche Problem. Man konnte über die Presse und die Wahlkampf-Finanzierungsgesetze schimpfen und sagen, dass Politik verlogen war, und in neunzig Prozent der Fälle lag man damit richtig. Aber in Wahlkämpfen kamen oft harte Wahrheiten, bedeutsame Wahrheiten über Kandidaten ans Licht. Es ähnelte einer Gehirnoperation mit dem Pressluftbohrer. Aber mit jedem Tag wurde deutlicher, dass Gianis irgendetwas verschwieg.“ (S. 132) 
Scott Turow wirkte zwischen 1978 und 1986 als Staatsanwalt in Chicago und hat als Gegner der Todesstrafe beispielsweise 1995 die Freilassung von Alejandro Hernandez erreicht, nachdem dieser elf Jahre unschuldig in der Todeszelle gesessen hatte. Sein Romandebüt „Aus Mangel an Beweisen“ (1987) wurde nicht nur mit dem Silver Dagger prämiert, sondern 1990 auch erfolgreich von Alan J. Pakula mit Harrison Ford in der Hauptrolle verfilmt. Seither ist der amerikanische Justiz-Thriller-Autor nicht mehr aus den Bestseller-Listen wegzudenken. Dass er in das Zentrum seines neuen Romans „Die Erben des Zeus“ zwei griechisch-stämmige Familien stellt und mit Zeus Kronon auch eine zentrale Figur mit einem Götternamen versieht, kommt dabei nicht von ungefähr, denn der Roman erweist sich als komplexes Verwirrspiel, in dem die Anwälte und Ermittler lange Zeit im Nebel der dunklen Geheimnisse stochern, die sowohl die Kronons als auch die Gianis über Jahrzehnte gehütet haben. Gleich einer griechischen Tragödie ziehen sich die familiären Verstrickungen zurück bis zu Hals Vater Zeus, dessen Schwester Teri und deren bester Freundin Lidia, Pauls und Cass‘ Mutter.
Turow versteht es wie gewohnt souverän, den Leser schon mit dem ersten Kapitel, das die unmittelbare Vorgeschichte zum Mord rekapituliert, zu fesseln und über die nächsten 400 Seiten auch nicht mehr loszulassen. Wie ein Gerichtsmediziner seziert er die Abgründe zweier verhasster Familien, die auf schicksalhafte Weise seit einem Ladenpachtgeschäft miteinander verbunden sind. Stolz, Verrat, Schuld, Rache und Täuschung sind die großen Themen, die der Autor auf meisterhafte Weise in eine spannende Handlung webt und sprachlich so ungemein geschliffen präsentiert.
Leseprobe Scott Turow - "Die Erben des Zeus"

Jim Thompson – „Jetzt und auf Erden“

Donnerstag, 14. Mai 2015

(Heyne, 334 S., Tb.)
San Diego in den 1940er Jahren. James „Dilly“ Dillon hat schon in jungen Jahren einige Geschichten für gutes Geld verkaufen können, doch seit er mit einer Schreibblockade zu kämpfen hat, muss er sich und seine Familie mit schlecht bezahlten Handlanger-Jobs herumschlagen. Als er in einer Flugzeugfabrik anfängt, überrascht er seine Vorgesetzten mit einigen Verbesserungsvorschlägen und steigt schnell zum Lagerbuchhalter auf, was die Missgunst seiner Kollegen auf sich zieht. Allerdings ist die Arbeit auch so ermüdend, dass Dilly kaum dazu kommt, seine Schriftsteller-Ambitionen ernsthaft verfolgen zu können.
In dem viel zu kleinen Haus, wo er mit seiner Mutter, seiner Frau Roberta und den drei Kindern lebt, hat er nur sporadisch Zeit, auf der Toilette an einer Geschichte zu schreiben, aber außer Stückwerk kommt dabei nicht heraus. Immer wieder muss er an seinen Vater denken, der nach Ölquellen bohrte und ab und an sogar richtig viel Geld mit nach Hause brachte, und an bessere Zeiten, als er Storys für über tausend Dollar im Monat verkaufte, Direktor beim Writer’s Project wurde und eines von zwei Stipendien im Jahr von der Stiftung bekam.
„Und, fragte ich mich, warst du jemals glücklich? Hast du jemals deinen Frieden gehabt? Natürlich nicht, um Himmels willen. Du warst immer in der Hölle. Du bist nur noch tiefer gesunken. Und das wird so weitergehen, weil du wie dein Vater bist. Wie dein Vater ohne dessen Durchhaltevermögen. In ein, zwei Jahren haben sie dich in der Klapse. Weißt du nicht mehr, wie es mit deinem Vater abwärtsging? Genau wie bei dir. Ganz genau wie bei dir. Zornig. Sprunghaft. Trübsinnig. Und dann – na, du weißt es ja. Ha, ha. Du weißt es doch, verdammt.“ (S. 36) 
Als schließlich noch Dillys völlig abgebrannte Schwester Marge in den Schoß der Familie zurückkehrt, droht seine Welt vollends in Streit und Chaos zu versinken …
Obwohl Jim Thompsons Debütroman „Jetzt und auf Erden“ aus dem Jahre 1942 ebenso wie spätere Werke wie „Die Verdammten“, „In die finstere Nacht“ und „Blind vor Wut“ in wunderbar einheitlicher und ansprechender Aufmachung in der Heyne-Hardcore-Reihe erschienen ist, hat diese autobiografische Tour de Force noch wenig mit den finsteren Noir-Geschichten zu tun, mit denen der 1906 in Anadarko, Oklahoma, geborene Thompson zu einem der führenden Vertreter des Genres werden sollte. Finster ist trotzdem der Grundton, den Thompson in seinem längst zum Klassiker avancierten Werk anschlägt. Ebenso wie er selbst nach frühen Erfolgen als Schriftsteller sich als Glücksspieler, Sprengstoffexperte, Ölarbeiter und Alkoholschmuggler durchschlug, schlägt sich auch sein Alter Ego James Dillon mehr schlecht als recht durchs Leben.
„Jetzt und auf Erden“ präsentiert sich nicht als düsterer Krimi, besitzt keine Spannungsbögen oder knifflige Wendungen. Es ist die fast schon lapidare Ich-Erzählung eines schriftstellerischen Talents, dem irgendwann im ermüdenden Alltagstrott die zündenden Ideen und der Schwung ausgehen, lesenswerten Stoff zu produzieren. Thompson bedient sich dabei einiger Rückblenden, um die Geschichte seiner unglückseligen Familie und vor allem seine schwierige Beziehung zum eigenen Vater aufzudröseln, während die Gegenwart ganz im grauen Staub der Fabrikarbeit versinkt.
Er nimmt sich die Freiheit, seitenlang über die Abläufe in der Flugzeugfabrik zu schreiben, wohl wissend, den Leser auf eine Geduldsprobe zu stellen. Doch gerade mit der ausführlichen Beschreibung alltäglicher Routinearbeiten macht der Autor deutlich, wie Träume und Talente mit der Zeit aufgerieben werden können.
In seinem interessanten Vorwort weist Stephen King treffend darauf hin, dass Thompsons Romane „erschreckende Abbilder des kleinstädtischen Schmerzes, der Scheinheiligkeit und Verzweiflung“ sind. Besser lässt sich auch „Jetzt und auf Erden“ kaum beschreiben.
Leseprobe Jim Thompson - "Jetzt und auf Erden"