Jeffrey Eugenides - „Die Selbstmord-Schwestern“

Samstag, 12. September 2009

(Rowohlt, 251 S., HC)
Im vergangenen Jahr erhielt der in Berlin lebende 44-jährige Amerikaner Eugenides für seinen zweiten Roman „Middlesex“ den Pulitzer-Preis. Grund genug, jetzt noch mal auf sein 1993 veröffentlichtes Roman-Debüt „Die Selbstmord-Schwestern“ aufmerksam zu machen, das im Jahre 2000 erfolgreich von Sofia Coppola verfilmt und nun von Rowohlt als Hardcoverausgabe neu herausgegeben wurde.
Es erzählt die Geschichte der fünf Lisbon-Mädchen Therese, Mary, Bonnie, Cecilia und Lux, die Anfang der 70er Jahre in einer von Ulmen gesäumten nordamerikanischen Vorstadtstraße vor allem unter der strengen Erziehung ihrer Eltern zu leiden haben. Als die dreizehnjährige Cecilia versucht, sich in der Badewanne mit aufgeschnittenen Pulsadern das Leben zu nehmen, kann sie zunächst rechtzeitig gerettet werden. Wenig später hat sie beim Sprung durchs Fenster mehr „Glück“ und wird von einem Gartenzaun durchbohrt. Nachbarn, Lehrer, Psychologen und Mitschüler sind zunächst wie paralysiert, doch dann verliebt sich der Mädchenschwarm Trip Fontaine in die vierzehnjährige Lux und kann Mr. Lisbon dazu überreden, seine Tochter in Begleitung der anderen Töchter und seiner Freunde zu einem Schulfest auszuführen. Als Lux zwei Stunden nach der vereinbarten Zeit nach Hause kommt, verlieren die Mädchen ihre letzten Privilegien, werden von der Schule genommen und dürfen das Haus nicht mehr verlassen. Nur Lux wird immer wieder dabei beobachtet, wie sie nachts auf dem Dach des Hauses mit verschiedenen Männern kopuliert. Die Jungen, die sich in die Mädchen verliebt haben, versuchen verzweifelt, Kontakt zu ihnen aufzunehmen, während die Mädchen immer mehr die Lust am Leben verlieren. Es ist das „Jahr der Selbstmorde“ und verändert die Mädchen und Jungen für immer. Eugenides hat die pubertären Probleme von verstörender Todessehnsucht, erwachender Sexualität und schillernder Phantasie auf sehr einfühlsame und wunderbar poetische Weise beschrieben.

J. D. Salinger - „Der Fänger im Roggen“

(Kiepenheuer & Witsch, 270 S., HC)
Als J.D. Salingers „Der Fänger im Roggen“ Mitte der 40er Jahre erstmals veröffentlicht wurde, avancierte das Buch schnell zum Kultbuch einer jungen Generation, die sich erstmals durch Adaption und Kreation eigener kultureller Stilmittel bewusst von der Elterngeneration abzugrenzen versuchte. Wenn man Salingers Roman, nun in einer „neuen“, immerhin schon 1962 erfolgten Neuübersetzung von Eike Schönfeld vorliegend, heute liest, wird schnell deutlich, warum der auch heute noch so gewitzt geschriebene Roman damals für solch großes Aufsehen gesorgt hat.

Zuvor dürfte man nämlich selten die Gelegenheit gehabt haben, einen Jugendlichen so unverblümt seine Lebensgeschichte erzählen zu hören. Holden Caulfield, der junge Ich-Erzähler des Romans, macht von Anfang an klar, dass er nicht seine „ganze verfluchte Autobiographie“ wiedergeben, sondern nur von dem ganzen „Irrsinnskram“ erzählen möchte, der ihm vor kurzem passiert ist. Das beginnt mit dem – nicht ersten – Rausschmiss von der Schule. Diesmal ist es die Pencey Prep, wo Holden einmal mehr wegen unterirdisch schlechter Leistungen den Abgang machen muss. Statt direkt nach Hause zu fahren, macht er ein paar Umwege, damit seine Eltern den Schrieb von der Schule erst einmal verdauen können und sich abgeregt haben, wenn Holden zuhause eintrifft. Was folgt, sind amüsante Episoden sowohl über seinen ehemaligen Zimmerkollegen Ward Stradlater, der mit seiner einschmeichelnden Art jedes Mädchen herumzukriegen scheint, als auch über die eigene Unfähigkeit, bei Mädchen wirklich zu landen, seine Abneigung gegen Kinofilme und seine Abenteuer in New York und seine Romanze mit Phoebe. All das gibt einen wunderbaren Einblick in das Leben und Fühlen eines Pubertierenden in New York zur Zeit der letzten Jahrhundertmitte.

