Mick Herron – (Jackson Lamb: 5) „London Rules“

Samstag, 27. August 2022

(Diogenes, 496 S., Pb.) 
Der britische Schriftsteller Mick Herron, der in Oxford englische Literatur studierte und als Korrektor bei einer juristischen Fachzeitschrift arbeitete, veröffentlichte bereits in den 2000er Jahren vier Romane um die Oxforder Privatdetektivin Zoë Boehm, ehe er 2010 mit dem Roman „Slow Horses“ eine Reihe um ausgemusterte Mitarbeiter des englischen Geheimdienstes MI5 ins Leben rief, die seit 2018 mit wachsendem Erfolg auch in Deutschland ihr Publikum begeistert. 
Mit „London Rules“ veröffentlicht Diogenes nun den fünften Roman um Jackson Lamb, der als Leiter der verächtlich als „Slow Horses“ betitelten Truppe in Slough House wieder einmal alle Hände voll zu tun hat, seine kuriose Truppe unter Kontrolle zu halten und das Versagen des MI5 auszubügeln. 
Als eine fünfköpfige Söldnertruppe mit Abbotsfield ein ganzes Dorf in Derbyshire auslöscht und spurlos untertaucht, steht Claude Whelan, Chef des britischen Inlandgeheimdienstes MI5, unter Druck, zumal die Attentäter wenig später auch ein Pinguingehege im Londoner Zoo in die Luft sprengen. 
Ob der Anschlag mit einem Auto auf den Ober-Nerd Roderick Ho, den seine Slough-House-Kollegin Shirley Dander im letzten Augenblick verhindern konnte, auch zu dieser Reihe von Attentaten zu zählen ist? Jedenfalls beschließt Shirley mit ihren Kollegen River Cartwright und Louisa Guy, Roddy ein paar Tage lang im Auge zu behalten. Dass der Nerd eine so erstklassig aussehende Freundin wie Kim haben soll, kann nur bedeuten, dass sie ihn ausnutzt. 
Tatsächlich verschwindet sie nach den Attentaten Den Premierminister plagen indes andere Probleme. Das Referendum über den Austritt des Vereinigten Königsreichs aus der Europäischen Union könnte ihn die Karriere kosten, zumal sein Konkurrent Dennis Gimball wieder stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt ist, unterstützt von seiner Frau Dodie, die laufend ätzende Kommentare in ihrer Kolumne gegen den PM veröffentlicht. Die Agenten in Slough House kommen auf den Gedanken, dass die Attentäter es nun auf einen politischen Führer abgesehen haben könnten. Doch die Maßnahmen, die Lambs Agenten trotz des angeordneten Lockdowns durch Lady Di ergreifen, machen die Situation nur schlimmer… 
„Nach den London Rules baute man seine Mauern hoch, und die Reihenfolge, in der man seine Leute darüberwarf, stand in umgekehrtem Verhältnis zu ihrem Nutzen. Solange er also nützlicher war als Cartwright, ging er nicht als Erster über die Mauer. Coe fühlte sich nicht wohl bei dem Gedanken, aber er fühlte sich lebendig, und das war das Allerwichtigste. Zunächst mal saßen sie alle im selben Boot – bis auf Weiteres. Auch das entsprach den London Rules.“ (S. 344) 
Mick Herron schrieb „London Rules“ bereits 2018 – kurz nach dem Referendum, als sowohl die „Brexit“-Befürworter als auch -Gegner in einer Art Schockzustand waren und noch nicht absehen konnten, was der Brexit für die Briten bedeuten würde. Herron nutzt diese Atmosphäre für eine erfrischende Farce, in der sowohl die Politik als auch die Geheimdienste ihr Fett wegkriegen. 
Im Zentrum steht einmal mehr Jackson Lamb, der es sich als Leiter in Slough House bequem eingerichtet hat und über so viel brisante Informationen verfügt, dass er sich auch den „echten“ Agenten in Regent’s Park gegenüber nicht in Zurückhaltung zu üben braucht. Genüsslich lässt er seine ehemalige Kollegin Lady Di, die es auf Whelans Posten abgesehen hat, immer wieder auflaufen, liefert sich mit ihr messerscharfe Dialoge. 
Aber auch Lambs Truppe sorgt für kurzweilige Unterhaltung. Obwohl allesamt unter der einen oder anderen psychischen Störung leiden, versuchen sie doch, aus der Langeweile ihrer öden Bürojobs auszubrechen und echte Agenten zu sein – mit immer wieder fatalen Folgen, aber letztlich gutem Ende. Mick Herron beweist einmal mehr, dass er mit der Reihe um Jackson Lamb eine der unterhaltsamsten, vor allem aber ungewöhnlichsten Spionage-Romanreihe geschaffen hat, die mittlerweile auf Apple TV+ als Fernsehserie mit Gary Oldman, Kristin Scott Thomas und Jonathan Pryce verfilmt worden ist.  „London Rules“ knüpft mit einem temporeichen Plot, wunderbar spritzigen Dialogen und liebenswert skurrilen Figuren nahtlos an die vier vorangegangenen Romane an und macht neugierig auf die weiteren Fälle, mit denen es Lamb und seine Slow Horses zu tun bekommen werden. 
In England ist mit „Bad Actors“ dieses Jahr schon der achte Band der Reihe erschienen.  

Paul Auster – „Leviathan“

Samstag, 20. August 2022

(Rowohlt, 320 S., HC) 
In den Werken des amerikanischen Schriftstellers Paul Austers spielen Zufälle und die Frage nach Identitäten eine immer wiederkehrende Rolle. In dieser Hinsicht schließt sein fünfter Roman „Leviathan“ nahtlos an „Die Musik des Zufalls“ an. 
Der mysteriöse Tod eines nicht identifizierten Mannes bei einer Explosion bringt den Schriftsteller Peter Aaron im Juni 1990 dazu, über seine ungewöhnliche Freundschaft mit seinem Kollegen Benjamin Sachs nachzudenken und seine Geschichte zu erzählen. Aaron hat nach der Lektüre des Artikels in der New York Times sofort seinen besten Freund wiedererkannt. Zwar hat er ihn seit knapp einem Jahr nicht mehr gesprochen, aber damals war Aaron bereits bewusst geworden, dass Sachs auf eine dunkle, namenlose Katastrophe zusteuerte. 
Kennengelernt haben sich Aaron und Sachs, als sie an einer gemeinsamen Lesung in einer Bar im West Village teilnehmen sollte, die allerdings ausfiel, ohne dass die beiden Autoren informiert wurden. Sachs hatte zu jener Zeit zwei Jahre zuvor den erfolgreichen Roman „Der neue Koloss“ veröffentlicht und konnte auf ein enormes Pensum an qualitativ hochwertigen Artikeln und Essays verweisen. Zu Aarons Überraschung war Sachs aber auch mit den weit weniger bekannten Aufsätzen vertraut, die Aaron in Zeitschriften unterbringen konnte. 
Über die intensive Diskussion über ihre Arbeiten und Lebenserfahrungen an jenem Abend an der Bartheke entwickelte sich eine enge Freundschaft, die ihre Höhen und Tiefen aufwies. Interessanterweise war Aaron mit Sachs‘ Frau Fanny aus seiner eigenen College-Zeit bekannt und damals sogar in sie verliebt, doch war sie damals schon mit Sachs verheiratet, der allerdings seine Gefängnisstrafe wegen Kriegsdienstverweigerung absaß… Aaron heiratet Delia, doch nicht zuletzt die anhaltenden Geldsorgen führen zu Streits und schließlich zur Trennung. Als Sachs für eine Verfilmung seines Romans für einige Zeit nach Hollywood muss, beginnen Fanny und Aaron eine Affäre, die mit Sachs‘ Rückkehr abrupt endet. Die gemeinsame Bekanntschaft mit der Künstlerin Maria Turner bedeutet eine radikale Kehrtwendung im Leben der beiden Schriftsteller. 
Während Aaron allmählich auf eine gewisse Stabilität bauen kann, seinen ersten Roman „Luna“ veröffentlicht und mit Iris seine zweite Frau kennenlernt, stürzt Sachs während einer Party aus dem vierten Stock eines Hochhauses, überlebt allerdings mit viel Glück. Danach will Sachs sein Leben ändern, zieht von New York aufs Land, beginnt an seinem neuen Roman „Leviathan“ zu arbeiten und wird unversehens im Wald zum Mörder und schließlich zum Freiheits-Aktionisten, der überall im Land Freiheitsstatuen sprengt… 
„Und genau das ist es, was mir noch immer zu schaffen macht, das Rätsel, dessen Lösung ich noch immer nicht gefunden habe. Sein Körper erholte sich wieder, aber er selbst war nicht mehr der alte. In diesen wenigen Sekunden vor de Aufprall scheint Sachs alles verloren zu haben. Sein ganzes Leben ist dort in der Luft in Stücke gegangen, und von diesem Augenblick bis zu seinem Tod vier Jahre später hat er es nicht wieder zusammensetzen können.“ (S. 145) 
Es ist wieder einmal das Spiel mit Zufällen und wechselnden Identitäten, das Paul Auster in „Leviathan“ so souverän wie kein Zweiter beherrscht. Schon die Bekanntschaft der beiden Schriftsteller in einer Bar nach einer abgesagten Lesung, bei der Aaron kurzfristig für einen anderen Autor einspringen musste, wirkt wie ein glücklicher Zufall, was durch den Umstand verstärkt wird, dass Aaron einst in Sachs‘ Frau Fanny verliebt gewesen war und später eine Affäre mit ihr unterhält. Ein Zufall führt Sachs auch zu einer vermeintlichen Abkürzung durch einen Wald, bei dem der Schriftsteller in eine Schießerei gerät und einen Mann namens Dimaggio erschießt, nachdem dieser den Jungen tötete, der Sachs freundlicherweise in seinem Wagen mitgenommen hatte. 
Und wie wahrscheinlich mag es wohl sein, dass Dimaggio mit Maria Turners bester Freundin Lillian Stern verheiratet gewesen ist? Man muss sich schon auf diese merkwürdigen Zusammenhänge einlassen können, ebenso auf die Herausforderungen, mit denen sowohl Sachs als auch Aaron beim Meistern ihres jeweiligen Lebens zu kämpfen haben. Allerdings verfügt Auster über ein so ausgeprägtes Sprachgefühl, dass seine Geschichte einen verführerischen Sog entwickelt, der die Ereignisse ganz natürlich erscheinen lässt. 
Es lassen sich auch einige autobiographische Züge in „Leviathan“ entdecken, so Peter Aarons und Paul Austers identische Initialen, ein Frankreichaufenthalt, eine erfolglose Zeit in Beruf und Ehe, die Tatsache, dass der Name von Aarons zweiter Frau Iris rückwärts geschrieben den Namen von Austers zweiter Frau Siri ergibt. Schließlich ist die Konzeptkünstlerin Sophie Calle Vorbild für Austers Figur der Maria Turner gewesen. 
Mit „Leviathan“ ist Auster ein vielschichtiger Roman über die ungewöhnliche Freundschaft zweier unterschiedlicher Schriftsteller gelungen, in dem Aaron als Ich-Erzähler von dem chronologischen Ende aus, dem Tod von Benjamin Sachs, halbwegs chronologisch die Geschichte Sachs‘, aber auch seine eigene erzählt, schließlich gibt es immer wieder die überraschendsten Berührungspunkte. 
Er erzählt vor allem von den Schwierigkeiten, seinen Platz im Leben zu finden, von Ereignissen, die dem Leben plötzlich eine ganz andere Richtung verleihen. Dabei sind Auster die Charakterisierungen auch der Nebenfiguren, also vor allem der Frauen, ausgezeichnet gelungen. 

