Colin Harrison – „Die Zügellosen“

Sonntag, 16. September 2018

(Droemer, 416 S., Pb.)
Paul Reeves ist nicht nur ein New Yorker Anwalt für Einwanderungsrecht, sondern auch ein Sammler von seltenen New Yorker Stadtplänen. Mit seiner schönen Nachbarin Jennifer Mehraz besucht er eine Auktion bei Christie’s, wo er einen ungefähr hundertfünfzig Jahre alten Stadtplan von Manhattan zu ersteigern hofft. Doch Jennifers Aufmerksamkeit gilt einem jungen Mann im sandfarbenen Tarnanzug, mit dem sie kurzerhand verschwindet. Wenig später beobachtet Paul, wie sich die beiden im Bett der Nachbarwohnung miteinander vergnügen, während Jennifers Ehemann, der schwerreiche Exil-Iraker Ahmed, in der Weltgeschichte unterwegs ist, auf der Jagd nach dem nächsten großen Deal.
Allerdings hat der eifersüchtige Geschäftsmann durch seine Verwandtschaft Jennifer stets unter Beobachtung, so dass ihm das Verhältnis zwischen Jenifer und dem Mann namens Bill Wilkerson nicht lange vorenthalten bleibt. Während Jennifer Paul bittet, ihren Lover in seinem unbewohnten Elternhaus vorübergehend unterzubringen, lässt Ahmed durch seinen Onkel Hassan bereits Killer auf seinen Nebenbuhler ansetzen. Doch der erste Versuch scheitert kläglich. Billy taucht unter, und auf einmal ist das Leben von Jennifer, Paul und Ahmed ein reines Chaos.
„Für die Presse wäre die Geschichte ein gefundenes Fressen, und binnen weniger Tage wäre seine Karriere – sein Leben! – gelaufen. Ein amerikanischer Soldat im Auftrag eines gelackten, stinkreichen iranischen Geschäftsmanns wegen einer Affäre seiner blonden Frau von zwei lybischen Schlägern attackiert. Es würde den Anschein erwecken, als seien die Männer in Ahmeds Auftrag über Wilkerson hergefallen und er habe sie heldenhaft abgewehrt.“ (S. 133) 
Colin Harrison ist nicht nur Cheflektor des New Yorker Verlags Scribner, sondern selbst Autor mehrerer Spannungsromane und kennt New York wie seine Westentasche. Mit seinem neuen Roman „Die Zügellosen“ zeichnet er ein ungewöhnliches Bild der Metropole, denn durch die Sammelleidenschaft seines Protagonisten Paul Reeves erfährt der Leser viel darüber, wie sich New York über die Jahrhunderte entwickelt hat. Harrison nimmt sich in der Einleitung viel Zeit, die Natur von Paul Reeves‘ Faszination zu dokumentieren, indem er ausführlich die zur Versteigerung stehende Privatsammlung eines alten britischen Kapitäns zur See beschreibt.
Auch im weiteren Verlauf gelingt es Harrison immer wieder, seltene Karten dem Leser so eindrücklich vor Augen zu führen, dass dieser einen Sinn dafür bekommt, wie besonders und wertvoll diese Zeugnisse für die Geschichte einer Stadt sind. In diese Sammelleidenschaft eingebettet ist ein geschickt konstruierter Thriller-Plot, der gerade zum Ende hin den Touch eines John-Grisham-Justizthrillers bekommt, vor allem aber die Beziehungen zwischen Jennifer, Paul, Billy und Ahmed stets neu austariert.
Trotz einiger Längen bietet „Die Zügellosen“ stilistisch fein inszenierte Spannung, bei der die Beteiligten sorgfältig charakterisiert werden und immer wieder für eine Überraschung gut sind.
Leseprobe Colin Harrison - "Die Zügellosen"

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