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Dan Simmons – (Hyperion: 3) „Endymion - Pforten der Zeit“

Sonntag, 18. Oktober 2020

(Goldmann, 670 S., Pb.) 
Der 247 Jahre nach dem Fall auf Hyperion geborene Raul Endymion hat als Schafhirte, Soldat der Heimatgarde, Rausschmeißer und Blackjack-Geber, Landschaftskünstler, Führer von Jagdtruppen in den Farnwäldern über der Toshibabucht und Kommandant einer Barke am Oberlauf des Kans gearbeitet, als er im Alter von 27 Jahren mit einem Jäger aneinandergerät, ihn tötet und bei der nachfolgenden Verhandlung zum Tode verurteilt wird. Allerdings lehnt er es nach wie vor ab, die Kruziform anzunehmen, jenes Geheimnis der Unsterblichkeit, das den Menschen vom Pax, der Allianz zwischen der Kirche und dem Militär, im Gegenzug für absoluten Gehorsam der neuen katholischen Kirche gegenüber angeboten wird. Obwohl Raul dieses letzte Angebot eines Pax-Priesters vor seiner Hinrichtung nicht annimmt, wacht er in der leerstehenden Universität von Endymion auf und wird von dem alternden Dichter Martin Silenus auf eine ungewöhnliche Mission geschickt: Raul soll zusammen mit dem Androiden A. Bettik die vor 264 Jahren verschwundene Aenea finden, die Tochter von Brawne Lamia und Johnny (der KI-Rekonstruktion des Dichters John Keats), die im Alter von zwölf Jahren durch das Zeitgrab der Sphinx in die Zukunft verschwand. 
Dort soll Raul Endymion das außergewöhnliche Mädchen auffinden und zum legendären Dichter der „Cantos“ zurückbringen. In diesem Epos wird das von Lamia geborene Kind als Diejenige Die Lehrt bezeichnet. Doch auch der Pax will des Mädchens habhaft werden und schickt mit Pater Captain de Soya einen Pax-Offizier, der mit allen Privilegien des Papstes und entsprechender Unterstützung an Soldaten und Ausrüstung ausgestattet wird. 
Tatsächlich gelingt Endymion der gefährliche Coup, Aenea vor der Pax-Flotte zu erreichen und mit ihr sogar durch einen deaktivierten Farcaster auf einem selbst gebastelten Floß auf dem Thetys zu reisen, der einst hunderte von Welten verbunden hat. De Soya und seine Truppen verlieren viel Zeit beim Absuchen der Welten und müssen durch etliche der ermüdenden Auferstehungsrituale, ehe sie wieder in die Nähe ihres eigentlichen Ziels gelangen. Dabei bekommt De Soya durch Rhadamanth Nemes eine weitere Pax-Kriegerin zur Unterstützung, die allerdings mit einer eigenen Mission ausgestattet wird. Raul, Aenea und A. Bettik sind aber auch nicht auf sich allen gestellt. Das unberechenbare Shrike-Monster kommt dem unerschrockenen Trio ebenso unverhofft zur Hilfe wie die Chitchatuk, die ihre eigenen Methoden haben, durch die gleißende Eiswelt Sol Draconi Septem zu reisen … 
„Es gab – das wird mir jetzt klar – noch einen anderen Grund für diese Oase der Ruhe inmitten der Wüste von Schmerz und Hoffnungslosigkeit. Es war die Wärme. Die Erinnerung an die Wärme. Das Leben, das von diesen beiden Menschen in mich eingeströmt war, die Tatsache, dass ich es akzeptiert hatte, die Aura einer heiligen Kommunion, die der Tat innewohnte. In der Dunkelheit, beim Schein der Laternen, kümmerten wir uns nun um die dringende Angelegenheit des Versuches, am Leben zu bleiben, diskutierten unmögliche Pläne, etwa uns mit dem Plasmagewehr einen Weg freizuschießen, verwarfen aussichtslose Vorgehensweisen und fingen wieder von vorn an zu diskutieren. Aber währenddessen hielt mich in dieser kalten, dunklen Grube der Verwirrung und wachsenden Hoffnungslosigkeit der Kern der Wärme ruhig, den diese beiden … Freunde … in mich eingehaucht hatten, genauso wie ihre menschliche Nähe mich am Leben gehalten hatte.“ (S. 487) 
Nach seinen beiden preisgekrönten Horror-Werken „Göttin des Todes“ (World Fantasy Award) und „Kraft des Bösen“ (Locus Award, Bram Stoker Award, British Fantasy Award) wandte sich Dan Simmons mit „Hyperion“ 1989 erstmals der Science Fiction zu und initiierte damit eine Saga, die über „Das Ende von Hyperium“ schließlich zu „Endymion. Pforten der Zeit“ geführt hat. 
Allerdings werden die Tetralogie, die mit „Endymion. Die Auferstehung“ ihren Abschluss findet, nur durch den Dichter Martin Silenus und die Welt von Hyperion verbunden, davon abgesehen, steht bei „Endymion. Pforten der Zeit“ ein ganz neues Figuren-Ensemble im Mittelpunkt. 
Simmons hält sich nicht lange damit auf, dem Leser die Welten nach dem Fall näherzubringen. Erst im Verlauf der Mission werden die Funktionen unzähliger Fortbewegungsmittel, Waffen und Welten sowie die machtvolle Verbindung von Kirche und Militär erläutert. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit, eine Reise durch faszinierende Welten, die Simmons mit „Endymion. Pforten der Zeit“ präsentiert. Zwar zittert man als Leser mit dem Helden und seiner kostbaren Fracht mit, aber Pater Captain de Soya wird ebenso mit sehr menschlichen und nachvollziehbaren Zügen und Motiven versehen, so dass nach einiger Zeit das Ritual der Auferstehung gar nicht mehr so erstrebenswert wirkt. 
Das Epos gewinnt seine Faszination und Spannung aber nicht nur durch die spektakulären Reisen und die wunderbar beschriebenen exotischen Welten jenseits der Alten Erde, sondern durch interessante philosophische/religiöse Fragen wie dem Sinn des Lebens, Tod und Wiedergeburt. Raul Endymion schildert seine Reise als Ich-Erzähler in der Vergangenheitsform, Pater Captain de Soyas Perspektive kommt in der Gegenwart zum Ausdruck, doch beide Erzählstränge wirken sehr stringent ohne Nebenschauplätze. 
Geschickt webt Simmons in die Handlung immer wieder Auszüge aus der „Cantos“ ebenso mit ein wie Verweise auf die großen Denker und Künstler der Renaissance und die rigorose Macht, die die Kirche auf die Menschen auszuüben pflegt. Allerdings nimmt der Verfolgungscharakter des Space-Opera-Road-Trips den Großteil der Handlung ein. Die Diskussionen und Gedanken zu religiösen Glaubenssystemen, zu Christentum, Judentum und Muslimen, nehmen erst zum Ende hin zu, das noch einige spannende Wendungen aufzubieten hat, aber eben noch das Potential für die Fortsetzung „Endymion. Die Auferstehung“ offenbart.


Dan Simmons – „Kinder der Nacht“

Sonntag, 28. Juli 2019

(Heyne, 442 S., Jumbo)
Eigentlich ist die amerikanische Wissenschaftlerin und Ärztin Dr. Kate Neuman nur im Rahmen einer „kurzen Unterrichtsreise“ nach Bukarest gereist, doch mittlerweile hat sie schon sechs nahezu schlaflose Wochen in der Kinderstation eines Krankenhauses verbracht und mit wachsender Wut und Frustration feststellen müssen, dass aufgrund von Fahrlässigkeit immer wieder Babys sterben und andere, die überleben, an amerikanische Paare verkauft werden.
Nach einem besonders niederschmetternden Tag wird die Spezialistin vom Centers for Disease Control aus Boulder von Pater O’Rourke nach Hause begleitet. Der Kriegs-Veteran, der bei einer Bombenfalle in einem der Tunnel in Vietnam einen Unterschenkel verloren hat, zeigt ihr auf dem Weg, wie Amerikaner nicht mal eines der offiziellen Waisenkinder adoptieren, sondern ein Baby von einem rumänischen Paar zu kaufen versuchen.
Das Schicksal eines der Waisenkinder in der Isolierstation des Krankenhauses rührt die Ärztin besonders an. Ein ausgesetzter, namenloser und völlig ausgezehrter Junge spricht zwar auf Transfusionen an, wird aber immer wieder von einem Defekt des Immunsystems verzehrt, den Neuman weder als AIDS noch Anämie, Hepatitis oder eine andere blutbedingte Immunstörung identifizieren kann. Sie beschließt, den sieben Monate alten Jungen zu adoptieren, nennt ihn Joshua und nimmt ihn mit in ihre Heimat. Dort wird während einer gründlichen Untersuchung in Joshuas Magen ein Gebilde entdeckt, das offensichtlich in der Lage ist, Blut zu absorbieren.
Tatsächlich regeneriert sich Joshuas Gesundheit jeweils sehr schnell nach Bluttransfusionen. Doch als Neuman mit einem Team von weiteren Spezialisten forscht, ob Joshuas einzigartiger Organismus Hoffnung gibt, ein Heilmittel gegen AIDS, Krebs und andere Immunkrankheiten zu finden, wird Joshua entführt, ihr Ex-Mann Tom und die Mitbewohnerin Julie getötet, das Labor zerstört und ihre Kollegin Chandra ebenfalls ermordet. Zusammen mit Pater O’Rourke macht sie sich in Rumänien auf die Suche nach Joshua und kommt der Planung einer seltsamen Zeremonie auf die Spur, bei der Joshua offensichtlich eine zentrale Rolle spielt …
„Sie war eine illegal Eingereiste in einem feindlichen Land, wo fast unvorstellbare Mittel gegen sie ins Feld geworfen wurden, und die Chancen, Joshua zu finden, waren fast auf Null geschrumpft. Und selbst wenn sie das Kind gefunden hätte, so hatte sie keinen Plan gemacht, abgesehen davon, mit ihm zur Grenze oder zur amerikanischen Botschaft zu fliehen. Vorerst aber war sie von ihren beiden einzigen Freunden im ganzen Land getrennt worden, einem amerikanischen Priester und einem rumänischen Medizinstudenten, und bei keinem war sie sicher, ob es sich tatsächlich um einen Freund handelte.“ (S. 291f.) 
Nach „Göttin des Todes“, „Kraft des Bösen“ und „Sommer der Nacht“ war „Kinder der Nacht“ 1993 der vierte Horror-Roman des amerikanischen Autors Dan Simmons, der sowohl für seine Fantasy- als Science-Fiction-Werke mit Auszeichnungen wie dem World Fantasy Award, Bram Stoker Award und Locus Award geehrt worden ist – eben auch für „Kinder der Nacht“.
Hier nähert sich Simmons auf ungewöhnliche Weise dem Mythos um die Vampire und Graf Dracula aka Vlad Tepes an, indem er nicht auf schaurig-romantische Vorstellungen zurückgreift, die sich seit Bram Stokers berühmten und vielfach verfilmten Roman „Dracula“ ins kollektive Gedächtnis eingebrannt haben, sondern geht das Thema aus einer wissenschaftlichen Perspektive an, indem er mit Dr. Kate Neuman eine Protagonistin einsetzt, die durch ihre ebenso empathische wie aufgeklärte Art eine starke Identifikationsfigur darstellt.
Simmons gelingt es zunächst sehr gut, die politische und gesellschaftliche Situation in Rumänien seit dem Sturz von Ceaușescu und der Revolution im Jahre 1989 zu beschreiben, ebenso die desolaten Zustände in den Krankenhäusern. Dem Blutdurst der Vampire nähert sich der Autor extrem wissenschaftlich und auch etwas zu ausschweifend an, so dass wirklich jede romantische Vorstellung vom ewigen Leben und den damit einhergehenden erotischen Konnotationen im Nu verfliegt. In einer Nebenhandlung darf Vlad Tepes seine „Träume von Blut und Eisen“ wiedergeben, die einen Einblick in das Leben der historischen Figur geben, die das Vorbild für Graf Dracula abgeben durfte.
 So interessant der ungewöhnliche Ansatz von „Kinder der Nacht“ ausfällt, wirkt die Dramaturgie des Romans oft holperig, der Wechsel zwischen Exkursen in die Geschichte Rumäniens und des blutdürstenden Grafen, der allzu detaillierten wissenschaftlichen Aufarbeitung des Vampir-Mythos und der zunehmend actionreichen Suche nach Joshua nicht immer elegant. Zwar bietet der Roman durchaus spannende Horror-Thriller-Unterhaltung, erreicht aber nicht die Intensität von Simmons‘ früheren Genre-Beiträgen.
Leseprobe Dan Simmons - "Kinder der Nacht"