 

Joe Hill – „Strange Weather“

Sonntag, 14. August 2022

(Festa, 652 S., HC) 
Der 1972 als Sohn von Bestseller-Horror-Autor Stephen King und dessen Frau Tabitha geborene Joseph Hillström King hat unter seinem Pseudonym Joe Hill bereits die auch hierzulande erfolgreichen Romane „Blind“, „Teufelszeug“, „Christmasland“ und „Fireman“ veröffentlicht, doch ebenso wie sein übermächtiger Vater hat Hill auch Gefallen an kürzeren Erzählformen wie der Kurzgeschichte und der Novelle gefunden. Da fällt der Apfel eben nicht weit vom Stamm. Mit „Black Box“ ist bei Heyne bereits 2008 eine erste Kurzgeschichten-Sammlung von Joe Hill erschienen, mit „Vollgas“ legte Festa 2021 eine weitere Kollektion vor. Zuvor erschien mit „Strange Weather“ eine Sammlung von vier Novellen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. 
Mit „Schnappschuss“ begleiten wir Joe Hill auf eine kleine Zeitreise in die 1980er Jahre, als die Sofortbildkamera Polaroid der letzte Schrei gewesen ist. Hier lernen wir einen dreizehnjährigen Jungen namens Michael Figlione kennen, der sich in dem kleinen Ort Golden Orchards im Norden Cupertinos ein wenig um die zunehmend demente Nachbarin Shelly Beukes kümmert, die sich bis 1982 noch um den Haushalt der Familie des Jungen gekümmert hatte. Sie warnt ihn, dass er sich vor dem Polaroid-Mann in Acht nehmen sollte. Als Michael an der Tankstelle tatsächlich dem Mann mit der Kamera begegnet, geschehen merkwürdige Dinge, denn mit jedem Bild, das mit der Kamera geschossen wird, scheint eine Erinnerung des Portraitierten gelöscht zu werden… 
In „Geladen“ hadert Randall Kellaway mit seinem Schicksal. Nach seinem Einsatz im Irak hatte sich Kellaway sowohl bei der State Police, der örtlichen Polizei, dem Sheriff’s Office und dem FBI beworben, doch beim FBI hat er den psychologischen Aufnahmetest nicht bestanden, bei all den anderen Behörden kam es nicht mal zum Vorstellungsgespräch. Nun schiebt er als Sicherheitsbeamter in einem Einkaufszentrum Dienst und ist verärgert darüber, dass seine Ex-Frau Holly eine einstweilige Verfügung gegen ihn erwirkt hat, dass er ihr und ihrem gemeinsamen Sohn George gegenüber einen Abstand von mindestens 300 Metern einhalten muss. Sein einziger Freund Jim Hirst sitzt zwar im Rollstuhl und leidet darunter, dass seine Frau fremdgeht, dafür nennt er eine ansehnliche Waffensammlung sein eigen. Davon profitiert schließlich auch Kellaway, als er eines Tages im Einkaufszentrum in den Juwelierladen „Devotion Diamonds“ von Roger Lewis stürmt, um ein Massaker zu verhindern. Rog hatte nämlich gerade mit seiner 20-jährigen Angestellten und Geliebten Becki Schluss gemacht, die ihn daraufhin mit einer .357er erschoss. Als Kellaway in den Laden stürmt, schaltet er allerdings nicht nur die Schützin aus, sondern auch eine muslimische Frau mit ihrem Baby und einen fettleibigen Zeugen. Von der Presse wird Kellaway als Held gefeiert, doch die Reporterin Aisha Lanternglass kommt nach und nach den wahren Ereignissen auf die Spur… Nachdem die 23-jährige June Morris vom Krebs dahingerafft worden ist, haben sich ihre beiden Brüder Brad und Ronnie, ihre beste Freundin Harriet Cornell und Aubrey dazu entschlossen, zu ihrem Gedenken einen Fallschirmsprung zu absolvieren. Während Junes Brüder jedoch schon Erfahrungen mit dem Springen gemacht haben, ist es für Aubrey und Harriet das erste Mal. 
Vor allem Aubrey hat „Hoch oben“ große Angst vor dem Absprung, doch als der Motor des Flugzeugs ausfällt, bleibt ihm letztlich nichts anderes übrig, als auch zu springen. Zu seiner Überraschung landet er dabei auf einer festen Wolke, auf der Dinge entstehen, die Aubrey kurz zuvor noch gedacht hatte. Seine Zeit verbringt Aubrey dabei vor allem mit den Erinnerungen daran, wie er Harriet kennen und lieben gelernt hat. 
Mit „Regen“ hat Hill schließlich sein eigenes Weltuntergangsszenario geschaffen. Bei einem Gewitter über Boulder, Colorado, regnet es nämlich keine Wassertropfen, sondern nadelspitze Metallsplitter, die ein Meer der Verwüstung hinterlassen. Was zunächst als terroristischer Anschlag betrachtet wird, scheint sich allerdings als natürliches, wenn auch seltenes Phänomen zu entpuppen, bei dem durch Blitze eine Form des Kristalls Fulgurit entsteht. Die 23-jährige Honeysuckle Speck verliert durch den Nadelregen ihre Geliebte Yolanda und macht sich zu Fuß auf den Weg ins dreißig Kilometer entfernte Denver, um Yolandas Vater über den Tod seiner Tochter zu unterrichten… 
„Novellen sind Killer, keine Füller, sie kommen auf den Punkt, wo Romane ausschweifend werden. Sie haben die Ökonomie von Kurzgeschichten, sind aber aufgrund ihrer Länge in der Lage, eine Charakterisierung zu erreichen, die wir üblicherweise bei Romanen erwarten“, fasst Hill im Nachwort von „Strange Weather“ die Eigenschaften der Novelle zusammen. Besonders originell sind die hier vier vereinten Geschichten zwar nicht gelungen, dafür versteht der Autor es ähnlich wie sein Vater hervorragend, den Plot einer Geschichte mit Kommentaren zur Gesellschaft zu versehen. 
Während „Schnappschuss“ vor allem als Coming-of-Age-Story mit einem vertrauten übernatürlichen Element überzeugt, stellt „Geladen“ natürlich einen bissigen Kommentar auf die schwer nachvollziehbare Liebe der Amerikaner zu ihren Waffen dar. „Hoch oben“ gefällt weniger durch das sicher interessante Setting als durch Aubreys Charakterisierung, wie sie durch seine Erinnerungen und seine Liebe zu Harriet zum Ausdruck kommt. Und bei „Regen“ ist es die lesbische Liebesgeschichte, die im Vordergrund steht, aber auch traditionelle Werte wie Familie und Hilfsbereitschaft kommen bei dem dystopischen Szenario nicht zu kurz, auch wenn Plünderungen, Morde und überzogene Reaktionen auf die Katastrophe das beherrschende Thema zu sein scheinen. 
Die beiden bei Festa erschienenen Sammlungen von Joe Hill sind sicher keine Must-Reads, nicht mal für Joe-Hill-Fans, doch ebenso wie „Vollgas“ bietet auch „Strange Weather“ einige nette Ideen, einen flüssigen Schreibstil, eine Art von Humor, wie man sie bereits von Stephen King her kennt, und ausgefeilte Figurenzeichnungen, die zu den bemerkenswertesten Stärken des Autors und seiner Geschichten zählen.

