Salley Vickers - „Die Versuchungen des Mr. Golightly“

Montag, 21. September 2009

(Claassen, 318 S., HC)
Als Mr. Golightly, ein alternder Herrscher über ein mächtiges Firmenimperium, für einen Sommer ins verschlafene Great Calne in der englischen Grafschaft Devon zieht, will er eigentlich nur sein vor Ewigkeiten geschriebenes Buch überarbeiten, das schnell zum Bestseller und Klassiker wurde, seiner Meinung nach aber einen neuen Anstrich vertragen könne. Doch mit der Ruhe ist es nicht weit her; wo die Einwohner dem Vertrauen erweckenden Mann begegnen, nehmen sie seine Zeit und Aufmerksamkeit voll in Anspruch, erwarten von ihm Hilfe in allen Lebens- und Liebenslagen.
Da ist der resignierende Filmregisseur Sam Noble, der einst hoffte, mit einem Film über weibliche Jockeys die Goldene Palme in Cannes zu gewinnen, und sich nun nach Sensationen in dem unscheinbaren Dorf sehnt, in dem er hängen geblieben ist und Mr. Golightly im örtlichen Pub anbietet, sein Buch zu verfilmen. Oder Morning Claxon, die in einer ehemaligen Teestube ein alternatives Gesundheitszentrum zu errichten versucht, Nicky Pope, die nur mit Mühe die Pension ihrer verstorbenen Mutter Emily weiterführen kann, weil das Spring Cottage erhebliche Mängel in seiner Ausstattung aufweist. Oder Ellen Thomas, die den Verlust ihres geliebten Mannes Robert nur schwer verkraftet und während eines Spaziergangs eine Stimme vernimmt, die Ellen verkündet, sie sei die Liebe, bevor sich in ihrem Haus der wegen Vergewaltigung für zehn Jahre Gefängnis verurteilte flüchtige Verbrecher Jos Bainbridge einnistet. Die Beschäftigung mit all diesen zunächst etwas skurril erscheinenden, aber nur mit allzu menschlichen Problemen belasteten Einwohnern nimmt Mr. Golightly so gefangen, dass er seinen ursprünglichen Plan bald aufgibt. Erst am Ende wird auf amüsante Art das Geheimnis gelüftet, wer Mr. Golightly eigentlich ist…

Michael Connelly - „Unbekannt verzogen“

Sonntag, 20. September 2009

(Heyne, 400 S., HC)
Beruflich könnte es für den Molekularbiologen Henry Pierce kaum besser laufen. Zusammen mit seinem Partner Charlie Condon unterhält er die Firma Amedo Technologies, die kurz
davor steht, ein revolutionäres Speichermedium auf Molekularebene zum Patent anzumelden. Mit Maurice Goddard ist auch ein williger Investor für das „Proteus“-Projekt in Sicht, der über mehrere Jahre mit zig Millionen das Unternehmen finanzieren möchte. Doch privat läuft so ziemlich alles schief. Noch immer trägt er die Last des gewaltsamen Todes seiner
Schwester Isabelle mit sich herum, nun trennte sich seine Lebensgefährtin Nicole James von ihm, die auch Pressesprecherin in seiner Firma gewesen ist. Zu allem Überfluss hat Pierce in seiner neuen Wohnung eine Telefonnummer bekommen, die offensichtlich zuvor an eine Prostituierte namens Lilly vergeben worden war.
Zunächst ärgert sich Pierce über all die männlichen Anrufer, die Lilly sprechen wollen, doch dann siegt die Neugier und Pierce macht sich auf die Suche nach dem geheimnisvollen Mädchen, das wie vom Erdboden verschluckt worden zu sein scheint. Auch ihre Freundin Robin, mit der Lilly auf einer Website für flotte Dreier wirbt, kann Pierce kaum weiterhelfen. Doch dann tauchen zwei miese Schlägertypen auf, die sowohl Robin als auch Pierce einzuschüchtern versuchen, und wenig später wird der Forscher auch noch des Mordes an Lilly verdächtigt … Spannender Psycho-Thriller des ehemaligen Polizeireporters der „Los Angeles Times“, dessen Romane zunehmend auch in Hollywood verfilmt werden (siehe „Das zweite Herz“ als „Blood Work“ von und mit Clint Eastwood).

