Philippe Djian – „Doggy Bag – Zwei“

Montag, 13. Mai 2024

(Diogenes, 310 S., Tb.) 
Mit Romanen wie „Betty Blue - 37,2 Grad am Morgen“, „Erogene Zone“ und „Verraten und verkauft“ avancierte Philippe Djian ab Mitte der 1980er Jahre zum Kultautor, dessen knackige Prosa, unverblümte Sprache und wilden Stories bis heute kaum etwas von ihrer Faszination eingebüßt haben. Im Jahr 2005 startete der Franzose mit „Doggy Bag“ ein ungewöhnliches literarisches Experiment, eine Soap in sechs Bänden. Im Mittelpunkt seiner insgesamt 1800 Seiten umfassenden Seifenoper stehen die beiden Brüder Marc und David Sollens, die in ihren Zwanzigern in dieselbe Frau, Édith, verliebt gewesen sind, worauf sie die Stadt für zwanzig Jahre mit ihrem Ausweich-Lover Paul verließ, nur um zwanzig Jahre später wieder zurückzukehren – mit ihrer neunzehnjährigen Tochter Sonia im Schlepptau. 
Bevor sich die Rivalität der beiden Brüder, die gemeinsam ein Autohaus führen, wieder zuspitzen kann, erscheinen die Fronten im zweiten Band bereits abgesteckt. Der sexbesessene Marc kauft für sich und Édith eine Villa und will fortan monogam leben, während David etwas verunsichert der Hochzeit mit der 35-jährigen Krankenschwester Josianne entgegensieht. Marcs und Davids Vater Victor schlägt sich mit Depressionen angesichts seiner Sterblichkeit herum und hofft, nicht ganz vergebens, auf eine Versöhnung mit seiner Frau Irène. Solange sie sich aber noch sperrt, fokussiert sich Victor ganz auf seine Enkelin Sonia. 
Irène lässt sich derweil auf eine Affäre mit einem wortkargen Tischler ein, der ihr zwar berauschende Orgasmen in seinem Lieferwagen beschert, dann aber eine Seite an sich offenbart, die Irène sprachlos macht. Und Marc muss feststellen, dass es viel schwieriger ist, monogam zu bleiben, als er erwartet hatte… 
„Im Übrigen hatte ihn diese Rothaarige fast mit den Augen verschlungen. Sie hatte ihm keine Chance gelassen, wirklich nicht die geringste. Wie viele Männer hätten sich schon geweigert, die Gelegenheit beim Schopf zu packen? Was für Schlussfolgerungen ließen sich aus dem bedauerlichen Fehltritt ziehen? Keine einzige. Zum Glück keine einzige. Der Weg, den er eingeschlagen hatte, blieb noch immer der gleiche. Dieser Ausrutscher, diese Entgleisung änderte gar nichts. Nur noch Édith. Von nun an nur noch Édith.“ (S. 216). 
Djian bleibt sich auch bei seiner sechsteiligen Soap insofern treu, als er genüsslich die amourösen Abenteuer und Verstrickungen sich nah stehender Menschen beschreibt und seziert, wobei die Protagonist:innen bei Djian mit ihm zusammen altern. 
Als der Autor im Jahr 2005 mit „Doggy Bag“ begann, zählte er selbst schon 55 Lenze. Insofern verwundert es nicht, wenn nun vor allem die über Vierzigjährigen krachen lassen, aber auch jenseits der sechzig wird hier kräftig bei jeder sich bietenden Gelegenheit gevögelt. Es ist vor allem Djians sprachlicher Finesse zu verdanken, dass „Doggy Bag – Zwei“ kurzweilig zu unterhalten versteht, ohne bei den Beziehungen zwischen den Beteiligten besonders in die Tiefe zu gehen. 
„Ich versuchte, mich auf demselben Terrain durchzukämpfen, auf dem sich das Fernsehen bewegt, und ich versuche die zurückzuerobern, die kein Buch mehr aufschlagen und nur noch auf den Bildschirm starren“, beschrieb der Autor das Konzept von „Doggy Bag“. „Die Schlacht ist vielleicht von vornherein verloren, aber man muss sie trotzdem schlagen…“ 
Es ist in der Tat kaum anzunehmen, dass Djians ehemalige Leser, die nun vor der Glotze versauern, ausgerechnet durch seine Soap-Romane zurück in die literarische Welt finden, vor allem nicht über sechs Bände lang, doch vergnüglich – mehr aber auch nicht – sind die turbulenten, dialoglastigen und temporeichen Verwicklungen allemal. Und mit einem geschickten Cliffhanger vermag es Djian eventuell sogar, seine Leser zum nächsten Band greifen zu lassen…


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