(Goldmann, 574 S., Pb.)
Dan Simmons hat seine Schriftsteller-Karriere mit von Beginn an preisgekrönten Werken im Bereich des Horror- und Science-Fiction-Genres begonnen, ehe er 1999 mit „The Crook Factory“ (dt. „Fiesta in Havanna“) nochmals sein Spektrum erweiterte und sein Faible für Geschichten entdeckte, die auf historisch verbürgten Ereignissen basieren. Lange vor seinen Bestsellern „Terror“, „Drood“ und „Der Berg“ entstand mit „Fiesta in Havanna“ ein packendes Spionage-Drama um Ernest Hemingway und prominenten Weggefährten wie dem späteren James-Bond-Autor Ian Fleming und den Schauspielern Marlene Dietrich, Gary Cooper und Ingrid Bergman.
Ende April 1942 wird FBI-Special-Agent Joseph „Joe“ Lucas von Direktor J. Edgar Hoover zu sich ins Büro bestellt, offensichtlich weil er zu den wenigen der rund viertausend Special Agents zählt, die bereits Menschen getötet haben. Er wurde im legendären Camp X in der Nähe von Toronto am Ontariosee ausgebildet, wo überwiegend britische Guerillas und britische Spionageagenten – aber eben auch einige wenige FBI-Agenten – auf ihren weltweiten und meist gefährlicheren Einsatz vorbereitet wurden. Nun soll Lucas nach Kuba fliegen, um den vom berühmten Schriftsteller Ernest Hemingway ins Leben gerufenen Spionage-Abwehr-Ring zu infiltrieren.
Offiziell wird Lucas als von der Botschaft eingesetzter Verbindungsmann zu Hemingway und seiner Geheimdienstorganisation fungieren, soll aber vor allem Hoover Bericht darüber erstatten, was für eine Person Hemingway wirklich ist, von dem gesagt wird, dass er den Kommunisten nahestehe. Lucas erhält Zugang zu der Finca, auf der Hemingway mit seiner dritten Frau Martha Gellhorn in der Nähe von Havanna lebt und stellt schnell fest, dass Hemingway ein waschechter Patriot ist, der ambitionierte Pläne verfolgt, die Japaner und vor allem die Nazis zu jagen.
Seine sogenannte „Gaunerbande“ ist schnell zusammengestellt. Tatsächlich sticht Hemingways Boot, die „Pilar“ in See, um Jagd auf deutsche U-Boote zu machen, doch dabei decken sie auch einen Ring von Saboteuren auf. Zu diesem Zeitpunkt hat Lucas längst beschlossen, seinem undurchsichtigen Mittelsmann Delgado nur unvollständige Berichte für Hoover auszuhändigen. Statt sich um seine wahrscheinlich schon beendete FBI-Karriere zu kümmern, versucht Lucas mit Hemingway, abgefangene Nachrichten der Nazis zu decodieren und eine Invasion Kubas zu verhindern. Doch damit bringen sich beide Männer ins Lebensgefahr…
„Was genau war meine Aufgabe? Natürlich Hemingway auszuspionieren. Festzustellen, was er mit seiner idiotischen Gaunerbande im Schilde führte, dem Direktor über Delgado Meldung zu machen und auf weitere Befehle zu warten. Ich sollte den Ratgeber, den Spionageabwehrexperten spielen. Aber sollte ich Hemingway und seinem Team Informationen zukommen lassen? Diesbezüglich hatte mir niemand Anweisungen gegeben. Offenbar war niemand auf die Idee gekommen, die Gaunerbande könnte auf echte Geheimdienstinformationen stoßen.“ (S. 161)
Als Dan Simmons beschloss, eine fiktive Schilderung von Hemingways Spionageaktivtäten zu schreiben, fiel ihm auf, dass die Zeit zwischen Mai 1942 und April 1943 nur unzureichend dokumentiert war. Also sammelte Simmons alle relevanten Fakten, nahm reale Ereignisse, Geheimdienste und Personen und füllte die besagten Lücken mit spannender Fiktion. Viele Namen wie Ian Fleming und die eingangs erwähnten Hollywood-Schauspieler, mit denen Hemingway eine langjährige Freundschaft unterhielt und die regelmäßig Gast auf seine Finca waren, sind dem Leser natürlich sehr vertraut, aber sie in diesem Kontext wiederzufinden macht einfach Spaß.
Simmons versteht es, eine komplexe Spionage-Geschichte zu konstruieren, die eines Jason Bourne oder James Bond zur Ehre gereichen, nur spielt diese Geschichte weitaus früher und verströmt eher die Atmosphäre eines Film noir – Femme fatale in Gestalt der Prostituierten Maria inklusive.
Bei aller Komplexität nimmt sich Simmons jedoch auch viel Zeit für seine Figuren, wobei vor allem der Ich-Erzähler Lucas und natürlich Hemingway wunderbar charakterisiert werden. Allein die Dialoge zwischen den beiden Protagonisten machen „Fiesta in Havanna“ zu einem literarischen Highlight, aber Simmons gelingt es darüber hinaus, die von Paranoia und Kriegsangst geprägte Atmosphäre des gegenseitigen Misstrauens einzufangen – immer auch wieder mit amüsanten Seitenhieben auf das Establishment. So hebt sich „Fiesta in Havanna“ wunderbar von den üblichen Genre-Werken ab und darf als eines von Simmons Höhepunkten seines literarischen Schaffens gelten.
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