Astrid Rosenfeld – „Kinder des Zufalls“

Donnerstag, 6. September 2018

(Kampa, 270 S., HC)
Seit sie mit einem Schiff aus Deutschland nach Amerika kam, ist Charlotte Foreman auf der Suche nach dem ultimativen Abenteuer, denn sie will, dass ihr Herz „schnell schlägt“. Sie landet in dem texanischen 1300-Seelen-Dorf Myrthel Spring und kommt zunächst auf der Farm von Terry Finsher unter, der dort mit seiner Frau Diana und den beiden einjährigen Zwillingen Sullivan und Allan lebt. Zuvor lernte sie Collin Goodwin kennen, der in Long Beach aufwuchs, nach Los Angeles gezogen war und in den Küchen unzähliger Diners gearbeitet hatte.
Nachdem er bislang bei fremden Menschen untergekommen war und zuletzt bei der verzweifelten, großen und dicken Mary gewohnt hatte, empfand er den Umzug zu Ozzy geradezu als Aufstieg, durfte er doch allein in dessen Garage wohnen und ein Auto sein Eigen nennen. Außerdem verschaffte ihm Ozzy einen Job als Nachtportier in einem Hotel in Downtown, wo sich Collin schließlich in Charlotte verliebte.
Seine polnische Mutter Agnieszka kam wie Charlotte einst mit dem Schiff nach Amerika. Nach einer Kneipenschlägerei drohte Collin eine Gefängnisstrafe, die er allerdings gegen den Militärdienst in Vietnam eintauschte. Die schwangere Charlotte kam dann bei Collins Anwalt unter und brachte ihren Sohn Maxwell auf der Finsher-Ranch zur Welt, unterhielt mit Terry eine heimliche Affäre.
Auf der anderen Seite des Atlantiks, bringt die in Stuttgart lebende 43-jährige Annegret Büttner am 11. März 1977 ihre Tochter Elisabeth zur Welt, die wie Maxwells Mutter nach Amerika geht und eine Karriere als Tänzerin macht, bis ein kaputtes Knie diesem Teil ihres Lebens ein Ende setzt. In Myrthel Spring lernt sie schließlich Maxwell kennen, der durch seine Darstellung des Cowboys Jill in einer Fernsehserie bekannt geworden ist, nach Absetzung der Serie aber keine anderen Rollen mehr angeboten bekam. Zusammen versuchen sie, mit einem Saloon gemeinsam glücklich zu werden …
„Sie wollte ihm sagen, dass sie ihn liebte. Dass sie, seit sie nicht mehr tanzen konnte, nicht wusste, wer sie war. Tanzen war ihr Leben gewesen. Und in ihr, in diesem Körper mit dem kaputten Knie und den etwas zu dicken Schenkeln, lebte die Ballerina weiter. Versuchte es zumindest. Sie war nur noch ein Schatten. Aller Abschied ist grausam.“ (S. 235) 
Nach ihren drei bei Diogenes erschienenen Romanen „Adams Erbe“, „Elsa ungeheuer“ und „Zwölf Mal Juli“ legt die 1977 in Köln geborene, nun im texanischen Marfa lebende Astrid Rosenfeld ihr neues Werk im neu gegründeten Kampa Verlag vor. In „Kinder des Zufalls“ erzählt sie nicht nur von Maxwell und Elisabeth, die beide um ein Haar am 11. März 1977 gestorben wären – der Junge im Alter von zehn Jahren an einem Baum im texanischen Myrthel Spring, das noch ungeborene Mädchen im Bauch ihrer in Stuttgart lebenden Mutter. Virtuos beschreibt die Autorin auch die Biografien ihrer Eltern, vor allem ihrer Mütter. Deren Streben nach Liebe und Glück stellt auch die Antriebskraft für den Lebenslauf ihrer Kinder dar, die sich eines Tages in Myrthel Spring begegnen, nachdem sie sich ebenso wie ihre Mütter durch ein Leben gekämpft haben, das von Höhenflügen und Entbehrungen geprägt gewesen ist.
Obwohl Rosenfeld sehr anekdotisch vorgeht und sprunghaft zwischen Zeiten und Orten wechselt, taucht der Leser durch die einfühlsam vorgetragenen, zwischen lakonischem Humor und tragischem Ernst pendelnden Episoden sehr schnell in die Gefühlswelt der jeweiligen Figuren ein, von denen man am Ende gern mehr erfahren hätte.

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