Da der 24-jährige Arthur Maxley wöchentlich einen Scheck von dem Anwalt seines Vaters bekommt, kann er sich in San Francisco ganz dem Müßiggang und den Partys widmen. Statt sich auf das Studium zu konzentrieren, trinkt der junge Mann abends regelmäßig einen über den Durst. Der überraschende Besuch seines Vaters in der Stadt wühlt allerdings alte Wunden auf. Vor drei Jahren besuchte Arthur noch das College in Boston, bis ein tragischer Vorfall in der Familie den Vater durch die Welt, nach Australien und Südamerika ziehen ließ, nächste Station Bombay. Die Zeit bis zur Abreise will er gern nutzen, um das unterkühlte Verhältnis zu seinem Sohn zu verbessern, indem er beispielsweise seine Kontakte nutzen könnte, um Arthur einen Studienplatz zu verschaffen. Doch Arthur vermag sich aus seiner Lethargie nicht zu lösen, und als er die junge weibliche Begleitung seines Vaters kennenlernt, ist jeder weitere Versuch einer Annäherung endgültig zum Scheitern verurteilt.
Stattdessen zieht der junge Mann weiter ziellos durch die Straßen und Bars, muss einen Kommilitonen in die Schranken weisen, der den solventen Arthur um ein Darlehen anbettelt, lernt eine junge Frau kennen, für die er zunächst eine tiefe Zuneigung entwickelt, doch dann brechen die Erinnerungen an seine Mutter überraschend an die Oberfläche seines Bewusstseins und führen zu einem erschütternden Gewaltexzess.
„Warum war er an diesen Ort gekommen? Dies war keine Zuflucht, und er hatte das auch geahnt. Welch sinnloser Umstand hatte ihn weiter und weiter geführt, tiefer und immer tiefer hinein in etwas, das ihm nun wie ein verschlungenes Labyrinth vorkam, das frei von jeglicher Ordnung und Bedeutung schien?Nicht mal einen Tag im Leben von Arthur Maxley, des Protagonisten in John Williams‘ Schriftsteller-Debüt aus dem Jahre 1948, deckt die Geschichte in „Nichts als die Nacht“ ab, aber die kurze Zeitspanne aus dem Leben des jungen Tunichtguts reicht vollkommen aus, die Tragödie abzubilden, die vor drei Jahren ihren Lauf nahm, die Maxley-Familie brutal auseinanderreißen sollte und den Sohn traumatisiert und ohne Ambitionen im Leben zurückließ.
Dann aber glaubte er plötzlich, dass ihm nie ein Vorwurf für das gemacht werden konnte, was immer ihm auch im Laufe seines Lebens widerfuhr.“ (S. 90)
Was damals genau geschah, erfährt der Leser erst zum Ende der verstörenden Novelle – bis dahin muss er sich mit einer aus Andeutungen und Erinnerungsfetzen gespeisten Ahnung begnügen und dem ziellosen Treiben des Maxley-Jungen folgen, das sich auf Spaziergänge, Partys, Alkoholexzesse und Nachtclubs zu beschränken scheint. Dass „Nichts als die Nacht“ wie ein von Edgar Allan Poe, Nathaniel Hawthorne und Ambrose Bierce inspirierte Schauergeschichte wirkt und an die Existentialisten Albert Camus und Jean-Paul Sartre denken lässt, ist vor allem der düsteren Entstehungsgeschichte geschuldet.
Williams trat Anfang der 1940er Jahre dem Army Air Corps bei und schrieb das Stück, als er mit Anfang 20 nach einem Flugzeugabsturz schwer verletzt wochenlang im burmesischen Dschungel festsaß. Da kann es kaum verwundern, dass die Erzählung von Einsamkeit, Verlust, Paranoia und Gewalt geprägt ist, von Orientierungs- und Ziellosigkeit, von Traumata und Delirien.
Für einen jungen Debütanten ist die Geschichte zunächst nur oberflächlich interessant, schließlich bieten die Reflexionen eines gelangweilten jungen Müßiggängers wenig Neues. Doch wie in sehr kurzer Zeit die gesellschaftlichen Konventionen durch Arthur Maxley aufgebrochen werden und er in einen bizarrer werdenden Strudel aus Gewalt gerät, ist sprachlich sehr ausdrucksstark inszeniert worden und vermag auch gut siebzig Jahre nach der Entstehung durch seine unmittelbare Intensität zu fesseln.
In seinen späteren Meisterwerken „Stoner“ und „Butcher’s Crossing“ verfeinerte Williams seine Erzählkunst, doch als Dokument seiner frühen schriftstellerischen Begabung und Berufung ist „Nichts als die Nacht“ von unschätzbarem Wert.
Leseprobe John Williams - "Nichts als die Nacht"
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