Als Autor von Kriminalreportagen und später als Polizeireporter für die Los Angeles Times hat Michael Connelly genügend Gerichtssäle von innen gesehen und so genauestens verfolgen können, wie das US-amerikanische Rechtssystem funktioniert. Seit 1992 hat er sein schriftstellerisches Talent und sein Faible für das Justizsystem in packende und preisgekrönte Romane um Detective Hieronymus „Harry“ Bosch gepackt, die schließlich die Grundlage für die mehrere Staffeln umfassende Serie „Bosch“ der Amazon-Studios bilden sollte. Nach zehn Bosch-Romanen und verschiedenen Einzeltiteln wie dem von und mit Clint Eastwood verfilmten „Blood Work“ veröffentlichte Connelly 2005 den Beginn einer neuen Romanreihe, diesmal um den sogenannten „Lincoln Lawyer“. Diesen Namen hat sich der in Los Angeles ansässige Strafverteidiger Michael „Mickey“ Haller durch den Umstand verdient, dass er über kein eigenes Büro verfügt, sondern seine Geschäfte in einem von seinem ehemaligen Mandanten Earl Briggs gesteuerten Lincoln Town Car abwickelt, wobei seine zweite Ex-Frau Lorna ihm die Fälle zuträgt und die Buchhaltung macht.
Da momentan kaum lukrative Fälle zu verhandeln sind, freut sich Haller, als ihm der Kautionsvermittler Fernando Valenzuela den Fall von Louis Ross Roulet vermittelt. Der Sohn der prominenten Immobilienmaklerin Mary Windsor wird der Vergewaltigung und des versuchten Mordes beschuldigt. Als er das Mandat übernimmt, muss Hallers erste Ex-Frau, die Staatsanwältin Maggie McPherson, als Anklägerin wegen eines Interessenkonflikts den Fall an den noch unerfahrenen Kollegen Minton abgeben.
Für Haller entwickelt sich der prestigeträchtige Fall zunächst ganz nach seiner Vorstellung, gelingt es ihm doch durch seinen Ermittler Raul Levin, eine Videoaufnahme zu finden, auf der zu sehen ist, wie das vermeintliche Opfer in einer Bar Roulet einen Zettel zugesteckt hat. Außerdem entdeckt Haller eine verblüffende Ähnlichkeit zwischen Campo und der Nachtklubtänzerin Martha Renteria, die vergewaltigt und mit mehreren Messerstichen getötet worden ist. Bei der Verteidigung des angeklagten Jesus Menendez hat sich Haller damals nicht besonders reingehängt, sondern seinen Mandanten nur durch ein Geständnis vor der Todesstrafe bewahren können, obwohl Menendez bis zum Schluss seine Unschuld beteuert hatte.
Als Haller zur Überzeugung gelangt, dass Menendez tatsächlich für ein Verbrechen verurteilt worden ist, das er nicht begangen hat, und dass Roulet ein Serienmörder und -vergewaltiger ist, muss er sehr behutsam bei seiner Verteidigungsstrategie sein, denn Roulet hat einige Druckmittel in petto, mit denen er glaubt, seinen Verteidiger in der Spur halten zu können…
„Alles lief darauf hinaus, dass einer meiner Mandanten einen Mord begangen hatte, für den ein zweiter Mandant lebenslänglich einsaß. Ich konnte dem einen nicht helfen, ohne dem anderen zu schaden. Ich brauchte eine Antwort. Ich brauchte einen Plan. Vor allem brauchte ich Beweise.“ (S. 236)
Mit dem Strafverteidiger Mickey Haller hat Michael Connelly eine interessante Figur erschaffen, die im Gegensatz zu John Grishams Kämpfern für die Gerechtigkeit eher am eigenen Prestige interessiert zu sein scheint als an der bestmöglichen Verteidigung seiner Mandanten, die er aber auch mal – sehr zum Ärger seiner Ex-Frau Lorna – kostenlos vertritt. Während Grishams Protagonisten eher juristische Fachbücher wälzen, um die in der Regel sehr finanzkräftige Gegenpartei in die Knie zu zwingen, ist Mickey Haller definitiv aus anderem Holz geschnitzt. Dass er bereits zwei gescheiterte Ehen hinter sich hat, spricht natürlich für sich – auch wenn er zu seinen beiden Ex-Frauen nach wie vor ein gutes Verhältnis pflegt und sich gerade darum bemüht, zu seiner Teenager-Tochter Hayley einen besseren Kontakt herzustellen.
Haller erweist sich in „Der Mandant“ als gewiefter Strafverteidiger, der der Staatsanwalt immer einen Schritt voraus zu sein scheint und selbst in Bedrängnis einen Plan entwickelt, um seine persönlichen Ziele zu wahren. Der Plot ist jedenfalls äußerst stimmig aufgebaut und steigert die Spannung kontinuierlich, doch verläuft das wendungsreiche Finale auf sehr konstruierten Bahnen, was den Gesamteindruck leicht negativ beeinflusst.
Am Ende bietet „Der Mandant“ aber so viel packende Unterhaltung, dass es nicht verwundert, dass der Roman 2011 mit Matthew McConaughey in der Rolle des Mickey Haller verfilmt wurde und 2022 sogar in der Netflix-Serie „The Lincoln Lawyer“ mündete.
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