Cody McFadyen – (Smoky Barrett: 1) „Die Blutlinie“

Samstag, 28. Dezember 2019

(Bastei Lübbe, 476 S., Tb.)
Smoky Barrett hat eine rasante Karriere beim FBI hingelegt, nach ihrem Abschluss in Quantico als Jahrgangsbeste schließlich die Zweigestelle der Abteilung CASMIRC (Child Abduction and Serial Murder Investigative Ressources Center) in Los Angeles geleitet. Sie holte sich mit Callie, Alan und James die besten Agenten ins Team und lief in ihrer Abteilung zu Hochform auf. Doch vor sechs Monaten drang ein Mann namens Joseph Sands in ihr Haus ein, fügte ihr vor den Augen ihres gefesselten Mannes Matt mit dem Messer die fürchterlichsten Wunden zu, vergewaltigte sie, tötete sowohl Matt als auch ihre gemeinsame Tochter Alexa, bevor sich Smoky mit einem Kraftakt befreien und ihren Peiniger erschießen konnte.
Nach einer intensiven Therapie beim Psychologen Dr. Peter Hillstead ist sie wieder bereit, ihren Dienst beim CASMIRC zu versehen, doch viel Zeit zum Eingewöhnen hat Smoky nicht: Ein psychopathischer Killer, der sich als direkter Nachfahre von Jack the Ripper sieht, hat in San Francisco nicht nur Smokys alte Schulfreundin Annie King misshandelt und schließlich getötet, sondern auch ihre Tochter Bonnie an die Leiche ihrer Mutter gefesselt, bevor sie nach drei Tagen endlich entdeckt wurde. Wie sein vermeintlicher Vorfahre Jack the Ripper macht sich auch Jack Junior auf die Jagd nach Prostituierten, die wie Annie King in der Regel ihre eigene Porno-Website unterhalten haben. Der Killer sucht die direkte Konfrontation mit Smoky, die er als Pendant zu Inspector Abberline betrachtet, der damals Jack the Ripper gejagt hatte. Dafür bedroht er die engsten Vertrauten der scharfsinnigen Ermittlerin, der allmählich die Zeit davonläuft. Jack Junior geht bei seinen Taten nicht nur äußerst geschickt vor, sondern verübt seine grausigen Verbrechen offensichtlich nicht allein …
„Bei Jack Junior haben wir das gesamt Spektrum physischer Beweise abgegrast, einschließlich der internen IP-Nummern der Provider. Er hat sich maskiert, hat Wanzen und Peilsender angebracht, sich Jünger herangezogen, hat ausgesprochen geschickt agiert.
Und jetzt hängt die Aufklärung des Falls wahrscheinlich von lediglich zwei Faktoren ab. Einem Stück Rindfleisch und einem fünfundzwanzig Jahre zurückliegenden ungelösten Fall, der im VICAP Staub angesetzt hat.“ (S. 416) 
Mit seinem 2006 veröffentlichten Debüt „Die Blutlinie“ hat der US-amerikanische Schriftsteller Cody McFadyen eine überaus charismatische Protagonistin etabliert, die von Beginn an die Sympathien der Leserschaft zu gewinnen versteht. Indem McFadyen seine äußerlich krass entstellte und innerlich starke, aber arg gebeutelte Heldin Smoky Barrett als Ich-Erzählerin das ihr zugefügte Leid rekapituliert und ihre vielschichtigen Empfindungen und Erinnerungen an ihre verlorene Liebe und die kaum vorstellbar brutalen Ereignisse beschreibt, ist das Publikum bereits völlig eingenommen von der taffen Frau, die zwar verständlicherweise auch schon mit dem Gedanken gespielt hat, sich mit ihrer Pistole das Hirn wegzuschießen, aber dann doch lieber zu dem zurückkehrt, was sie am besten kann: Serienmörder zu schnappen. Dabei erweist sich ihr nächster Gegner als raffinierter, selbstbewusster Täter, der den Agenten immer einen Schritt voraus zu sein scheint und seine Opfer aus Smokys immer näheren Umfeld sucht.
McFadyen gelingt es, die Spannungskurve konsequent anzuziehen und dabei tief in die Psyche seiner Figuren einzutauchen und trotzdem die Handlung konsequent voranzutreiben. Die beschriebenen Verbrechen sind nichts für Zartbesaitete und lassen sich locker im Umfeld von „Sieben“ und „Das Schweigen der Lämmer“ ansiedeln. „Die Blutlinie“ wäre ein absolut erstklassiger Thriller geworden, wenn McFadyen sich nicht auf die Konventionen des Genres eingelassen hätte, um einen überraschenden, leider aber auch völlig unglaubwürdigen Täter aus dem Hut zu zaubern. All die Spannung, die der Autor bis zum missglückten Finale so brillant aufgebaut hat, macht er durch diesen viel zu konstruiert wirkenden „Kniff“ wieder zunichte. Davon abgesehen bietet „Die Blutlinie“ aber atemlosen Thrill und eine echte Persönlichkeit als Protagonistin, die es bislang auf vier Fortsetzungen gebracht hat.
Leseprobe Cody McFadyen - "Die Blutlinie"

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