Michael Connelly – (Renée Ballard: 3, Harry Bosch: 22) „Glutnacht“

Montag, 8. August 2022

(Kampa, 464 S., HC) 
Nach der Beerdigung seines alten Mentors John Jack Thompson bekommt der pensionierte LAPD Detective Harry Bosch von Thompsons Witwe Margaret ein Mordbuch in die Hände, das Thompson offenbar noch vor seiner Pensionierung mit nach Hause nahm. Von seinem Lehrmeister hat Bosch das Credo übernommen, dass es keine Toten erster und zweiter Klasse gebe, dass jeder Fall persönlich genommen werden müsse. Als sich Bosch mit der entwendeten Akte auseinandersetzt, fragt er sich allerdings, was Thompson dazu bewogen haben könnte, ausgerechnet diese Akte zu entwenden und zwanzig Jahre unter Verschluss zu halten, denn Notizen zu dem Fall scheint er nicht gemacht zu haben. 
Dabei geht es um einen dreißig Jahre zurückliegenden Drogendeal, der für den mutmaßlichen Informanten John Hilton mit einer Kugel im Kopf endete. Da Bosch selbst nicht mehr im aktiven Dienst ist und darüber hinaus noch mit seinem neuen Kniegelenk Probleme beim Laufen hat, ist er auf die Unterstützung von Renée Ballard angewiesen, die in der Nachtschicht der Hollywood Division eingesetzt ist und seit einiger Zeit mit Bosch zusammen an Cold Cases arbeitet. 
Nachdem sie selbst den Tod eines Obdachlosen untersucht, der hochalkoholisiert in seinem Zelt verbrannt ist, nachdem eine Öllampe umgekippt war, teilt sie sich die Arbeit an dem Hilton-Mord mit Bosch auf. Schließlich kommen sie dem Gangster Elvin Kidd auf die Spur, der eine Zeitlang mit Hilton eine Affäre unterhielt, die er offensichtlich nicht ans Licht der Öffentlichkeit gelangen lassen wollte.
Interessanterweise gibt es durch eine Auftragskillerin eine Verbindung zu einem Fall, den Boschs Halbbruder Mickey Haller gerade bearbeitet. Er verteidigt mit Jeffrey Herstadt einen Mann, der für den Mord an dem Richter Montgomery angeklagt worden ist. Als Herstadt freigesprochen wird, entwickelt Bosch den Ehrgeiz, den wahren Mörder des Richters zu finden… 
„Bosch hatte es nie besondere Genugtuung bereitet, einem Mörder Handschellen anzulegen. Er wollte wegen des Sohnes dabei sein. Wegen des Opfers. Offensichtlich war es John Hiltons leiblichem Vater egal gewesen, wer ihn umgebracht hatte. Nicht so Bosch. Er wollte dabei sein. Entweder zählte jeder, oder es zählte keiner. Für Thompson war das vielleicht nur eine Floskel gewesen. Für Bosch nicht.“ (S. 350) 
Raymond Chandler war mit der Erschaffung des melancholischen Privatdetektivs Philip Marlowe nicht nur ein Pionier in Sachen Hardboiled Krimi, sondern offensichtlich auch die richtige Inspiration für Michael Connelly, der seinerseits mit seiner Figur Harry Bosch eine Ikone der Kriminalliteratur geschaffen hat. Zwischenzeitlich hat er auch kleinere Reihen mit anderen Figuren initiiert, aber Bosch tauchte dabei stets in kleineren oder größeren Rollen auf, so auch in dem ersten Band der Reihe um Nachtschicht-Detective Renée Ballard, die es in „Glutnacht“ wieder mit ihrem ehemaligen Chef Olivas zu tun bekommt, dem sie einst sexuelle Belästigung vorgeworfen hatte. Das hatte ihr zwar die Versetzung in die Nachtschicht der Hollywood Division eingebracht, aber mittlerweile will sie gar nicht mehr woanders hin. 
Auch wenn man die beiden vorangegangenen Ballard-Bände „Late Show“ und „Night Team“ nicht gelesen haben sollte, kommt man gut in „Glutnacht“ rein. Connelly hat es längst zur Meisterschaft gebracht, den Polizeialltag nicht nur authentisch, sondern auch spannend zu beschreiben und dabei verschiedene Handlungsstränge miteinander zu verknüpfen. Die Vorgeschichten von Bosch und Ballard fließen bei der Charakterisierung der Figuren immer wieder mit ein. Aus der anfänglichen Nebenrolle, die Bosch noch in „Late Show“ einnahm, ist mittlerweile eine gut funktionierende Partnerschaft geworden. Da Bosch als Pensionär keinen Zugriff mehr auf die Mittel seiner Dienststelle hat, ist er ohnehin auf die Mitwirkung eines aktiven Polizisten angewiesen, und die Chemie zwischen Bosch und Ballard stimmt einfach. 
Akribisch beschreibt Connelly die einzelnen Ermittlungsschritte, lässt kleinere Fälle mit einfließen, wie es im Polizeialltag nun mal gang und gäbe ist, und manchmal führen die Spuren zu den Fällen, mit denen Bosch und Ballard sich gerade beschäftigen. „Glutnacht“ überzeugt dabei durch gewohnt treffende Figurenzeichnungen, interessante Haupt- und Nebenplots und einen gefälligen Schreibstil, der die einzelnen Elemente wunderbar miteinander in Einklang bringt. Das ist Krimi-Stoff auf allerhöchstem Niveau! 

 

Lee Child – (Jack Reacher: 24) „Die Hyänen“

Donnerstag, 4. August 2022

(Blanvalet, 414 S., HC) 
Der ehemalige Elite-Militärpolizist Jack Reacher ist mal wieder mit dem Greyhound-Bus unterwegs, diesmal auf der Interstate, gut siebzig Kilometer von einer namenlosen Stadt mit ungefähr einer halben Million Einwohnern entfernt. Vor ihm bemerkt Reacher einen ca. siebzig Jahren alten Mann, der auf seinem Sitz schläft und aus dessen Jacke ein Umschlag mit Bargeld ragt, auf den es offensichtlich ein junger schlaksiger Kerl direkt vor Reacher abgesehen hat. 
Als der alte Mann aus dem Bus steigt, behält Reacher ihn im Auge und kann im letzten Moment verhindern, dass der gebrechliche alte Mann um sein Geld gebracht wird. Er erfährt, dass der Mann namens Aaron Shevick bis um 12 Uhr in einer Bar 22.500 Dollar abliefern muss, die er und seine Frau Maria sich für die Behandlung ihrer krebskranken Tochter Meg bei einem örtlichen Kredithai geliehen hatten. Doch der Mann, dem Shevick das Geld übergeben soll, lässt sich durch den Barkeeper auf 18 Uhr vertrösten. 
Reacher begleitet Shevick erst nach Hause und kehrt mit ihm um 18 Uhr zur Bar zurück, wo allerdings ein anderer Mann an dem üblichen Tisch sitzt. Reacher gibt sich für Shevick aus, bezahlt dem neuen Mann nur einen Bruchteil der Summe, die die Shevicks den Albanern geschuldet haben, und gerät unversehens zwischen die Fronten von zwei Mafia-Clans aus Albanien und der Ukraine. Gregory, der Boss der ukrainischen Mafia, hat seinen albanischen Kollegen Dino darüber informiert, dass sein Spitzel bei der örtlichen Polizei auf eine Liste gestoßen sei, auf der vier vertrauenswürdige Informanten des Police Departments aufgeführt seien, jeweils zwei aus albanischen und ukrainischen Reihen. Gregory habe seine beiden Leute bereits liquidiert. Doch als Reacher in einer Bar auf die falschen Leute trifft, gerät das Machtgleichgewicht zwischen den Clans ins Wanken. Mit Hilfe der taffen Bedienung Abby findet Reacher für die Nacht einen Unterschlupf, doch als er den Shevicks zu einem weiteren Kredit verhilft, muss er zwangsläufig die Reihen beider Clans lichten, die zunächst vermuten, dass die Russen das Revier übernehmen wollen… 
„Das hatte er schon früher getan. Alles auf eine Karte gesetzt und gewonnen. Auch nach zehntausend Generationen funktionierte sein Instinkt noch immer zuverlässig. Er hatte alles riskiert und war lebend davongekommen. Außerdem sah er die Sache relativ gleichmütig. Niemand lebte ewig. Aber war er bereit, auch Abbys Leben zu verwetten?“ (S. 275) 
Nahezu pünktlich wie ein Uhrwerk liefert Lee Child seit 1997 jedes Jahr einen neuen Roman um seinen Protagonisten Jack Reacher, einen hünenhaften, kräftig gebauten Mann, der nach dem Ausscheiden aus dem Militärdienst, den er überall auf der Welt abgeleistet hatte, heimatlos durch die USA streift, meist nur mit einer Zahnbürste im Gepäck. 
In seinem bereits 24. Abenteuer verschlägt es Reacher also in eine namenlose Stadt, die klar abgegrenzt von zwei Mafia-Clans beherrscht wird. Das Setting ist wieder außergewöhnlich. Reacher eilt einem hilflosen Mann zur Hilfe, legt sich mit beiden Mafia-Clans an, und während er sukzessive seinen Häschern einen Schritt voraus ist, haben weder die Albaner noch die Ukrainer eine Ahnung, wer da in ihren Machenschaften herumpfuscht. Lee Child fokussiert die Story ganz auf die Konfrontation zwischen den beiden Mafia-Clans einerseits und Reachers Vorgehen gegen die Kriminellen andererseits. Das wirkt zunächst wie ein Planspiel, bei dem die normale Welt völlig ausgeblendet wird. Als Außenstehende kommen nur noch Abbys Musikerfreunde Hogan und Barton sowie der mit osteuropäischen Sprachen vertraute Vantresca ins Spiel, was die ungleiche Ausgangslage etwas glaubwürdiger gestaltet. 
Der Plot ist wie bei Child gewohnt schön knackig und spannend inszeniert, wobei seine klar strukturierte Sprache mit kurzen Sätzen das Tempo entsprechend unterstützt. Die Sympathien sind natürlich schnell verteilt, so dass die Leser gar nicht umhin können, Reacher und seinen Helfern die Daumen zu drücken. Da die Action so stark im Vordergrund steht, nimmt sich Child allerdings wenig Zeit für die Figurenzeichnung. Gerade die Beziehung zwischen Reacher und Abby, aber auch die Familiengeschichte der Shevicks hätte mehr Raum zur Ausgestaltung verdient gehabt. 
Wer allerdings straff inszenierte Action ohne große Überraschungen und Wendepunkte zu schätzen weiß, ist mit diesem Action-Thriller bestens bedient.  

