(Ullstein, 464 S., HC)
Der aus Dublin stammende und an der irischen Westküste
lebende Schriftsteller Niall Williams hat bereits mit Romanen wie „Geschichte
des Regens“ und „Das Alphabet der Liebe“ auch hierzulande
Anhänger der irischen Literatur für sich gewinnen können. Ein besonders
einfühlsamer Roman ist ihm 2019 mit „This Is Happiness“ gelungen, der auf
der Shortlist für den Irish Book Awards Book of the Year und auf der
Longlist für den Walter Scott Prize stand und mit einigen Jahren
Verspätung nun als deutsche Erstveröffentlichung „Das ist Glück“
erscheint.
Der 78-jährige Noel blickt zu dem Sommer im Jahr 1958
zurück, als er eine Glaubenskrise nutzte, um das Priesterseminar in Dublin im
Alter von siebzehn Jahren zu verlassen und zu seinen Großeltern Doady und Ganga
nach Faha zu fahren. Dort lernt er Christy kennen, einen weitgereisten Mann,
der im Auftrag für die Regierung dafür sorgen soll, dass auch Faha an das
Stromnetz angeschlossen wird, und als Untermieter bei Noels Großeltern
einzieht. Noel heuert als Gehilfe bei Christy an, der ihn mit einer Vielzahl
von unglaublichen Geschichten versorgt. Schließlich kennt er sich auf den Straßen
der Welt ebenso aus wie auf den Meeren, hat Nord-, Mittel- und Südamerika
bereist und als Koch, Frisör, Handelsmatrose, Buchhändler, Schiffsbauer, Holzfäller
und Schusterlehrling gearbeitet. Wie Noel erfahren soll, hat Christy noch einen
weiteren Grund, um nach Faha zu kommen. Anna Mooney war vor fünfzig Jahren die
Liebe seines Lebens gewesen, doch dann hat er sie am Altar stehengelassen und
fühlt sich nun verpflichtet, um Verzeihung bei den Menschen zu bitten, die er
im Verlauf seines Lebens verletzt hatte. Allerdings sucht Christy nicht den
direkten Weg zu der Witwe des Apothekers, sondern lässt Noel die Vorarbeit verrichten.
„Er war ins nächste Stadium seines Plans vorgedrungen. Er hatte Annie Mooney ausfindig gemacht, war nach Faha gekommen, und nun hatte sie ihn gesehen. Mehr noch, sie hatte ihn wiedererkannt und offenbar gelächelt. Nach Art der Liebenden ließ er sich diesen Gedanken Nahrung sein, und im Gegenzug nährte er ihn mit österlicher Zuversicht und der altersschwachen Fantasie, es könnte jemals etwas nach Plan laufen.“
Bereits mit den ersten Seiten, wenn er die unterschiedlichen
Arten des Regens beschreibt, der Faha ganzjährig im Griff zu haben scheint, unterstreicht
Niall Williams nicht nur den virtuosen Umgang mit der Sprache, sondern beschreibt
damit auch ein Dorf, das weder mehr noch weniger als jeder andere vergleichbare
Ort war, der von Geschichten lebte, vom religiösen Leben, von der
Landwirtschaft und natürlich von der Liebe. Zwar bildet die besondere Beziehung
zwischen dem jungen Noel und dem weitgereisten, lebenserfahrenen Christy den
Ausgangspunkt für eine alte Liebesgeschichte, doch folgt dieser nicht den
gängigen Publikumserwartungen. Vielmehr als das Rätsel um diese unvollendete
Liebe aufzulösen, dient die enge Bande zwischen dem Jungen und Christy dazu, Noel
den Weg zu ebnen für die ersten eigenen romantischen Gefühle, die ebenso wie
die seines neuen Freundes unorthodoxe Wege einschlagen. Williams
beschreibt seine Figuren mit großem Einfühlungsvermögen und ehrlicher Sympathie.
So verschroben die Bewohner von Faha auch sein mögen, Noels Großeltern vorneweg,
so herrscht ein fürsorgliches Miteinander, das durch die sonntägliche Messe ritualisiert
wird und durch die lebens- und liebeshungrigen jungen Leute beim Knutschen vor
allem im Kino gelebt wird. Seinen Ich-Erzähler lässt Williams mit Humor und
Altersweisheit über die Ereignisse in jenem Sommer des Jahres 1958 berichten,
was der Geschichte jedoch nicht ihre jugendliche Unbekümmertheit nimmt, in die
sich der 78-jährige Noel noch immer gut hineinversetzen kann. So schlicht der
Buchtitel „Das ist Glück“ auch wirken mag, erzählt der hinreißend geschriebene
Roman doch eine typisch irische Geschichte vom Erinnern und Verzeihen, von der
Magie des Geschichtenerzählens und der Liebe.
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