Michael Connelly - (Harry Bosch:10) „Die Rückkehr des Poeten“

(Heyne, 448 S., HC)
Als die FBI-Agentin Rachel Walling einen Anruf aus Quantico erhält, dass an die Abteilung Behavioral Sciences ein an sie adressiertes Päckchen mit einem GPS-Gerät geschickt worden ist, weiß sie sofort, wem sie dieses „Geschenk“ zu verdanken hat. Dabei kann es sich um niemand anderen als Robert Backus handeln, ihren ehemaligen Vorgesetzten, der als „Poet“ einige brutale Morde auf dem Gewissen hat und seit sieben Jahren als tot galt. Die GPS-Koordinaten führen das FBI in die Mojave-Wüste, wo sie neun männliche Leichen ausgraben. Auch den Privatermittler Harry Bosch führt es in die Einöde von Nevada, als er den rätselhaften Tod seines herzkranken Ex-Kollegen Terry McCaleb untersucht, der nach seiner Pensionierung weiterhin an offenen Fällen arbeitete.
Während Rachel nur als Beobachterin am Fundort der Leichen zugelassen ist und sich wundert, dass das Team nicht darüber informiert wird, dass es sich beim gesuchten Täter nur um den Poeten handeln kann, glaubt sie, dass sie mit dem Privatermittler bessere Chancen hat, Backus auf die Spur zu kommen. Dieser beobachtet aber jeden Schritt aus sicherer Entfernung … Spannende Fortsetzung von Connellys Bestseller „Der Poet“ mit sympathischen Hauptfiguren und amüsanten Verweisen auf „Blood Work“, die Clint-Eastwood-Verfimung von Connellys „Das zweite Herz“.

Gabriel García Márquez - „Erinnerung an meine traurigen Huren“

Montag, 14. September 2009

(Kiepenheuer & Witsch, 160 S., HC)
Nachdem er eher untalentiert als Spanisch- und Lateinlehrer tätig gewesen war und vierzig Jahre lang für die heimische Diario de la Paz Informationen über die Kurzwelle oder Morsezeichen aufgefangen und zu Meldungen aufbereitet hatte, sind ihm nur noch eine Sonntagsglosse sowie gelegentliche Musik- und Theaterbesprechungen geblieben. Zu seinem neunzigsten Geburtstag möchte der alte Mann, der sich selbst für unbeschreiblich hässlich und gewöhnlich hält, sich eine Jungfrau gönnen, die zu besorgen er seine alte Freundin Rosa Cabarcas beauftragt, in deren laden der Mann Stammkunde ist.
Er hat sein Leben lang für Sex bezahlen müssen und hat doch schon einen recht resignierten Blick auf das Leben und das Altern, der auch unverhohlen in seinen Glossen zum Ausdruck kommt. Die Bordellbesitzerin erfüllt dem Alten den Wunsch und hat ein vierzehnjähriges Mädchen besorgt, das sie mit Bromid und Baldrian betäubte. Augenblicklich ist der Mann von der Reinheit des Mädchens fasziniert und denkt gar nicht an den Vollzug dessen, wofür er mehr bezahlt hatte als sonst. Stattdessen erfährt er mit neunzig Jahren erstmals das Gefühl, verliebt zu sein … Was zunächst wie eine Geschichte über einen alten, geilen Mann und sein minderjähriges Objekt sexueller Begierden zu sein scheint, entwickelt sich zu einer melancholischen, humorvollen und zärtlichen Parabel über die wunderbaren Möglichkeiten, die sich einem Mann auch im hohen Alter eröffnen können, wenn man nur daran glaubt.

Denis Johnson - „Fiskadoro“

Sonntag, 13. September 2009

(Rowohlt, 256 S., HC)
Auf den Florida Keys befinden sich die letzten Überbleibsel einer Zivilisation, die in Nachbarschaft mit primitiven Gesellschaften wie der Israeliten, der Fischer und der Sumpfleute lebt. Im Geschichtsunterricht der fünfköpfigen „wissenschaftlichen Gesellschaft“ liest man Ernest Hemingways „Fiesta“ und „Alles über den Dinosaurier“, der ehemalige Manager des Sinfonierorchesters von Miami, Mr. Cheung, bringt dem kaum wortgewandten Fischerjungen Fiskadoro das Klarinettenspiel bei.
Eines Tages folgt Fiskadoro, der in seinem bisherigen Leben bereits zweimal mit einem Mädchen geschlafen hatte, einem Sumpfmädchen in ihr Dorf und wird dort Opfer eines schmerzhaften Initiationsritus, an den er sich später nicht mehr erinnern kann, nur daran, dass er nicht so aussieht wie die anderen Männer im Dorf mit ihren aufgeplatzten Geschlechtsteilen. Nach seiner Rückkehr ins Heimatdorf fällt ihm allerdings das Klarinettenspiel ungewöhnlich leicht, doch hat der Harpunenwerfer, so die Bedeutung des Namens Fiskadoro, mit dem Verlust seiner Eltern und auch der Großmutter zu kämpfen. Denis Johnson, dessen Werk, wie er selbst sagt, von Leuten wie dem Mythenforscher Joseph Campbell und dem Psychologen Bruno Bettelheim stark geprägt ist, schuf mit „Fiskadoro“ eine in ihrer Sprunghaftigkeit nicht immer leicht nachzuvollziehende, doch stets höchst poetische Parabel auf das heutige Amerika und macht trotz des apokalyptischen Charakters Mut für ein harmonisches Miteinander verschiedener Kulturkreise.

