Lee Child – (Jack Reacher: 24) „Die Hyänen“

Donnerstag, 4. August 2022

(Blanvalet, 414 S., HC) 
Der ehemalige Elite-Militärpolizist Jack Reacher ist mal wieder mit dem Greyhound-Bus unterwegs, diesmal auf der Interstate, gut siebzig Kilometer von einer namenlosen Stadt mit ungefähr einer halben Million Einwohnern entfernt. Vor ihm bemerkt Reacher einen ca. siebzig Jahren alten Mann, der auf seinem Sitz schläft und aus dessen Jacke ein Umschlag mit Bargeld ragt, auf den es offensichtlich ein junger schlaksiger Kerl direkt vor Reacher abgesehen hat. 
Als der alte Mann aus dem Bus steigt, behält Reacher ihn im Auge und kann im letzten Moment verhindern, dass der gebrechliche alte Mann um sein Geld gebracht wird. Er erfährt, dass der Mann namens Aaron Shevick bis um 12 Uhr in einer Bar 22.500 Dollar abliefern muss, die er und seine Frau Maria sich für die Behandlung ihrer krebskranken Tochter Meg bei einem örtlichen Kredithai geliehen hatten. Doch der Mann, dem Shevick das Geld übergeben soll, lässt sich durch den Barkeeper auf 18 Uhr vertrösten. 
Reacher begleitet Shevick erst nach Hause und kehrt mit ihm um 18 Uhr zur Bar zurück, wo allerdings ein anderer Mann an dem üblichen Tisch sitzt. Reacher gibt sich für Shevick aus, bezahlt dem neuen Mann nur einen Bruchteil der Summe, die die Shevicks den Albanern geschuldet haben, und gerät unversehens zwischen die Fronten von zwei Mafia-Clans aus Albanien und der Ukraine. Gregory, der Boss der ukrainischen Mafia, hat seinen albanischen Kollegen Dino darüber informiert, dass sein Spitzel bei der örtlichen Polizei auf eine Liste gestoßen sei, auf der vier vertrauenswürdige Informanten des Police Departments aufgeführt seien, jeweils zwei aus albanischen und ukrainischen Reihen. Gregory habe seine beiden Leute bereits liquidiert. Doch als Reacher in einer Bar auf die falschen Leute trifft, gerät das Machtgleichgewicht zwischen den Clans ins Wanken. Mit Hilfe der taffen Bedienung Abby findet Reacher für die Nacht einen Unterschlupf, doch als er den Shevicks zu einem weiteren Kredit verhilft, muss er zwangsläufig die Reihen beider Clans lichten, die zunächst vermuten, dass die Russen das Revier übernehmen wollen… 
„Das hatte er schon früher getan. Alles auf eine Karte gesetzt und gewonnen. Auch nach zehntausend Generationen funktionierte sein Instinkt noch immer zuverlässig. Er hatte alles riskiert und war lebend davongekommen. Außerdem sah er die Sache relativ gleichmütig. Niemand lebte ewig. Aber war er bereit, auch Abbys Leben zu verwetten?“ (S. 275) 
Nahezu pünktlich wie ein Uhrwerk liefert Lee Child seit 1997 jedes Jahr einen neuen Roman um seinen Protagonisten Jack Reacher, einen hünenhaften, kräftig gebauten Mann, der nach dem Ausscheiden aus dem Militärdienst, den er überall auf der Welt abgeleistet hatte, heimatlos durch die USA streift, meist nur mit einer Zahnbürste im Gepäck. 
In seinem bereits 24. Abenteuer verschlägt es Reacher also in eine namenlose Stadt, die klar abgegrenzt von zwei Mafia-Clans beherrscht wird. Das Setting ist wieder außergewöhnlich. Reacher eilt einem hilflosen Mann zur Hilfe, legt sich mit beiden Mafia-Clans an, und während er sukzessive seinen Häschern einen Schritt voraus ist, haben weder die Albaner noch die Ukrainer eine Ahnung, wer da in ihren Machenschaften herumpfuscht. Lee Child fokussiert die Story ganz auf die Konfrontation zwischen den beiden Mafia-Clans einerseits und Reachers Vorgehen gegen die Kriminellen andererseits. Das wirkt zunächst wie ein Planspiel, bei dem die normale Welt völlig ausgeblendet wird. Als Außenstehende kommen nur noch Abbys Musikerfreunde Hogan und Barton sowie der mit osteuropäischen Sprachen vertraute Vantresca ins Spiel, was die ungleiche Ausgangslage etwas glaubwürdiger gestaltet. 
Der Plot ist wie bei Child gewohnt schön knackig und spannend inszeniert, wobei seine klar strukturierte Sprache mit kurzen Sätzen das Tempo entsprechend unterstützt. Die Sympathien sind natürlich schnell verteilt, so dass die Leser gar nicht umhin können, Reacher und seinen Helfern die Daumen zu drücken. Da die Action so stark im Vordergrund steht, nimmt sich Child allerdings wenig Zeit für die Figurenzeichnung. Gerade die Beziehung zwischen Reacher und Abby, aber auch die Familiengeschichte der Shevicks hätte mehr Raum zur Ausgestaltung verdient gehabt. 
Wer allerdings straff inszenierte Action ohne große Überraschungen und Wendepunkte zu schätzen weiß, ist mit diesem Action-Thriller bestens bedient.  

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