Henning Mankell – (Kurt Wallander: 3) „Die weiße Löwin“

Mittwoch, 8. April 2020

(Zsolnay, 560 S., HC)
Die Immobilienmaklerin Louise Åkerblom will am Freitagnachmittag noch das abgelegene Haus einer Witwe an der Abzweigung zwischen Krageholm und Vollsjö aufsuchen, bevor sie den Heimweg nach Ystad zu ihrem Mann und den beiden Kindern antritt, als ihr unterwegs bewusst wird, dass sie sich verfahren hat. Als sie sich auf einem anderen Hof nach dem Weg erkundigen will, wird sie mit einem Schuss in die Stirn getötet. Der vierundvierzigjährige Kriminalkommissar Kurt Wallander, der gerade gar nicht damit klarkommt, dass sein fast achtzigjähriger Vater seine gut dreißig Jahre jüngere Haushaltshilfe Gertrud heiraten will, übernimmt die Ermittlungen, als Louises Mann Robert am nachfolgenden Montag eine Vermisstenanzeige aufnimmt.
Die streng religiöse Methodistenfamilie scheint überhaupt keine Probleme gehabt zu haben, so dass Wallander und seinen Kollegen kein Motiv für die brutale Tat einfallen will. Als der Wagen der Toten in einem See und ihre Leiche zufällig auf dem Boden eines Brunnens entdeckt wird, führt der ebenfalls am Tatort gefundene Finger eines Schwarzen in eine ungewohnte Ermittlungsrichtung. Denn auf einmal explodiert ein Nachbarhaus. In den völlig zerstörten Mauern finden sich die Überreste einer russischen Funkanlage und einer ungewöhnlichen Pistole. Währenddessen laufen im April 1992 in Südafrika die Vorbereitungen eines Attentats auf den Präsidentschaftskandidaten Nelson Mandela auf Hochtouren. Der Bure Jan Kleyn, der dem südafrikanischen Geheimdienst angehört, hat mit einigen Verbündeten ein Komplott inszeniert, für das der südafrikanische Auftragskiller Victor Mabasha in Schweden durch den ehemaligen KGB-Agenten Konovalenko mit entsprechender Ausrüstung und Training versorgt werden soll.
Als Mabasha allerdings die unwürdige Behandlung durch seinen russischen Ausbilder nicht mehr erträgt und nicht verstehen kann, wie er die unschuldige Frau erschießen konnte, will er mit der Sache trotz der stattlichen Belohnung nichts mehr zu tun haben. Konovalenko schneidet dem Südafrikaner im Kampf einen Finger ab und verwischt durch einen Sprengsatz alle Spuren. Während er seinem Auftraggeber vorgaukelt, Mabasha getötet zu haben, schickt Kleyn mit Sikosi Tsiki den nächsten Auftragskiller nach Schweden. Als Südafrikas amtierender Präsident de Klerk von dem geplanten Attentat und seinen Hintermännern erfährt, setzt er seinen Verbündeten Scheepers mit der Aufklärung der Hintergründe zu dem Plan ein, doch die Zeit verrinnt …
„Scheepers sah durch die Scheibe und fragte sich, was mit seinem Leben geschehen würde, ob der große Plan, den de Klerk und Mandela formuliert hatten und der den Rückzug der Weißen bedeutete, gelingen konnte. Oder würde er zum Chaos führen, zu unkontrollierter Gewalt, zu einem schrecklichen Bürgerkrieg, in dem sich Positionen und Allianzen ständig änderten und schließlich nicht mehr kalkulierbar wären? Die Apokalypse, dachte er.“ (S. 488) 
Henning Mankell, der während der 68er Bewegung an Protesten gegen den Vietnamkrieg, Portugals Kolonialkrieg in Afrika und gegen das Apartheidregime in Südafrika teilgenommen hatte, schrieb mit (dem erst 2017 hierzulande veröffentlichten) „Der Sandmaler“ bereits 1974 den ersten seiner vielen Afrika-Romane und fühlte sich Zeit seines Lebens besonders innig mit diesem Kontinent verbunden. In seinem dritten Roman um den charismatischen Kriminalkommissar Kurt Wallander aus der schwedischen Kleinstadt Ystad verbindet er erstmals auf komplexe Weise einen Mordfall in seinem Zuständigkeitsbereich mit den aufrührerischen Ereignissen in Südafrika auf dem Höhepunkt der Apartheid. Immer wieder wechselt Mankell zwischen den Zeiten und Orten, nimmt sich vor allem viel Zeit, die kritischen Zustände in Südafrika zu beschreiben. Dabei lässt er in seinem Prolog die Ereignisse Revue passieren, die 1918 in Johannesburg zur Gründung des Afrikaner Broederbond geführt haben, mit dem das rassistische Apartheid-Regime seine Rechtfertigung fand. Eindringlich schildert er die Erniedrigung, unter der die Schwarzen in Südafrika leiden, ebenso wie die rassistischen Überzeugungen der Buren, die ihre Macht mit allen Mitteln zu bewahren versuchen, eben auch mit einem Geheimdienst innerhalb des Geheimdienstes.
Mankell beschreibt die ständige Angst vor Überwachung durch eigene wie durch fremde Leute. In dieser Atmosphäre der Angst, der Unsicherheit und des Hasses entwickelt sich ein Mordkomplett von komplexer Vielschichtigkeit, deren Bahnen bis nach Schweden führen. Hier hat Wallander nicht nur mit den für ihn unverständlichen Heiratsabsichten seines alten Herrn, sondern auch mit der Sorge um seine Tochter Linda und der nicht wirklich klar definierten Fernbeziehung zu der in Riga lebenden Baiba Liepa zu tun und wird schließlich mehr mit dem Mordkomplott in Südafrika verwickelt, als ihm lieb sein könnte.
Henning Mankell erweist sich in seinem dritten Wallander-Roman nicht nur als Verfechter der Aufhebung der Rassendiskriminierung in Südafrika, sondern webt aus diesem brodelnden gesellschaftspolitischen Kessel an Gewalt, Unterdrückung und Hass einen durchweg packenden Krimi-Plot, der bei den Vorgängen in Schweden etwas zu übertrieben actionlastig ausgefallen ist, was das Tempo erhöht, aber die Glaubwürdigkeit mindert.

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