Auch wenn der ehemalige Folksänger und Rechtsanwalt Jeffery Deaver bereits Ende der 1980er Jahre seine ersten Thriller veröffentlichte, nahm seine Karriere doch erst mit dem Beginn der Reihe um den fast vollständig gelähmten Forensik-Experten Lincoln Rhyme an Fahrt auf, vor allem seit Phillip Noyce den ersten Teil der Reihe, „The Bone Collector“, 1999 mit Denzel Washington und Angelina Jolie erfolgreich verfilmte.
Neben der mittlerweile fünfzehn Bände umfassenden Reihe um Lincoln Rhyme sind in den vergangenen Jahren weitere lesenswerte Reihen entstanden, so um die Verhörspezialistin Kathyrn Dance und um den Prämienjäger und Überlebensexperten Colter Shaw. Mit „Rachejäger“ ist gerade der vierte Band der Reihe erschienen.
Colter Shaw wird von Marty Harmon, Chef des in Ferrington ansässigen Technologieunternehmens Harmon Energietechnik, damit beauftragt, den Diebstahl eines bahnbrechenden technischen Bauteils zu verhindern, das von der 42-jährigen Ingenieurin Allison Parker entwickelt worden ist. Mit der Hilfe der attraktiven Sicherheitsexpertin Sonja Nilsson gelingt es Shaw, den Dieb zu identifizieren und durch einen Trick die echte Baueinheit gegen eine Attrappe einzutauschen und so eine Spur zum potenziellen Käufer aufzunehmen.
Zur gleichen Zeit wird der ehemalige Cop Jon Merritt vorzeitig aus der Haftanstalt in Trevor County entlassen, nachdem ihn seine Ex-Frau, eben jene Allison Parker, beschuldigt hatte, sie mit einer tödlichen Waffe bedroht zu haben, weshalb er wegen schwerwiegender Körperverletzung zu drei Jahren Haft verurteilt wurde.
Als Allison Parker von der vorzeitigen Entlassung ihres Ex-Mannes erfährt, packt sie sofort ein paar Sachen für sich und ihre sechzehnjährige Tochter Hannah und verschwindet – gerade noch rechtzeitig, bevor Jon Merritt sie ausfindig macht. Marty Harmon beauftragt Shaw nun, auch seine wertvollste Mitarbeiterin zu suchen. Wie er von Allisons Anwalt erfahren habe, wisse Allison Dinge aus Jons Vergangenheit, die er unbedingt unter Verschluss halten wolle.
Während Shaw und Nilsson sich auf die Suche nach den beiden Parker-Frauen macht, bekommen sie auch noch mit zwei Auftragskillern zu tun, die es offenbar ebenfalls auf Allison abgesehen haben. Ein unbedachtes Selfie von Hannah bringt Shaw auf die Spur von Allison und ihrer Tochter, allerdings erhalten auch Merritt und die Killer so Kenntnis von ihrem Zufluchtsort…
Mit der Colter-Shaw-Reihe hat der US-amerikanische Bestsellerautor Jeffery Deaver das Kunststück vollbracht, einige – im Vergleich zu den etwas komplexer konstruierten Thriller um Lincoln Rhyme – leicht zu lesende und dennoch faszinierende, spannende Werke zu kreieren, die vor allem von dem interessanten Protagonisten leben.
Zwar ist es für das Verständnis von „Rachejäger“ nicht zwingend erforderlich, auch die vorherigen drei Bände „Der Todesspieler“, „Der böse Hirte“ und „Vatermörder“ zu kennen, sind sie für den Hintergrund von Colter Shaws Vita gerade in Bezug auf die ungewöhnliche familiäre Geschichte sehr hilfreich. In „Rachejäger“ wird die Art und Weise, wie Colter zusammen mit seinen beiden Geschwistern von seinem Vater angelernt worden ist, nur in gelegentlichen Flashbacks thematisiert. Wesentlich ist, dass Colter über ein profundes Wissen an Überlebenstechniken, das Benutzen verschiedenster Waffen, Orientierung und das Fallenstellen verfügt. Das verleiht auch dem Plot von „Rachejäger“ seine Glaubwürdigkeit. Auch wenn sich Deaver nicht allzu intensiv mit seinen Figuren auseinandersetzt, verleiht er ihnen doch genügend Profil, um seine Leserschaft gerade für Colter, Sonja Nilsson, Allison Parker und selbst Hannah einzunehmen, aber selbst die mehr oder weniger vermeintlichen Bösewichte bleiben nicht so eindimensional, wie man sie aus Hollywood-Thrillern kennt.
Abgesehen von der an sich konventionell inszenierten Verfolgungsjagd reißt Deaver auch noch verschiedene andere Themen wie die Überlastung und Korruption in Polizeidienststellen, Industriespionage und Umweltverschmutzung an, ohne ihnen aber zu viel Aufmerksamkeit zu widmen.
Deavers Thriller leben natürlich wie die seiner Kollegen von überraschenden Wendungen, doch begeben sie sich damit oft auf gefährliches Terrain, wenn diese zu konstruiert und nicht mehr glaubwürdig wirken.
Deavers „Rachejäger“ schrammt gerade so an dieser Klippe vorbei und legt so einen flüssig geschriebenen Pageturner vor, der Lust auf mehr Abenteuer mit Colter Shaw macht.
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