Philippe Djian – „Marlène“

Donnerstag, 13. September 2018

(Diogenes, 280 S., HC)
Seit die beiden Kindheitsfreunde Dan und Richard nach verschiedenen Kriegseinsätzen in die französische Provinz zurückgekehrt sind, haben sie Probleme, wieder ins reale Leben zurückzufinden. Während Dan immerhin einen Aushilfsjob in der Bowlingbahn hat und sich um strukturierte Tagesabläufe bemüht, landet der draufgängerische Richard mit seinen kleinkriminellen Aktivitäten und Gewaltausbrüchen immer wieder im Knast.
So hat er nicht nur seine 18-jährige Tochter Mona aus dem Haus und zu Dan getrieben, sondern auch seine Frau Nath, die einen Friseursalon für Hunde und Katzen unterhält, in die Arme des gutaussehenden Vincent getrieben, der ihr nicht mehr von der Pelle rücken will. Noch komplizierter wird es, als Naths schwangere Schwester Marlène vorbeikommt, die auch schon was mit Richard hatte, nun aber Dans Leben durcheinanderwirbelt, der sonst wenig Umgang mit Frauen pflegt. Richard und Nath sind gar nicht davon begeistert, wie sehr Dan von Marlène eingenommen wird, aber auch Mona bleibt von den Ereignissen nicht unberührt …
„Marlène. Du musst durchgedreht sein. Wenn Richard davon erfährt. Nein, Dan, ich fasse es nicht. Das ist ein Witz. Er trat einen Schritt zurück und sah sie erwartungsvoll lächelnd an. Oh, oh, ich date deine Schwester, was es nicht alles gibt. Ich will sie ja nicht heiraten, beruhig dich, was hast du denn. Dan, bevor sie da war, waren wir eine Familie, und sie wird alles zerstören, was davon noch übrig ist, das habe ich.“ (S. 260f.) 
Philippe Djian („Erogene Zone“, „Die Leichtfertigen“, „Oh …“) braucht scheinbar immer weniger Worte, um die Katastrophen heraufzubeschwören, in die seine oft zum Scheitern verurteilten Figuren ohne großes eigenes Zutun schlittern. Auch in seinem neuen Roman „Marlène“ nimmt das Unheil recht schnell seinen Lauf. Djian hält sich nicht lange damit auf, sein reduziertes Figurenensemble vorzustellen. Wenige Sätze reichen aus, um die desolaten Seelenzustände von Dan, Nath, Mona und Richard zu beschreiben. Durch die mysteriöse Marlène wird das ohnehin empfindliche Gleichgewicht zum Kippen gebracht.
Dabei erfährt der Leser recht wenig über die fast vierzigjährige Frau, die vor allem in Dans Leben so unvermittelt auftaucht und für emotionale Ausnahmezustände sorgt. Während sie selbst immer mal wieder einfach so zusammensackt und tollpatschig Bier über ihr Kleid schüttet, Dans Motorrad zu Schrott fährt und Gläser zerdeppert, reagieren vor allem Richard und Nath mit Wut, Eifersucht und Gewalt auf Marlènes Gegenwart. Djian beschränkt sich bei der Inszenierung der Gefühlsausbrüche ganz auf die scharfzüngigen Dialoge und unüberlegt wirkenden Handlungen, statt seine Figuren zu charakterisieren. Durch die Intensität seiner Worte zieht der Autor den Leser mitten in die Handlung hinein, versperrt ihm aber den Blick auf die inneren Kämpfe, die vor allem Dan, Nath und Richard ausfechten, so dass die folgenschweren Handlungen, zu denen sie sich hinreißen lassen, einfach nur beschrieben werden. Besonders glaubwürdig wirkt das Szenario der ganzen amourösen Verflechtungen mit ihren brutalen Konsequenzen allerdings nicht. Dafür springt Djian zu sehr von einer kurzen Episode zur nächsten und überspannt den Bogen der Effekthascherei dann doch zu oft.
Leseprobe Philippe Djian - "Marlène"

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen