Peter Straub – „Der Hauch des Drachen“

Freitag, 3. Juni 2022

(Bastei Lübbe, 702 S., Tb.) 
Von der allmächtigen Präsenz seines berühmten Kollegen Stephen King überschattet, gelang es Peter Straub leider nie so recht, auch hierzulande ordentlich Fuß zu fassen. Dabei bewies er bereits mit seinen ersten Horrorromanen „Geisterstunde“ und „Schattenland“, dass er zu den echten Größen des Genres zählt. Diese Qualität konnte er in vielen seiner nachfolgenden Werke leider nicht aufrechterhalten, aber die erfolgreiche Zusammenarbeit mit Stephen King an „Der Talisman“ machte durchaus deutlich, dass beide Schriftsteller in der gleichen Liga spielen. Noch vor „Der Talisman“ (1984) erschien 1982 mit „Der Hauch des Drachen“ Peter Straubs bis dato epischstes Werk, dessen billig aufgemachte Taschenbuch-Erstauflage bei Bastei Lübbe darüber hinwegtäuscht, dass Straub hier einen fesselnden und stilistisch anspruchsvollen Horror-Roman vorgelegt hat. 
Nach zwölf Jahren, in denen sie in London gelebt haben, beziehen Richard Allbee, ehemaliger Kinderstar der Fernsehserie „Daddy’s Here“, und seine Frau Laura im Mai 1980 ein Mietshaus in Hampstead. Richard hatte ebenso Vorfahren im Patchin County wie Clark Smithfield, der zwei Wochen zuvor mit seiner Frau und seinem Sohn Tabby in ein altes Haus im Kolonialstil in der Hermitage Road eingezogen war. Währenddessen arbeitet der Schriftsteller Graham Williams verzweifelt an seinem neuen Roman, Patsy McCloud verbringt ihre Zeit mit der Lektüre von „War and Rememberance“, und Leo Friedgood befindet sich auf der Interstate 95 nach Woodville, wo er dem Werk von Telpro einen Besuch abstattet. Dort erfährt er, dass ein Gas mit dem Codenamen DRG-16 in großen Mengen ausgetreten sei. Leos Frau Stony angelt sich derweil in einer Bar einen neuen Liebhaber, die Journalistin Sarah Spry schreibt an ihrer Kolumne für die „Hampstead Gazette“. 
Hampstead ist eine relativ junge Stadt. Ihre Wurzeln liegen in den Familien Williams, Smith, Green und Taylor, die 1640 am Beachside Trail siedelten. Fünf Jahre darauf stieß ein Mann namens Gideon Winter hinzu, der sich wegen seiner Rücksichtslosigkeit bald den Namen „Drachen“ einhandelte. Zwei Jahre nach seiner Ankunft raffte eine schreckliche Missernte fast alles Vieh dahin, wenig später waren nahezu alle Kinder tot. Über die Jahre war Hampstead immer wieder von Gewaltausbrüchen heimgesucht worden, die sich ziemlich genau alle dreißig Jahre wiederholen. Auf den Schwingen der sich über Hampstead ausbreitenden tödlichen Gaswolke wird das Böse in der Stadt auf grausame Weise erneut entfesselt. Kinder und Jugendliche ertränken sich im Meer, Herzinfarkte raffen nicht nur ältere Menschen dahin. Die Nachfahren der vier ursprünglichen Familien sind nun wieder allesamt in Hampstead versammelt, so wie Gideon Winter 1924 in der Gestalt des Hummerfischers Bates Krell ebenfalls zurückgekommen zu sein schien, nun hat der Arzt Dr. Van Horne diese Rolle übernommen und bringt die Frauen der Gemeinde um. Williams, McCloud, Allbee und dem jungen Tabby bleibt nicht viel Zeit, um dem „Drachen“ zu zerstören. 
„Das Wesen, das einst Dr. Van Horne war, saß in seinem abgedunkelten Wohnzimmer und schaute in den alten Spiegel, den der Arzt gekauft hatte. Was er in dem Spiegel sah, waren Szenen der Zerstörung und des Ruins – rauchende Trümmer und die Reste zerborstener Wände – die zeitlosen Szenen der Vernichtung. Aufgerissene Straßen, die sich zu unpassierbaren Haufen von Betonbrocken getürmt hatten, Brücken, die in das Wasser gesunken waren, das sie hätten überspannen sollen, noch glühende Aschenhaufen, um die herum Flammen züngelten, wenn ein kalter Wind hindurchfuhr, brodelnder Qualm, wenn der Wind sich wieder legte…“ (S. 424) 
Es ist – zugegeben – nicht ganz leicht, in Peter Straubs 700-Seiten-Epos über die Zerstörung einer Stadt hineinzukommen. Mit der Vorstellung unzähliger Figuren, die im weiteren Verlauf oftmals keine Rolle mehr spielen, weil sie getötet worden sind, und Zeitsprüngen zwischen den 1960er, 1970er Jahren sowie der 1980 spielenden Gegenwart legt Straub einen holprigen Start hin, der seinen Lesern Konzentration und Geduld abverlangt. Doch sobald sich das Geschehen auf das Quartett fokussiert, das am Ende den persönlichen Kampf gegen den „Drachen“ aufnimmt, entfaltet der Autor gekonnt ein apokalyptisches Szenario, in dem die Gaswolke letztlich nur als Katalysator dient, um das Böse zu entfesseln. 
Bei der Art und Weise, wie Zerstörung und Gewalt in Hampstead um sich greifen, erweist sich Straub als äußerst phantasievoll, bringt Slasher-Horror, Zombie-Apokalypse und sogenannte „Triefer“ zusammen, denen man eigentlich mit Mitleid begegnen müsste. Das Finale zieht sich leider ebenso in die Länge wie die Einführung, aber dafür sind Straub die Charakterisierung seiner Figuren wunderbar gelungen, und er versäumt es nicht, die schrecklichen Ereignisse sprachlich anspruchsvoll vor den Augen seines Publikums auszubreiten. Trotz einer Längen und unnötig komplexer Struktur ist Straub mit „Der Hauch des Drachen“ ein nicht nur epischer, sondern überwiegend mitreißender Horror-Roman gelungen, der es mit Kings Epen „The Stand – Das letzte Gefecht“ und „Es“ aufnehmen kann. 

 

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