(Rowohlt, 254 S., HC)
Bereits in seinem vorangegangenen Roman „Mond über Manhattan“ ließ Paul Auster einen jungen Protagonisten namens Marco Stanley Fogg auf eine Sinnsuche von wortwörtlicher existentieller Bedeutung gehen, wobei ihm eine Erbschaft nicht davor bewahrt, das Schicksal eines Obdachlosen zu teilen. Eine ganz ähnliche Geschichte erzählt der preisgekrönte US-amerikanische Schriftsteller in seinem 1990 veröffentlichten Roman „The Music of Chance“. Hier ist es ein Feuerwehrmann, der nach einer Erbschaft auf Reisen geht und dessen Leben durch die zufällige Bekanntschaft mit einem jungen Pokerspieler eine unerwartete Wendung nimmt.
Jim Nashe war Buchverkäufer, Möbelpacker, Barkeeper und Taxifahrer, bis er durch einen seiner Fahrgäste auf die Möglichkeit angesprochen wurde, eine Prüfung zum Feuerwehrmann abzulegen. Nach sieben Jahren bei der Feuerwehr in Boston erhält Nashe die überraschende Nachricht, dass er von seinem Vater, zu dem er seit seiner Kindheit keinen Kontakt mehr hatte, 200.000 Dollar geerbt hat.
Da seine Frau ihn verlassen hat und er seine Tochter zu Verwandten geben musste, hält ihn nichts mehr in der Stadt. Er kündigt seinen Job, kauft sich einen nagelneuen Saab und ein paar Kassetten mit Musik von Haydn und Mozart und macht sich nur mit einem Koffer im Gepäck auf eine ziellose Reise durch die USA, genießt die Freiheit, erst am Abend vom jeweiligen Motel aus die Route für den kommenden Tag zu planen. Er besucht das Grab seines Vaters, lässt es sich Miami neun Tage lang am Swimming Pool gutgehen, stürzt sich vier Tage lang in die Spielhöllen von Las Vegas, trifft sich mit der Journalistin Fiona, die einst einen Artikel über seine Arbeit als Feuerwehrmann geschrieben hatte, und beginnt eine Affäre mit ihr, reist aber weiter zum Geburtstag seiner Tochter Juliette, statt Fiona einen Heiratsantrag zu machen.
Als er zu ihr zurückkehrt, ist sie anderweitig vergeben. Nach einem Jahr des ziellosen Herumreisens sind Nashes Geldreserven spürbar geschrumpft. Da nimmt er den offensichtlich verprügelten Jack „Jackpot“ Pozzi als Anhalter mit. Der vielleicht zwei- oder dreiundzwanzigjährige junge Mann stellt sich als Pokerspieler vor, der an neun von zehn Abenden als Sieger den Tisch verlässt, doch nun wurde er nach einem an sich erfolgreichen Abend überfallen und niedergeschlagen.
Nashe bietet ihm an, ihm seine verbliebenen 14.000 Dollar als Startkapital für eine Partie mit zwei Millionären zur Verfügung zu stellen. Wie sich herausstellt, haben die beiden Exzentriker Flower und Stone mittlerweile aber Unterricht bei einem alternden Poker-Profi genommen und lassen sich nicht so leicht ausnehmen wie zunächst angenommen. Tatsächlich verschuldet sich Pozzi sogar um 10.000 Dollar, die Nashe und sein neuer Freund auf ungewöhnliche Weise abzahlen müssen…
„In der Nacht des Pokerspiels hatte er Pozzi bis zum äußersten geholfen, war über jede vernünftige Grenze hinausgegangen, und mochte er sich dabei auch ruiniert haben, so hatte er doch immerhin einen Freund gewonnen. Und dieser Freund schien jetzt bereit, alles für ihn zu tun, selbst wenn das hieß, die nächsten fünfzig Tage auf einer gottverdammten Wiese zu leben und sich abzurackern wie ein zu Zwangsarbeit verurteilter Sträfling.“ (S. 151)
Von Paul Auster ist die Geschichte überliefert, dass er im Alter von vierzehn Jahren miterlebt hat, wie einer seiner Freunde von einem Blitz erschlagen wurde, was ihn in der Überzeugung bestärkte, wie sehr das Leben doch von Zufällen geprägt werde. Diese Einstellung zieht sich auch bei „Die Musik des Zufalls“ wie ein roter Faden durch die Geschichte. Wie wäre Nashes Leben wohl verlaufen, wenn der Anwalt seines Vaters nicht sechs Monate gebraucht hätte, um seinen einzigen Sohn aufzuspüren? Welchen Weg hätte es genommen, wenn er bei Fiona geblieben und sie geheiratet hätte?
Bei der Ziellosigkeit, mit der der 32-jährige Nashe durch die Staaten reist, muss es auch ein Zufall sein, dass er einen abgebrannten Pokerspieler kennenlernt und mit ihm die beiden exzentrischen Millionäre Flower und Stone, die ebenso wie Nashe durch eine Erbschaft ein neues Leben begonnen haben. Bis zur schicksalhaften Begegnung mit Pozzi erzählt Auster eine recht gewöhnliche Geschichte eines Mannes, der sich die Freiheit nimmt, mit dem unerwarteten Geldsegen einfach das zu tun, wonach ihm gerade der Sinn steht. Doch als das Geld nach einem Jahr zur Neige geht, steht die Entscheidung an, wie er zukünftig seinen Lebensunterhalt verdienen will.
Die auch in finanzieller Hinsicht vielversprechende Freundschaft mit Pozzi bietet aber nur scheinbar einen Ausweg. Sobald Nashe und Pozzi den Palast der ungleichen Millionäre betreten, gerät ihre Welt aus den Fugen und nimmt jene phantastischen Züge an, die man von Austers Büchern schon gewohnt ist. Lässt man sich erst einmal auf die unwahrscheinliche wie kurze Geschichte ein, erlebt man ein furioses, fast schon märchenhaftes literarisches Abenteuer mit allerlei sympathischen wie skurrilen Figuren.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen