(Diogenes, 278 S., Tb.)
Der US-amerikanische Schriftsteller John Irving ist für seine oft skurril agierenden, manchmal auch körperlich deformierten und psychisch angeschlagenen Figuren bekannt, die sich in allerlei für den Normalbürger unvorstellbaren sexuellen Eskapaden hingeben. Das gelingt ihm meist so anschaulich, dass immerhin fünf seiner Werke (darunter „Garp und wie er die Welt sah“, „Das Hotel New Hampshire“ und „Gottes Werk und Teufels Beitrag“) sogar verfilmt worden sind. Mit seinem dritten, im Original 1974 veröffentlichten Roman „Eine Mittelgewichts-Ehe“ greift Irving mehrere seiner immer wiederkehrenden Topoi auf, erzählt von zwei Ehepaaren im Partnertausch-Modus und lässt dabei Ringer-Gewichtsklassen und andere Vergleiche aus dem Sport einfließen.
Die 1938 im österreichischen Eichbüchl in der Nähe von Wien geborene Anna Agathe Thalhammer hat eine traumatisierte Kindheit hinter sich. Als die Russen 1945 nach Österreich kamen, versteckte ihre Mutter sie in dem Körper einer ausgeweideten Kuh, wo sie nach einigen Tagen aber doch von einem georgischen Offizier gefunden und fortan „Utschka“ (Kuh) genannt wurde. Für den namenlosen Ich-Erzähler ist klar, dass „Utsch“, wie er sie abgekürzt zu nennen pflegt, aus demselben Grund verletzlich ist, aus dem sie stark ist. Sie ist ebenso in Wien aufgewachsen wie Severin Winter, dessen Vater wie Utschs Eltern während des Krieges starb.
Die Tatsache, dass er einige Bilder seines verstorbenen Vaters besitzt, macht ihn mit Edith Fuller bekannt, die im Auftrag des Museum of Modern Art unterwegs ist, Gemälde zu erwerben, die die Sammlung abrunden. Sie erfährt, dass Severins Vater, Kurt Winter, während des Krieges seine Frau Katrina Marek mit einer Mappe voller erotischer Akte nach London geschickt hatte, wo sie eigentlich ihre Schauspielkarriere vorantreiben wollte, aber vor allem wegen der Akte, die Winter von ihr angefertigt hatte, als Modell engagiert wurde.
Der mit Utsch verheiratete Ich-Erzähler, der nebenbei historische Romane schreibt, unterrichtet Geschichte am selben College wie Severin, der dort Deutsch unterrichtet und die Ringermannschaft trainiert. Die beiden Ehepaare lassen sich auf einen Partnertausch ein, schließlich scheinen die neuen Konstellationen sowohl in körperlicher Hinsicht als auch ihren Interessen nach besser zu passen. Doch als der Erzähler herausfindet, dass es dieses Arrangement wohl nicht gegeben hätte, wenn Edith ihren Mann nicht zuvor im Ringerkäfig mit einer lädierten Tanzlehrerin in flagranti erwischt hätte, verändern sich die Einstellungen der vier Beteiligten zu dem Partnertausch …
„Ich sagte ihr, dass die schnellste Art, unsere Beziehung zu beenden, darin bestehe, unser Zusammensein als eine Art Provokation von Severin zu missbrauchen. Da schmollte sie mit mir. Ich wollte in diesem Moment sehr gern mit Edith schlafen, weil ich wusste, dass Utsch und Severin nicht konnten, aber ich erkannte, dass ihre Wut auf ihn sie wütend auf alles gemacht hatte und dass es unwahrscheinlich war, heute mit ihr zu schlafen.“ (S. 120)
Irving nimmt sich in dem Roman viel Zeit, zunächst die Lebensgeschichten der Protagonisten aufzurollen, um ihnen ein Profil zu verleihen und eine Erklärung dafür anzubieten, warum sich die beiden Ehepaare auf einen Partnertausch einlassen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Winters ihre beiden Kinder, Dorabella und Fiodiligi, nach den weiblichen Hauptpersonen in Mozarts Oper „Così fan tutte“ benannt haben, in der das Thema Partnertausch auf eine ähnliche Weise inszeniert wird wie in Irvings Roman.
In seinem dritten Roman nach „Lasst die Bären los!“ und „Die wilde Geschichte vom Wassertrinker“ arbeitet Irving viel mit Ringer-Vokabular, benennt einige der Kapitel sogar nach den verschiedenen Gewichtsklassen und verortet den entscheidenden Auslöser für den Partnertausch passenderweise auch in einem Ringerkäfig. Irving springt in seiner Erzählung in der Chronologie hin und her, wechselt die Perspektiven, auch wenn sie stets von dem Ich-Erzähler wiedergegeben werden, und mit sichtlichem Vergnügen beschreibt er auch diverse erotische Episoden.
Doch letztlich nimmt die Vergangenheit der Protagonisten mehr Raum ein als die gegenwärtigen Verwicklungen, die Dialoge wirken oft gekünstelt, so dass man als Leser eher zum Betrachter einer wissenschaftlichen Operation wird und so wenig Interesse an den Problemen und Leidenschaften der mehr oder wenigen skurrilen Figuren entwickelt.
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