Jeffrey Eugenides - „Die Selbstmord-Schwestern“

Samstag, 12. September 2009

(Rowohlt, 251 S., HC)
Im vergangenen Jahr erhielt der in Berlin lebende 44-jährige Amerikaner Eugenides für seinen zweiten Roman „Middlesex“ den Pulitzer-Preis. Grund genug, jetzt noch mal auf sein 1993 veröffentlichtes Roman-Debüt „Die Selbstmord-Schwestern“ aufmerksam zu machen, das im Jahre 2000 erfolgreich von Sofia Coppola verfilmt und nun von Rowohlt als Hardcoverausgabe neu herausgegeben wurde.
Es erzählt die Geschichte der fünf Lisbon-Mädchen Therese, Mary, Bonnie, Cecilia und Lux, die Anfang der 70er Jahre in einer von Ulmen gesäumten nordamerikanischen Vorstadtstraße vor allem unter der strengen Erziehung ihrer Eltern zu leiden haben. Als die dreizehnjährige Cecilia versucht, sich in der Badewanne mit aufgeschnittenen Pulsadern das Leben zu nehmen, kann sie zunächst rechtzeitig gerettet werden. Wenig später hat sie beim Sprung durchs Fenster mehr „Glück“ und wird von einem Gartenzaun durchbohrt. Nachbarn, Lehrer, Psychologen und Mitschüler sind zunächst wie paralysiert, doch dann verliebt sich der Mädchenschwarm Trip Fontaine in die vierzehnjährige Lux und kann Mr. Lisbon dazu überreden, seine Tochter in Begleitung der anderen Töchter und seiner Freunde zu einem Schulfest auszuführen. Als Lux zwei Stunden nach der vereinbarten Zeit nach Hause kommt, verlieren die Mädchen ihre letzten Privilegien, werden von der Schule genommen und dürfen das Haus nicht mehr verlassen. Nur Lux wird immer wieder dabei beobachtet, wie sie nachts auf dem Dach des Hauses mit verschiedenen Männern kopuliert. Die Jungen, die sich in die Mädchen verliebt haben, versuchen verzweifelt, Kontakt zu ihnen aufzunehmen, während die Mädchen immer mehr die Lust am Leben verlieren. Es ist das „Jahr der Selbstmorde“ und verändert die Mädchen und Jungen für immer. Eugenides hat die pubertären Probleme von verstörender Todessehnsucht, erwachender Sexualität und schillernder Phantasie auf sehr einfühlsame und wunderbar poetische Weise beschrieben.

J. D. Salinger - „Der Fänger im Roggen“

(Kiepenheuer & Witsch, 270 S., HC)
Als J.D. Salingers „Der Fänger im Roggen“ Mitte der 40er Jahre erstmals veröffentlicht wurde, avancierte das Buch schnell zum Kultbuch einer jungen Generation, die sich erstmals durch Adaption und Kreation eigener kultureller Stilmittel bewusst von der Elterngeneration abzugrenzen versuchte. Wenn man Salingers Roman, nun in einer „neuen“, immerhin schon 1962 erfolgten Neuübersetzung von Eike Schönfeld vorliegend, heute liest, wird schnell deutlich, warum der auch heute noch so gewitzt geschriebene Roman damals für solch großes Aufsehen gesorgt hat.

Zuvor dürfte man nämlich selten die Gelegenheit gehabt haben, einen Jugendlichen so unverblümt seine Lebensgeschichte erzählen zu hören. Holden Caulfield, der junge Ich-Erzähler des Romans, macht von Anfang an klar, dass er nicht seine „ganze verfluchte Autobiographie“ wiedergeben, sondern nur von dem ganzen „Irrsinnskram“ erzählen möchte, der ihm vor kurzem passiert ist. Das beginnt mit dem – nicht ersten – Rausschmiss von der Schule. Diesmal ist es die Pencey Prep, wo Holden einmal mehr wegen unterirdisch schlechter Leistungen den Abgang machen muss. Statt direkt nach Hause zu fahren, macht er ein paar Umwege, damit seine Eltern den Schrieb von der Schule erst einmal verdauen können und sich abgeregt haben, wenn Holden zuhause eintrifft. Was folgt, sind amüsante Episoden sowohl über seinen ehemaligen Zimmerkollegen Ward Stradlater, der mit seiner einschmeichelnden Art jedes Mädchen herumzukriegen scheint, als auch über die eigene Unfähigkeit, bei Mädchen wirklich zu landen, seine Abneigung gegen Kinofilme und seine Abenteuer in New York und seine Romanze mit Phoebe. All das gibt einen wunderbaren Einblick in das Leben und Fühlen eines Pubertierenden in New York zur Zeit der letzten Jahrhundertmitte.