(Heyne, 224 S., Tb.)
Als der ehemalige Drogendealer Greg an einem Märznachmittag 1986 in einem Mini-Markt in Toronto auf der Titelseite des „Star“ vom Selbstmord des The-Band-Sängers Richard erfährt, überkommt ihn eine Welle der Erinnerung. Zurück in der Bruchbude, die er von seinen Eltern geerbt hat, legt Greg „Music From Big Pink“ auf, das Debütalbum von The Band, setzt sich einen Schuss und kehrt mit seinen Gedanken zwanzig Jahre zurück, als er Toronto verlassen hatte, um in New York Jura zu studieren. Doch statt sich um seinen Abschluss zu kümmern, verkaufte Greg in ganz Manhattan Speed und Gras, bis er sich Ärger mit seinem Boss einhandelte und bei seinem Freund Alex in Woodstock unterkam.
Im einem hässlichen pinkfarbenen wie verwahrlosten Haus lernte er Richard, Rick und Garth von The Hawks kennen und bekam mit, wie sie an neuen Songs arbeiteten, aus denen später das epochale Debütalbum „Music From Big Pink“ entstehen sollte. In einer Ära, die maßgeblich von ihrem Mitbewohner Bob Dylan geprägt wurde, floss eine Menge Alkohol, wurden exzessiv allerlei Drogen konsumiert und Mädchen flachgelegt. Damals dachte Greg im Leben nicht daran, dass er die Entstehung eines so wegweisenden Albums miterleben würde.
„Ich hatte ein bisschen was von der Musik aufgeschnappt, die sie mit Dylan den Sommer über in ihrem Keller aufgenommen hatten. Vor der Revox neben Garths Orgel stapelten sich die Bänder, größtenteils Coverversionen oder Sessions mit klassischem Zwölf-Takt-Blues, über die Dylan Songs von Johnny Cash, Hank Williams oder Elmore James näselte, ausnahmslos beschissen aufgenommen, mit einem Haufen mieser Mikrofone. Das meiste von dem, was ich gehört hatte, klang wie echtes Kifferzeug. Wie Comedy-Musik. Der Scheiß eben, den sich Typen mit ihren Gitarren zusammendengeln, wenn sie völlig breit vor sich hinkichern.“ (S. 68f.)
In dem Nachwort zu seinem 2005 veröffentlichten Debütroman erzählt der schottische Autor John Niven, wie er 2004 beauftragt wurde, für die 33 1/3-Reihe bei Continuum Books über ein Rock-Album zu schreiben, das Musikgeschichte geschrieben hat. Niven hatte gerade seinen Job als A&R-Manager an den Nagel gehängt, um seine Erfahrungen in der Musikbranche in einem Roman zu verarbeiten. Mit „Music From Big Pink“ gelang ihm dabei gleich ein großer Wurf. Inspiriert von Joe Pernices ebenfalls in dieser Reihe erschienenen „Meat Is Murder“, in dem der Musiker das gleichnamige Album von The Smiths als Ausgangspunkt für die Coming-of-Age-Geschichte eines jungen Mannes nahm, ließ Niven einen jungen Drogendealer, wie sie seiner eigenen Erfahrung nach immer wieder im Umfeld von Rockstars zu finden waren, miterleben, wie Musiker aus dem Bob-Dylan-Umfeld ein großartiges Album kreierten.
Dabei steht zwar der Ich-Erzähler Greg im Mittelpunkt des Geschehens, aber aus seiner Sicht erlebt der Leser eine geradezu sinnlich wahrnehmbare Atmosphäre von kreativer Energie, die sich eigentlich aus den dreckigsten Zutaten generiert. Der gerade mal 220 Seiten dünne Roman „Music From Big Pink“ liest wie ein guter Rock-Song, der seine Hörer in andere Sphären zu tragen versteht. Das ist purer Sex & Drugs & Rock’n’Roll!
Leseprobe John Niven - "Music From Big Pink"
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