Philippe Djian - „Sirenen“

Sonntag, 6. September 2009

(Diogenes, 448 S., HC)
Nathan hat es wirklich nicht leicht im Leben. Der unorthodox arbeitende Kriminal-Polizist folgt stets seinem in die Irre führenden Instinkt und gerät dabei immer wieder in Teufels Küche. Als er den Tod von Jennifer Brennen, der Tochter des mächtigen Sportbekleidungsherstellers Paul Brennen, untersuchen muss, ist es mal wieder soweit, da er fest davon überzeugt ist, dass der Big Boss seine prostituierende Tochter umbringen ließ. Seine neunzig Kilo auf die Waage bringende Partnerin Marie-Jo geht dagegen ihren eigenen Spuren nach, die ihr Mann Franck ihr besorgt hat.
Natürlich kommt Marie-Jo der Auflösung des Falls näher als Nathan, doch mehr als der zu lösende Kriminalfall interessieren bei Djian natürlich die komplizierten persönlichen Verflechtungen. Marie-Jo, noch immer geschockt von der Erkenntnis, dass ihr Mann, der übrigens ein gefeierter Schriftsteller ist, jungen Männern einen bläst, lässt es sich täglich an den unmöglichsten Orten von Nathan und gelegentlich auch von Ramon, dem jungen Nachbarn mit dem krummen Pimmel, besorgen, während Nathan gleich drei Frauen unter einen Hut zu bringen hat: seine aktivistische Ex-Frau Chris, die jetzt mit dem gut gebauten Dozenten Wolf eine Affäre begonnen hat und mit ihm eine neue Demo organisiert und für die er immer noch leidenschaftliche Gefühle empfindet, seine Polizei-Partnerin Marie-Jo, die extrem eifersüchtig auf alle Frauen in Nathans Umfeld reagiert, und das Super-Model Paula, das Nathan zu Füßen liegt, mit ihm sogar in einem Bett schläft, die Nathan aber absolut nicht zu vögeln gedenkt. Vor dem nicht immer ganz leicht zu durchschauenden Konstrukt eines Kriminalfalls entwickelt Djian wie gewohnt verfängliche und amüsante Episoden um das prickelnde Thema von Lust, Liebe und Leidenschaft, doch waren seine Dialoge schon mal spritziger und seine Geschichten witziger.

Philippe Djian - „Reibereien“

(Diogenes, 234 S., HC)
Pünktlich zum DVD-Release des dreistündigen Director’s Cut von „Betty Blue – 37,2 Grad am Morgen“, der kongenialen Verfilmung von Djians längst zum modernen Klassiker avancierten Debütroman, beglückt uns der französische Bestsellerautor mit einem neuen Buch. Darin entfaltet er lose zusammenhängend in fünf Episoden die schwierige Beziehung eines Mannes zu seiner alkoholkranken Mutter, der er bereits im Alter von elf Jahren eine Stütze im Leben sein muss, da sein rastloser Vater nur sporadisch eine Rolle im Leben der beiden spielt.
Der Junge muss ihr versprechen, sie nie zu verlassen, und damit scheint der Pakt für ihr beider Leben besiegelt. Elf Jahre später ist der Junge ausgezogen, in eine 500 Meter entfernte Wohnung, seine 42-jährige Mutter unterhält recht lockere Männergeschichten. Später hält sich der Sohn gut mit einem Kleinverlag für feministische Literatur und einen anhängenden Buchladen über Wasser, Frauen kommen und gehen, seine Mutter lässt sich mit Vincent endlich auf eine feste Beziehung ein, doch macht der arbeitslose Knastbruder ihr bald das Leben zur Hölle. Doch irgendwie meistern Sohn wie Mutter die großen und kleinen Hürden des Lebens, und darin ist Djian bekanntermaßen ein Meister: wie er mit sympathischen Tönen und leichter Melancholie menschliche Schwächen und Leidenschaften beschreibt, zeugt schon von literarischer Größe, psychologischem Feingefühl und genauer Beobachtungsgabe.