Tess Gerritsen – (Rizzoli & Isles: 13) „Mutterherz“

Dienstag, 2. August 2022

(Limes, 382 S., HC) 
2001 veröffentlichte die ehemalige Internistin Tess Gerritsen nach einigen Medizin-Thrillern mit „The Surgeon“ den ersten Band ihrer bis heute erfolgreichen Thriller-Serie um Detective Jane Rizzoli vom Boston Police Department und ihrer Freundin, Pathologin Maura Isles, der ein Jahr später unter dem Titel „Die Chirurgin“ auch hierzulande gleich als Hardcover bei Limes erschien. 20 Jahre später präsentiert die Bestseller-Autorin mit „Mutterherz“ den 13. Band ihrer mittlerweile auch erfolgreich als Fernsehserie adaptierten Thriller-Reihe, wobei vor allem Jane Rizzolis Mutter Angela im Mittelpunkt steht. 
Angela Rizzoli lebt mit ihrem Lebensgefährtin, dem pensionierten Polizisten Vince, im Norden von Boston im beschaulichen Revere, wo bescheidene Einfamilienhäuser wie auf einer Perlenkette aufgereiht die Straßen säumen. Zu ihren Nachbarn unterhält Angela einen guten Draht. Zwar hat sich ihre zuvor beste Freundin Agnes von ihr abgewandt, seit Angelas Mann sich eine Jüngere angelacht hat und sie selbst eine Beziehung mit Vince eingegangen ist, aber mit Larry und Lorelei Leopold spielt sie jeden Donnerstagabend Scrabble. Mittlerweile gehört auch der 62-jährige Junggeselle und Ex-Navy SEAL Jonas mit zur Runde. 
Als das ein Jahr leer stehende Haus des verstorbenen Glen Druckmeyer von einem jüngeren Paar bezogen wird, ist Angelas Neugier schnell geweckt, denn der Umzugswagen der Greens wird erst in der Nacht entladen, die Fenster des Hauses sind den ganzen Tag verschlossen, und als Angela zufällig mitbekommt, dass der Mann eine verdeckte Waffe trägt, ist sie in höchster Alarmbereitschaft. Natürlich informiert sie ihre Tochter über ihre Beobachtungen, auch über das Verschwinden der 16-jährigen Tricia Talley, doch Jane hat gerade ganz andere Sorgen. Zusammen mit ihrem Partner Frost ermittelt sie nämlich im Mordfall Sofia Suarez. Die Intensiv-Krankenschwester wurde auf dem Heimweg mit einem stumpfen Gegenstand erschlagen, doch ein Motiv können die Detectives zunächst nicht ausmachen. 
Auf der Beerdigung der Krankenschwester wird Amy Antrim, die Tochter von Dr. Antrim, zu dessen Team die Tote gehört hatte, von einem fremden Mann angesprochen, der das Teenager-Mädchen auch danach zu stalken scheint. Interessanterweise wurde Amy vor zwei Monaten nach einem Unfall mit Fahrerflucht besonders herzlich von Sofia Suarez betreut. Die Begegnung mit dem Mann auf dem Friedhof lässt bei Amy unschöne Erinnerungen an ihre Kindheit hochkommen… 
„… warum konnte sie sich nicht an sein Gesicht erinnern? Wo war diese Erinnerung geblieben? Das Einzige, woran sie sich erinnerte, war seine Stimme, sein Gebrüll in der Küche, wenn er schwor, dass er sie nie gehen lassen würde, dass er sie nie aufgeben würde. Ganz egal, wie weit und wie schnell sie davonliefen, er würde sie immer finden. Ist es möglich? Hat er uns jetzt tatsächlich eingeholt?“ (S. 146f.) 
Tess Gerritsen drückt in „Mutterherz“ ordentlich aufs Tempo. Neben dem schwierig zu lösenden Mordfall der Krankenschwester spielt sich der Großteil des Geschehens in Revere und der Nachbarschaft von Jane Rizzolis Mutter Angela ab, die in ihrer zentralen Funktion als Ich-Erzählerin fungiert. Sie geht nicht nur der vermissten Teenagerin nach, die als Ausreißerin bekannt ist, aber auch unter der problematischen Ehe ihrer Eltern zu leiden hat, sondern muss sich auch der Avancen ihres Nachbarn Jonas erwehren, während sich ihr Lebensgefährte gerade um seine Schwester kümmert. 
Und dann sind da natürlich die neuen Nachbarn Green, die sich in ihrem neuen Heim total verschanzen, und der verdächtige Lieferwagen, der nun häufiger in der Straße zu sehen ist. Maura übt derweil am Klavier für das Konzert mit ihrem Krankenhaus-Orchester, in dem auch Dr. Antrim mitwirkt, wobei Jane per Zufall von dem Konzert ihrer Freundin erfährt, und zwar nicht von Maura selbst. 
So wechselt Gerritsen immer wieder die Perspektive zwischen Jane, Angela, Amy und Maura, wobei Mutter-Tochter-Beziehungen zwar im Fokus stehen, aber nie so recht in die Tiefe gegangen wird. Stattdessen springt die Autorin mit ihrem äußerst gefälligen und lebendigen, aber wenig anspruchsvollen Schreibstil von einer Handlung zur nächsten, bis im letzten Viertel die verschiedenen Fäden geschickt zusammengeführt werden. Das ist durchaus spannend, aber auch sehr durchkonstruiert, so dass „Mutterherz“ fast wie ein James-Patterson-Roman wirkt, denn im Vergleich zu früheren Rizzoli-&-Isles-Bänden ist die Charakterisierung der Figuren diesmal durchgängig sehr dünn ausgefallen.  

James Lee Burke – (Dave Robicheaux: 19) „Die Tote im Eisblock“

Samstag, 30. Juli 2022

(Pendragon, 684 S., Pb.) 
Detective Dave Robicheaux kuriert im Krankenhaus gerade seine Verletzungen von der fast tödlichen Schießerei aus, der sein bester Kumpel Clete Purcel im letzten Moment ein glückliches Ende beschert hatte, als er Besuch von dem Cajun-Mädchen Tee Jolie Melton bekommt, die ihm einen bestückten iPod mitbringt und davon erzählt, dass sie mit einem verheirateten, sehr berühmten Mann zusammen sei. Aus einem Gespräch habe sie mitbekommen, dass er von „Zentrierkörben bei Bohrrohren“ sprach. Für Robicheaux ist diese Information nicht nur von Bedeutung, weil sein eigener Vater Big Aldous selbst bei einem Bohrturm-Unglück ums Leben kam, sondern weil gerade erst die Explosion einer Ölbohrinsel vor der Küste Louisianas eine Umweltkatas¬trophe unvorstellbaren Ausmaßes zur Folge hatte. 
Clete hat indes eigene Probleme. Vor seinem Ableben hatte der Gangster Didi Giacano einen Schuldschein von Clete in seinem Safe, der nun an Bix Golightly verkauft worden ist. Golightly taucht schließlich mit einem punkigen Teilzeitkiller namens Waylon Grimes in Cletes Büro auf und verlangt 30.000 Dollar innerhalb einer Woche. Als Clete in die Wohnung seines Erpresser einsteigt, stößt er auf Geschäfte, die der Mann mit gefälschten Gemälden betreibt. 
Wenig später werden Grimes, Frankie Giacano und Golightly erschossen, wobei Clete Zeuge des Mordes an Golightly wird. Besonders brisant ist die Angelegenheit deshalb, weil er seine uneheliche Tochter Gretchen für die Täterin hält, die unter dem Namen Caruso Auftragsmorde ausführt. Wenig später wird die Leiche von Tee Jolie Meltons Schwester Blue in einem Eisblock treibend im St. Mary Parish aufgefunden, von Tee Jolie fehlt jede Spur. 
Für Robicheaux liegt es auf der Hand, dass Pierre Dupree mit der Sache zu tun hat, doch dass Clete eine Affäre mit seiner schönen, aber verhassten Ehefrau Varina Leboeuf anfängt, machen die Ermittlungen nicht leichter. Während immer mehr Tote in diesem verworrenen Netz aus Lügen und Geldgier zu beklagen sind, gerät auch Robicheaux ins Visier der geheimnisvollen Killer, die offenbar beste Beziehungen zu den höheren Gesellschaftskreisen in Louisiana unterhalten. 
Als Gretchen und Cletes Adoptivtochter Alafair entführt werden, gibt es für die beiden Kriegskameraden kein Zurück mehr… 
„Man darf seinem Feind keine Macht einräumen, man darf ihm nicht erlauben, das Spiel nach seinen Regeln zu spielen. Ich nahm einen Kiefernzapfen in die Hand und warf ihn in hohem Bogen ins Wasser. Es war ein Gefühl, als sei ich am Ende eines langen Tunnels angekommen. Und doch war mein Herz noch immer so schwer wie ein Amboss. Ich wusste, dass ich meinen Frieden erst finden würde, wenn ich die Mörder von Blue Melton aufgespürt – und Tee Jolie in ihre Heimat am Bayou Teche zurückgebracht hatte.“ (S. 391) 
Es ist schon so etwas wie ein Opus Magnum, das der Südstaaten-Schriftsteller James Lee Burke in seinem 2012 als „Creole Belle“ veröffentlichten 19. Band seiner grandiosen Reihe um den Vietnam-Veteran, Alkoholiker und Detective Dave Robicheaux vorgelegt hat und der nun unter dem nicht ganz so poetischen Titel „Die Tote im Eisblock“ auch hierzulande das Licht der Welt erblickt. 
Burke präsentiert hier nicht nur einen ungewöhnlich hohen Bodycount, sondern auch eine komplexe, undurchschaubare Geschichte, in der die Strippenzieher der Verbrechen, mit denen es Clete, Dave, seine Chefin Helen Soileau und ihr Kollege Dana Magelli vom NOPD es hier zu tun haben. 
Wer am Ende für die unzähligen Morde, Attentate, Entführungen und die Umweltkatastrophe durch das ausgetretene Öl verantwortlich ist und die treibende Kraft hinter den ausgeklügelten Operationen darstellt, wird erst zum actionreichen Finale aufgedeckt. 
Bis dahin erweist sich vor allem die Beziehung zwischen Clete und seiner Tochter Gretchen als interessanteste Konstellation, denn wenn sie tatsächlich hinter den Morden an den drei Gangstern steckt, kann das Cletes Kumpel schwerlich ignorieren. Das sorgt zwar für etwas Knatsch zwischen den beiden Freunden, aber im Kampf gegen das Verbrechen werden sie natürlich wieder zusammengeschweißt. Da bringt Burke Nazi-Verbrechen, Folter mit der Eisernen Jungfrau, mitgefilmte Schäferstündchen, die Varina mit ihren prominenten Gästen unterhielt, und Mafia-Killer mit ins Spiel, so dass es in dem knappen 700-Seiten-Wälzer nie langweilig wird. 
Burke nimmt sich wie gewohnt viel Zeit für die Charakterisierung seiner Figuren, überzeugt mit wunderbar knackigen Dialogen und erweist sich als Meister der Spannung und der Atmosphäre. „Die Tote im Eisblock“ wartet mit allen Finessen und Stärken auf, die ein literarisch anspruchsvoller Krimi nur in sich vereinen kann.  

Dan Simmons – „Fiesta in Havanna“

Freitag, 22. Juli 2022

(Goldmann, 574 S., Pb.) 
Dan Simmons hat seine Schriftsteller-Karriere mit von Beginn an preisgekrönten Werken im Bereich des Horror- und Science-Fiction-Genres begonnen, ehe er 1999 mit „The Crook Factory“ (dt. „Fiesta in Havanna“) nochmals sein Spektrum erweiterte und sein Faible für Geschichten entdeckte, die auf historisch verbürgten Ereignissen basieren. Lange vor seinen Bestsellern „Terror“, „Drood“ und „Der Berg“ entstand mit „Fiesta in Havanna“ ein packendes Spionage-Drama um Ernest Hemingway und prominenten Weggefährten wie dem späteren James-Bond-Autor Ian Fleming und den Schauspielern Marlene Dietrich, Gary Cooper und Ingrid Bergman
Ende April 1942 wird FBI-Special-Agent Joseph „Joe“ Lucas von Direktor J. Edgar Hoover zu sich ins Büro bestellt, offensichtlich weil er zu den wenigen der rund viertausend Special Agents zählt, die bereits Menschen getötet haben. Er wurde im legendären Camp X in der Nähe von Toronto am Ontariosee ausgebildet, wo überwiegend britische Guerillas und britische Spionageagenten – aber eben auch einige wenige FBI-Agenten – auf ihren weltweiten und meist gefährlicheren Einsatz vorbereitet wurden. Nun soll Lucas nach Kuba fliegen, um den vom berühmten Schriftsteller Ernest Hemingway ins Leben gerufenen Spionage-Abwehr-Ring zu infiltrieren. 
Offiziell wird Lucas als von der Botschaft eingesetzter Verbindungsmann zu Hemingway und seiner Geheimdienstorganisation fungieren, soll aber vor allem Hoover Bericht darüber erstatten, was für eine Person Hemingway wirklich ist, von dem gesagt wird, dass er den Kommunisten nahestehe. Lucas erhält Zugang zu der Finca, auf der Hemingway mit seiner dritten Frau Martha Gellhorn in der Nähe von Havanna lebt und stellt schnell fest, dass Hemingway ein waschechter Patriot ist, der ambitionierte Pläne verfolgt, die Japaner und vor allem die Nazis zu jagen. 
Seine sogenannte „Gaunerbande“ ist schnell zusammengestellt. Tatsächlich sticht Hemingways Boot, die „Pilar“ in See, um Jagd auf deutsche U-Boote zu machen, doch dabei decken sie auch einen Ring von Saboteuren auf. Zu diesem Zeitpunkt hat Lucas längst beschlossen, seinem undurchsichtigen Mittelsmann Delgado nur unvollständige Berichte für Hoover auszuhändigen. Statt sich um seine wahrscheinlich schon beendete FBI-Karriere zu kümmern, versucht Lucas mit Hemingway, abgefangene Nachrichten der Nazis zu decodieren und eine Invasion Kubas zu verhindern. Doch damit bringen sich beide Männer ins Lebensgefahr… 
„Was genau war meine Aufgabe? Natürlich Hemingway auszuspionieren. Festzustellen, was er mit seiner idiotischen Gaunerbande im Schilde führte, dem Direktor über Delgado Meldung zu machen und auf weitere Befehle zu warten. Ich sollte den Ratgeber, den Spionageabwehrexperten spielen. Aber sollte ich Hemingway und seinem Team Informationen zukommen lassen? Diesbezüglich hatte mir niemand Anweisungen gegeben. Offenbar war niemand auf die Idee gekommen, die Gaunerbande könnte auf echte Geheimdienstinformationen stoßen.“ (S. 161) 
Als Dan Simmons beschloss, eine fiktive Schilderung von Hemingways Spionageaktivtäten zu schreiben, fiel ihm auf, dass die Zeit zwischen Mai 1942 und April 1943 nur unzureichend dokumentiert war. Also sammelte Simmons alle relevanten Fakten, nahm reale Ereignisse, Geheimdienste und Personen und füllte die besagten Lücken mit spannender Fiktion. Viele Namen wie Ian Fleming und die eingangs erwähnten Hollywood-Schauspieler, mit denen Hemingway eine langjährige Freundschaft unterhielt und die regelmäßig Gast auf seine Finca waren, sind dem Leser natürlich sehr vertraut, aber sie in diesem Kontext wiederzufinden macht einfach Spaß. 
Simmons versteht es, eine komplexe Spionage-Geschichte zu konstruieren, die eines Jason Bourne oder James Bond zur Ehre gereichen, nur spielt diese Geschichte weitaus früher und verströmt eher die Atmosphäre eines Film noir – Femme fatale in Gestalt der Prostituierten Maria inklusive. 
Bei aller Komplexität nimmt sich Simmons jedoch auch viel Zeit für seine Figuren, wobei vor allem der Ich-Erzähler Lucas und natürlich Hemingway wunderbar charakterisiert werden. Allein die Dialoge zwischen den beiden Protagonisten machen „Fiesta in Havanna“ zu einem literarischen Highlight, aber Simmons gelingt es darüber hinaus, die von Paranoia und Kriegsangst geprägte Atmosphäre des gegenseitigen Misstrauens einzufangen – immer auch wieder mit amüsanten Seitenhieben auf das Establishment. So hebt sich „Fiesta in Havanna“ wunderbar von den üblichen Genre-Werken ab und darf als eines von Simmons Höhepunkten seines literarischen Schaffens gelten. 

 

Dean Koontz – (Jane Hawk: 5) „Sühne“

Mittwoch, 13. Juli 2022

(HarperCollins, 575 S., Tb.) 
In den 1980er Jahren avancierte Dean Koontz mit Romanen wie „Unheil über der Stadt“, „Zwielicht“, „Schwarzer Mond“, „Schattenfeuer“, „Mitternacht“ und „Tür ins Dunkel“ neben Stephen King, Clive Barker und Peter Straub zu einem der populärsten Vertreter im Horror-Genre. Es ist nicht nur ein Asteroid nach Dean Koontz benannt, sondern auch einige seiner Werke verfilmt worden (u.a. „Des Teufels Saat“, „Hideaway“, „Phantoms“, „Odd Thomas“). Mittlerweile ist Koontz hierzulande nicht mehr so prominent in den Bücherregalen vertreten, aber produktiv ist er wie eh und je. Zuletzt ist von ihm die Reihe um die ehemalige FBI-Agentin Jane Hawk erschienen, die nach „Suizid“, „Gehetzt“, „Gefürchtet“ und „Rache“ nun mit dem fünften Band „Sühne“ zu einem weitgehend überzeugenden Abschluss kommt. 
Nach dem unerklärlichen Selbstmord ihres Mannes Nick ist die FBI-Agentin einer ganzen Reihe von mysteriösen Selbstmorden auf die Spur gekommen, die nicht nur auf eine mächtige Verschwörung bis in höchste Regierungskreise hindeutete, sondern sie selbst bald zur gesuchtesten Person in den USA machte. Doch die zwangsläufig abtrünnige Agentin gibt nicht klein bei. 
Statt sich von der elitären Gruppe namens Arkadier vereinnahmen zu lassen, sagt sie der weit verzweigten, bestens vernetzten Organisation den Kampf an. Doch das ist aus dem Untergrund heraus schwieriger als geplant, denn in ihrem Plan, die USA nach ihren Vorstellungen umzugestalten, greifen die Arkadier auf Nano-Kontrollmechanismen zurück, die ihren Opfern den freien Willen rauben und sie zu „Angepassten“ machen, die alle Befehle ihrer Führer bedenkenlos ausführen. 
Als einer der Architekten der „größten Revolution der Geschichte“ lädt Wainwright Warwick Hollister den vielversprechenden Filmemacher Thomas Buckle auf sein fünftausend Hektar großes Anwesen auf der Hochebene von Denver ein, um vorgeblich mit ihm über ein neues Filmprojekt zu sprechen. Doch in Wirklichkeit steht Buckle auf einer sogenannten „Hamlet“-Liste, wo charismatische Persönlichkeiten aufgeführt sind, die die Kultur mit falschen Ideen beeinflussen könnten und deshalb ausgemerzt werden müssen. Buckle gelingt jedoch die Flucht bei der von Hollister angesetzten Jagd auf ihn und wird von einem Kriegsveteran mitgenommen, der Buckle die unglaubliche Geschichte über die Techno-Arkadier und ihre Methoden sogar abnimmt und ihm Unterschlupf gewährt. 
Währenddessen hat Jane tatkräftige Unterstützung von ihrem ehemaligen Kollegen Vikram Rangnekar erhalten, der als Hacker-Spezialist versucht, an die Liste mit Namen aller Arkadier zu gelangen und die Kontrollmechanismen auszuschalten. Auch Tom Buckle versucht durch schlichtes Überleben dazu beizutragen, Janes Mission zu unterstützen. 
„Manchmal qualifizierte ein Film sich als Kunst, weil er von Wahrheit handelte. Kunst war nur Kunst, wenn sie bleibende Wahrheiten verkündete; sonst war sie nur Schund oder Propaganda. Jetzt erschien Jane Hawk ihm als lebendige Kunst, die der Wahrheit so verpflichtet war, dass sie ihr Leben für sie riskierte.“ (S. 166) 
Allerdings wird für Jane Hawk die Mission nicht einfacher, als ein Mafia-Boss aus Vegas ihren Sohn Travis in ihre Gewalt bringt… 
Dean Koontz weiß spannende Geschichten in einer fesselnden Sprache zu erzählen. Auch wenn man die vorangegangenen vier Bände nicht gelesen hat, gelingt dem Autor mit der einführenden Episode des Zusammentreffens zwischen Hollister und Buckle eine gelungene Einführung in die Thematik rund um die Techno-Arkadier und ihre per Injektion verabreichten Nano-Kontrollmechanismen. 
Nachdem dieser Einstieg Hollisters Skrupellosigkeit unterstrichen hat, entwickelt sich die Jagd nach Jane Hawk zu einem Wettlauf gegen die Zeit. Leider verliert sich Koontz immer wieder in unnötigen Nebenhandlungen, führt zu viele Figuren ein, bläht so den Thriller unnötig auf und entwickelt die beiden Haupterzählstränge um Hollister und seine Anhänger auf der einen Seite und Jane mit ihren Verbündeten auf der anderen nicht immer kohärent weiter. 
Doch abgesehen von der holprigen Dramaturgie bietet „Sühne“ gehobene Thriller-Unterhaltung mit gut gezeichneten Figuren und interessanter, wenn auch nicht besonders origineller Thematik. 
Das vorhersehbare Finale fällt allerdings fast unspektakulär aus.  

Bella Mackie – „How to kill your family“

Dienstag, 5. Juli 2022

(Heyne Hardcore, 432 S., HC) 
Wie heißt es so schön: Seine Freunde kann man sich aussuchen, seine Familie nicht! Die britische Journalistin Bella Mackie („Vogue“, „Guardian“) erzählt in ihrem Romandebüt „How to kill your family“ die Geschichte einer Londoner Frau, die sich der kompromisslosen Ausmerzung ihrer Familie verschrieben hat. Als die 28-jährige Grace Bernard erfährt, dass ihre arme Mutter Marie sich wortwörtlich zu Tode schuften musste, weil ihr Vater, der schwerreiche Simon Artemis, die Affäre mit ihrer Mutter verschwiegen hatte und ihr nicht die notwendige Unterstützung beim Aufziehen ihrer gemeinsamen Tochter zukommen ließ, schmiedet sie einen teuflischen Plan: Der gesamte Artemis-Plan soll für das schändliche Ignorieren von Simons Vaterschaft mit dem Tod bezahlen. 
 
Den Anfang macht Grace mit ihren Großeltern Jeremy und Kathleen, die ihren Lebensabend in einer exklusiven Wohngegend in Marbella verbringen. Also fliegt Grace nach Marbella, leiht sich von ihrem Flug-Nachbarn Amir einen protzigen Hummer und rammt damit ihre Großeltern mühelos von der Straße. Während Kathleen beim Aufprall in der Schlucht gleich der Kopf abgetrennt wird, ist Jeremy noch so lange am Leben, dass Grace ihm mitteilen kann, warum er sterben musste. Er hatte nämlich Jeremys Ansinnen, für Maria und Grace zu sorgen, von vornherein abgelehnt. 
Für ihre weiteren Pläne sind allerdings aufwendigere Vorbereitungen nötig. Da treibt sich Grace in Sexclubs herum, um eine Vorrichtung zu installieren, mit dem sie Simons Bruder Lee ins Jenseits befördern kann, und erfährt von einem exotischen Froschsekret, mit dem Lees Sohn Andrew in seiner Funktion als Naturschützer experimentiert. Während sich Grace allmählich durch den Artemis-Clan mordet, wird sie allerdings ausgerechnet für einen Mord angeklagt und verurteilt, den sie nicht begangen hat. Cora, die Verlobte ihres besten Freundes Jimmy, wurde nämlich nicht von Grace von der Balkonbrüstung in die Tiefe geschubst, sondern ist durch eigenes Verschulden zu Tode gekommen. Während sie im Gefängnis von Limehouse auf das Ergebnis ihres Berufungsverfahrens wartet und ihre nervige Zellennachbarin Kelly ertragen muss, lässt Grace ihre Geschichte Revue passieren… 
„Im Verlauf meiner Bemühungen, die Welt von dieser schrecklichen Familie zu erlösen, musste meine Würde einiges einstecken. Das Resultat würde das alles wert sein, da hatte ich keine Zweifel. Aber in Marbella rumhängen, in einem Umweltzentrum Unkraut ausrupfen und jetzt auch noch mit meinem Onkel über Sex reden … das waren echte Herausforderungen.“ (S. 155) 
Eventuell inspiriert von Israel Ranks „Autobiographie eines Serienkillers“, der im edwardianischen England seine Familie aus Rache ermordet hat, schickt Bella Mackie ihre 28-jährige Ich-Erzählerin Grace los, es ihm in der heutigen Zeit nachzutun. Akribisch beschreibt die Protagonistin nicht nur, wie sie die einzelnen Morde an ihren kaum bekannten Familienmitgliedern plant und ausführt, sondern gibt dazu auch sarkastische Kommentare zum Lifestyle neureicher Nichtsnutze, skrupelloser Geschäftemacher und verblödeter Influencer zum Besten. Dabei zeichnet sich allerdings weder eine Spannungskurve noch eine persönliche Entwicklung der nicht unbedingt sympathischen Serienkillerin ab, weshalb die Geschichte von „How to kill your family“ recht schnell ihren Reiz verliert. 
Die ungewöhnlichsten Rollenspiele und Tötungsszenarien sind teilweise recht amüsant zu lesen, aber eine besondere Raffinesse kommt dabei nicht zum Ausdruck, und erst am Ende wird der Story noch eine interessante Perspektive hinzugefügt, die immerhin für einen netten Überraschungseffekt sorgt. Doch insgesamt wird der Inhalt der außerordentlich gelungenen, aufmerksamkeitsheischenden Verpackung nicht gerecht.  

John Katzenbach – „Die Komplizen“

Freitag, 1. Juli 2022

(Droemer, 622 S., Pb.) 
Als Sohn einer Psychoanalytikerin und des ehemaligen US-Justizministers Nicholas Katzenbach hat John Katzenbach die Voraussetzungen für eine spätere Karriere als international erfolgreicher Thriller-Autor quasi in die Wiege gelegt bekommen. Einen weiteren bedeutenden Baustein hat er durch seine Tätigkeit als Gerichtsreporter erworben. Gleich sein erster, 1982 veröffentlichter Thriller „In the Heat of the Summer“ wurde 1985 mit Kurt Russell unter dem Titel „Das mörderische Paradies“ verfilmt und 1988 erstmals auf Deutsch veröffentlicht. Seither veröffentlicht Katzenbach regelmäßig Bestseller, die weitere Vorlagen für Filme wie „Im Sumpf des Verbrechens“ und „Das Tribunal“ boten und auch hierzulande eine große Lesergemeinde für sich gewinnen konnten. 
Allerdings konnte der US-Amerikaner nicht immer die hohe Qualität von Thrillern wie „Die Anstalt“ und „Der Patient“ aufrechterhalten. Teilweise wirken die Plots zu konstruiert, dann schleichen sich allzu viele Längen ein, und die Figurenzeichnung ist nicht so sorgfältig, wie es Katzenbachs Vorkenntnisse nahelegen würden. Mit seinem neuen Roman „Die Komplizen“ nimmt uns der Autor auf die dunklen Seiten des Internets, in dem auf einmal für eine ganze Reihe von Protagonisten tödliche Gefahren lauern. 
Ein im Darknet kursierender Chatroom, dessen fünf anonyme Mitglieder sich einfach als Alpha, Bravo, Charlie, Delta und Easy bezeichnen und ihren virtuellen Treffpunkt nach ihrem berühmten Vorbild Jack the Ripper „Jack’s Boys“ nennen, tauschen sich gerade über neueste Erkenntnisse zur Erkennung von Fingerabdrücken aus, als sie die Nachricht erhalten, dass ein User namens Socgoal02 dem Chat beigetreten ist. Doch der Unbekannte belässt es nicht nur bei dem unbefugten Eintreten in die an sich streng gesicherte Privatsphäre der hier versammelten Serienkiller, sondern macht sich auch noch über ihr krankes Verhalten lustig. 
Dabei sucht der Collegestudent Connor Mitchell, der seine Freizeit vorzugsweise als Torwart einer Fußballmannschaft und mit seiner Freundin Niki Templeton verbringt, in den Tiefen des Internets eigentlich nur nach Spuren des Mannes, der vor Jahren als betrunkener Autofahrer den Unfalltod seiner Eltern verursacht hat. Jack’s Boys kennen in dieser Hinsicht allerdings keinen Spaß und finden schnell heraus, wer sich hinter dem großmäuligen Eindringling verbirgt. Schon hecken sie einen minutiösen Plan aus, wie sie sowohl Socgoal02 und seine zwei Häuser weiter wohnende Freundin, eventuell auch deren Alt-Hippie-Eltern und Socgoal02s Großeltern töten können. Der zur Ausübung der Tat auserkorene Bravo schafft es zwar, das junge Paar zu überrumpeln, zu fesseln und Niki einen tödlichen Medikamenten-Cocktail zu verabreichen, doch dann betritt Connors Großvater gerade noch rechtzeitig die Szenerie. Der ehemalige Marine löscht das Leben des Eindringlings mit drei Schüssen aus seiner Magnum aus und lässt seine Kameraden, die das Geschehen per Videokamera verfolgten, entsetzt zurück. Zu allem Überfluss wird auch noch Easy, der die Aktion vor Ort vorbereitet hat, verhaftet, nachdem er im Motel mit der Kreditkarte eines seiner Opfer bezahlen wollte. 
Während die Polizei anschließend im Dunkeln tappt, da Connor und Niki nur einen Teil der Geschichte erzählt haben, treffen Connor, Niki und Ross Vorbereitungen, sich nicht noch einmal so überrumpeln zu lassen, denn ihnen ist schmerzlich bewusst, dass sie nur vorläufig mit dem Leben davongekommen sind. 
„In diesem Moment wäre Alpha am liebsten ein wild um sich schießender Selbstmordattentäter gewesen. Texas Tower. Columbine. Las Vegas. Ein Amokläufer an einer Schule mit einem Manifest. Ein verdrossener, gut bewaffneter Angestellter, der über den Laden herfällt, der ihn gefeuert hat. Oder ein religiöser Fanatiker, von dem Gedanken besessen: Jesus will, dass ich alle töte. Oder Allah. Welcher Gott gerade zupasskommt.“ (S. 331) 
Für „Die Komplizen“ hat Katzenbach an sich einen interessanten Plot entwickelt, der zum einen die allseits lauernden Gefahren thematisiert, die im Internet potentiell die Identität all jener bedrohen, die sich dort bewegen, zum anderen einen von seiner Anonymität geprägten Killer-Club ins Spiel bringt, deren Mitglieder in „Jack’s Special Place“ ihren belanglosen Alltag vergessen und sich den besonderen Kick verschaffen können. 
Katzenbach wechselt immer wieder die Perspektiven zwischen den einzelnen bzw. immer wieder miteinander vernetzten Killern und ihren vermeintlichen Opfern, wobei Nikis Eltern nahezu außen vor bleiben und der Fokus immer wieder zwischen Connor und Niki, dem im Oktober von Depressionen geplagten Vietnam-Veteran Ross und seiner Frau, der Krankenschwester Kate, wechselt. Allerdings krankt der umfangreiche Thriller nicht nur an Längen (von denen Katzenbachs Lektor offensichtlich schon einige entfernt hat, wie der Autor in seiner Danksagung erwähnt), sondern an der kaum überzeugenden Charakterisierung gerade der Killer. Vor allem die ständig eingeflochtenen Monologe und teilweise auch die Dialoge wirken so banal und gestelzt, dass die Figuren wie Karikaturen von Killern wirken. Auf der anderen Seite stellen Connor, Niki und ihre jeweiligen Familien natürlich die Sympathieträger dar, die in Todesgefahr über sich hinauswachsen. Bei der Konfrontation zwischen Jack’s Boys und ihren Opfern sorgt Katzenbach zwar für Spannung, überspannt aber immer wieder den Bogen der Glaubwürdigkeit, was vor allem im Finale deutlich zum Ausdruck kommt.  

Laure van Rensburg – „Nur du und ich“

Donnerstag, 30. Juni 2022

(Ullstein, 384 S., Pb.) 
Seit im Zuge des im Oktober 2017 veröffentlichten Missbrauchsskandals um den einflussreichen Hollywood-Produzent Harvey Weinstein die #metoo-Bewegung auf das Ausmaß sexueller Belästigung und Übergriffe aufmerksam machte, ist das Thema nicht nur weitgehend im Feuilleton der Medien, sondern ist längst auch in Filmen und Büchern abgehandelt worden. Insofern entspricht der Debütroman der gebürtigen Französin, in London lebenden Laure van Rensburg den Zeitgeist. Ein großer Wurf ist ihr mit dem Psychothriller, mit dem die Autorin ihre eigenen Erfahrungen mit dem Thema verarbeitet hat, aber nicht gelungen. 
Der renommierte Literaturprofessor Steven und die Collegestudentin Ellie sind seit sechs Monaten ein Paar, weshalb Ellie zu ihrem kleinen Jubiläum ein abgelegenes Haus in Chesapeake Bay fürs Wochenende gemietet hat. Es soll ihre erste, aber unvergessliche Reise zusammen sein, ihr erstes gemeinsames Wochenende nur zu zweit. Ellie hat Dostojewskis „Die Dämonen“ in der Hoffnung mit eingepackt, etwas Zeit zum Lesen und so Material für das Essay über den russischen Dramatiker zu finden. Steven denkt vor allem an hemmungslosen Sex, wird aber durch nervende SMS seiner ehemaligen Liebschaft J. abgelenkt. 
Steven ist der Sohn des berühmten Stewart Harding, aus dessen Schatten er nie heraustreten wird können, und hat während seiner akademischen Karriere immer wieder die Colleges wechseln müssen, wartet nach wie vor auf den erhofften Karrieresprung und eine Festanstellung an einer renommierten Universität. Das häufige Wechseln seiner Dozentenstellen ermöglichte Steven allerdings, die lockeren Affären mit seinen Studentinnen unkompliziert beenden zu können. Erst mit Ellie hat er eine erste ernsthafte Beziehung begonnen, die an diesem Wochenende gefestigt werden soll. Von der eisigen Kälte und dem Schnee lassen sie sich nicht die Laune verderben, auch wenn die geplanten Spaziergänge am Strand dadurch ins Wasser fallen. Schließlich kann man die Zeit vor dem kuschelig warmen Kamin auch auf genussvolle Weise verbringen. 
Doch nach ein paar Drinks am Abend wird Steven ohnmächtig und wacht an einen Rollstuhl gefesselt wieder auf. Zunächst glaubt er, dass ein Außerstehender Steven und Ellie in seine Gewalt gebracht hat, vielleicht der rothaarige Mann, den er mal mit Ellie zusammen gesehen hat. Dass Ellie für dieses Theater verantwortlich sein soll, kann er sich zunächst nicht vorstellen, doch dann konfrontiert sie ihn sukzessive mit seinen bisherigen Verfehlungen, von denen Ellie letztlich auch betroffen worden war… 
„Trotz der Drogen und Fesseln fühlt er sich immer noch sicher und wiegt sich in dem Glauben, dass er mich kennt, dass ich keine Bedrohung darstelle. Ich bin doch Ellie, seine schüchterne Freundin, das Mädchen, das rot wird, wenn er Komplimente macht, das Mädchen, das ihm immer seinen Willen lässt, bei dem sich alles um ihn dreht. Die harmlose, durchschaubare Ellie, über die man nicht länger nachdenken muss. Er ist so arglos, so geblendet vom Glanz seiner Selbstsicherheit, dass er sich nicht mal gefragt hat, woher zum Teufel dieser Rollstuhl kommt.“ 
Wie Laure van Rensburg in ihren ausführlicher Danksagung am Ende ausführt, ist „Nur du und ich“ von eigenen Erfahrungen unsittlicher Übergriffe geprägt, doch stellt ihr Debütroman alles andere als einen wertvollen Beitrag zur anhaltenden #metoo-Debatte dar. Indem sie das Thema auf einen reißerischen Psycho-Thriller mit unsympathischen wie unglaubwürdigen Figuren heruntergebrochen hat, fügt sie der Diskussion um die weithin auch strukturelle Diskriminierung von Frauen keinen gewinnbringenden Beitrag hinzu. 
Dabei lässt sie Ellie geschickt als Ich-Erzählerin auftreten, während Stevens Perspektive in der dritten Person geschildert wird. Die beabsichtige Identifizierung des Lesers bzw. vor allem der Leserin mit Ellie funktioniert allerdings nicht, da sehr schnell deutlich wird, dass Ellie nur noch von zerstörerischer Rache getrieben ist, die in ihren Mitteln vor nichts zurückschreckt. 
Auf der anderen Seite ist Steven ein echtes Klischee-Arschloch, der erst durch Ellie mit seinen früheren Verfehlungen konfrontiert wird. Die Entwicklung der Beziehung ist ebenso unglaubwürdig gezeichnet wie die obligatorische Wendung zum Ende des ersten Tages. Danach wird aus den jeweiligen Erinnerungen von Steven und Ellie die eigentliche Struktur ihrer Beziehung charakterisiert. 
Indem „Nur du und ich“ zunehmend zum effektheischenden Selbstjustiz-Drama wird, verliert das eigentlich dominierende Diskriminierungs-Thema merklich an Bedeutung. Da hilft auch das Mittel nicht weiter, neben Steven und Ellie eine dritte – zunächst namenlose – Person von ihrer enttäuschten Liebe zu Steven einzubringen. 
Natürlich steht weder außer Frage, dass Steven die oft noch minderjährigen Studentinnen missbraucht hat, noch dass die Diskussion über Gewalt gegenüber Frauen jeglicher Art nicht aus der Öffentlichkeit verschwinden darf, bis das Problem gelöst ist, aber für eine überzeugende Thematisierung in einem Psycho-Thriller gehört weit mehr als ein unglaubwürdig konstruiertes Duell zwischen schwach gezeichneten Charakteren.  

Paul Auster – „Die Musik des Zufalls“

Samstag, 25. Juni 2022

(Rowohlt, 254 S., HC) 
Bereits in seinem vorangegangenen Roman „Mond über Manhattan“ ließ Paul Auster einen jungen Protagonisten namens Marco Stanley Fogg auf eine Sinnsuche von wortwörtlicher existentieller Bedeutung gehen, wobei ihm eine Erbschaft nicht davor bewahrt, das Schicksal eines Obdachlosen zu teilen. Eine ganz ähnliche Geschichte erzählt der preisgekrönte US-amerikanische Schriftsteller in seinem 1990 veröffentlichten Roman „The Music of Chance“. Hier ist es ein Feuerwehrmann, der nach einer Erbschaft auf Reisen geht und dessen Leben durch die zufällige Bekanntschaft mit einem jungen Pokerspieler eine unerwartete Wendung nimmt.
Jim Nashe war Buchverkäufer, Möbelpacker, Barkeeper und Taxifahrer, bis er durch einen seiner Fahrgäste auf die Möglichkeit angesprochen wurde, eine Prüfung zum Feuerwehrmann abzulegen. Nach sieben Jahren bei der Feuerwehr in Boston erhält Nashe die überraschende Nachricht, dass er von seinem Vater, zu dem er seit seiner Kindheit keinen Kontakt mehr hatte, 200.000 Dollar geerbt hat. 
Da seine Frau ihn verlassen hat und er seine Tochter zu Verwandten geben musste, hält ihn nichts mehr in der Stadt. Er kündigt seinen Job, kauft sich einen nagelneuen Saab und ein paar Kassetten mit Musik von Haydn und Mozart und macht sich nur mit einem Koffer im Gepäck auf eine ziellose Reise durch die USA, genießt die Freiheit, erst am Abend vom jeweiligen Motel aus die Route für den kommenden Tag zu planen. Er besucht das Grab seines Vaters, lässt es sich Miami neun Tage lang am Swimming Pool gutgehen, stürzt sich vier Tage lang in die Spielhöllen von Las Vegas, trifft sich mit der Journalistin Fiona, die einst einen Artikel über seine Arbeit als Feuerwehrmann geschrieben hatte, und beginnt eine Affäre mit ihr, reist aber weiter zum Geburtstag seiner Tochter Juliette, statt Fiona einen Heiratsantrag zu machen. 
Als er zu ihr zurückkehrt, ist sie anderweitig vergeben. Nach einem Jahr des ziellosen Herumreisens sind Nashes Geldreserven spürbar geschrumpft. Da nimmt er den offensichtlich verprügelten Jack „Jackpot“ Pozzi als Anhalter mit. Der vielleicht zwei- oder dreiundzwanzigjährige junge Mann stellt sich als Pokerspieler vor, der an neun von zehn Abenden als Sieger den Tisch verlässt, doch nun wurde er nach einem an sich erfolgreichen Abend überfallen und niedergeschlagen. 
Nashe bietet ihm an, ihm seine verbliebenen 14.000 Dollar als Startkapital für eine Partie mit zwei Millionären zur Verfügung zu stellen. Wie sich herausstellt, haben die beiden Exzentriker Flower und Stone mittlerweile aber Unterricht bei einem alternden Poker-Profi genommen und lassen sich nicht so leicht ausnehmen wie zunächst angenommen. Tatsächlich verschuldet sich Pozzi sogar um 10.000 Dollar, die Nashe und sein neuer Freund auf ungewöhnliche Weise abzahlen müssen… 
„In der Nacht des Pokerspiels hatte er Pozzi bis zum äußersten geholfen, war über jede vernünftige Grenze hinausgegangen, und mochte er sich dabei auch ruiniert haben, so hatte er doch immerhin einen Freund gewonnen. Und dieser Freund schien jetzt bereit, alles für ihn zu tun, selbst wenn das hieß, die nächsten fünfzig Tage auf einer gottverdammten Wiese zu leben und sich abzurackern wie ein zu Zwangsarbeit verurteilter Sträfling.“ (S. 151) 
Von Paul Auster ist die Geschichte überliefert, dass er im Alter von vierzehn Jahren miterlebt hat, wie einer seiner Freunde von einem Blitz erschlagen wurde, was ihn in der Überzeugung bestärkte, wie sehr das Leben doch von Zufällen geprägt werde. Diese Einstellung zieht sich auch bei „Die Musik des Zufalls“ wie ein roter Faden durch die Geschichte. Wie wäre Nashes Leben wohl verlaufen, wenn der Anwalt seines Vaters nicht sechs Monate gebraucht hätte, um seinen einzigen Sohn aufzuspüren? Welchen Weg hätte es genommen, wenn er bei Fiona geblieben und sie geheiratet hätte? 
Bei der Ziellosigkeit, mit der der 32-jährige Nashe durch die Staaten reist, muss es auch ein Zufall sein, dass er einen abgebrannten Pokerspieler kennenlernt und mit ihm die beiden exzentrischen Millionäre Flower und Stone, die ebenso wie Nashe durch eine Erbschaft ein neues Leben begonnen haben. Bis zur schicksalhaften Begegnung mit Pozzi erzählt Auster eine recht gewöhnliche Geschichte eines Mannes, der sich die Freiheit nimmt, mit dem unerwarteten Geldsegen einfach das zu tun, wonach ihm gerade der Sinn steht. Doch als das Geld nach einem Jahr zur Neige geht, steht die Entscheidung an, wie er zukünftig seinen Lebensunterhalt verdienen will. 
Die auch in finanzieller Hinsicht vielversprechende Freundschaft mit Pozzi bietet aber nur scheinbar einen Ausweg. Sobald Nashe und Pozzi den Palast der ungleichen Millionäre betreten, gerät ihre Welt aus den Fugen und nimmt jene phantastischen Züge an, die man von Austers Büchern schon gewohnt ist. Lässt man sich erst einmal auf die unwahrscheinliche wie kurze Geschichte ein, erlebt man ein furioses, fast schon märchenhaftes literarisches Abenteuer mit allerlei sympathischen wie skurrilen Figuren. 

 

Dan Simmons – „Die Feuer von Eden“

Sonntag, 19. Juni 2022

(Goldmann, 444 S, Tb.) 
Mit seinen ersten drei Romanen „Song of Kali“, „Carrion Comfort“ („Kraft des Bösen“) und „Hyperion“ avancierte Dan Simmons Ende der 1980er in den USA, mit den nachfolgenden deutschen Übersetzungen Anfang der 1990er Jahre auch hierzulande zu einem ernstzunehmenden Horror- (und Science-Fiction-)Schriftsteller, der in einem Atemzug mit seinem Bewunderer Stephen King („Dan Simmons schreibt wie ein Gott… Ich kann kaum sagen, wie sehr ich ihn beneide.“) und Kollegen wie Clive Barker, Peter Straub und Dean Koontz genannt wurde. Während die meisten von Dan Simmons‘ Werken in Deutschland vom Heyne Verlag verlegt werden, bildete „Die Feuer von Eden“ 1997 den Auftakt seines Intermezzos bei Goldmann, wo wenig später auch der Abschluss seiner „Hyperion“-Quadrologie mit den beiden „Endymion“-Bänden und die beiden Thriller „Fiesta in Havanna“ und „Das Schlangenhaupt“ erschienen. 
Der 38-jährige US-amerikanische Immobilien-Milliardär Byron „Big T.“ Trumbo versucht, den Zusammenbruch seines Imperiums aufzuhalten, indem er seine ebenso riesige wie defizitäre Ferienanlage auf Hawaii an den japanischen Milliardär Hiroshe Sato verkauft, der dort ein exklusives Golf-Resort errichten will. Doch die Verhandlungen stehen unter einem schlechten Stern, denn nach bereits sechs spurlos verschwundenen Gästen von Trumbos „Mauna Pele“-Ferienhotel werden nun drei weitere Golfer vermisst. 
Trumbo veranlasst seinen dortigen Hotelmanager, Stephen Ridell Carter, den Vorfall wenigstens vierundzwanzig Stunden lang nicht zu melden. Während Trumbo von New York aus seine japanischen Gäste nun direkt nach Hawaii auf seine Ferienanlage fliegen lässt, um die Verhandlungen abzukürzen, häufen sich die beunruhigenden Nachrichten. Dazu zählt der gleichzeitige Ausbruch zweier Vulkane, die Freilassung des hawaiischen Separatisten Jimmy Kahekili und die Ankündigung, dass nicht nur Trumbos gierige Ex-Frau Caitlin mit ihrem Anwalt, sondern auch seine beiden Geliebten Maya und Bicki unabhängig voneinander das „Mauna Pele“ aufsuchen wollen. Unter den wenigen Gästen der Ferienanlage befindet sich die Collegeprofessorin Dr. Eleanor Perry, die einem Geheimnis ihrer Tante Lorena „Kiddie“ Stewart nachspüren will. 
In ihren Tagebüchern schreibt sie von geheimnisvollen Dingen, die sie 1886 während ihrer Reise nach Hawaii in Begleitung des Reiseschriftstellers Samuel Clemens alias Mark Twain erlebt hat. Eleanor freundet sich mit der krebskranken Cordie Stumpf an und wird tiefer in die Mythologie der Insel eingeführt, als sie sich je erträumt hat. Dass sie kurz nach ihrer Ankunft in dem Ferienresort einem schwarzen Hund mit menschlichen Zähnen und einer Hand im Maul begegnen, ist nur der Anfang einer Kette von zutiefst verstörenden Ereignissen… 
„Mr. Clemens zog sich höher hinauf, so dass ich ihn nicht mehr sehen konnte. Einen Moment lang war ich allein mit den leuchtenden Geistern, die mir hierhergefolgt waren, unter ihnen auch der Eingeborene Kaluna, dessen trauriges Gesicht die einzige Regung zeigte, die ich im Geisterreich von Milu gesehen hatte. Plötzlich begann mein Puls zu rasen, und ich wirbelte herum, so als hätte sich etwas in den Schatten bewegt. Bilder von Pana-ewa tauchten vor meinem geistigen Auge auf, aber dort im Lavatunnel war keine Echse, kein Wesen aus Nacht und Nebel.“ (S. 373)
Dan Simmons fackelt mit „Die Feuer von Eden“ ein wahres literarisches Feuerwerk ab. Ähnlich wie in seinen zuletzt erschienenen semidokumentarischen Dramen „Terror“, „Der Berg“ und „Drood“ nimmt der Autor eine historische, vielmehr literarische Fußnote – in diesem Fall Mark Twains 25 „Briefe von den Sandwich Inseln“ (1866) sowie Werke, die sich mit der Mythologie der Vulkaninsel Hawaii auseinandersetzen - als Ausgangspunkt für ein Horror-Drama, das den Leser immer tiefer in die Welt der haole-Geister, des Kampfes zwischen dem in Gestalt eines Ebers auftretenden Kamapua’a und der Göttin Pele hineinzieht. 
Geschickt verwebt Simmons die aktuellen Ereignisse, die sich um die millionenschweren Verhandlungen um „Mauna Pele“ drehen und immer mehr Opfer hervorbringen, mit den Ereignissen, die in Tante Kiddies Tagebüchern beschrieben werden. Simmons gelingt es nicht nur, die uns so fremdartig erscheinende Mythologie der Hawaiianer lebendig vor Augen zu führen, sondern vor allem mit Trumbo, Elizabeth und Cordie drei interessante Figuren in den Mittelpunkt zu stellen, die wunderbar charakterisiert und jeweils mit einer ganz eigenen Art von Humor ausgestattet worden sind. Die Mischung aus Abenteuer-, Horror- und Katastrophen-Thriller macht „Die Feuer von Eden“ zu einem ebenso vergnüglichen wie nervenaufreibenden Werk, das innerhalb von Simmons‘ Oeuvre leider viel zu wenig bekannt ist.