Dan Simmons – (Joe Kurtz: 3) „Kalt wie Stahl“

Samstag, 13. Juli 2019

(Festa, 448 S., Tb.)
Nachdem der ehemalige Privatdetektiv Joe Kurtz für den Mord an dem Killer seiner damaligen Partnerin Samantha Fielding für elfeinhalb Jahre in den Bau gewandert war, hat er sich seit seiner Freilassung vor einem Jahr mit der Online-Partnervermittlung Sweetheart Search selbständig gemacht, für die allerdings seine Sekretärin Arlene Demarco die Hauptarbeit leistet. Kurtz wiederum widmet sich inoffiziell weiterhin der Arbeit, die er am besten kann, hat sich in den vergangenen Jahren auch für die beiden in Buffalo regierenden Mafia-Familien Farino und Gonzaga als Ermittler betätigt und zwischen beiden Parteien auch vermittelt.
Als er den wöchentlichen Termin bei seiner mehr als anständigen Bewährungshelferin Peg O’Toole wahrnimmt, legt sie ihm Fotos verrosteter Fahrgeschäfte eines offensichtlich stillgelegten Freizeitparks vor, mit denen Kurtz allerdings nichts anfangen kann. Wenig später begegnen sich beide in der Tiefgarage des Amtsgebäudes, worauf das Feuer auf sie beide eröffnet wird. O’Toole wird dabei lebensgefährlich verletzt, aber auch Kurtz landet mit einem Streifschuss am Kopf im Krankenhaus, wo er sogleich von Detective Paul Kemper und seiner Kollegin Rigby King verhört wird. Sie war Kurtz‘ erste Freundin, nachdem sie sich im Waisenhaus von Pater Baker und später in Thailand kennen- und lieben gelernt hatten.
Doch nicht nur die Polizei hat ein Interesse an den Vorgängen in der Tiefgarage, auch O’Tooles Verlobter Brian Kennedy, der das Sicherheitsunternehmen leitet, das auch für die Überwachungskameras am Tatort zuständig ist, und Major a.D. Michael O’Toole, der an den Rollstuhl gefesselte Onkel der im Koma liegenden Bewährungshelferin, wollen von Kurtz ein paar Antworten. Der ist nach seiner Selbstentlassung aus dem Krankenhaus damit beschäftigt, sowohl für Angelina Farino Ferrara als auch Toma Gonzaga herauszufinden, wer hinter den Morden an Heroin-Dealern auf beiden Seiten verantwortlich ist. Während Kurtz schließlich das Gelände des stillgelegten Freizeitparks ausfindig macht, nach dem Peg O’Toole gefragt hat, räumt ein Killer, der sich Dodger nennt, weiter in Kurtz‘ unmittelbarer Umgebung auf …
„Zweimal hatte er jetzt schon beschlossen, diesen Ex-Privatschnüffler umzubringen. Zweimal hatte er sich darauf vorbereitet, auch die Frau zu töten, die mit dem Privatschnüffler zusammen war. Zweimal war er dabei gestört worden. Der Artful Dodger mochte das gar nicht – vor allem, wenn der Major oder seine Leute mitmischten.“ 
2003 veröffentlichte der preisgekrönte Bestseller-Autor Dan Simmons („Drood“, „Sommer der Nacht“) leider schon den letzten Band seiner Trilogie um den ehemaligen Privatdetektiv Joe Kurtz und setzte damit seine Duftmarke in dem Hardboiled-Krimi-Genre. Mit Joe Kurtz ist Simmons eine Figur gelungen, die sich nicht scheut, dahinzugehen, wo es wehtut. Auch im dritten Band „Kalt wie Stahl“ kämpft Kurtz wegen seiner Verletzungen ständig mit rasenden Kopfschmerzen und schlecht verheilten Wunden, doch lässt er sich davon nicht aufhalten, für die Fragen, die ihn beschäftigen, auch eine Antwort zu finden. Da hat es Kurtz wieder mit hartnäckigen Polizisten, seiner ehemaligen Freundin, verschiedenen Mafia-Größen, beharrlichen Auftragskillern und lukrativen Drogendeals zu tun, dass es eine Wonne ist, die Mischung aus Jerry-Bruckheimer-, Jason-Bourne- und James-Bond-Action Seite für Seite in atemloser Spannung zu verfolgen.
Im Vergleich zu den beiden Vorgänger-Bänden „Eiskalt erwischt“ und „Bitterkalt“ ist „Kalt wie Stahl“ nicht nur umfangreicher ausgefallen, Simmons hat auch seine Figuren mit mehr Inneneinsichten ausgestattet, nur seine zuvor öfter thematisierte Beziehung zu Sams (und seiner eigenen?) Tochter Rachel bleibt diesmal fast außen vor. Das Action-Feuerwerk ist wieder etwas hanebüchen bombastisch ausgefallen, und besonders glaubwürdig ist es irgendwann auch nicht mehr, wie Kurtz immer wieder sich aus den lebensgefährlichsten Notlagen zu befreien versteht, aber Freunde harter Thriller-Unterhaltung kommen wieder voll auf ihre Kosten.

Dan Simmons – (Joe Kurtz: 2) „Bitterkalt“

Freitag, 12. Juli 2019

(Festa, 384 S., Tb.)
Auch wenn der ehemalige Privatdetektiv und für den Rachemord an den Killern seiner damaligen Partnerin Sam Fielding zu elfeinhalb Jahren Haft verurteilte Joe Kurtz nach seiner Freilassung die Auseinandersetzung mit dem Farino-Clan, dem korrupten Bullen Hathaway und diversen Auftragskillern inklusive des legendären Dänen überlebt hat, kommt der taffe Ermittler nicht zur Ruhe. Angelina Farino, die nach dem Ableben des Dons solange die Geschäfte der Familie weiterführt, bis ihr Bruder Little Skag aus dem Knast entlassen wird, hat nämlich die Drei Stooges auf Kurtz angesetzt, ihm die Lebenslichter auszublasen, doch stellen sie sich natürlich zu dumm an, um dem wackeren Stehaufmännchen wirklich zu nahe zu kommen.
Während seine Sekretärin Arlene Demarco neue Büroräume für sein Unternehmen High School Sweetheart Search sucht, nachdem der Pornoladen, in dessen Kellerräumen die Firma bislang residierte, vor dem Abriss steht, sieht Kurtz regelmäßig bei Sams vierzehnjähriger Tochter Rachel nach dem Rechten, da sie bei ihrem 42-jährigen, regelmäßig wegen Trunkenheit am Steuer angezeigten Stiefvater Donald Lee Rafferty nicht zwingend in den besten Händen ist.
Tatsächlich verursacht Rafferty einen Verkehrsunfall, bei dem Rachel schwer verletzt wird und Milz und eine Niere verliert. Bevor sich Kurtz aber um eine Endlösung für Rafferty kümmern kann, erweist er seinem loyalen Informanten Pruno einen Gefallen, indem er sich mit einem seiner Freunde trifft. Der Violinist John Wellington Frears bittet Kurtz, einen Mann namens James B. Hansen ausfindig zu machen, einem Fakultätskollegen, der Frears‘ Tochter Crystal vor knapp zwanzig Jahren ermordet haben soll und der nun offenbar unter einem anderen Namen gerade in Buffalo ist.
Kurtz kommt bei seinen Nachforschungen einem hochintelligenten Mann auf die Spur, der im Laufe seiner Karriere die verschiedensten Namen trug und Berufe ausübte. Derzeit lebt er mit seiner Frau Donna und ihrem Sohn Jason im Vorort Tonawanda und arbeitet unter dem Namen Robert Gaines Millworth im Morddezernat von Buffalo. Und schließlich heuert Angelina Farino Ferrara Kurtz an, Emilio Gonzaga und seine Topleute zu töten. Schließlich soll Gonzaga damals den Befehl gegeben haben, Samantha zu töten. Kurtz muss nicht lange überlegen, um auf den Deal einzugehen:
„Er hatte brav seine elfeinhalb Jahre für die Tötung von Sams Mördern abgesessen, weil Samantha Fielding in jeder Hinsicht seine Partnerin war und er ihr das schuldete. Aber jetzt stellte sich heraus, dass er diese Jahre umsonst hinter Gitter verbracht hatte. Wenn der Auftrag für Sams Ermordung von Emilio Gonzaga stammte, dann musste der sterben.“ 
Wie schon im ersten Joe-Kurtz-Band „Eiskalt erwischt“, mit dem der preisgekrönte US-amerikanische Bestseller-Autor Dan Simmons („Göttin des Todes“, „Terror“, „Hyperion“) das Genre des Hardboiled-Krimis für sich entdeckte und dabei ein adrenalinbefeuertes Action-Feuerwerk abfackelte, geht es in „Bitterkalt“ von Beginn an mächtig zur Sache, dass die Fetzen, Fäuste und Kugeln fliegen. Kurtz befindet sich dabei zwischen allen möglichen Fronten, setzt sich für Sams Tochter Rachel ein, jongliert zwischen den beiden rivalisierenden Mafia-Clans, ist einem Serienkiller auf der Spur und muss sich noch einen weiteren Cop vom Hals schaffen, der wie Hathaway zuvor auf der Gehaltsliste der Mafia steht.
An sich bietet der komplexe Plot Stoff für mehrere Thriller, doch Simmons hat sichtlich Spaß daran, seinen erstaunlich widerstandsfähigen Helden in einem mörderischen Tempo durch möglichst viele absurde Situationen zu bugsieren, bis er am Ende die (meisten) Bösen zur Strecke gebracht hat. So unglaubwürdig die dramatischen Höhepunkte auch ausfallen, sorgen die flotte Schreibe und der knackige Dialogwitz für kurzweilige Thriller-Unterhaltung, wobei sich Simmons diesmal mehr Mühe gegeben hat, die Hintergrundgeschichten seiner Figuren auszuarbeiten.

Dan Simmons – (Joe Kurtz: 1) „Eiskalt erwischt“

Donnerstag, 11. Juli 2019

(Festa, 336 S., Tb.)
Um seine ehemalige Partnerin Sam Fielding zu rächen, tötet Privatdetektiv Joe Kurtz erst den einen ihrer Killer, wirft dann den zweiten namens Eddie Falco aus dem Fenster eines Hochhauses, direkt auf das Dach eines Polizeiwagens. Kurtz lässt sich widerstandslos festnehmen und verbringt die nächsten elfeinhalb Jahre im Knast von Attica. Als er von seiner Assistentin Arlene Demarco abgeholt wird, gründet er im Keller eines Porno-Shops in Buffalo eine Partnervermittlung für ehemalige Highschool-Liebschaften, wobei Arlene die Büroarbeit übernimmt und Kurtz den Überbringer für den einen oder anderen Stapel von alten Liebesbriefen.
Doch obwohl Kurtz wegen seiner Haftstrafe keine Waffen tragen, sich nicht mit Kriminellen treffen darf und schon gar nicht seine Lizenz als Privatdetektiv zurückbekommt, bietet er dem Mafioso Byron Tatrick Farino, dessen Sohn Stephen „Little Skag“ Farino er im Gefängnis vor Repressalien beschützt hatte, seine Dienste an, indem er Nachforschungen zum vermissten Farino-Buchhalter Buell Richardson anstellt. Kurtz gerät in kürzester Zeit zwischen die Fronten der immer schwächer werdenden Farino-Familie und den Gonzagas, legt sich mit dem neuen Rechtsanwalt der Familie, Leonard Miles, an, schmeißt einen seiner ehemaligen Klienten – so will es später die Legende – in die Niagara-Fälle und lässt sich auf eine Affäre mit der Farino-Tochter Sophia ein.
Schließlich bekommt es Kurtz auch mit dem Profikiller zu tun, der nur als der Däne bekannt ist, mit der Killer-Truppe sowohl der Farinos als auch der Gonzagas und dem korrupten Cop Hathaway, aber Kurtz ist all seinen Verfolgern immer einen Schritt voraus, kann dabei sowohl auf die Loyalität seiner Sekretärin Arlene, seiner Bewährungshelferin Peg O’Toole als auch seines Informanten Pruno zählen, der nach seiner akademischen Laufbahn als Obdachloser in Buffalo lebt.
„Kurtz hatte die Idee für die Ablenkung nicht der Ilias entliehen. Aber nach Prunos Vorschlag, sich an den gelesenen Büchern zu orientieren, war ihm wieder ein reißerischer Spionagethriller eingefallen, der in den Zellentrakten von Attica die Runde machte. Irgendwas über Ernest Hemingway, der sich während des Zweiten Weltkriegs auf Kuba als Spion versucht hatte.“ 
Kurtz findet heraus, dass Richardson Geschäften auf die Schliche kam, die Miles an der Familie vorbei am Laufen hatte, und aus dem Weg geräumt worden war, als er einen Anteil an der Beute verlangte. Die Luft wird damit auch für Joe Kurtz immer dünner …
Dan Simmons hat sich seit Mitte der 1980er Jahre sowohl im Horror- als auch Science-Fiction-Genre einen Namen gemacht und mit Werken wie „Göttin des Todes“, „Kraft des Bösen“, „Hyperion“, „Sommer der Nacht“ und „Ilium“ Preise wie den World Fantasy Award, Locus Award und Bram Stoker Award errungen. 2001 erweiterte er sein literarisches Spektrum um den Hardboiled-Detektivroman, womit er die Tradition von Schriftstellern wie Dashiell Hammett und Raymond Chandler aufgreift und sie ins Extreme steigert. Simmons hält sich weder mit einer Einführung seiner Figuren, noch mit einer moderaten Entwicklung des Plots auf, sondern setzt von Beginn an auf ein hohes Tempo und krasse Action. Erst nach und nach werden die einzelnen Puzzleteile von Joes Vergangenheit aufgegriffen, wobei Sams Tochter Rachel, die bei ihrem raubeinigen Stiefvater lebt, zu den interessanteren Aspekten zählt. Bei dem halsbrecherischen Tempo und der teilweise recht abstrusen Entwicklungen im Plot kommen die Charakterisierungen der Figuren zwangsläufig zu kurz, und die halsbrecherische Art, wie Kurtz mit seinen oft übermächtig wirkenden Gegners umgeht, wirkt auf Dauer arg übertrieben. Doch Simmons erweist sich auch im Hardboiled-Krimi-Sektor als großartiger Stilist, der vor allem das Lebensgefühl in der zunehmend heruntergekommenen, von Drogen, Gewalt und Korruption geprägten Stadt Buffalo gut einzufangen versteht. Auf jeden Fall hat er mit Joe Kurtz eine kluge und schlagkräftige Figur geschaffen, die es bislang auf zwei Fortsetzungen gebracht hat.

Dan Simmons – „Lovedeath“

Sonntag, 21. April 2019

(Festa, 432 S., Tb.)
Nachdem sich Dan Simmons sowohl im Horror-Genre (mit „Göttin des Todes“, „Kraft des Bösen“, „Sommer der Nacht“ und „Kinder der Nacht“) als auch in der Science-Fiction („Hyperion“-Trilogie, „In der Schwebe“) einen Namen gemacht und mit „Styx – Dreizehn dunkle Geschichten“ bereits eine Kurzgeschichten-Sammlung veröffentlicht hatte, legte er mit „Lovedeath“ 1993 eine Sammlung von fünf Novellen vor, die sich aus unterschiedlichsten Perspektiven mit dem Themenkomplex Liebe und Tod auseinandersetzen.
In „Das Bett der Entropie um Mitternacht“ hat ein Versicherungsvertreter, der seinen Sohn bei einem unglücklichen Unfall während des Umzugs verlor, eine „Akte Orange“ für bizarre Unglücksfälle angelegt und lässt bei einer Fahrt mit seiner Tochter Caroline auf einer Bergrutschbahn die merkwürdigsten Fälle Revue passieren, wobei er eine interessante Theorie entwickelt.
„Tod in Bangkok“ lässt im späten Frühjahr des Jahres 1992 Dr. Merrick nach Bangkok zurückkehren, wo er im Mai 1970 mit seinem ebenso kräftigen wie gebildeten Kameraden Tres einen siebentägigen Fronturlaub verbracht hatte. Damals kam sein Freund dabei ums Leben, weil sie von den billigen Sex-Vergnügen genug hatten und Tres sich kostspieligeren, aber auch zu sinnlicheren wie gefährlicheren Leidenschaften hinziehen ließ.
„Sex mit Zahnfrauen“ schildert die Erinnerungen des Indianer-Jungen Hoka Ushte (Lahmer Dachs), der im Alter von siebzehn Jahren nichts anderes im Sinn hatte, als dem fünfzehnjährigen Mädchen Laufendes Kalb nachzustellen. Nach einem Traum bittet er den heiligen Mann des Lagers, ihn auf die Reise zu schicken, um herauszufinden, ob er selbst zum heiligen Mann berufen sei. Die Vision, die den jungen Mann während der vier anberaumten Tage in einer Schwitzhütte in den heiligen Schwarzen Bergen heimsucht, beunruhigt die Stammesväter zutiefst …
In einer nicht allzu fernen Zukunft berauschen sich die Amerikaner an ihren täglichen „Flashback“-Dosen, die es ihnen ermöglicht, bestimmte Momente ihres Lebens wiederzuerleben. Während die Gerichtsstenografin Carol ihre glücklichsten Momente mit Danny aufruft, sucht ihr fünfzehnjähriger Sohn Val den besonderen Kick durch einen Mord, dessen Nacherleben im Flashback viel intensiver sein soll. Und ihr Vater Robert hofft, durch das Erleben wiederholter Flashbacks irgendwann eine Möglichkeit zu finden, das Attentat auf John F. Kennedy zu verhindern.
„Auf dem Freiluftgelände wimmelte es zur Mittagszeit von Einkäufern und Flashback-Pennern. Val fiel auf, dass immer mehr Leute einfach nicht mehr zur Arbeit gingen; die Echtzeit wirkte sich störend auf ihr Flashen aus. Er fragte sich, ob sich der Müll aus diesem Grund immer so hoch an den Bordsteinen stapelte, warum kaum noch Post zugestellt wurde und warum nichts mehr so richtig zu laufen schien, wenn keine Japaner als Aufseher dabei waren.“ (S. 243) 
„Der große Liebhaber“ ist das lange verschollene Kriegstagebuch des britischen Dichters James Edwin Rooke, das nicht zuletzt wegen seines schockierenden Materials erst Anfang der 1990er Jahre veröffentlicht wurde. Darin schildert der Infanterieoffizier nicht nur die schrecklichen Erlebnisse in den französischen Schützengräben, in denen die Briten im Ersten Weltkrieg gegen die Deutschen kämpften, sondern auch von erotischen Visionen einer Lady, die für den Kriegsdichter die Personifizierung des Todes darstellte.
In seinem ausführlichen Vorwort erklärt Dan Simmons, warum Novellen es auf dem Literaturmarkt so schwer haben, denn weder Verleger noch Leser wüssten mit dem Mittelding zwischen Kurzgeschichte und Roman recht was anzufangen. Eine Sammlung von mehreren Novellen zu einem romanlangen Buch lässt sich da schon eher vermarkten, gerade wenn man neben Stephen King, Clive Barker und Peter Straub zu den prominentesten Vertretern der phantastischen Literatur zählt. Für die Novellen-Sammlung „Lovedeath“, die Simmons in Anlehnung an Wagners Oper „Tristan und Isolde“ eigentlich „Liebestod“ nennen wollte, setzt Simmons aber nur überschaubare Akzente aus diesem Genre und erweist sich als kompetent vielseitiger Erzähler, der in der ersten Geschichte die ironisch gefärbte Geschichte eines Versicherungsvertreters präsentiert, der feststellen muss, dass es Liebe ohne Risiko nicht geben kann.
Mit „Tod in Bangkok“ liegt nicht nur die sinnlichste Story des Bandes vor, sondern auch die passende Ergänzung zu Simmons‘ erfolgreichen Romandebüt „Göttin des Todes“, während sich „Sex mit Zahnfrauen“ wohltuend von den romantisierenden Indianer-Mythen von Hollywood-Epen wie „Der mit dem Wolf tanzt“ abhebt und tief in die mythische Welt der Sioux-Indianer eintaucht und „Flashback“ auf die heute noch viel ausgeprägtere Thematik ausgerichtet ist, wie sich zum einen der zunehmende Medienkonsum und die Globalisierung auf die Lebensqualität des Einzelnen auswirkt.
Die längste Geschichte stellt hier aber auch leider die schwächste dar. Zwar vermag Simmons in „Der große Liebhaber“ die Kriegsdichtung aus dem Ersten Weltkrieg und die Erlebnisse im damaligen Stellungskrieg überzeugend vor Augen führen, die unkontrollierten Begegnungen des Ich-Erzählers mit der „Lady in Weiß“ wirken allerdings aufgesetzt und nicht überzeugend in den Kontext eingebettet. Die Geschichten in „Lovedeath“ sind im Vergleich zu Simmons‘ großartigen Romanen weitaus verspielter angelegt und über überraschend viele Genres gestreut. Statt die Lesererwartungen mit einem Happy End zu befriedigen, begnügt sich der Autor meist damit, interessante Gedanken weiterzuspinnen und entsprechende Stimmungen statt Spannung zu erzeugen. Insofern gelingt Simmons der Spagat zwischen ernsthafter und Unterhaltungsliteratur, wird dabei aber nicht alle seine Fans zufriedenstellen können.

Dan Simmons – „Elm Haven“

Montag, 15. April 2019

(Heyne, 1006 S., Pb.)
Im Sommer des Jahres 1960 warten Dale Stewart und seine Freunde ihrer selbsternannten Fahrradpatrouille, Mike O’Rourke, Jim Harlen, Kevin Grumbacher und Duane McBride, ebenso wie Dales jüngerer Bruder Lawrence sehnsüchtig auf das Ende des letzten Schultags in den 84 Jahre alten Mauern von Old Central, dessen riesiger, von Stille und Geheimnissen erfüllter Bau über die Kleinstadt Elm Haven in Illinois ragt und nun für immer seine Pforten schließen wird. Doch als sich die Freunde schließlich über den Schulhof zur Depot Street dem Sommer entgegen ergießen, um in ihrem inoffiziellen Clubhaus die nächsten Aktivitäten zu besprechen, bleibt ihr Mitschüler Tubby Cooke nach seinem Toilettengang kurz vor Ende der letzten Unterrichtsstunde verschwunden. Der unbeschwerte Sommer, auf den sich die Kinder so sehr gefreut haben, wird von weiteren tragischen Unglücken und merkwürdigen Ereignissen überschattet.
Einer der Jungs wird fast von dem Abdeckereilaster überfahren, ein anderer gerät in den Mähdrescher seines Vaters und stirbt unter qualvollen Umständen. Als die Jungs die unheimlichen Ereignisse zu ergründen versuchen, stoßen sie auf eine historische Glocke aus dem Besitz der Borgias, die Mr. und Mrs. Ashley aus Rom mitgebracht hatten und 1876 im Glockenturm von Old Central aufhängen ließen. Allerdings schien die Glocke jedem Unglück zu bringen, der mit ihr zu tun hatte. Mittlerweile scheint niemand mehr etwas über ihren jetzigen Verbleib zu wissen. Aber die alte Mrs. Moon erzählt Duane, dass einst ein Mann dort gehängt wurde, weil er ein Mädchen missbraucht und umgebracht haben soll.
Ebenso wie der im Sommer vom Schulhausmeister Van Syke gefahrene Abdeckereilaster sorgt auch ein immer wieder in den Maisfeldern gesichteter herumstreunender Soldat für Unruhe, die Jungs leiden zunehmend unter beängstigenden Visionen.
„Eine fremde Frau in seinem Zimmer. Er ließ unter den Tisch fallen, dass sie tot war und trotzdem herumlief. Ein Mann in einem Laster hinter ihm her. Vorerst unwichtig, dass es der Abdeckereilaster war. Seine Mutter in dringenden Angelegenheiten nach Peoria unterwegs. Wahrscheinlich zum Vögeln, aber das musste man ihnen ja nicht unbedingt auf die Nase binden. Er hatte Angst. Ohne Scheiß.“ (S. 390) 
1991 veröffentlichte Dan Simmons mit „Sommer der Nacht“ einen epischen Horror-Roman, der nicht zuletzt wegen der ähnlichen Thematik – eine Gruppe von Schulfreunden werden in einer Kleinstadt mit grauenvollen Ereignissen konfrontiert – mit Stephen Kings Meisterwerk „Es“ verglichen wurde. Simmons hatte seine schriftstellerische Karriere mit den beiden prämierten Horror-Romanen „Göttin des Todes“ und „Kraft des Bösen“ begonnen, dann aber vor allem mit seinen Science-Fiction-Werken („Hyperion“-Trilogie, „In der Schwebe“) Furore gemacht, ehe er mit „Sommer der Nacht“ und „Kinder der Nacht“ ins Horror-Genre zurückkehrte und dort bis heute einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat.
Simmons erweist sich in „Sommer der Nacht“ nicht nur als glänzender Stilist, sondern auch einfühlsamer Chronist jugendlicher Emotionen, Eindrücke und Ereignisse, wie sie seine Protagonisten 1960 in Elm Haven erleben. Der Autor nimmt sich viel Zeit, zunächst die Geschichte der Schule, dann die Persönlichkeiten der im Mittelpunkt seiner Geschichte stehenden Jungen zu beschreiben, wie sie die drei Monate Sommerferien zu verbringen gedenken. Geschickt verbindet er die allmählich sich häufenden unheimlichen Vorfälle mit der Geschichte der aus Rom eingeführten Borgia-Glocke und sorgt so für eine eindringlich gruselige Atmosphäre. Je konkreter die Ereignisse und das Grauen allerdings Form annehmen, desto mehr verliert die zuvor so sorgfältig aufgebaute Stimmung an Dichte. Dafür wird der Leser mit wunderbaren Einblicken in das Leben von amerikanischen Jugendlichen in den vermeintlich unbeschwerten 1960er Jahren belohnt. Dazu zählen erste romantische Gefühle ebenso wie die wachsenden Kluft zwischen den Generationen, der Gemeinschaftsgeist und die obligatorischen bösen Jungs, denen man am besten aus dem Weg geht, aber auch gesellschaftspolitische Themen wie Rassismus und die Kluft zwischen den Milieus werden angerissen.
Gut zehn Jahre später legte Simmons mit „Im Auge des Winters“ eine weitaus kürzere Fortsetzung vor, die mit „Sommer der Nacht“ zum Sammelband „Elm Haven“ zusammengefasst worden ist. Hier kehrt Dale Stewart 41 Jahre nach den schaurigen Ereignissen in Elm Haven in seine Heimatstadt zurück und will auf der leerstehenden Farm, auf der sein Freund Duane damals ermordet worden war, den Roman schreiben, den sein zum Schriftsteller geborener Freund nie schreiben konnte. Im Gegensatz zu den atmosphärisch eindringlichen Beschreibungen jugendlichen Erlebens und schauriger Ereignisse in den 1960er Jahren bietet „Im Auge des Winters“ vor allem klassischen Spukhaus-Horror, der maßgeblich von den Erinnerungen des Protagonisten an seinen Selbstmordversuch, die Sitzungen bei seinem Psychiater und vor allem an die Studentin Clare geprägt ist, mit der er an der University of Montana in Missoula eine Affäre angefangen und so seine Ehe zerstört hatte. „Im Auge des Winters“ thematisiert die üblichen Probleme eines Mannes, der persönlich und beruflich in einer Krise steckt und in der selbst aufgelegten Einsamkeit wieder zu sich selbst finden will, allerdings ziehen ihm hier die Geister der Vergangenheit einen Strich durch die Rechnung. So interessant der Nachklang auf den ereignisreichen Sommer 1960 auch anmutet, erreicht das Sequel längst nicht die bedrückende Intensität von „Sommer der Nacht“, sondern wirkt wie ein unterhaltsamer, aber nicht notwendiger Epilog zu Dan Simmons‘ mit dem Locus Award prämierten Meisterwerk, das seinen exzellenten Ruf zementieren sollte.
Leseprobe Dan Simmons - "Elm Haven"