Jason Starr- „Hard Feelings“

Samstag, 5. September 2009

(Diogenes, 298 S., Tb.)
Bereits mit seinen bisherigen Romanen „Top Job“, „Die letzte Wette“ und „Ein wirklich netter Typ“ hat der amerikanische Emporkömmling Jason Starr auf unterhaltsame wie treffsichere Weise die Krise des modernen Menschen beschrieben, sich erfolgreich in einer auf Anerkennung und Wohlstand ausgerichteten Gesellschaft zu behaupten und einen Lebenssinn jenseits des Profitstrebens zu finden.
Auch sein neues Werk greift dieses mehr denn je aktuelle Thema wieder auf und spinnt eine interessante Kriminalgeschichte drum herum. Der vierunddreißigjährige New Yorker Richard Segal wartet seit Monaten auf seinen ersten Vertragsabschluss bei seiner neuen Computer-Netzwerk-Firma. Seine Frau Paula wurde dagegen gerade zur Vizepräsidentin ihrer Abteilung befördert. Zudem kriselt es mächtig in ihrer Ehe, worauf Richard wieder zu trinken anfängt. Ein Wochenendurlaub in den Berkshires verschlimmert die Situation eher, da seine Frau mit einem Großkotz zu flirten anfängt. So richtig aus dem Gleichgewicht kommt der erfolglose Verkäufer allerdings, als er eines Tages zufällig seinen Jugendfreund Michael Riddick auf der Straße trifft, mit dem er in Brooklyn zusammen aufgewachsen war und oft Tischtennis mit ihm im Keller gespielt hat. Von nun an wird Richard immer häufiger von Flashbacks geplagt, die nach und nach ein dunkles Geheimnis ans Licht bringen. Spannender wie realistischer und kurzweiliger Krimi mit hohem Unterhaltungswert.

Leon de Winter - „Malibu“

(Diogenes, 418 S.,)
Joop Koopman, 47-jähriger Niederländer, hat es in L.A. zu einem mäßig anerkannten Drehbuchautor gebracht. Während seine geschiedene Frau Ellen in ihrer niederländischen Heimat erfolgreich als Art Director tätig ist, lebt er allein mit seiner Tochter Mirjam zusammen, die am 22. Dezember ihren 17. Geburtstag feiert. An diesem Tag trifft er seinen alten Schulfreund Philip wieder, der ihn für den israelischen Geheimdienst gewinnen will, um einen mutmaßlichen marokkanischen Terroristen zu bespitzeln.
Während des Gesprächs erfährt Joop, dass seine Tochter tödlich verunglückt ist. Für ihn bricht eine Welt zusammen. Wenig später wird Joop von Erroll aufgesucht, einem riesigen Schwarzen, der Mirjam auf seinem Motorrad hatte, als der tödliche Unfall passierte. Zwischen den beiden Männern entsteht eine innige, wenn auch nicht unkomplizierte Freundschaft. Dann wird es turbulent: Joop nimmt den Agenten-Auftrag an, findet den Marokkaner aber sehr nett, der ihm sogar hilft, die Person aufzuspüren, die Mirjams Herz transplantiert bekam. Er trifft seine erste Liebe Linda wieder, mit der er wieder eine leidenschaftliche Affäre beginnt und die ihn in die Geheimnisse der buddhistischen Weltsicht einzuweihen versucht... De Winter gelang mit „Malibu“ ein höchst unterhaltsamer, vergnüglicher, mit metaphysischen Spekulationen und allerlei anregenden Erzählstrukturen gespickter Roman, der viele Überraschungen zu bieten hat.

John Updike - „Wie war’s wirklich“

(Rowohlt, 252 S., HC)
Der 1932 geborene amerikanische Schriftsteller John Updike ist spätestens durch seinen wunderbar mit Jack Nicholson, Cher, Michelle Pfeiffer und Susan Sarandon verfilmten Roman „Die Hexen von Eastwick“ auch hierzulande einem breiten Publikum bekannt geworden. In seiner Heimat gilt er längst als „grand old man“ der amerikanischen Literatur und vor allem als Meister der Kurzgeschichte. Mit „Wie war’s wirklich“ legt Updike zwölf neue, meisterhafte Erzählungen vor, die von leisem Humor und nostalgischer Sehnsucht geprägt sind.
In „Die Frauen, die ihm entgangen sind“ erzählt Martin von der Selbstverständlichkeit, nach den Sechzigern Affären zu unterhalten, und während er beobachtet, wie seine Frau Jeanne bei einem Bootsausflug mit ihrem Liebhaber Frank tanzt, erinnert er sich der Mädchen, die er geliebt hat. Auch in „Mittagspause“ werden kostbare Erinnerungen aufgewärmt, als David Kern beim Klassentreffen seines Highschool-Jahrgangs Julia und Doris wieder trifft, mit denen er damals in der Mittagspause in ihren Autos auf der Suche nach dem perfekten Hamburger durch die Straßen fuhr. Und Stan, Vertreter für „stranggepresstes Nichteisenmetall“, denkt an seine Reisen nach New York zurück, wo er mit der Kunsthändlerin Jane eine Affäre hatte und der er nach zehn Jahren wieder begegnet. So begleitet der Leser die Protagonisten durch ihre von kostbaren Erinnerungen geprägten Jugend und die aufregenden Jahre des Erwachsenwerdens. Geliebte, Ehefrauen, die Eltern und das Zuhause spielen dabei naturgemäß die wichtigsten Rollen. Erstaunlich, wie leicht Updike diese wehmütig klingenden Stories aus der Feder zu schütteln scheint.