(Suhrkamp, 302 S., Tb.)
Bevor Don Winslow mit harten Drogenmafia-Thrillern wie „Tage der Toten“, „Das Kartell“ und „Savages – Zeit des Zorns“ zu einem der besten Genre-Autoren weltweit avancierte, präsentierte er Anfang der 1990er Jahre seine ersten Fingerübungen mit einer fünfteiligen, humoristisch gefärbten Thriller-Reihe um Neal Carey, einen Studenten an der Columbia, der davon träumt, eines Tages am College Englisch zu unterrichten, und sich ein Zubrot damit verdient, für seinen Ziehvater und Vorgesetzten Joe Graham hin und wieder Aufträge als Privatdetektiv für die „Friends of the Family“ zu übernehmen. Nach „London Undercover“, „China Girl“ und „Way Down on the High Lonely“ veröffentlichte Suhrkamp 2016 den vierten Band unter dem Originaltitel „A Long Walk Up The Water Slide“.
Seit Neals letztem Auftrag für die von Ed Levine geführte „Friends of the Family“, bei dem er einen Mann erschoss, hat sich der 28-Jährige in das Schlafzimmer seiner Freundin Karen Hawley zurückgezogen und vergeblich auf die unangenehmen Fragen von FBI, Highway Patrol und der Polizei gewartet. Er arbeitet an seiner Doktorarbeit zum Thema „Tobias Smollett: Literarischer Außenseiter“ und zieht ernsthaft in Erwägung, sich aus dem Geschäft zurückzuziehen, mit dem ihn der zwergwüchsige, einarmige Joe Graham sporadisch konfrontiert. Als Joe diesmal anruft und Neal einen Auftrag anbietet, bei dem er überraschenderweise niemanden suchen muss, sagt er auch wegen der Aussicht auf eine Terrasse mit Whirlpool zu, die sich Neal und Karen mit dem Honorar in ihrem Zuhause in Austin, Nevada, bauen lassen könnten.
Doch natürlich entpuppt sich die Aufgabe, einer jungen Frau namens Polly Paget vernünftiges Englisch beizubringen, damit sie ihre Anschuldigung, von dem prominenten Fernsehmoderator und Unternehmer Jack Landis vergewaltigt worden zu sein, glaubwürdig vortragen kann, ohne als prollige Schlampe rüberzukommen, denn sowohl ihr Aussehen als auch ihre Sprache vermitteln mehr als überdeutlich diesen Eindruck. Zwar beteuert Graham, dass die Mafia nicht mit im Spiel sei, aber der Auftrag entpuppt sich doch als ziemlich heikel, denn Jack hat als Gründer, Präsident und Hauptanteilseigner von Family Cable Network, wo er mit seiner Frau Candice die beliebte Sendung „Familienzeit mit Jack und Candy“ moderiert, einiges zu verlieren, investiert er doch gerade in ein Ferienparadies, dessen Apartments sich nicht so schnell verkaufen lassen wie gewünscht.
Bis zu ihrer Aussage soll Neal Polly nicht nur vernünftiges Englisch beibringen, sondern sie auch gut verstecken, denn natürlich setzen Jack Landis und seine Geschäftspartner alles daran, dass seine Sekretärin und Geliebte Polly nie ihre Aussage zu Protokoll geben kann. Dazu wird nicht nur der Privatermittler Walter Withers engagiert, sondern auch ein Auftragskiller. Als sich die Dinge weitaus turbulenter entwickeln als geplant, macht sich vor allem Joe Graham große Vorwürfe.
„Die ganze Operation Polly Paget war überstürzt und ohne ausreichende Informationsgrundlage durchgeführt worden. Die Friends of the Family hätten den Fall nicht übernehmen dürfen, ohne vorher die gegnerische Seite restlos zu durchleuchten. Und dass Eddie und Kitteredge ein sicheres Versteck verraten hatten, war erst recht nicht nachvollziehbar. Dabei war es nicht mal unser Versteck gewesen, sondern das von Neal. Endlich hatte der Junge ein Zuhause gefunden, und wir lassen zu, dass es ihm um die Ohren fliegt. Wir sind schludrig geworden, dachte Graham. Der Erfolg hat uns glauben lassen, wir seien besser, als wir sind.“ (S. 225)
Mit dem vierten Band seiner 1991 gestarteten Neal-Carey-Reihe entwickelt Don Winslow die Lebensgeschichte des jungen Doktoranden, der nebenbei als Privatermittler für die Firma arbeitet, in der auch sein Ziehvater tätig ist, konsequent weiterentwickelt. Die Beziehung zu seiner Freundin Karen steht auf einer soliden Basis, das überraschende Auftrags-Angebot kommt wie gerufen, um den Lebensstil des jungen Paars etwas aufzupeppen. Doch die Beziehung zwischen Neal und Karen gerät schnell in den Hintergrund, als die billig aufgemotzte, herrlich prollig daherkommende Polly in ihr Leben tritt und damit einen höchst komplexen Rattenschwanz hinter sich herzieht, der ordentlich Action und ein paar Tote mit sich bringt.
Das ist temporeich und witzig - vor allem in den knackigen Dialogen – geschrieben, doch schießt Winslow in der zweiten Hälfte des gerade mal 300-seitigen Romans weit übers Ziel hinaus, als die mittlerweile unüberschaubare Schar an Akteuren an schnell wechselnden Schauplätzen die Orientierung zu verlieren drohen und damit den Lesegenuss arg schmälern. Denn für feinsinnige Charakterisierungen bleibt hier kein Raum. Winslow ist hier so auf Action und pointierten Humor getrimmt, dass die Story darunter leidet. Mit einem ähnlichen Konzept ist die „Slow Horses“-Reihe des Briten Nick Herron weit origineller ausgefallen.
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