Joe Hill – „Strange Weather“

Sonntag, 14. August 2022

(Festa, 652 S., HC) 
Der 1972 als Sohn von Bestseller-Horror-Autor Stephen King und dessen Frau Tabitha geborene Joseph Hillström King hat unter seinem Pseudonym Joe Hill bereits die auch hierzulande erfolgreichen Romane „Blind“, „Teufelszeug“, „Christmasland“ und „Fireman“ veröffentlicht, doch ebenso wie sein übermächtiger Vater hat Hill auch Gefallen an kürzeren Erzählformen wie der Kurzgeschichte und der Novelle gefunden. Da fällt der Apfel eben nicht weit vom Stamm. Mit „Black Box“ ist bei Heyne bereits 2008 eine erste Kurzgeschichten-Sammlung von Joe Hill erschienen, mit „Vollgas“ legte Festa 2021 eine weitere Kollektion vor. Zuvor erschien mit „Strange Weather“ eine Sammlung von vier Novellen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. 
Mit „Schnappschuss“ begleiten wir Joe Hill auf eine kleine Zeitreise in die 1980er Jahre, als die Sofortbildkamera Polaroid der letzte Schrei gewesen ist. Hier lernen wir einen dreizehnjährigen Jungen namens Michael Figlione kennen, der sich in dem kleinen Ort Golden Orchards im Norden Cupertinos ein wenig um die zunehmend demente Nachbarin Shelly Beukes kümmert, die sich bis 1982 noch um den Haushalt der Familie des Jungen gekümmert hatte. Sie warnt ihn, dass er sich vor dem Polaroid-Mann in Acht nehmen sollte. Als Michael an der Tankstelle tatsächlich dem Mann mit der Kamera begegnet, geschehen merkwürdige Dinge, denn mit jedem Bild, das mit der Kamera geschossen wird, scheint eine Erinnerung des Portraitierten gelöscht zu werden… 
In „Geladen“ hadert Randall Kellaway mit seinem Schicksal. Nach seinem Einsatz im Irak hatte sich Kellaway sowohl bei der State Police, der örtlichen Polizei, dem Sheriff’s Office und dem FBI beworben, doch beim FBI hat er den psychologischen Aufnahmetest nicht bestanden, bei all den anderen Behörden kam es nicht mal zum Vorstellungsgespräch. Nun schiebt er als Sicherheitsbeamter in einem Einkaufszentrum Dienst und ist verärgert darüber, dass seine Ex-Frau Holly eine einstweilige Verfügung gegen ihn erwirkt hat, dass er ihr und ihrem gemeinsamen Sohn George gegenüber einen Abstand von mindestens 300 Metern einhalten muss. Sein einziger Freund Jim Hirst sitzt zwar im Rollstuhl und leidet darunter, dass seine Frau fremdgeht, dafür nennt er eine ansehnliche Waffensammlung sein eigen. Davon profitiert schließlich auch Kellaway, als er eines Tages im Einkaufszentrum in den Juwelierladen „Devotion Diamonds“ von Roger Lewis stürmt, um ein Massaker zu verhindern. Rog hatte nämlich gerade mit seiner 20-jährigen Angestellten und Geliebten Becki Schluss gemacht, die ihn daraufhin mit einer .357er erschoss. Als Kellaway in den Laden stürmt, schaltet er allerdings nicht nur die Schützin aus, sondern auch eine muslimische Frau mit ihrem Baby und einen fettleibigen Zeugen. Von der Presse wird Kellaway als Held gefeiert, doch die Reporterin Aisha Lanternglass kommt nach und nach den wahren Ereignissen auf die Spur… Nachdem die 23-jährige June Morris vom Krebs dahingerafft worden ist, haben sich ihre beiden Brüder Brad und Ronnie, ihre beste Freundin Harriet Cornell und Aubrey dazu entschlossen, zu ihrem Gedenken einen Fallschirmsprung zu absolvieren. Während Junes Brüder jedoch schon Erfahrungen mit dem Springen gemacht haben, ist es für Aubrey und Harriet das erste Mal. 
Vor allem Aubrey hat „Hoch oben“ große Angst vor dem Absprung, doch als der Motor des Flugzeugs ausfällt, bleibt ihm letztlich nichts anderes übrig, als auch zu springen. Zu seiner Überraschung landet er dabei auf einer festen Wolke, auf der Dinge entstehen, die Aubrey kurz zuvor noch gedacht hatte. Seine Zeit verbringt Aubrey dabei vor allem mit den Erinnerungen daran, wie er Harriet kennen und lieben gelernt hat. 
Mit „Regen“ hat Hill schließlich sein eigenes Weltuntergangsszenario geschaffen. Bei einem Gewitter über Boulder, Colorado, regnet es nämlich keine Wassertropfen, sondern nadelspitze Metallsplitter, die ein Meer der Verwüstung hinterlassen. Was zunächst als terroristischer Anschlag betrachtet wird, scheint sich allerdings als natürliches, wenn auch seltenes Phänomen zu entpuppen, bei dem durch Blitze eine Form des Kristalls Fulgurit entsteht. Die 23-jährige Honeysuckle Speck verliert durch den Nadelregen ihre Geliebte Yolanda und macht sich zu Fuß auf den Weg ins dreißig Kilometer entfernte Denver, um Yolandas Vater über den Tod seiner Tochter zu unterrichten… 
„Novellen sind Killer, keine Füller, sie kommen auf den Punkt, wo Romane ausschweifend werden. Sie haben die Ökonomie von Kurzgeschichten, sind aber aufgrund ihrer Länge in der Lage, eine Charakterisierung zu erreichen, die wir üblicherweise bei Romanen erwarten“, fasst Hill im Nachwort von „Strange Weather“ die Eigenschaften der Novelle zusammen. Besonders originell sind die hier vier vereinten Geschichten zwar nicht gelungen, dafür versteht der Autor es ähnlich wie sein Vater hervorragend, den Plot einer Geschichte mit Kommentaren zur Gesellschaft zu versehen. 
Während „Schnappschuss“ vor allem als Coming-of-Age-Story mit einem vertrauten übernatürlichen Element überzeugt, stellt „Geladen“ natürlich einen bissigen Kommentar auf die schwer nachvollziehbare Liebe der Amerikaner zu ihren Waffen dar. „Hoch oben“ gefällt weniger durch das sicher interessante Setting als durch Aubreys Charakterisierung, wie sie durch seine Erinnerungen und seine Liebe zu Harriet zum Ausdruck kommt. Und bei „Regen“ ist es die lesbische Liebesgeschichte, die im Vordergrund steht, aber auch traditionelle Werte wie Familie und Hilfsbereitschaft kommen bei dem dystopischen Szenario nicht zu kurz, auch wenn Plünderungen, Morde und überzogene Reaktionen auf die Katastrophe das beherrschende Thema zu sein scheinen. 
Die beiden bei Festa erschienenen Sammlungen von Joe Hill sind sicher keine Must-Reads, nicht mal für Joe-Hill-Fans, doch ebenso wie „Vollgas“ bietet auch „Strange Weather“ einige nette Ideen, einen flüssigen Schreibstil, eine Art von Humor, wie man sie bereits von Stephen King her kennt, und ausgefeilte Figurenzeichnungen, die zu den bemerkenswertesten Stärken des Autors und seiner Geschichten zählen.

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