James Patterson - (Mike Bennett: 2) „Blutstrafe“

Donnerstag, 3. Februar 2011


(Goldmann, 348 S., Tb.)
Mit dem Polizeipsychologen Alex Cross und der Reihe um den „Club der Ermittlerinnen“ hat James Patterson höchst erfolgreiche, aber leider – vor allem was Alex Cross angeht – auch allzu eingefahrene Thriller-Serien ins Leben gerufen, die mittlerweile etwas langweilige Automatismen entwickelt haben. Etwas Abwechslung soll da die neue Reihe um den New Yorker Detective Mike Bennett bringen ..
Knapp ein Jahr nach dem Tod seiner Frau Maeve hat Bennett nicht nur seine zehn Adoptivkinder zu versorgen, sondern hat es auch mit einem Killer zu tun, der sich selbst „der Lehrer“ nennt und scheinbar wahllos Menschen umbringt. Dabei ändert er so stark sein Aussehen, dass zunächst kein Zusammenhang zwischen dem Vorfall in der U-Bahn, wo er als Anzugträger ein Mädchen auf die Gleise schubste, und den Morden an einem Ralph-Lauren-Angestellten und einem  Kellner im „21 Club“ hergestellt wird, wo der psychopathische Killer sich als Repräsentant der Unterschicht präsentierte. Allerdings hat der Mörder bei den beiden Toten jeweils eine kryptische Nachricht hinterlassen.
„Meine Vermutung war, dass  wir über einen Typen sprachen, der in Schnapsidee-Komposition eine eins gekriegt hatte und dies allen Menschen mitteilen wollte – um ihnen seinen Größenwahn als Intelligenz zu verkaufen. Die einzige Möglichkeit, diese Art von Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, bestand in gemeinem, kaltblütigem Mord. Leider war er, wenn ich Recht behalten sollte, tatsächlich schlau und dazu noch vorsichtig. Unterschiedliche Aufmachung, kaum erkennbares Gesicht, keine Fingerabdrücke.“ (S. 102)
Soweit zur professionellen Einschätzung eines erfahrenen Polizisten. Leider macht sich Patterson nicht die Mühe, seine Figuren eingehender zu beschreiben. Der psychopathische Bösewicht ist einfach nur ein schlechtes Klischee, das sich leider auch viel zu häufig in den Plattitüden widerspiegelt, die der Autor von sich gibt (hat das wirklich Patterson geschrieben, oder war hier doch einer seiner Ghost Writer am Werk, von denen gerade bei ihm immer wieder die Rede ist?):
„Ich blieb stehen, wo ich war, und starrte auf die blutdurchtränkten Teppiche und Matratzen. Dies war das Schlimmste, das ich je gesehen hatte, eine Gräueltat, ein Verbrechen gegen die Menschheit. Ich sehnte mich danach, meine Glock auf diesen Kerl zu richten.“ (S. 216)
Leider bleiben solche Allgemeinplätze keine Ausnahme, und selbst eine kitschig beschriebene Nahtoderfahrung bleibt dem Leser nicht erspart. Zusammen mit einem 08/15-Plot, der lieblos runtergeschrieben wurde,  ist dies mit Abstand das schlechteste Buch, das ich von Patterson gelesen habe …

James Patterson - (Mike Bennett: 3) „Sühnetag“

(Goldmann, 319 S., Tb.)
Der New Yorker Detective Mike Bennett ist von der Mordkommission Manhattan Nord zur Abteilung für Kapitalverbrechen versetzt worden, die bei großen Banküberfällen, Kunstraub und Entführungen ermittelte. Mit letzteren hat er in großem Stil zu tun, als mit Jacob Dunning der einzige Sohn einer überaus prominenten Familie entführt wird. Donald Dunning, Gründer und Generaldirektor des multinationalen Pharmakonzerns Latvium and Company, lässt seine Verbindungen spielen und vom nationalen Zentrum für die Analyse von Gewaltverbrechen die beste Agentin anfordern: Emily Parker von der FBI-Abteilung für Kindesentführungen und Serienmorde.
Ähnlich wie mit dem „Lehrer“ aus dem vorangegangenen Fall „Blutstrafe“ hat es Bennett wieder mit einem missionarischen Täter zu tun, der die Gier und Unmenschlichkeit weltweit operierender Konzerne anprangert.
„,Wir könnten so viel tun, aber wir sitzen nur rum und sehen zu, wie alles den Bach runtergeht. Dunning könnte mit dem, was er für seine Schuhe bezahlt, siebenundzwanzig Menschenleben retten. Die Latvium-Aktien gedeihen auf den Leichen der Armen dieser Welt … Der einzige Zweck solcher Firmen, egal, in welchem Industriezweig sie tätig sind, ist die Produktion sagenhaften Wohlstands für das obere Management. Nationale Verantwortung und Menschenleben sind für Menschen wie Dunning Nebensache. So war es schon immer und wird es immer bleiben.‘“ (S. 48 f.)
Der Entführer belässt es allerdings nicht bei mahnenden Worten, sondern lässt Bennett und Parker den Jungen mit einem Kopfschuss und einem lateinischen Bibelspruch auffinden. Auch die nächste Entführte, Chelsea Skinner, Tochter des Präsidenten der New Yorker Börse, kann nur tot geborgen werden. Die nächste Entführung fällt allerdings etwas aus dem Rahmen, wird für den behinderten Dan Hastings, doch erstmals Lösegeld gefordert, und zwar per Mail, während der Entführer sich bislang immer telefonisch mit den Eltern der Opfer in Verbindung gesetzt hat. Während Bennett und Parker kaum zur Ruhe kommen, was die Entführungen angeht, finden sie doch die eine oder andere Minute, sich näher kennenzulernen …
Immerhin, nach dem Komplettausfall, den James Patterson mit „Blutstrafe“ hingelegt hat, scheint er sich wieder etwas gefangen zu haben. Zusammen mit seinem Co-Autor Michael Ledwidge schrieb er mit „Sühnetag“ einen typisch rasanten, spannenden Thriller, der mit einigen obligatorischen Wendungen überzeugt, aber wie so oft etwas mehr Sorgfalt bei der Charakterisierung der Protagonisten hätte verwenden können.
Leseprobe „Sühnetag“

Heinz Strunk - „In Afrika“

Dienstag, 1. Februar 2011

(Rowohlt, 270 S., HC)
Mit seinen ersten beiden Büchern „Fleisch ist mein Gemüse“ und „Fleckenteufel“ hat der 1962 in Hamburg geborene Musiker, Schauspieler, Schriftsteller und „Studio Braun“-Komiker auf höchst unterhaltsame Weise die Hürden beschrieben, die man als junger Erwachsener gerade auf dem Land zu überwinden hat. In „Fleisch ist mein Gemüse“ war es noch die fröhliche Tanzkapelle, die auf Schützenfesten in der Lüneburger Heide Klassiker wie „An der Nordseeküste“ spielen musste, in „Fleckenteufel“ die christliche Ferienfreizeit in einem Zeltlager an der Ostsee, die Heinz Strunks Erlebnisse der Post-Adoleszenz Revue passieren ließen. Mittlerweile ist Strunk erwachsen und pflegt alljährlich das Ritual, mit seinem Freund C. in der Weihnachtszeit zu verreisen. Diesmal bucht C. eine Reise nach Kenia.
Strunk versucht noch verzweifelt, sich vor Reiseantritt einen vorzeigbaren Körper anzutrainieren, dann geht es auch schon los. Allerdings – und das scheint Comedy-Stars immer zu passieren – geht der Koffer unterwegs abhanden, so wie es Kollege Christoph Maria Herbst auf seiner „Traumschiff“-Reise („Ein Traum von einem Schiff“) ebenso ergangen ist. Und C., der aus Wien angereist kommt, schlägt mit eintägiger Verspätung auf, nur um im Hotel all die Klischees und Rentner zu erleben, vor denen man eigentlich Angst hat.
„Der Welcomedrink ist ein ekliger, dickflüssiger Schleim und erinnert von Aussehen, Geschmack und Konsistenz her an den Getränkesirup Tri Top. Wenn ich mich recht erinnere, reichte ca. eine halbe Verschlusskappe für ca. einhundert Liter Fruchtjauche, Tri Top dürfte somit das billigste Getränk der Welt gewesen sein. Zum Glück schon lange Geschichte. Oder behauptet sich Tri Top inzwischen im gutsortierten Fachhandel als Kultgetränk?“ (S. 81)
Als C. endlich eingetroffen ist, wollen sie sich an ein Treatment für eine Fernsehkomödie machen. Strunk beschreibt seine Erlebnisse am Pool, im Meer und auf den Straßen von Mombasa recht witzig und mit selbstironischer Note, doch ist der Schmunzel-Humor weit von dem krachenden Humor von Strunks „Frühwerken“ entfernt. „In Afrika“ lässt sich ebenso locker und unverbindlich weglesen wie Herbst‘ „Ein Traum von einem Schiff“, nur um am Ende festzustellen, dass Comedy-Stars ebenso schlechten Urlaub erleben wie Otto Normalverbraucher – nur schreiben sie darüber etwas witziger …

Robert Ludlum (mit Eric Van Lustbader) – „Die Bourne-Intrige“

Sonntag, 30. Januar 2011

(Heyne, 574 S., HC)
Durch die Affäre um Geheimdienstzar Luther LaValle ist der amerikanische Verteidigungsminister Bud Halliday arg in Bedrängnis geraten. Nun hofft er durch einen außergewöhnlichen Coup wieder seine Position an der Seite des Präsidenten zu stärken. In München handelt er mit Boris Karpow, einem hohen Oberst bei der russischen Antidrogenbehörde FSB-2, einen Deal aus: Karpow bietet Halliday an, Jason Bourne zu beseitigen, der ohnehin auf der Abschussliste des amerikanischen Militärgeheimdienstes steht, dafür sollen die Amerikaner mit Abdulla Khoury den Führer der Östlichen Bruderschaft ausschalten. Karpow liefert sogar die dringend benötigten Beweise für die terroristischen Aktivitäten der Bruderschaft, die den Amerikanern bislang fehlten, um gegen sie vorgehen zu können.
Allerdings hat Halliday gar nicht mit Karpow verhandelt, sondern mit Bournes geschickt maskierten Erzfeind Leonid Arkadin, der entgegen Bournes Annahme den eigentlich tödlichen Sturz vom LNG-Tanker überlebt hat und nun erneut Jagd auf Bourne macht und ihn auf Bali mit einem gezielten Schuss niederstreckt. Doch Bourne überlebt mit Glück das Attentat und nutzt die Annahme von seinem Tod dazu, sich seinerseits an Arkadins Fersen heftet. Doch darüber hinaus plagt Bourne noch immer die Ungewissheit über seine wahre Identität.
„Er hatte sich noch nie befreit gefühlt, weder von der Bourne-Identität, die er von Alex Conklin bekommen hatte, noch von der quälenden Unvollkommenheit des Menschen, den er als David Webb kannte. Wer war Webb überhaupt? Tatsache war, dass er es nicht wusste – oder genauer gesagt, dass er sich nicht erinnern konnte. Gewiss, einzelne Bruchstücke waren von Psychologen zusammengesetzt worden, und es kam immer wieder vor, dass irgendein Detail explosionsartig aus den Tiefen seines Unterbewusstseins hervorbrach. Dennoch war er der Wahrheit über seine Vergangenheit um nichts näher gekommen – und es war von einer gewissen Ironie, vielleicht sogar von einer gewissen Tragik, dass er manchmal das Gefühl hatte, Bourne viel besser zu verstehen, als er Webb verstand.“ (S. 97 f.)
Allerdings wird dieser nach wie vor spannenden Frage nach Bournes Vergangenheit nicht weiter nachgegangen. Stattdessen muss der Abschuss eines amerikanischen Jets über ägyptischem Boden mit einer iranischen Kowsar-3-Rakete aufgeklärt werden. Für Verteidigungsminister Halliday scheint der Zeitpunkt gekommen, den Iran massiv zu bekämpfen. Da die CI-Chefin Veronica Hart einem Attentat zum Opfer fällt, verfolgt er außerdem weiterhin seinen ehrgeizigen Plan, die Geheimdienste zu vereinen. Doch Soraya Moore, die die CI-Sonderabteilung zur Terrorbekämpfung anführt, kommt mit Moira und Bourne einer viel umfangreicheren Verschwörung auf die Spur …
Da Robert Ludlum im März 2001 verstorben ist, kann man nur vermuten, wie viel von ihm selbst noch an den posthum veröffentlichten Werken stammt. Jedenfalls wird man bei der Reihe um den Superagenten Jason Bourne den Eindruck nicht los, als sollen die allzu komplexen Handlungsstränge und Verschwörungen darüber hinwegtäuschen, dass es nicht mehr allzu viel Neues zu erzählen gibt. Noch immer soll der US-amerikanische Geheimdienst unter eine Führung gestellt werden, noch immer kämpft Jason Bourne mit einigen wenigen Verbündeten darum, die wirklich ganz doll Bösen auszuschalten. Dies gelingt ihm natürlich auch unter widrigsten und mittlerweile zunehmend unglaubwürdigsten Umständen in „Die Bourne Intrige“.
Spannend, tempo- und actionreich ist der verzwickte Kampf gegen die amerikanischen, iranischen und russischen Schurken aber nach wie vor.
Lesen Sie im Buch: Ludlum, Robert - Die Bourne Intrige

Christoph Maria Herbst – „Ein Traum von einem Schiff“

Samstag, 29. Januar 2011

(Scherz, 208 S., HC)
Als Bernd Stromberg, eine Art asozialer wie inkompetenter Bürovorsteher einer Kölner Versicherung, hat Christoph Maria Herbst für Furore in der Comedy-Landschaft gesorgt. Die der britischen „The Office“-Serie nachempfundene Büro-Satire hat es immerhin auf vier Staffeln gebracht. Seitdem hat sich Herbst als unorthodox ermittelnder Kommissar in „Kreutzer kommt“ betätigt und – als Schriftsteller.
In „Ein Traum von einem Schiff“, das als „eine Art Roman“ untertitelt ist, beschreibt der beliebte Comedy-Star nämlich, wie es zu seinem Engagement für die seit 1981 enorm quotenträchtige Reise-Soap „Das Traumschiff“ gekommen ist und was er alles Abenteuerliches erlebt hat, beginnend mit dem Anruf seiner Agentin und dem Casting im Berliner Kempinski Hotel, wo er „Traumschiff“-Macher Wolfgang Rademann ganz anders kennenlernt, als er sich vorgestellt hat. Herbst sagt zu, macht sich aber nicht die geringsten Illusionen, was seinen Job angeht.
„Von jeher zeichnen sich die Spieler der Rollen in Soaps – und das Traumschiff ist nichts anderes als eine Soap, wenn auch im kolonialistischen Stil – vor allem dadurch aus, dass sie eben nicht mit dem Anderen spielen, sondern ausschließlich mit sich selbst, was dem Erfolg dieses neben der Sendung mit der Maus und dem Leopard-Panzer größten deutschen Exportschlagers allerdings keinen Abbruch tut; bei dieser Serie ging es ja immer schon darum, besonderes Augenmerk auf das Abfotografieren der attraktiven Motive zu verwenden und die Akteure auf eine Weise dorthineinzunageln, dass sie möglichst wenig stören, getreu dem Motto: Location vor Drehbuch!“ (S. 40)
Das ist sicher ebenso keine Überraschung wie viele andere Klischees, die Herbst bestätigt, aber er beschreibt das Stürmen der Buffets, die Dummheit seiner Kollegen, die oft beängstigenden Begegnungen mit „Stromberg“-Fans und die Katastrophen in den Hotels und auf dem Schiff eben so amüsant wie selbstironisch, dass sich der Reisebericht durchweg kurzweilig weglesen lässt. Es ist nicht das „Meisterstück der literarischen Reportage“, als das David Foster Wallace‘ ganz ähnlich entstandene Reportage „Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich“ gefeiert worden ist, doch erweist sich Christoph Maria Herbst durchaus als gut beobachtender, erfrischend humorvoller Erzähler absurder Episoden eines unvergesslichen „Traumschiff“-Abenteuers.

Willy Vlautin – „Motel Life“

Sonntag, 23. Januar 2011

(Berlin Verlag, 207 S., Pb.)
Frank Flannigan ist eigentlich zu besoffen, um noch irgendetwas zu merken, aber dass eine Ente durch das Motelzimmer im dritten Stock geflogen und vor seinen Füßen verendet ist, bekommt er doch mit. Schließlich herrschen draußen klirrende Minus fünfzehn Grad. Die Ente wird kurzerhand wieder aus dem Fenster geschmissen, die Heizdecke voll aufgedreht und dann weitergepennt. Doch wenig später steht Franks älterer Bruder Jerry Lee vor dem Bett und heult sich die Seele aus dem Leib.
Er erzählt, dass er sich nach einem Streit mit Polly Flynn betrunken ins Auto gesetzt habe und auf der Fifth Street morgens um vier Uhr bei heftigem Schneefall einen Jungen auf dem Fahrrad angefahren habe. Nun liegt er tot in eine Decke gehüllt auf dem Rücksitz seines Dodge Fury. Am nächsten Morgen beschließen die beiden Brüder, den Jungen, dem nicht mehr zu helfen ist, vor dem St. Mary’s Hospital abzulegen, von der Bank das letzte Guthaben zu holen und mit den knapp über dreihundert Dollar abzuhauen.
„Das Unglück, jeden Tag werden die Menschen damit geschlagen. Auf kaum etwas anderes kann man sich so sicher verlassen. Es ist immer im Spiel, die nächste Karte, die du aufnimmst, könnte das Unglück sein. Am meisten Angst macht mir, dass man nie genau weiß, wann es zuschlägt und bei wem. Aber an jenem Morgen, als ich die steifgefrorenen Arme des kleinen Jungen hinten im Wagen sah, da wusste ich, das Unglück hatte meinen Bruder und mich gefunden. Und wir, wir nahmen das Unglück und banden es uns wie einen Klotz ans Bein. Wir taten das Schlimmste, was man machen kann. Wir liefen weg. Wir stiegen einfach in seinen abgewrackten 1974er Dodge Fury und hauten ab.“ (S. 13 f.)
Mit einem vollen Tank, etwas Medizin gegen Franks Magenbeschwerden und genügend Alkohol machen sich die Jungs auf den Weg. Unterwegs werden Erinnerungen ausgetauscht, wie der spielsüchtige Vater früh abgehauen und die Mutter wenig später gestorben ist, wie man an verschiedene Jobs gekommen ist und sie wieder verloren hat, und Frank lässt sich immer neue Geschichten einfallen, um seinen Bruder zu unterhalten, auch als dieser sich ins ohnehin schon verstümmelte Bein schießt, weil er mit seinen Schuldgefühlen nicht mehr leben kann. Immer wieder wird in Rückblenden beleuchtet, wie und warum die Jungs auf die schiefe Bahn geraten sind, und doch schlagen sie sich irgendwie durch, nehmen die undankbarsten Jobs an, haben Pech mit den Mädchen, aber irgendwann auch Glück im Spiel.
Willy Vlautin, seines Zeichens Frontmann der amerikanischen Folkrock-Band Richmond Fontaine, legt mit „Motel Life“ ein erstaunliches Debüt hin, dessen 200 Seiten mit den kurzen Kapiteln und einleitenden Illustrationen von Nate Beaty schnell wegzulesen sind. Die herzerwärmende Geschichte eines verloren wirkenden Bruderpaars ist mit ebenso viel Tragik wie Humor durchtränkt und lässt seine sympathischen Antihelden alle schluchzenden Täler durchschreiten, die man sich so vorstellen kann, Alkoholismus, Spielsucht, Pech in der Liebe und bei dem kläglichen Versuch, eine Arbeitskarriere aufzubauen. Vergleiche mit Annie Proulx‘ „Schiffsmeldungen“ oder John Steinbecks „Von Mäusen und Menschen“ kommt einem dabei in den Sinn, aber Vlautins traurig-humorvoller Road-Movie-Blues nimmt durchaus eine eigene Stellung in dieser Art von amerikanischer Literatur ein.

Dean Koontz – „Blindwütig“

Donnerstag, 20. Januar 2011

(Heyne, 432 S., HC)
Der 34-jährige Cubby Greenwich hat wahrhaftig Glück in seinem Leben. Bereits mit seinem ersten Roman eroberte er die Bestsellerlisten, gewann die Liebe der bezaubernden Kinderbuchautorin und –Illustratorin Penny Boon und zeugte mit ihr den mittlerweile sechsjährigen geistigen Überflieger Milo, der bereits über ein Highschool-Diplom verfügt. Gerade ist Cubbys sechstes Buch „One O’Clock Jump“ erschienen, zu dem er am frühen Morgen dreißig Radiointerviews gibt, da erhält er einen Anruf von seiner Lektorin Olivia, die ihm drei Zeitungsrezensionen gemailt hat, zwei wohlwollende und eine vernichtende – ausgerechnet vom renommiertesten Literaturkritiker des Landes, Shearman Waxx. Cubby ist zwar entrüstet, dass Waxx den Roman offensichtlich gar nicht gelesen hat, weil er einen falschen Namen aus der Presseinfo übernommen hat, aber er will Pennys Rat folgen und die Sache auf sich beruhen lassen. Doch als der gekränkte Schriftsteller erfährt, dass Waxx nicht nur ganz in der Nähe wohnt, sondern auch im gleichen Restaurant zu speisen pflegt, legt es Cubby auf eine Begegnung mit dem offenbar zurückgezogen lebenden, etwas merkwürdigen Kritiker an.
Auf der Toilette des Restaurants kommt es zu einem überraschenden Zusammenstoß, und der Kritiker murmelt dabei nur ein Wort: „Verdammnis“. Wenig später glaubt Cubby, Waxx nachts in seinem Haus herumschleichen gesehen zu haben. Doch das ist der Anfang eines nicht enden wollenden Albtraums. In der nächsten Nacht malträtiert Waxx seine Opfer mit Elektroschockern, am nächsten Tag erhält Cubby einen beunruhigenden Anruf des untergetauchten Schriftstellerkollegen John Clitherow, der Waxx eine ähnlich ätzende Kritik und den Verlust seiner Familie zu verdanken hat.
„Die größte Strafe, dachte ich, war nicht er eigene Tod, sondern der Verlust jener, die man am meisten liebte. Wie viel schlimmer musste dieser Verlust sein, wenn man mit dem bitteren Wissen weiterleben musste, dass Menschen, die dir vertraut und sich auf dich verlassen hatten, stellvertretend für dich und deine Fehler ermordet worden waren.
Waxx war nicht nur ein mordlüsterner Psychopath, sondern auch – im eigentlichen Wortsinn – ein Terrorist.“ (S. 131)
Von nun an befindet sich Cubby mit seiner Familie auf der Flucht. Von einem Kollegen, der bereits seine Familie durch Waxx verloren hat, erfährt Cubby, mit welcher Effizienz und Grausamkeit der psychopathische Kritiker zu Werke geht. Um herauszufinden, mit wem sie es zu tun haben, machen sich die Greenwichs auf eine gefährliche Odyssee …
Stephen King hat in „Sie“ auf eindringliche wie beängstigende Weise geschildert, wie ein Schriftsteller von einem wahnsinnigen Fan malträtiert wurde. Dean Koontz setzt sich nun mit der anderen Klientel auseinander, mit denen Schriftsteller vornehmlich zu tun haben, mit ihren Kritikern. Leider lässt Koontz das Potenzial einer solchen Auseinandersetzung nicht nur ungenutzt, durch seinen vollkommen unglaubwürdigen Plot verschaukelt er auch noch bewusst seine Leser. Dass zwei von Beginn an erfolgreiche Schriftsteller auch noch einen hochbegabten Sohn haben, der über höchst komplexe naturwissenschaftliche Kenntnisse verfügt, ist zwar schon außergewöhnlich genug, aber noch zu schlucken. Schon schwieriger wird es, die Motivation des Killers auch nur im Ansatz nachzuvollziehen. Deshalb kommt diese auch erst im abstrusen Finale zur Sprache, wenn eh schon Hopfen und Malz verloren ist. Denn da hat auch ein teleportierender Hund (!) ins Geschehen eingegriffen, und Milo hat praktischerweise ein Gerät entwickelt, mit dem man die Zeit zurückdrehen kann. Man muss schon Durchhaltevermögen beweisen, um der absurden Story zu folgen, aber was Koontz am Schluss abfackelt, spottet jeglicher Beschreibung!
Lesen Sie im Buch: Koontz, Dean - Blindwütig