Frank Decker ist noch Ermittler bei der Polizei in Lincoln, Nebraska, als er einen „Code 64“ übermittelt bekommt, eine Vermisstenmeldung. Da er sich gerade in der Nähe befindet, steuerte er den Bungalow in dem Viertel Russian Bottoms an und unterhält sich mit der Mutter des gerade mal fünf Jahre jungen afroamerikanischen Mädchens Hailey Hansen. Nach Aussage der alleinerziehenden Mutter ist das Mädchen beim Spielen im Vorgarten verschwunden, als sie selbst kurz auf Toilette gegangen war. Decker weiß so gut wie jeder, der mit Vermisstenfällen von Kindern zu tun hat, dass die Chancen, die Kinder lebend zu finden, mit jeder verstrichenen Stunde dramatisch schwinden.
Als mit Brittany Morgan ein weiteres, diesmal weißes Mädchen verschwindet, hilft die Zeugenaussage eines Jungen der Polizei, Harold Gaines festzunehmen, der vor fünf Jahren wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt worden war und seit kurzem wieder auf freiem Fuß ist. Als Brittany tot aufgefunden wird, schmeißt Decker seinen Job hin, setzt seine ohnehin kriselnde Ehe in den Sand und widmet sich fortan nur noch der Suche nach Hailey, weil er ihrer Mutter versprochen hat, sie zurückzubringen. Seine Spur führt ihn zu einer Tankstelle nach Jamestown, wo Hailey mit ihrem Spielzeugpferd beim Verlassen der Toilette gesehen wurde, und schließlich nach New York, wo Decker den prominenten Modefotografen Clay Welles und ein Model kennenlernt, das eine verblüffende Ähnlichkeit mit Hailey besitzt … Der Aufenthalt in New York führt Decker in einen undurchsichtigen Sumpf aus altem Geldadel mit bizarren Vorlieben, exklusiven Bordellen und einem weit verzweigten Handel mit Mädchen. Schließlich bekommt er es sogar mit der Mafia und einigen üblen Schlägern zu tun.
„Ich sah wirklich aus wie Scheiße. Ich arbeitete an einem Dreitagebart, meine blau gehauenen Augen changierten in ein morbides Lila, meine Kinnpartie war verquollen, im Mundwinkel hatte ich getrocknetes Blut. Irgendwann hatte es wieder angefangen zu bluten, und ich hatte es nicht gemerkt.Der New Yorker Thriller-Autor Don Winslow hat es innerhalb weniger Jahre geschafft, zu einem der meistprämierten Genre-Größen zu avancieren. Nicht zuletzt Oliver Stones Verfilmung von „Zeit des Zorns“ machte den Amerikaner auch hierzulande populär, wo er 2011 mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet wurde.
Ich musste fast lachen.
Das war nicht mehr der Frank Decker aus Lincoln.
Von dem trennten mich ein Jahr, ein paar tausend Meilen und ein Haufen Erfahrungen.
Das Lustige war, ich konnte mich kaum noch an den Kerl erinnern. Der steckte irgendwo noch in mir drin, aber wo?“ (S. 342)
Mit „Missing. New York“ präsentiert Droemer nun den Start einer neuen Reihe, mit der Winslow den ehemaligen Cop Frank Decker vermisste Personen aufspüren lässt, für die sich die dafür zuständigen Behörden recht schnell nicht mehr interessieren. Winslow hält sich nicht lange mit einer Einführung auf, sondern stellt seinen Protagonisten Frank Decker als tatkräftigen Mann dar, der zwar seine Ehe ruiniert hat, aber sonst zu seinem Wort steht.
Der Roman entwickelt sich ab der ersten Seite zu einem echten Pageturner. Das liegt nicht nur an dem emotional aufgeladenen Vermisstenfall, sondern auch an der rasant inszenierten Handlung. Auch wenn die Geschichte den Verlauf eines Jahres abdeckt, beschränkt sich Winslow nur auf die Episoden, in denen auch etwas passiert. Und sobald Decker erst einmal im Schmelztiegel New York angekommen ist, überschlagen sich schließlich auch die Ereignisse bis zu einem packenden Finale, das Lust auf weitere Decker-Abenteuer macht.
Leseprobe Don Winslow - "Missing. New York"
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