Der US-amerikanische Drogenfahnder Art Keller hat sich ganz dem Kampf gegen die mexikanischen Kartelle verschrieben. Nachdem er sich in das Herz der dortigen Drogenmafia eingeschleust hatte und reihenweise Händlerringe auffliegen ließ, wurde aus dem Jäger Keller auf einmal selbst der Gejagte und sein ehemaliger Freund Adán Barrera zu seinem erbittertsten Feind. Mit seinen eigenmächtigen Aktionen zog sich Keller zwar auch den Zorn Washingtons zu, aber am Ende lag die weltweit mächtigste Drogenorganisation El Federación am Boden, ihr Anführer Barrera landete im Gefängnis, Keller zog sich in ein Kloster zurück.
Doch als Barrera einen neuen Deal aushandelt und fliehen kann, muss auch Keller seine Oase des Friedens verlassen und erneut den Kampf gegen seinen Erzfeind aufnehmen. Denn Barrera setzt wieder alles daran, das Gleichgewicht zwischen den Kartellen zu unterminieren und aus der neuen Alianza de sangre wieder die alte Federación zu etablieren. Dazu muss Barrera auch seinen Platzhalter Osiel Contreras ausschalten, der sich selbst als neuen patrón betrachtet. Was aus amerikanischer Sicht die Jagd auf Contreras, der direkt nach Bin Laden ganz oben auf der Fahndungsliste steht, schwierig macht, ist die Tatsache, dass dieser die mexikanischen Polizeibehörden in der Tasche hat. Gerardo Vera und Luis Aguilar haben mit ihren AFI- und SIEDO-Truppen zunächst das Tijuana-Kartell zerschlagen, nun machen sie zusammen mit Keller Jagd auf Barrera. Doch in diesem Krieg ist nie wirklich klar, wer auf welcher Seite steht. In dem komplexen Krieg zwischen den Kartellen sterben nicht nur die Kämpfenden, sondern auch Frauen, Kinder, Polizisten, schließlich auch Journalisten.
Als der anonyme Internet-Blog Esta Vida die Grausamkeiten des Drogenkriegs dokumentiert, gerät auch Pablo ins Visier der Drogenmafia.
„Früher hat er lange und tief geschlafen, sich wohlig hin und her gewälzt, seine Träume ausgekostet. Jetzt hasst und fürchtet er den Schlaf. Denn mit dem Schlaf kommen die Alpträume. Das ist schlecht für einen Mann, der Tausende von Morden gesehen hat. Und die Tausend ist keine rhetorische Ziffer, wie er nachts einmal nachgerechnet hat, nein, es waren wirklich so viele Morde. Nicht die Morde direkt, natürlich, obwohl er manchmal nur Minuten später am Tatort stand, sondern die Folgen. Die Toten, die Sterbenden, das Grauen. Die Verstümmelten, die Enthaupteten, die Gehäuteten.“ (S. 755)Zehn Jahre nach seinem Meisterwerk „Tage der Toten“, mit dem der amerikanische Bestseller-Autor Don Winslow („Zeit des Zorns“, „Missing – New York“) auf fiktive Weise die realen Hintergründe des ebenso komplexen wie brutalen mexikanischen Drogenkrieges verarbeitete, legt Winslow nun mit „Das Kartell“ eine Fortsetzung nach, die in jeder Hinsicht ein epochales Thriller-Epos darstellt.
Dabei lässt er mit den Adán Barrera und Art Keller nicht nur die beiden charismatischen Protagonisten aus „Tage der Toten“ wieder aufeinandertreffen, sondern führt einige weitere interessante Figuren ein, die mit ihren Lebensgeschichten jeweils genug Stoff für einen eigenen Roman bieten würden. Das betrifft nicht nur die einzelnen Anführer der Kartelle oder die Polizeichefs, Winslow zeichnet auch die Frauenfiguren und die Journalisten so vielschichtig und authentisch, dass der Leser sich mitten in diesem äußerst blutigen Krieg zu befinden scheint.
Dabei vermischt Winslow auf gekonnte Weise die Fakten mit einer spannenden Handlung, die von unberechenbaren Figuren vorangetrieben wird.
Es ist zwar hilfreich und auch unbedingt zu empfehlen, „Tage der Toten“ gelesen zu haben, aber „Das Kartell“ bildet ein ganz eigenständiges Werk, in dem es nicht nur um die Wahrung und Ausweitung von Machtverhältnissen geht, um gesicherte Transportwege für Drogen- und Waffenlieferungen bis nach Europa, sondern auch um Korruption und Rache. Selbst Art Keller wandelt hier auf einem schmalen moralischen Grat.
Vielleicht ist „Das Kartell“ der beste Thriller des Jahres, auf jeden Fall wirkt dieses atmosphärisch dicht geschriebene, pulsierend spannende Werk lange nach.
Leseprobe Don Winslow - "Das Kartell"
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