Dan Simmons – „Kraft des Bösen“

Sonntag, 22. Juli 2018

(Heyne, 793 S., Jumbo)
Die drei „Gedankenvampire“ William Borden, Nina Drayton und Melanie Fuller haben einen Wettkampf daraus gemacht, sich beim Manipulieren und Benutzen anderer Menschen zu überbieten, oftmals um aufsehenerregende Attentate zu verüben. Als nach einem ihrer alljährlichen Treffen in Melanies Haus in Charleston im Dezember 1980 die Nachricht die Runde macht, dass Will bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen ist, verdächtigt Melanie die plötzlich wie vom Erdboden verschwundene Nina, für den Unglücksfall verantwortlich gewesen zu sein, macht sie in einem Hotel ausfindig und erschießt sie nach kurzem Gedanken-Wettstreit.
Sheriff Bobby Joe Gentry übernimmt mit Unterstützung von FBI Special Agent Richard M. Haines die Ermittlungen bei den insgesamt neun Todesfällen, wobei Saul Laski, der Psychiater der getöteten Nina Drayton, Licht ins Dunkel des sogenannten Charleston-Massakers bringen soll. Laski wiederum hatte 1942 im Konzentrationslager von Chelmno bereits Kontakt zu Gedankenvampiren gehabt.
Laski begegnet der Kunststudentin Natalie Preston, deren Vater eines der Opfer des Massakers gewesen war, und macht sich mit ihm und Gentry auf die Suche nach den mysteriösen Manipulatoren. Offensichtlich sind sie nicht die einzigen, die mit dieser Fähigkeit ausgestattet sind. Laski ist der Überzeugung, dass der angeblich getötete Will Borden jener Standartenführer Wilhelm von Borchert ist, der ihm im SS-Konzentrationslager vor fast vierzig Jahren so zugesetzt hat. Zusammen mit Natalie macht sich Laski auf die Suche nach Borchert und kommt dabei einer mächtigen Gruppe von Männern auf die Spur, die sich jedes Jahr für eine Woche auf der unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen abgeschirmten Dolmann Island treffen, um ihre Macht über ihre sogenannten Surrogate zu demonstrieren, über Menschen, die sie durch ihre manipulativen Fähigkeiten zu willenlosen Werkzeugen ihrer zerstörerischen Triebe machen.
Mit Hilfe von Freunden beim israelischen Geheimdienst gelingt es den beiden, die Sicherheitsbarrieren zu durchbrechen, doch ihr Plan, Borchert und seine mächtigen Freunde auszuschalten, birgt etliche Risiken, zumal nach wie vor Melanie Fuller ihre Fühler nach Natalie ausstreckt.
„Natalie wusste, die Gerechtigkeit verlangte, dass sie blieb und den Plan bis zum Ende ausführte, aber Gerechtigkeit nahm augenblicklich in ihrem Herzen die zweite Stelle ein, an erster kam der zunehmende Wunsch, Saul zu retten, wenn es überhaupt eine Chance gab.“ (S. 710) 
Seit seinem mit dem World Fantasy Award ausgezeichneten Debütroman „Göttin des Todes“ (1985) hat der amerikanische Schriftsteller Dan Simmons vor allem seine Spuren im Science-Fiction-Genre hinterlassen, aber immer wieder auch Horror-Romane geschrieben, die regelmäßig mit dem Locus Award prämiert worden sind. Sein zweiter Roman, „Kraft des Bösen“, wurde 1989 sogar zusätzlich mit dem Bram Stoker Award ausgezeichnet und zählt zu den großen epischen Horror-Romanen des 20. Jahrhunderts. Auf fast 800 großformatigen Seiten (die entsprechende Taschenbuchausgabe bringt es sogar auf 1200!) entfaltet Simmons ein beängstigendes Szenario, in denen Gedankenvampire ihre Lebensenergie dadurch auf einem stets hohen Level halten, indem sie die Kontrolle über nahezu beliebige Menschen gewinnen, ihren Verstand anzapfen und sie die Dinge tun lassen, die sie ihnen so auftragen.  
Simmons nimmt sich dabei sehr viel Zeit, die jeweilige Biografie seiner Figuren zu schildern, die besondere Freundschaft und den ebenso spielerischen wie für die Beteiligten todernsten Wettkampf zwischen William Borden, Nina Drayton und Melanie Fuller auf der einen Seite und auf der anderen Seite die perfiden Sommerlager, die der mächtige C. Arnold Barent in seinem illustren Island Club veranstaltet, zu dem der prominente Fernsehprediger Jimmy Wayne Sutter und der Joseph Kepler zählen und zu dem nun auch der Filmproduzent Tony Harod stößt. Immer wieder werden dabei Bezüge zu realen Ereignissen – wie den Attentaten auf Kennedy und Reagan – hergestellt, was dem fiktiven Stoff eine zunehmend reale Dimension verleiht.
Dass sich bei einer so episch angelegten Geschichte auch verschiedene Längen einschleichen, liegt fast in der Natur der Sache, aber Simmons verfügt über einen so packenden Schreibstil, dass dies gerade zum turbulenten Finale hin kaum noch ins Gewicht fällt.

Trotz der extrem ausführlichen Schilderungen hätten die Charakterisierungen der Figuren etwas differenzierter ausfällen können. Allein Saul Laski gewinnt durch seine eindringlich geschilderten Erinnerungen an seine Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg ein tieferes Profil, und auch Melanie Fuller darf als Einzige aus der Ich-Perspektive ihre Konturen schärfen.

Dan Simmons - "Drood"

Donnerstag, 3. Juni 2010

(Heyne, 976 S., HC)
Über 125 Jahre nach dem Ableben der beiden miteinander befreundeten großen englischen Schriftsteller Wilkie Collins („Die Frau in Weiß“) und Charles Dickens („Oliver Twist“, „Große Erwartungen“) taucht eine Geschichte auf, in der Wilkie Collins die letzten Jahre im Leben seines Freundes beschreibt, das am 9. Juni 1865 eine tragische Wendung genommen hat. An diesem Tag befand sich Charles Dickens im Tidal Train auf der Rückreise nach London (nachdem er in Paris an seinem Buch „Our Mutual Friend“ gearbeitet hatte), als der Zug an einer Baustelle nicht rechtzeitig zum Stehen kam und über einer Brücke entgleiste. Nur ein Wagen der ersten und einer der zweiten Klasse schafften es auf die andere Seite. Zu den Glücklichen, die in jenem Wagen der ersten Klasse saßen, gehörte der damals wohl neben Shakespeare berühmteste Autor, der sich gleich auf den Weg machte, zu den Toten und Verletzten zu eilen. Doch während seiner Rettungsaktion fiel Dickens ein großer, dünner Gentleman in einem schweren, schwarzen Umhang auf, der ausgemergelt wie eine Leiche aussah und dem mehrere Finger teilweise oder ganz fehlten. Als sich die beiden Herren einander vorstellten, meinte Dickens den Namen „Drood“ verstanden zu haben, und offensichtlich wollte er nach East London, wo der Zug eigentlich nicht hinfuhr.

Dickens fiel auf, dass überall dort, wo sich dieser Drood über die geschundenen Körper beugte, später nur noch Leichen waren. Dickens hat es sich zur Aufgabe gemacht, den geheimnisvollen Mann aufzuspüren. Dafür spannt er sich seinen Schriftsteller-Kollegen und Freund Wilkie Collins sowie den von Scotland Yard um seine Pension betrogenen Ex-Inspector Charles Frederick Field ein, der es sich seit Jahren zur Aufgabe gemacht hat, diesen geheimnisvollen Drood zur Strecke zu bringen, ist er doch der Überzeugung, dass Drood für über 300 Morde in London verantwortlich gewesen sei. Dickens und Collins werden von Fields Helfern in die düsteren Katakomben der Stadt geführt und kommen mit altägyptischen Mysterien in Berührung, die im Zusammenspiel mit Opium, Laudanum und Mesmerismus unheilvolle Geschehnisse in Gang bringen …
Dan Simmons hat sich erfolgreich als Autor im Horror-Genre („Kinder der Nacht“, „Kraft des Bösen“) und in der Science-fiction („Hyperion“, „Ilium“) einen Namen gemacht, mit dem 2007 veröffentlichten „Terror“ nahm er sich John Franklins abenteuerlichen Suche nach der Nordwestpassage an und landete mit dem historischen Thriller einen Bestseller. Mit „Drood“ setzt Simmons nun seine Arbeit in diesem Genre fort und spinnt aus dem Eisenbahnunglück, das Dickens tatsächlich an besagtem 9. Juni 1865 erlebte und von dem er sich nie so recht erholte, eine höchst spannende Geschichte, die eindrucksvolle Einblicke in das Leben zweier berühmter englischer Schriftsteller gewährt und dabei ihre Epoche lebensnah vor Augen führt.